Ein Verbindungsgang führte von den schwarzen Fabrikgebäuden hinüber zu dem luxuriösen Wohnhause am Kai. Sie fanden Constance in einem kleinen gelben Atlassalon, den sie bevorzugte, neben einem Sofa sitzend, auf welchem Maurice, der verhätschelte einzige Sohn, der eben sieben Jahre alt geworden, ausgestreckt lag.
»Ist er krank?« fragte Mathieu.
Der Knabe war seinem Vater sehr ähnlich, ziemlich plumpen Körpers, mit breiten Kinnladen. Aber er war blaß und hatte schwere, ein wenig geränderte Augenlider. Und die Mutter, »diese Besenstange«, eine kleine Brünette, ohne Teint, gelb und welk mit ihren sechsundzwanzig Jahren, betrachtete ihn mit einem Ausdruck egoistischen Stolzes.
»O nein, er ist nie krank,« erwiderte sie. »Nur fühlt er eine Müdigkeit in den Beinen, daher habe ich ihn sich hinlegen lassen und habe gestern abend an Doktor Boutan geschrieben, er möge heute früh kommen.«
»Bah!« rief Beauchêne mit lautem Lachen, »die Frauen sind doch alle gleich. Ein Bursch, der stark ist wie ein Bär! Das möchte ich doch sehen, daß der Kerl da nicht solid gebaut sei!«
Gleich darauf trat Doktor Boutan ein, ein kleiner, beleibter Mann in den Vierzigern mit sehr klugen Augen in seinem vollen, glattrasierten Gesichte, aus welchem große Güte sprach. Er wandte sich sogleich dem Knaben zu, klopfte und horchte ihn ab und sagte dann in seiner wohlwollenden, ob auch ernsten Weise:
»Nein, nein, es ist nichts. Es ist das Wachstum. Der Pariser Winter hat den Knaben ein wenig blaß gemacht, und einige Monate auf dem Lande, in der frischen Luft, werden ihn wiederherstellen,«
»Ich hab’ es ja gesagt!« rief Beauchêne wieder.
Constance hatte die kleine Hand ihres Sohnes in der ihrigen behalten, der sich nun wieder auf das Sofa hinsinken ließ und müde die Augen schloß; und sie lächelte glückselig, was ihrem reizlosen Gesichte einen beinahe anziehenden Ausdruck verlieh. Der Doktor hatte Platz genommen. Er war gewohnt, in den befreundeten Häusern plaudernd zu verweilen. Als Geburtshelfer, Frauen und Kinderarzt war er der natürliche Beichtiger seiner Patienten, kannte alle Geheimnisse, war in den Familien wie zu Hause. Er war es, der Constance von diesem einzigen, so verhätschelten Sohne entbunden hatte, ebenso wie Marianne von den vier Kindein, die sie besaß.
Mathieu war stehen geblieben und hatte gewartet, um seine Einladung anzubringen.
»Da Sie nun also bald aufs Land gehen,« sagte er, »kommen Sie doch vorher auf einen Sonntag nach Janville. Meine Frau würde sich ungemein freuen, Sie bei sich zu sehen und Ihnen unsre Hütte zu zeigen.«
Und er scherzte über die Armseligkeit des abgelegenen Pavillons, den sie bewohnten, erzählte, daß sie nur zwölf Teller und fünf Eierbecher hätten. Beauchêne kannte den Pavillon, denn er jagte jeden Winter in der Gegend; er hatte einen Teil der Jagd in den ausgedehnten Wäldern gepachtet, die von dem Besitzer in Anteilen ausgegeben wurde.
»Séguin ist ja mein Freund, wie Sie wissen. Ich habe in Ihrem Pavillon schon gefrühstückt. Es ist eine miserable Hütte.«
Und Constance, deren Spottlust durch den Gedanken an diese Aermlichkeit erregt wurde, fügte ihrerseits hinzu, daß Madame Séguin, Valentine, wie sie sie nannte, ihr von der Verwahrlosung dieses ehemaligen Jagdhauses erzählt habe. Der Arzt, der lächelnd zuhörte, fiel nun ein:
»Madame Séguin gehört zu meinen Patienten. Gelegentlich ihrer letzten Entbindung, habe ich ihr geraten, für eine Weile ihren Wohnsitz in diesem Pavillon aufzuschlagen. Die Luft ist dort ausgezeichnet, und die Kinder müssen da aufschießen und gedeihen wie Kresse.« Sogleich nahm mit einem lauten Lachen Beauchêne seinen gewohnten Scherz wieder auf.
»Na denn, mein lieber Mathieu, nehmen Sie sich in acht! Wann kommt das fünfte?«
»Oh,« sagte Constance mit beleidigter Miene, »das wäre eine wahre Torheit. Ich hoffe, daß Marianne es dabei bewenden lassen wird. Wahrhaftig, diesmal wäre es unentschuldbar, unverzeihlich!«
Mathieu verstand wohl, was hinter all dem sich barg.
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