Er hat mit seinem lustigen französischen Buche nach dem tauben August geworfen, weil er meinte, daß der ihm den Sack voll Ameisen ins Bett geschüttet habe. Ich wollte nur, der Arme könnte genug sehen, hören und sprechen zu solchem Streich, und dem Herrn Paten hat's auch sehr leid getan, und er hat ihm einen blanken Taler geschenkt, nachdem ihm die Frau Bebenroth das Blut abgewaschen hatte. Er ist meines Vaters bester Freund, der Herr Pate, und es tut ihm auch leid, wenn er sagt, er sei ein Narr. Von mir sagte die schöne vornehme Dame, die heute hier war, in ihren Gedanken, ich sei blödsinnig – oh – und so, so hat mich noch kein Mensch angesehen wie die schöne Dame. Auch mein Vater tat ihr leid: oh, wenn sie nicht so übel dran wäre wie wir alle hier?! Wenn sie alles kann, was sie will?!« – –
Da machte sich das Elend von neuem in einem Tränenstrom Luft. Ein großer Nachtraubvogel flatterte schwarz aus dem Walde hinter dem Hause Querians auf, erhob sich schwerfällig in die Luft und stand flügelschlagend einen Moment über der Feueresse und dem Haupte Eilikes. Dann zog er langsam durch den weißen Glanz des nächtlichen Friedens, und Eilike Querian sah ihm erschreckt durch ihre Tränen nach, bis er plötzlich über dem Dorfe jach herabfiel und verschwand.
Beinahe hätte sich ein Schrei um Hülfe dem jungen Mädchen entrungen, atemlos horchte es, ob sich nicht ein Todeskreischen vernehmen lasse; aber es blieb still.
»Oh, der Verderber!« flüsterte die Tochter Querians, und in diesem Augenblick wälzte sich ein dichterer, schwärzerer Qualm vom Herde des Vaters durch die Esse, an der sie lehnte, und ein röterer Glutschein beleuchtete die aufwärts rollenden Wirbel des Rauches. Der Vater mußte das Feuer, das ihm bei seinen närrischen Werken half, zu neuem Aufflammen angeschürt haben. Es krachte und prasselte drunten wie von trockenen harzigen Fichtenzweigen und Tannenzapfen. Vor dem erstickend sich verbreitenden Gewölke glitt Eilike Querian wieder hinab von ihrem wunderlichen nächtlichen Lugaus zu ihrem Fenster hin. Noch zögerte sie eine Minute; dann setzte sie den Fuß auf den schwankenden Ast. Er zerbrach auch diesmal nicht unter der leichten Last, und geschmeidig erreichte sie, an dem alten treuen Stamm hinunter, den festen Boden der Erde. Noch einmal sah und horchte sie nach dem Hause hin; schwere Hammerschläge erschallten jetzt aus der Werkstatt des Vaters, scheu rückwärts schreitend, auf den Fußspitzen, zog sich Eilike aus dem Mondenschein in das Dunkel unter den Bäumen zurück. Dann wendete sie sich rasch, das Gebüsch an der Tallehne rauschte, wie sie sich durchwand. Sie war verschwunden hier, und niemand begegnete ihr auf jenem fernen lichten Streif an den Bergen, der Landstraße, die auf der letzten Höhe im Hochwalde sich dem Auge des Dorfes verlor.
Zehntes Kapitel
Auf einem der äußersten Vorberge des Gebirges, eine gute Stunde hinter jenem Hochwalde, lag eine elegante Villa von jener jedem Stil, aber auch jeder Bequemlichkeit sich fügenden Bauart, in welcher es die jetzige Zeit zu einer so großen Vollkommenheit gebracht hat. Zierliche und wohleingerichtete Nebengebäude und Stallungen, ein schöner Blumengarten mit Springbrunnen und Terrakotta-Figuren – alles an dem rechten Platz – umgaben das Haus. Ein künstlerischer Sinn und eine sachverständige Hand hatten das Grundstück für den Zweck aus der Wildnis herausgegriffen, es mit Mauerwerk und Pflanzenwuchs bedeckt und mit einem hübschen eisernen Gitter umzogen. Eine Wiese stieg im Rücken der Villa aufwärts am Berge bis an den Wald. Aus den Fenstern und von den Balkonen der Vorderseite sah man hinunter über den Garten auf eine kleine Stadt mit mittelalterlichen Türmen und den Logierhäusern, den Restaurationen eines frisch und waldduftig in den Reisebüchern Deutschlands und des Auslands aufgetauchten Badeorts für Leute, die eben nicht ins Bad reisen wollten. Über das Städtchen weg lag auch hier die Norddeutsche Ebene vor den Augen, das heißt ein gut und wohlbebaut Stück von derselben mit Städten, Dörfern, Eisenbahnlinien bis in die weiteste Ferne hinaus.
»Ein gewisser Unterschied zwischen der Villa Bebenroth und der Villa Veitor läßt sich nicht in Abrede stellen«, sagte der Justizrat Scholten, als er im vorigen Sommer seine Freundin zum erstenmal in ihrem Sommeraufenthalt besuchte und denselben gründlich inspizierte. »Wahrlich, Jehova ist groß, und es wundert mich gar nicht, daß sich immer noch Leute finden, die Panier für euren alten Rachegott aufwerfen, da er dergleichen aus dem Handel mit alten Kleidern und neuen Papieren aufwachsen läßt.«
Die Frau Salome hatte herzlich gelacht und erwidert:
»Als mein seliger Mann vor sechs Jahren sich dieses idyllische Winkelchen einrichtete, war man sofort so freundlich, ihm eine Telegraphenlinie an den Fuß des Berges nachzulegen: die Gelegenheit, Ihre Überraschung nach Berlin, Wien, London, Petersburg und Paris kundzugeben, ist Ihnen also aufs bequemste geboten. Mein seliger Mann –«
»Bleiben Sie mir mit Ihrem seligen Mann vom Leibe!« hatte Scholten fast wütend gegrunzt, und die Baronin Salome Veitor hatte von neuem gelacht, aber dann doch nach einem Seufzer tief aus der Brust Atem geholt und gemeint: »Lieber Freund, ich glaube zwar mit Ihnen, daß das Schicksal uns im Grunde nur deshalb zusammengeführt und zu so guten Bekannten gemacht hat, damit wir einander heiter die größtmöglichen Sottisen sagen, allein wir wollen uns die guten Stunden doch nicht stets von vornherein verderben. Lassen wir die Toten ruhig unter ihren Steinplatten im Tale Josaphat; die Lebenden machen uns wohl genug zu schaffen, vorzüglich, wenn man eine große Verwandtschaft hat wie ich und einen bei den Namen Wien, Berlin und Frankfurt am Main eine Gänsehaut am heißesten Sommertage überkommt. Ich bin eine geplagte Frau, Scholten, und es ist durchaus nicht notwendig, daß auch meine Freunde ihre Lazzis an meine Wände schreiben wie ein Teil meiner jüngern und ältern Nachbarschaft aus der Stadt da unten die seinigen an mein Gartentor.«
Das war im vorigen Jahre gewesen, und seitdem hatten sich der Justizrat und die Frau Salome noch um vieles besser kennengelernt; und auch die Bekanntschaft eines ziemlichen Teils des großen Kreises lieber Verwandten der Dame hatte der alte Scholten gemacht. Er wußte ganz sicher, daß die Baronin Veitor eine geplagte Frau war und daß ihr der »Ichor« in ihren Adern das Dasein keineswegs gemütlicher machte. Die so weit über ganz Europa verbreitete Blutsverwandtschaft gab nichts auf den Ichor, sie ärgerte sich sogar dann und wann an dem Ichor, sie ließ es die Kusine häufig merken, daß der Ichor keinen Kurs bei ihr habe. »Was tue ich mit dem Ichor?« fragte die Verwandtschaft; und die Frau Salome, die, wenn sie in Leidenschaft geriet, sofort immer in den jüdischen Akzent und Inversionsredestil fiel, sagte zu ihrem guten Freunde:
»Es ist immer dasselbe gewesen mit mir und es wird mit mir bleiben immer das nämliche. Ich habe in einer feinen Wiege gelegen –«
»Meine Wiege hätten Sie mal sehen sollen«, warf der Justiz rat ein.
»Und ich bin geboren mit einem großen Ekel vor vielen Dingen, und alles, was mir zuwider ist, ist listiger und mächtiger als ich. Und auch ich bin aus Affrontenburg wie mein Stammesgenosse, der gute Heinrich Heine, und ich bin ein armes Mädchen und Weib gewesen, und ich habe mich ducken müssen vor jedem Affront, der mir angetan worden ist zu Affrontenburg.«
»Haben Sie das wirklich?« fragte Scholten, und dann kam ein Strahl von dem uralten scharfen Geierblick, wie er durch die Bücher von den Königen funkelt und in den Büchern der Makkabäer vor Antiochus dem Syrier.
»Ja, sie hätten es gern gehabt, wenn ich hätte auch gelächelt zu jeglichem Affront; aber ich habe dann und wann gelacht! Ich habe auch meine Zähne, und sie sind echt und sind echte jüdische Zähne. Ich habe gebissen, wenn ich gleich keine bissigen Gedichte und Lieder drucken lassen konnte wie der Pariser Poet, mein talentvoller Herr Vetter aus dem Morgenlande.
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