Er ging mit dem Gedanken um, Torf darin zu stechen, aber er wollte die Sache nur im Großen beginnen, und dazu fehlten ihm die nötigen Gelder.
Paul sank bis an die Knöchel im Sumpfe ein, und jetzt erst kam er auf den Gedanken, daß er die neuen Stiefel vielleicht beschmutzen würde. Er erschrak, denn er erinnerte sich der Worte der Mutter: »Schone sie sehr, mein Junge, ich habe sie von meinem Milchgelde abgespart.« Auch den schönen Samtrock trug er, weil es eben Sonntag war. Er besah die glänzenden Seidenschnüre und war einen Moment unschlüssig, ob er nicht lieber umkehren sollte, nicht des Samtrockes wegen, nein, nur um die Mutter nicht zu betrüben.
»Aber vielleicht komme ich doch heil hindurch,« so tröstete er sich und begann weiter zu laufen. Der Boden wogte unter seinen Füßen, und bei jedem Schritte ertönte ein quatschender Laut, wie wenn man den Schlegel aus dem Butterfasse zieht.
Dann kam er an ein schwarzes Brachwasser, an dessen Rande weißhaarige Küchenschellen blühten und auf dem, wie Grünspan glitzernd, eine Lösung von Eisen herumschwamm. Er ging ihm vorsichtig aus dem Wege, geriet zwar vollends in den Morast, kam aber schließlich doch wieder ins Trockene. Die Stiefel waren zwar zuschanden, aber vielleicht ließen sie sich an der Pumpe heimlich abwaschen.
Er schritt weiter. Die Lust zum Pfeifen war ihm vergangen, und je größer das »weiße Haus« aus den Gebüschen in die Höhe stieg, desto beklommener wurde ihm zumute. Schon konnte er eine Art von Wall unterscheiden, der die Bäume umgab, und durch eine Lücke im Laubwerk sah er ein langes, niedriges Gebäude, das er aus der Ferne nie bemerkt hatte. Dahinter noch eins, und in einer schwarzen Höhle eine hohe Flamme, die hin und her züngelte. Das mußte eine Schmiede sein – aber sollte die selbst am Sonntage arbeiten?
Eine unerklärliche Lust zu weinen ergriff ihn, und während er blindlings weiterlief, stürzten ihm die Tränen aus den Augen.
Plötzlich sah er einen breiten Graben vor sich, bis zum Rande mit Wasser gefüllt. Er wußte wohl, daß er nicht hinüberkommen würde, aber der Trotz zwang ihn, zum Sprunge auszuholen, und im nächsten Augenblick schlug das dicke, schmutzige Wasser über ihn zusammen.
Bis auf die Knochen durchnäßt, mit einer Schicht von Morast und Algen umgeben, kam er wieder ans Land zurück.
Er versuchte die Kleider trocknen zu lassen, setzte sich auf den Rasen und schaute nach dem »weißen Hause« hinüber. Er war ganz mutlos geworden, und als ihn gar sehr zu frieren begann, ging er traurig und langsam nach Hause zurück.
4
Der Sommer, der nun folgte, brachte dem Hause Meyhöfers eitel Kummer und Not. – Der frühere Besitzer hatte seine Hypothek gekündigt, und es war keine Aussicht vorhanden, daß irgend jemand die nötige Summe leihen würde.
Meyhöfer fuhr wöchentlich wohl drei-, viermal in die Stadt und kam am späten Abend betrunken nach Hause. Manchmal blieb er auch die Nacht über fort.
Frau Elsbeth saß derweilen aufrecht in ihrem Bette und starrte in die Dunkelheit. Paul erwachte oft, wenn er ihr leises Schluchzen hörte. Dann lag er eine Weile mäuschenstill, denn er mochte es nicht merken lassen, daß er wach war, aber schließlich fing auch er zu weinen an.
Dann wurde wieder die Mutter still, und wenn er gar nicht aufhören wollte, stand sie auf, küßte ihn und streichelte seine Wange, oder sie sagte: »Komm zu mir, mein Junge.«
Alsdann sprang er auf, schlüpfte in ihr Bett, und an ihrem Halse schlief er wieder ein.
Der Vater prügelte ihn oft. Er wußte selten, warum? aber er nahm die Schläge hin, als etwas, das sich von selbst verstand.
Eines Tages hörte er, wie der Vater die Mutter schalt.
»Weine nicht, du Tränensack,« sagte er, »du bist bloß dazu da, um mir mein Elend noch größer zu machen.«
»Aber Max,« antwortete sie leise, »willst du den Deinen verwehren, dein Unglück mit dir zu tragen? Müssen wir nicht um so enger zusammenhalten, wenn es uns schlecht geht?«
Da wurde er weich, nannte sie sein braves Weib und belegte sich selber mit bösen Schimpfnamen.
Frau Elsbeth suchte ihn zu beruhigen, bat ihn, Vertrauen zu ihr zu haben und tapfer zu sein.
»Ja, tapfer sein – tapfer sein!« schrie er, aufs neue in Ärger geratend, »ihr Weiber habt klug reden, ihr sitzt zu Hause und breitet demütig die Schürze aus, damit euch Glück oder Unglück in den Schoß falle, wie's der liebe Himmel beschert; wir Männer aber müssen hinaus ins feindliche Leben, müssen kämpfen und streben und uns mit allerhand Gesindel herumschlagen. – Geht mir mit euren Mahnungen! Tapfer sein, ja, ja – tapfer sein!«
Darauf schritt er dröhnenden Schrittes zum Zimmer hinaus und ließ den Wagen anspannen, um seine gewöhnliche Wanderfahrt anzutreten.
Als er wiedergekommen war und seinen Rausch ausgeschlafen hatte, sagte er: »So – jetzt ist auch die letzte Hoffnung dahin. Der verfl ... Jude, der mir das Geld zu fünfundzwanzig Prozent vorschießen wollte, erklärt, er wolle nichts mehr mit mir zu tun haben. – Na, dann läßt er's bleiben ... Ich hust' auf ihn ... Und zu Michaelis können wir richtig betteln gehn, denn diesmal bleibt uns nicht so viel wie das Schwarze unterm Nagel. Aber das sag' ich dir – diesmal überleb' ich den Schlag nicht – ein Kerl von Ehre muß auf sich halten, und wenn ihr mich eines schönen Morgens oben am Sparren baumeln seht, dann wundert euch nicht.«
Die Mutter stieß einen entsetzlichen Schrei aus und klammerte die Arme um seinen Hals.
»Na, na, na,« beruhigte er sie, »es war so schlimm nicht gemeint. Ihr Weiber seid doch allzu klägliche Geschöpfe ... Ein bloßes Wort schmeißt euch um!«
Scheu trat die Mutter von ihm zurück, aber als er hinausgegangen war, setzte sie sich ans Fenster und schaute ihm angstvoll nach, als ob er sich schon jetzt ein Leids antun könnte.
Von Zeit zu Zeit lief ein Schauern durch ihren Körper, als friere sie ...
In der Nacht, die diesem Tage folgte, bemerkte Paul erwachend, wie sie aus ihrem Bette aufstand, einen Unterrock überwarf und an das Fenster trat, von dem aus man das »weiße Haus« sehen konnte. Es war heller Mondenschein – vielleicht schaute sie wirklich hinüber. – Wohl zwei Stunden lang saß sie da – unverwandt hinausstarrend. – Paul rührte sich nicht, und als sie mit Beginn der Morgendämmerung vom Fenster zurückkam und an die Betten ihrer Kinder trat, drückte er die Augen fest zu, um sich schlafend zu stellen. Sie küßte zuerst die Zwillinge, die umschlungen nebeneinander ruhten, dann kam sie zu ihm, und wie sie sich zu ihm herabbeugte, hörte er sie flüstern: »Gott, gib mir Kraft! Es muß ja sein.« Da ahnte er, daß etwas Außergewöhnliches sich vorbereitete.
Als er am andern Nachmittag aus der Schule heimkehrte, sah er die Mutter in Hut und Mantille, ihrem Sonntagsstaat, in der Laube sitzen.
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