Ehe die letzte Hütte, die das Feuer erfaßte, in sich zusammenstürzte, überlegte man und sorgte bereits von Amts wegen für das provisorische Unterkommen der Abgebrannten und ihre sonstige Bequemlichkeit. Die Kirche wurde aufgeschlossen und in eine Vorratskammer und in einen großen Sicherheitsschrank für die gerettete Habe der Ortseinwohner umgewandelt; der obdachlose Teil der Bevölkerung, soweit es anging, dem verschont gebliebenen Dritteil unter die Dächer gelegt. Aus den umliegenden Ortschaften kamen Wagen mit Hülfsmannschaften und Spritzen über Spritzen an. Proviant langte an. Verwandte und Freunde wurden eingeladen, fürs erste zu der Vetterschaft der nahen Dörfer überzusiedeln. Für die Alten und Kranken waren Ärzte genug vorhanden, und wer bis jetzt höchstens den Kuhhirten seiner Gebrechen wegen um Rat gefragt hatte, der konnte sich nun von einem Sanitätsrat den Puls fühlen lassen. Einen der Doktoren rief auch die Baronin Veitor an, der Eilike wegen. Auf einem zu Tal fahrenden Leiterwagen, auf einer Kiste sitzend, brachte dann die Frau Salome das Kind Querians in Sicherheit. Es wurde nur einmal ein schwacher Versuch gemacht, die beiden zu insultieren und die Eilike wieder vom Wagen herabzuziehen.

Der Justizrat sah die Freundin und sein Patenkind abfahren, schärfte dem Fuhrmann, als er schon auf die Gäule schlug, immer von neuem ein, vorsichtig zu fahren und die beiden Frauenzimmer ja recht in acht zu nehmen, und blieb auf der Brandstätte zurück Er wußte es, daß er eine der brauchbarsten Personen hier war, und die Behörden hatten das auch bereits erfahren und befestigten sich im Laufe des Abends immer mehr in ihrer günstigen Meinung von ihm.

Der alte Scholten kannte jedermann im Dorf und jedermanns Umstände und Charakter; und die Leute kannten ihn und wußten, daß er ebenso gutherzig wie grob war. Nachdem er sich ein wenig erholt hatte, fuhr er von neuem umher, vervielfältigte sich wie eine Kugel oder ein Becher in den Händen eines Prestidigitateurs und erschien wie Pythagoras an sechs verschiedenen Orten zu gleicher Zeit.

Er legte eine gelähmte, hundert Jahre alte Schlackenpucherwitwe in das weiche Bett der höchlichst darüber entrüsteten Witwe Bebenroth und den taubstummen August, seinen Todfeind, welchem ein stürzender Balkon die Schulter getroffen hatte, in sein eigenes. Er machte Quartier – er verstand es, Quartier zu machen; der Ortsvorsteher sah ihm mit offenem Munde zu, und das böseste Volk ward zahm vor ihm, wenngleich er sich dann und wann gebärdete wie ein Fourier im Feindeslande.

Endlich konnte aber auch er nicht mehr, und gegen Mitternacht schleifte er ein Bund Stroh in das alte Beinhaus an der Kirchhofsmauer, wo trotz dem Wohnungsmangel niemand ein Unterkommen suchte, warf das Stroh in die Ecke, sich darauf und ächzte:

»Oh, Donnerwetter – uh, meine Knochen! O ja, wenn der Kaiser Carolus der Fünfte hier am Orte heute mir zur Hand gewesen wäre und jetzt mit mir hier auf dem Stroh läge und seine Karolina mit mir durchsprechen wollte, so wurde ich ihm freundlich raten, die Strafe des Räderns nicht unter seine Züchtigungsmittel aufzunehmen. Gevierteilt, gesäckt, gespießt zu werden, meine ich muß nur ein angenehmer Kitzel sein gegen – dieses! Wenn ich nur wüßte, wie's möglich ist, daß, einem die Schulterblätter ins Kreuz und die Hüftknochen in die Knie rutschen können? O Querian, Querian, was hast du angerichtet! Dies Resultat kam dir nicht in den Sinn, als du zuerst deinen Kopf darauf setztest, nach deinem Tode einen Kirchhof berühmt zu machen!«

Er sah sich noch einmal in der Werkstatt Querians und ächzte. Dann aber gähnte er, drehte sich, eine bequemere Lage suchend, und murmelte schlaftrunken:

»Jaja – das Beinhaus! – Im Beinhaus! – Ich Urnarr! – Wenn ich gestern ihn am Kragen genommen hätte?! – Ach, es ist einerlei; ich wollte nur, ich hätte meinen Brief an Peter Schwanewede in Pilsum von der Post zurück. Die Mühe hätte ich mir auch sparen können!«

Damit entschlief er und hub an, sehr zu schnarchen. Die Füsiliere hielten die Wacht um die Brandstätte, und die lauteste Verzweiflung wurde allmählich still in der Erschöpfung; – es war aber im Sommer, und die Nächte waren kurz. Die Sonne war wieder da, ehe irgendein Schmerz, irgendeine Angst ausgeschlafen hatten – geschweige denn verschlafen worden waren.

Wie der Justizrat erwachte und seine Tätigkeit in Angelegenheiten seines Lieblingssommeraufenthaltes von neuem aufnahm, brauchen wir nicht des weiteren zu schildern. Um es kurz zu machen, er betrug sich so auffällig, so eigentümlich, daß ihm zu Neujahr zu seinem argen Schrecken von höchster Stelle aus mitgeteilt wurde, er habe sich durch sein sonderbares Verhalten die zweitunterste Klasse des Landesordens verdient und sich fortan ohne Weigerung als einen Ritter desselbigen anzusehen.

»I so was!« rief er. »Na, das soll mir aber inskünftige eine Warnung sein. Brennt mir noch einmal mein Sommerquartier ab, so lasse ich es ruhig in Dampf aufgehen, setze mich höchstens auf der Windseite auf einen passenden Aussichtspunkt und schlage die Harfe zu dem Malheur. O Querian, Querian, wenn sie dir doch das Anhängsel zur rechten Zeit gegeben hätten?!« – –

Am vierten Tage nach dem Tode Querians und dem großen Brand erschien er zum erstenmal wieder in der Villa Veitor. Er ging mühsam und schwerfällig an seinem treuen Eichenstock und schien um mehrere Jahre älter geworden zu sein. Die Frau Salome traf er am Bette der Eilike, die in einem hitzigen Fieber lag.

Die Frau Salome teilte ihm alles mit, was sich seit ihrer Rückkehr in das Landhaus mit ihr und dem Kinde zugetragen hatte, dann auch ihre Ansichten und die des Arztes. Glücklicherweise hatte der Doktor bereits den Trost gegeben, daß die gute Natur des jungen Geschöpfes wohl auch ohne seine Hülfe sich geholfen haben würde.

»Und nachher soll sie es gut bei mir haben«, schloß die Frau Salome, Baronin von Veitor.

Scholten nickte und legte ein versiegeltes Schreiben auf die Bettdecke seines Patenkindes:

»Meine Beste, da ich das Ding einmal geschrieben und seit einigen Tagen einen merkwürdigen Widerwillen und Abscheu gegen jeglichen Feuerherd und Kohlentopf habe, so betrachten Sie es wohl bei Gelegenheit als an sich gerichtet.«

Die Baronin nahm das Schreiben und sah erschrocken den Justizrat an. Es war der Brief des Alten in Sachen Querians und Eilike Querians an Peter Schwanewede. Die Post hatte ihn zurückgeschickt mit der Bemerkung auf dem Umschlage:

»Adressat bereits vor einem Jahre verstorben.« – –

»Im nächsten Sommer werde ich in Pilsum wohnen und mich nach dem Genauern erkundigen«, sagte Scholten. »Vielleicht besuchen Sie mich auch dort einmal, und dann bringen Sie die Eilike mit. Wir wollen ihr einmal die See zeigen. – O Frau Salome, liebe Frau Salome, der Streich sieht dem Peter ähnlich! So – grade so schlich er sich stets um die Ecke und überließ es uns anderen, fertig zu werden, wie wir konnten. Ei, ei, dieser Peter! Er hatte alle möglichen Schrullen – unter anderen die, daß er die See dem Gebirge vorzog. Es war seine Natur so; – ich kletterte meinesteils lieber in den Bergen; doch, offen gestanden, augenblicklich säße auch ich am liebsten und sähe über die kühlen Wasser ins Weite.