Auf einem Backsteinherde unter einem mächtigen schwarzen Schlote loderte das Feuer, das den schwarzen Dampf durch den Schornstein sandte. Die Tannenscheite prasselten, knackten und krachten, und der Wind trieb einen Teil des Qualms und der Funken zurück in das weite und doch in der verwirrendsten Weise vollgepfropfte Gemach. Steine und Erze, Holzstücke, riesige Haufen von Hobelspänen, Töpfe, Tiegel und Pfannen, Abgüsse von antiken und modernen Bildwerken, das Material und Werkzeug des Erzarbeiters, Zimmermanns, des Bildschnitzers, Bildhauers und des Chemikers durcheinander! Im Hintergrunde aber durch die wirbelnden Dämpfe und knisternden Funken sichtbar das jüngste Werk Querians, das Bildwerk, welches die Eilike mehr denn alles andere aus dem Hause ihres Vaters gescheucht hatte!

Von der dunkeln Wand hob sich die Tongruppe im roten, flackernden Schein des Herdes riesenhaft, übertrieben karikaturartig, aber doch mächtig und überwältigend ab. Der nackte Gigant mit dem toten Kinde in den Armen lebte! – Die Muskeln zuckten, er mußte den grinsenden Mund jetzt, gerade jetzt zu einem Gebrüll der Verzweiflung aufreißen!

Eilike verbarg ihr Gesicht in dem Kleide der Baronin; diese stand festgebannt mit weitgeöffneten Augen, schweratmend und wortlos.

»Alle Wetter, Querian!« rief der Justizrat Scholten. »Was sagen Sie, Frau Salome? Wenn er aus seiner Haut herauskönnte, wäre er ein großer Mann! Wenn er Rechenschaft ablegen könnte über das, was er macht, wäre er längst Professor an irgendeiner Akademie der bildenden Künste und Professor der Philosophie obendrein. Wie das Ding sich im Tageslichte ausnehmen wird, wer kann das freilich sagen?!«

Mit dem Tone eines Cicerone in einer öffentlichen Kunstsammlung sagte der Meister des Werkes:

»Das ist mein Kind, gnädigste Frau. Ich habe fünfzig Jahre gearbeitet, ein Lebendiges zu schaffen; es stirbt mir aber immer in den Armen; ich möchte wohl einmal die Sachverständigen fragen.«

Da lachte Scholten doch.

 

Zwölftes Kapitel

 

Justizrat Scholten lachte gegen sein Versprechen, und was nachher in den Zeitungsblättern über das Nachfolgende zu lesen gewesen ist, gab nur eine matte Relation der hereinbrechenden schrecklichen Ereignisse.

Um diese Stunde – zwischen drei und vier Uhr nachmittags – ist es in der Tiefe der Erde, fern in den Wäldern auf den Holzschlageplätzen und an den Meilern sowie auf den entlegenen Feldern und Wiesen den Leuten gewesen, als habe sie plötzlich jemand gerufen. Der Bergmann hat Fäustel und Eisen sinken lassen, der Holzhauer die Axt, der Köhler den Schürbaum. Auf den Äckern und Wiesen hat man mit der Arbeit innegehalten und der Hirt sein Pfeifen unterbrochen und die Hand ans Ohr gelegt. Jedermann, der einen Nachbar beim Tagewerk zur Seite hatte, hat den angesehen und ihn gefragt, ob er nichts gehört habe. Wunderlicherweise hatte dann doch niemand etwas vernommen, und jeder hat seine Beschäftigung wieder aufgenommen, jedoch in einer gewissen Befangenheit und Zerstreutheit und nicht mit der vorigen Lust.

So weit des Dorfes Feldmark ging, hat es nicht geregnet; doch der heiße Sturm ist freilich überall gewesen und hat den Menschen die Stirnen betäubt. Die Bauern, die Holzarbeiter, die Köhler und Hirten sind vielleicht dadurch schon auf ein Außergewöhnliches vorbereitet worden, zumal sie von dem dunkeln Horizont rundum sich umgeben sahen und die Donner rollen hörten. Für die Leute unter der Erde galt das freilich nicht, die haben sich über die Mahnung nachher am meisten gewundert oder vielmehr entsetzt.

Wer schrie es in die Schachte hinunter, in die Stollen hinein, daß Feuer zu Hause sei? Wer verkündete es in den brausenden Forsten, auf den Feldern? Wer sagte es dem einsamen Hirten auf seiner Waldwiese?

Sie wußten es alle zu gleicher Zeit. Sie warfen ihre Geräte hin, sie stiegen auf, sie sprangen über die Hecken und Hohlwege, sie stürzten die Schneisen hinunter – mit hocherhobenen Armen liefen sie von den Feldern weg. Auf allen Wegen und Stegen wimmelte es von entsetzten, angstvollen Menschen.

Es war Feuer zu Hause und sie fern vom Hause! – – Viele haben ein Lachen in dem Sturmwind gehört. Alle aber haben noch nimmer mit solcher Verzweiflung das Zischen und Pfeifen über und um sich vernommen und den Atem des Sturmes in ihren Haaren und Kleidern gefühlt.

Ja Feuer! Es war Feuer, und der alte Scholten, die Frau Salome und Eilike Querian waren die einzigen im Dorfe, die Bericht darüber geben konnten, wie es entstanden war. – – –

»Ach ja, ich habe es wohl gefürchtet, daß Sie doch wieder lachen würden«, sagte Querian mit einem Gesichte wie ein Kind, das nach einer verbotenen Frucht griff und einen Verweis erhielt. »Oh, Sie haben wohl ganz recht; Sie verstehen das viel besser als ich. Es ist nichts, es ist gar nichts – ich sehe es wohl, ich weiß es wohl. Es ist alles sehr lächerlich und ich auch – ja! Nun, nun, die Herrschaften haben recht, und wir wollen es fortschaffen; der Eilike gefiel es auch nicht; aber es wäre mir freilich lieb gewesen, wenn die Herrschaften nicht gelacht hätten.«

Langsam, fröstelnd die Hände reibend und dazwischen die Knöpfe seines Rockes zuknöpfend, ging er an den Herd, sah einen Augenblick in die Glut und dann noch einmal wie fragend, sehnsüchtig auf den Besuch, und dann nahm er ein brennend Reis. Er schleuderte es nicht, er ließ es nur fallen zwischen die Hobelspäne und das dürre Holzwerk, das hoch in Haufen den Fußboden bedeckte und gegen die Wände sich auftürmte. Von den Besuchern hatte noch keiner eine Ahnung, was kommen sollte – was da geschah – was dieser arme Mensch in seiner Verwirrung anrichtete.

»Ei, mein bester Querian –« hatte der Justizrat noch einmal einen Satz begonnen; da war es aber bereits für jegliches tätige Zugreifen zu spät. Er tat einen Satz und trat mit dem Fuße auf die nächste aufhüpfende Flamme. Die Baronin stieß einen Angstruf aus, Eilike schrie hell, und schon war aller Kampf gegen das furchtbare Element vergeblich!

Sie sahen den Tollen inmitten des Feuers und des Dampfes. Mit einem Hammer schlug er auf sein kurios mächtiges Bildwerk. Er zerschlug das tote Kind in den tönernen Armen des Genius, des Riesen – die große Figur zersplitterte und stürzte polternd zusammen, teilweise auf den Künstler selber. Das Feuer war überall – auf dem Fußboden, an den Wänden, an der Decke; – es leckte schon nach dem leichten Sommerkleide der Frau Salome. Scholten riß die Freundin mit einem rauhen, heisern Entsetzensgeächz zurück gegen die Tür, die Eilike flüchtete bereits durch den dunkeln Hausgang.

Das Haus Querians brannte im Innern lichterloh, und um das Haus sauste der Wind wilder denn zuvor. Von dem Eintritt der drei bis jetzt, wo sie wieder auf dem Wege standen, waren kaum zehn Minuten vergangen.

Der Justizrat kam zuerst wieder zur Besinnung und griff sich mit einem Verzweiflungsruf in die Haare; – der Qualm der Feuersbrunst quoll bereits zwischen den Schindeln des Daches durch und aus der Haustür hervor.

»Ins Dorf! Um Hülfe – Feuer!« schrie Scholten. Die Frau Salome mußte alle ihre Kräfte aufbieten, um das Kind Querians abzuhalten, sich abermals in das Haus zu stürzen.