Von den Balkonen erblickte man, jenseits der Seine, an den Hängen von Passy hohe Häuser in Grün gebettet, während sich zur Rechten die beiden Türme des Trocadero erhoben. Seitwärts sah man auch, an der Rue de la Fédération gelegen, ein kleines Haus und einen Garten, den ehemaligen bescheidenen Wohnsitz Léon Beauchênes in der heroischen Zeit fieberhafter Arbeit, in der er sein Vermögen begründete. Die Maschinenhäuser und Arbeitsstätten der Fabrik, ein Komplex grauer Gebäude, von zwei riesigen Schornsteinen überragt, bedeckten den übrigen Teil des Terrains bis zurück zum Boulevard de Grenelle, gegen welchen dieses durch eine hohe, fensterlose Mauer abgeschlossen war. Das bedeutende und wohlbebekannte Fabriketablissement stellte hauptsächlich landwirtschaftliche Maschinen her, von den mächtigsten dieser Art angefangen bis zu den feinsten Instrumenten, welche besondere Sorgfalt der Ausführung erfordern. Und außer den einigen hundert Arbeitern, die hier täglich beschäftigt waren, befand sich dort auch eine Werkstätte mit etwa fünfzig Frauen, Schleiferinnen und Poliererinnen.
Der Eingang zu den Werkstätten und Bureaux lag in der Rue de la Fédération, ein gewaltiges Tor, durch das man den weiten Hof mit seinem geschwärzten Pflaster sah, über welches häufig kleine Bäche dampfenden Wassers rieselten. Dichter Rauch drängte sich aus den hohen Schornsteinen, scharf zischende dünne Dampfsäulen fuhren oberhalb der Dächer heraus, während ein dumpfes Vibrieren, das den Boden fortwährend erbeben machte, die im Innern tätigen Kräfte, das unaufhörliche Pulsieren der Arbeit verriet.
Die große Uhr des Hauptgebäudes zeigte acht Uhr fünfunddreißig Minuten, als Mathieu den Hof durchschritt, um sich in das Bureau zu begeben, das ihm, dem ersten Zeichner, eingeräumt war. Seit acht Jahren schon stand er im Dienste der Fabrik, in welchen er, nach außerordentlich erfolgreichen Fachstudien, als Hilfszeichner mit hundert Franken Monatsgehalt eingetreten war. Sein Vater, Pierre Froment, den seine Frau Marie mit vier Söhnen beschenkt hatte, Jean, dem ältesten, sodann Mathieu, Marc und Luc, hatte sich, obgleich er ihnen die Wahl ihres Berufes freiließ, bemüht, jeden seiner Söhne einem Handfertigkeitserwerbe zuzuführen. Léon Beauchêne, der Gründer der Fabrik, war seit einem Jahre tot, und sein Sohn Alexandre hatte eben seine Nachfolge angetreten und Constance Meunier, die Tochter eines sehr reichen Buntpapierfabrikanten aus dem Marais, geheiratet, als Mathieu in das Haus eintrat, unter den Befehl dieses jungen Chefs, der knapp fünf Jahre mehr zählte als er. Hier hatte er Marianne kennen gelernt, eine arme Cousine Alexandres, damals sechzehn Jahre alt, und sie ein Jahr später geheiratet.
Seit ihrem zwölften Jahre war Marianne der Fürsorge ihres Onkels Léon Beauchêne anheimgefallen. Ein Bruder des letzteren, Felix Beauchêne, ein unruhiger und abenteuerlicher Kopf, war, nach Mißerfolgen aller Art, mit Frau und Tochter nach Algier gegangen, um dort das Glück aufs neue zu versuchen; und diesmal gedieh die Farm, die er da drüben anlegte, vortrefflich, als bei einem plötzlichen Wiederaufflackern des Räubertums Vater und Mutter massakriert und die Gebäude zerstört wurden, so daß das Mädchen, welches durch ein Wunder gerettet ward, keine andre Zuflucht hatte, als das Haus ihres Onkels, der sich während der zwei Jahre, die er noch lebte, sehr liebevoll gegen sie zeigte. Aber da war Alexandre, ein junger Mann von etwas täppischer Kameraderie, und besonders dessen jüngere Schwester, Sérafine, ein großes, wildes Mädchen von bösen Instinkten, die glücklicherweise fast unmittelbar danach, achtzehn Jahre alt, das Haus verließ, unter einem schrecklichen Skandal, einer Flucht mit einem gewissen Baron de Lowicz, einem echten Baron, aber Betrüger und Fälscher, mit dem man gezwungen war, sie zu verheiraten, indem man ihr eine Mitgift von dreimalhunderttausend Franken gab. Als sodann, nach dem Tode seines Vaters, Alexandre sich seinerseits verheiratete, eine Geldehe mit Constance einging, die ihm eine halbe Million mitbrachte, sah sich Marianne fremder und vereinsamter als je neben ihrer neuen Cousine, einer mageren, dürrherzigen, rechthaberischen Frau, welche absolute Gebieterin des Hauses war. Mathieu war da, und einige Monate genügten: eine schöne, starke, gesunde Liebe erwuchs zwischen den beiden jungen Menschen, nicht der Blitzstrahl, der die Liebenden einander in die Arme schleudert, sondern die gegenseitige Achtung, die Zuneigung, der Glauben aneinander, die Gewißheit des Glückes in der gegenseitigen Hingabe, aus welchen die unlösliche Ehe entsteht. Und sie waren beglückt, sich ohne einen Sou zu vereinigen, einander nichts mitzubringen als ihre ganzen Herzen. Mathieu wurde auf zweihundert Franken monatlich gestellt, und sein neuer angeheirateter Cousin ließ ihn lediglich, für eine viel spätere Zeit, auf die Möglichkeit einer Association hoffen.
Im übrigen machte sich Mathieu Froment nach und nach unentbehrlich. Der junge Herr der Fabrik, Alexandre Beauchêne, hatte eine nicht ungefährliche Krise zu bestehen gehabt. Die Mitgift, die sein Vater aus der Kasse des Unternehmens hatte ziehen müssen, um Sérafine zu verheiraten, sowie andre bedeutende Ausgaben, welche diese verderbte und rebellische Tochter verursachte, hatten ihn gezwungen, sein Betriebskapital zeitweilig zu verringern. Als er dann starb, fand man, daß er sich die ziemlich häufige Sorglosigkeit hatte zu schulden kommen lassen, kein Testament zu machen; was zur Folge hatte, daß Sérafine, geldgierig, und ohne Rücksicht für ihren Bruder, ihren Anteil begehrte, ihn zwingen wollte, die Fabrik zu verkaufen, um ihre Ansprüche zu befriedigen. Das Vermögen war in Gefahr, zerstückelt zu werden, die Fabrik gelähmt, die ganze Zukunft des Unternehmens vernichtet. Mit gewaltiger Anstrengung ermöglichte es Beauchêne, ihr ihren Anteil, und einen reichlich bemessenen obendrein, hinauszubezahlen. Noch jetzt erbebte er vor Zorn und Schmerz, wenn er sich der Kämpfe jener Zeit erinnerte. Denn die Lücke, die die Kapitalsentziehung in seine Fonds gerissen, gähnte fürchterlich, und nur um sie zu füllen, hatte er die halbe Million Constances geheiratet – des häßlichen Mädchens, dessen Besitz für seinen Appetit des schönen Mannes einen bitteren Geschmack hatte, und die er so reizlos, so trocken fand, daß er sie selbst »diese Besenstange« genannt hatte, ehe er eingewilligt, sie zu seiner Frau zu machen. In fünf oder sechs Jahren war alles wieder hergestellt, die Geschäfte der Fabrik verdoppelten sich, das Unternehmen entwickelte sich zu außerordentlicher Blüte. Und Mathieu, der einer der tätigsten und nützlichsten Mitarbeiter geworden, war schließlich zum Posten des ersten Zeichners aufgestiegen, mit einem Gehalte von viertausendzweihundert Franken.
Morange, der erste Buchhalter, dessen Bureau an das seinige stieß, erhob den Kopf, als er den jungen Mann eintreten und sich an seinen Zeichentisch begeben hörte.
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