Sie hatten sich Erlaubnis ausgebeten, Pfarrers Hedwig, ihre Gespielin, zu besuchen, ein schlichtes, stilles Mädchen, dessen Gesellschaft er sie gern anvertraute.

Nun wollte er warten, bis alle heimgekehrt waren.

Der Mondschein zog ihn auf die Heide hinaus. – In mitternächtlichem Schweigen lag sie da; nur in den Erikabüschen zirpte bisweilen eine Grasmücke wie aus dem Schlafe heraus. – Die Lichtnelken neigten ihre rötlichen Häupter – und die Königskerze leuchtete, als wollte sie dem Mondenglanz den Rang ablaufen.

Langsam, mit schlürfenden Schritten schritt er weiter, bisweilen über einen Maulwurfshügel stolpernd oder sich im Blättergewinde verwickelnd. In leuchtenden Fünkchen sprühte der Tau vor ihm her. – So kam er in die Region der Wacholderbüsche, die noch gnomenhafter dreinschauten als sonst.

Gleich einer schwarzen Mauer ragte der Wald vor ihm empor, und der Mondenglanz ruhte darauf wie frischgefallener Schnee. Er fand den Platz, an dem vor Jahren die Hängematte gehangen – in gespenstischem Dämmerschein schimmerte die Lichtung durch das schwarze Gezweig. – Weiter und weiter zog's ihn. – Wie ein Palast aus flimmerndem Marmor stieg das »weiße Haus« mit seinem Erker und seinen Giebeln vor seinem Blick empor. – Tiefes Schweigen lag auf dem Gutshof, nur hin und wieder schlug ein Hund an, um sofort zu verstummen.

Er stand vor dem Gittertor, ohne zu wissen, wie er hingekommen war. – Er faßte die Stäbe mit beiden Händen und guckte ins Innere. In Mondenglanz gebadet, lag der weite Hofplatz vor ihm da – in schwarzen Konturen hoben sich die Wirtschaftswagen ab, die in Reih und Glied vor den Ställen standen – eine weiße Katze schlich am Gartenzaun vorbei – sonst lag alles im Schlafe.

Längs dem Zaune ging er weiter. In dem Aschenhaufen hinter der Schmiede lag ein Häuflein glimmender Kohlen, die wie brennende Augen aus dem Dunkel guckten. Jetzt begann der Garten. Hochstämmige Linden neigten ihre Zweige über ihn, und ein Duft von Goldregen und frühen Rosen wogte durch die Gitterstäbe betäubend über ihn her. Durch das Gezweig hindurch erglänzten wie silberne Bänder die kiesbestreuten Pfade, und die Sonnenuhr, die der Traum seiner Kindheit gewesen, ragte düster dahinter empor.

Das »weiße Haus« kam näher und näher. Jetzt konnte er fast in die Fenster gucken. Auch hier schien alles zu schlafen.

Er hatte hie und da – auch in dem »Liederbuch« davon gelesen, daß der Geliebte in Mondscheinnächten seiner Herzensdame eine Serenade zu bringen pflegt – mit Gitarren- und Mandolinenbegleitung, wenn's angeht. So war's in den schönen Ritterzeiten gewesen und in Spanien oder in Italien vielleicht noch heute. Das fiel ihm ein, und er malte sich aus, wie es sich wohl machen würde, wenn er, Paul, der Dumme, hier als irrender Ritter die Leute zu schlagen begänne, sehnsuchtsvolle Liebeslieder dazu krähend.

Er mußte laut auflachen bei dem Gedanken, und dann kam ihm zu Sinn, daß er ja sein Musikinstrument zu allen Zeiten bei sich trüge. Er setzte sich auf den Grabenrand, lehnte den Rücken gegen einen Zaunpfahl und fing zu pfeifen an – erst scheu und leise, dann immer kühner und lauter, und wie immer, wenn er seinen Empfindungen ganz überlassen war, vergaß er zu guter Letzt alles um sich her.

Wie aus tiefen Träumen wachte er auf, als er jenseits des Zaunes die Zweige rauschen und knacken hörte. – Erschrocken wandte er sich um.

Drüben stand Elsbeth in weißem Nachtanzuge – einen dunklen Regenmantel flüchtig darüber geworfen.

Im ersten Augenblicke war ihm zumute, als müsse er auf und davon laufen, aber die Glieder waren ihm wie gelähmt.

»Elsbeth – was machst du hier?« stammelte er.

»Ja, was machst du hier?« fragte sie lächelnd zurück.

»Ich – ich – pfiff ein bißchen.«

»Und dazu bist du hierher gekommen?«

»Warum soll ich nicht?«

»Da hast du Recht – ich werd's dir nicht verbieten.«

Sie hatte die Stirn gegen die Gitterstäbe gepreßt und schaute ihn an. Beide schwiegen.

»Willst du nicht näher treten?« fragte sie dann – wahrscheinlich im unklaren über das, was sie sagte.

»Soll ich über den Zaun klettern?« fragte er ganz unschuldig zurück.

Sie lächelte. »Nein,« sagte sie dann kopfschüttelnd, »man könnte uns vom Fenster aus sehen, und das wäre nicht gut. – Aber sprechen muß ich dich – warte – ich komm' zu dir hinaus und begleite dich ein Stück.«

Sie schob eine lockere Stakete zur Seite und schlüpfte ins Freie, dann reichte sie ihm die Hand und sagte: »Es ist recht von dir, daß du gekommen bist, es hat mich oft verlangt, mit dir zu reden, aber dann warst du niemals da.« Und sie seufzte tief auf, als übermannte sie die Erinnerung an schwere Stunden.

Er zitterte am ganzen Leibe. Der Anblick der jungfräulichen Gestalt, die in ihrem Nachtgewande so keusch und unbefangen vor ihm stand, raubte ihm fast den Atem. In seinen Schläfen hämmerte es – seine Blicke suchten den Boden.

»Warum sprichst du nichts zu mir?« fragte sie.

Ein irres Lächeln flog über sein Gesicht.

»Sei nicht böse,« preßte er hervor.

»Warum sollt' ich böse sein?« fragte sie, »ich freue mich ja, daß ich dich einmal ganz für mich hab'. Aber seltsam ist's – ganz wie in einem Märchen. Ich steh' am Fenster und guck' in den Mond – Mama ist eben eingeschlafen, und ich denk' bei mir, ob ich's wohl wagen soll, auch zu Bette zu gehen – aber mein Kopf ist mir so unruhig und meine Stirn brennt – so friedlos ist mir zumute. Da mit einem Male hör' ich vom Garten her jemanden pfeifen, so schön, so klagend, wie ich's nur ein einzig Mal in meinem Leben vernommen hab', und das ist lange her. ›Das kann nur Paul sein‹, sag' ich mir, und je länger ich höre, desto klarer wird's mir.