Solch einen –«

»Nun, was solch einen –?«

»Ja, Riekchen, sag du's lieber!« kicherte die Rednerin hinter ihrer Schürze; aber Riekchen versteckte sich auch nur verlegen lachend hinter einem Handtuche, und es blieb dem alten Scholten nichts weiter übrig, als den Satz zu Ende zu bringen.

»Solch einen schnurriosen – niederträchtigen – und in der Weltgeschichte drunten in den Dörfern wohlbesschlagenen Kalendermacher und Wetterkündiger sähe man wohl in allen Nöten des Tages und der Nacht gern den Schnabel in die Tür schieben – he?! Jaja, ich will's wohl glauben, es gibt allmählich mehr als einen Kochherd, mehr als einen Kuh-, Pferde- und Eselstall, mehr als eine Spinnstube, wo man nach mir fragt, wenn ich lange nicht nachgefragt habe.«

»Und was bringen Sie uns denn diesmal Neues mit, Herr Justizrat?«

»Auf die Frage war ich auch schon gefaßt, mein Kind; Neues? – Nun, es ist mir dunkel so, als sei mancherlei Kurioses vorgefallen; ich habe aber leider Gottes alles wieder vergessen.«

»Ach, Herr Rat!« riefen beide Mägde.

»Aber wartet einmal! Ja, in Elbingerode hat's einen argen Lärm in Mayers Hause gegeben –«

»Liebstes Leben – wieder einmal!« rief das eine Kind, ließ den Griff der Kaffeemühle fahren und sah kläglich auf den wunderlichen Botschafter.

»Sie hatten ihn nach Goslar auf den Schützenhof eingeladen, und beide Alten setzten natürlich ihren Kopf auf, und der Alte schlug auf den Tisch und verlangte, daß nun endlich die Sache mit der Karoline von den Farbensümpfen in Richtigkeit gebracht werde; das Jahr solle nicht hingehen, ohne daß Hochzeit gehalten werde –«

»O du lieber Gott!« schluchzte die Kaffeemüllerin.

»Na, nur stille«, sagte Scholten. »Sie hätten eher den Rammelsberg als ihn zum Wackeln gebracht. Ihm eile es nicht so wie der Goslarschen Base, meinte er. Der Teufel solle ihn holen, wenn er sich da so mir nichts dir nichts in den Sumpf reiten lasse. Er sei ein Bergmann und wolle mit der Oker-Schlemme nichts zu tun haben; gelb sei nicht seine Leibfarbe, und wenn er gegen das Heiraten an und für sich wenig einzuwenden habe, so komme es doch immer darauf an, mit wem man sich vom Pastor von der Kanzel werfen lasse. Prügel mit der zärtlichen Verwandtschaft in Goslar wie im vergangenen Jahre könne es wohl setzen –«

»O der gute Junge!«

»Jawohl, so weit ging seine Güte. In der Hinsicht ist die Menschheit ein Herz und eine Seele, ich kann das hundertfach aus meinen Akten nachweisen, ihr dummen Dinger; aber cherchez la femme – wenn ihr Französisch verständet, so wüßtet ihr, was ich sagen will.«

»Ach, sagen Sie es uns nur auf deutsch«, meinte Riekchen, die bis jetzt stumm, aber mit aufgespanntesten Herzens- und Verstandeskräften zugehört hatte.

»So?« brummte Scholten. »Gönnst du ihn ihr denn? Dir wär's wohl ein gefunden Fressen gewesen, wenn ich ihr gleich den Absagebrief in der Tasche mitgebracht hätte? Nun, sei nur ruhig; in Rübeland bin ich auch gewesen, und deinen habe ich gleichfalls gesprochen. Das ist ein höflicher Mensch, sonst hätte man ihn auch nicht zum Fremdenführer in der Baumannshöhle gemacht. Der weiß ein Wort mit den Damen zu sprechen! Und in Goslar ist er auch gewesen und hat sich recht ›amesiert' ‹ –«

»Und ich schlage ihm alle Knochen entzwei, wenn er sich hier wieder am Brocken blicken läßt!« rief Riekchen, die duftenden Bohnen in ihrer Pfanne schüttelnd und zu gleicher Zeit zwischen die flackernden, krachenden, knackenden Tannenscheiter fahrend, als habe sie eine Million Sünder am weiblichen Herzen im ewigen Höllenfeuer zu rösten. »Sonst weiß ich aber auch gar nicht, weshalb Sie mir das erzählen, Herr Rat. Was geht es denn mich an, ob er nach Goslar oder ob er nach Amerika gegangen ist?«

»Puh«, sagte Scholten, »meinetwegen wollen wir uns nächsten Sommer wiedersprechen. Jetzo aber brennt meine Pfeife, und – Lieschen, ich habe eine Ahnung, daß er's nächste Woche möglich macht und sich heraufschleicht, und wenn es auch nur wäre, um dem Linchen aus den Goslarschen Farbensümpfen zu zeigen, daß hinter den Bergen auch noch Leute wohnen. Ich empfehle mich Ihnen, meine Damen.«

Er war aufgestanden von seiner Wasserbank, und zwar ganz zur richtigen Minute; denn im Vorderhause, in der Gaststube, hatte sich ein Tumult erhoben, ein recht lebhaftes Aufeinanderdrängen menschlicher Leidenschaften; in Mayers Hause zu Elbingerode konnte es kaum munterer hergegangen sein.

»Dazu steigt man denn aus dem Qualm der Städte herauf«, murmelte der Justizrat, doch eine weitere Bemerkung zu machen, fand er augenblicklich nicht die gehörige Zeit. Aus der offenen Tür der Gaststube stürzte ihm die Wirtin auf den Hals, faßte ihn am Oberarm und schleppte ihn in die Haustür, auf die Landstraße deutend:

»Da steht er, der Kujon! Und jetzt laß ihn nur vor Gericht gehen und einen falschen Eid schwören wegen Mißhandlung! Sie sind unser Zeuge, daß wir ihn so heil und ganz gelassen haben, als es nur möglich war; aber wo ihn mein Mann angriff, da riß es, und das war nicht unsere Schuld. Brauche ich mir in meinem eigenen Hause von solch einer Vogelscheuche Impertinenzien sagen zu lassen? Aber wir haben es ihm auch gesagt, und kein Mensch soll es meinem Mann verdenken, daß er ihn erst über den Tisch zog und dann vor die Tür warf.«

»Da wundert's mich denn doch, daß der Kujon nicht noch da liegt«, sagte Scholten, seinen Arm von dem Griff der robusten Frau befreiend. Er rückte auch die Brille wieder zurecht, nahm seinen Wanderknittel unter den Arm und ging über die Straße dicht an das so energisch in die freie Natur beförderte Individuum heran, besah es von oben bis unten und sagte:

»Mensch, wenn du wirklich ein Mensch und keine Vogelscheuche bist, wie siehst du aus, Mensch?!«

»Herrje, Herrje, Herr, heren Se, wenn ich es Sie nur selber wüßte!«

»Also wirklich, wenigstens der Sprache nach, ein deutscher Bruder!«

»Ei ja«, sagte der Zerzauste, immer noch verstört und wie in einem schlimmen Traume um sich stierend, »aus Leipzig bin ich Sie und meines Zeichens ein Schneider, und die Poesie und die Lektüre, wissen Sie, von Schiller und von Goethes ›Faust‹ hat mich da auf den Blocksberg geführt. Als ein anständiger Mensch bin ich nach oben gegangen und – so komme ich wieder herunter. O je, Herrje, komme ich Sie da in die Wirtschaft –«

»In dem Hause da einzig und allein hat man Sie so zugerichtet?«

»Nun, wissen Sie, ich bin schon seit dem März auf der Wanderschaft, und da oben haben wir unserer zwölf auf dem Stroh kampiert und waren vergnügt, und ein Setzer aus Hildburghausen wußte ihn halb auswendig, und die andere Hälfte pfiff ein Berliner aus der Oper her. Wissen Sie, auf dem Blocksberg muß doch jeder von uns gewesen sein, wenn er in die hiesige Gegend kommt, und so wimmelten wir unserer zwölf in die Höhe und standen oben auf dem Hexenaltar und sahen alle zwölf zwischen den Beinen durch von wegen Verschönerung von der Landschaft. Das war Sie groß! Und da schlug Sie's in der deutschen Mannesbrust, und, weeß Gott, wenn mir da einer gesagt hätte, daß mir heute das da drinnen mit dem Schuft, dem Lump passieren sollte, ich sage Sie, wir hätten ihm alle zwölf unsern Standpunkt klargemacht. Er hätte schnell genug den Berg wieder herunterkommen sollen!«

»Sie kamen also heute den Blocksberg allein herunter?«

»Einsam und alleine. Die anderen hatten sich nach einer anderen Richtung davongemacht; ich aber will Sie nach Ballenstedt, und das war mein Verderben. Da komm ich hier an, so'n bißchen lahm ums Kreuz, aber mit aller Dichterpoesie im Gemüte, und komme höflich in die Stube und denke, wenn hier ein Hotelier am ewigberühmten Brocken keine Bildung hat, wo soll er sie denn haben? Jawohl, da deklamiere ich dem Hildburghäuser nach:

 

Da rief er seinen Schneider,

Der Schneider kam heran:

Da, miß dem Junker Kleider,

Und miß ihm Hosen an!

 

Bitt ich Sie, sagt Sie der Wirt: verbitt ich mich den Unsinn und Lärmen in meine vier Wände, keine Schneidergesellenherberge haben wir hier nicht! – Herr, sag ich ganz höflich, von mir ist das gar nicht; ich bin Sie ein Damenkleidermacher. Das ist Sie ja von Gounod und Goethe – was wollen Sie denn? Sie sind wohl noch niemals in Berlin, Dresden und Leipzig in der Oper gewesen? Herrjeses, kennen Sie denn Goethes ›Faust‹ von Gounod nicht? Hier mitten am Blocksberg? Ist das Kultur? Ist das Bildung? Ist das Literatur? – Bratsch, haut mir der Halunk, der Barbare aus heller blauer Luft eine hin, als schmisse man Sie ein glührotes Bügeleisen an den Kopf, und da – waren wir denn schöne drin. Ich langte ihm denn natürlich einen mit meinem Weißdorn hinüber, und ohne seine Frau hätt ich's auch wohl durchgefochten; aber, liebster Herr, wenn sich die Weiber einmischen, dann ist's für einen Damenkleidermacher aus und zu Ende.«

»Nicht nur für einen Damenkleidermacher«, sprach Justizrat Scholten, wider seinen Willen dem keuchenden Ästhetiker in den atemlosen, sprudelnden Bericht fallend.

»Hören Sie, da mögen Sie wohl recht haben, lieber Herr. Mein Vater war Sie ein Zimmermann aus Penig an der Mulde, und seine Meinung war dieses auch. Also sehen Sie, auf einmal hängt mich diese Kreatur am Rockkragen und reißt mich nach hinten; und als mir der Wirt stößt von vorn, da half denn kein Ausschlagen und Widerstehen nach hinten und vorn, und ehe ich weiß, wie's zugeht, bin ich draußen, und keine Gerechtigkeit und Justiz ringsum zu sehen und abzureichen. Himmeltausendhöllenhunde, wenn mir das einer gestern abend gesagt hätte, als wir da oben auf dem alten Teufelsberge im Chore sangen: ›Du Schwert an meiner Linken‹, und ›Denkst du daran, mein tapfrer Lagienka?‹ – Herrje, an diese Fahrt auf den Brocken werd ich wohl mein Lebtage denken.«

»Keine Gerechtigkeit und Justiz, so weit das Auge blickt, zu sehen?« sagte der alte Scholten freundlich und dem mutigen Schneider fast zärtlich auf die Schulter klopfend. »Lieber Mann, ich bin ›Sie‹ vom Berg der Hirtenknab –«

»Das haben wir auch gesungen; aber da kam der Brockenwirt und gebot Feierabend.«

»Unterbrechen Sie mich nicht, Angeklagter! Ich bin von der Justiz, wollte ich Ihnen bemerken, und Gerechtigkeit soll Ihnen zuteil werden, und zwar auf der Stelle.