Das Gesetz ist, daß zuviel Kinder da sein müssen, damit genug billige Arbeiter da seien. Ueberdies entkleidet die Spekulation mit den Arbeitspreisen die Arbeit aller ihrer Würde, und sie wird als das ärgste aller Uebel betrachtet, die in Wirklichkeit das edelste aller Güter ist. Und dies ist daher das fressende Krebsgeschwür: Im Lande der politischen Gleichheit und der ökonomischen Ungleichheit wirkt das kapitalistische Regime, der schlecht verteilte Reichtum dahin, die Fortpflanzung zugleich einzudämmen und zu befördern, dergestalt die Ungleichheit der Verteilung immer noch vergrößernd: auf der einen Seite die Reichen mit einzigen Söhnen, welche, indem sie gierig ihren Besitz vor jeder Schmälerung schützen, denselben immer vermehren; auf der andern Seite die Armen, deren untergeordnete Fruchtbarkeit das Wenige, das sie haben, immer noch mehr zerbröckelt. Es sei morgen die Arbeit geehrt, eine gerechte Verteilung des Reichtums vollzogen, und das Gleichgewicht wird sich von selbst ergeben. Andernfalls steuern wir der Revolution zu, und daher das stündlich sich mehrende Grollen, die Krämpfe, von denen die alte, in Auflösung begriffene Gesellschaft geschüttelt wird.
Aber Beauchêne spielte sich triumphierend auf den umfassenden Geist hinaus, erkannte den beunruhigenden Fortschritt der Entvölkerung an, wies auf ihre Ursachen hin, den Alkoholismus, den Militarismus, die Sterblichkeit der Neugeborenen und zahlreiche andre. Dann gab er die Heilmittel an, Herabsetzung der Zölle fiskalischer Hilfsmittel, an denen er keinen Gefallen finde, weiteste Freiheit der Testierung, Revision der Ehegesetze, nicht zu vergessen die Konstatierung der Vaterschaft.
Boutan unterbrach ihn endlich.
»Alle diese Maßregeln würden nichts nutzen. Es sind die Sitten, die man ändern muß, und den Begriff der Moral, und den Begriff der Schönheit. Wenn Frankreich sich entvölkert, so ist es, weil es dies will. Es ist daher einfach nötig, daß es dies nicht mehr wolle. Aber welch eine Aufgabe, eine ganze Welt neu zu schaffen!«
Worauf Mathieu mit heiterem Stolze ausrief:
»Nun denn, wir werden sie neu schaffen! Was mich betrifft, ich habe schon angefangen!«
Constance lachte ziemlich widerwillig und antwortete endlich auf seine Einladung, daß sie ihr mögliches tun werde, daß sie aber sehr fürchte, daß sie nicht imstande sein werde, einen Sonntag für Janville zu erübrigen. Ehe er ging, gab Boutan Maurice einen leichten freundschaftlichen Schlag auf die Wange, worauf der Knabe, der unter dem Geräusche der Konversation geschlummert hatte, die schweren Augenlider hob. Und Beauchêne scherzte noch zum Schluß:
»Also, Maurice, du hast gehört, es ist beschlossene Sache. Mama geht morgen zum Storch, um dir ein Schwesterchen zu bestellen.«
Aber das Kind protestierte, fing zu weinen an.
»Nein, nein, ich will nicht!«
Mit einer leidenschaftlichen Gebärde umschlang ihn Constance, die sonst so steife und kalte Frau, und küßte ihn aufs Haar.
»Nein, nein, mein Liebling! Du siehst ja, Papa macht nur Spaß. Niemals, niemals, ich schwöre es dir!«
Beauchêne begleitete den Doktor. Er fuhr fort, zu scherzen, voll Lebensfreude, zufrieden mit sich und den andern, in der Sicherheit, sein Leben nach seinem Vergnügen und seinen Interessen aufs beste einzurichten.
»Auf Wiedersehen, Doktor. Nichts für ungut. Und dann, sagen Sie einmal, wenn man eines will, ist es immer noch Zeit, ein Kind zu haben, wie?«
»Nicht immer,« erwiderte der Arzt im Hinausgehen.
Das Wort fiel klar und schneidend wie ein Beilhieb. Und die Mutter, die das Kind aufgehoben hatte, stellte es nun auf die Füße und sagte ihm, es möge spielen gehen. Eine Stunde später, einige Minuten nachdem es zwölf geschlagen hatte, kam Mathieu, der sich in den Werkstätten verspätet hatte, herab, um Morange abzuholen, wie er es ihm versprochen hatte, und nahm den Weg, um ihn abzukürzen, durch die Frauenwerkstätte. Und hier in dem großen Saale, der bereits leer und still war, bot sich ihm unerwartet eine Szene, die ihn verblüffte. Norine, die unter irgendeinem Vorwande zurückgeblieben war, lag, den Kopf zurückgeworfen, mit schwimmenden Augen im Arm Beauchênes, der sie heftig an sich drückte und seine Lippen auf die ihrigen preßte. Es war der unterschlagende Gatte, der hungrige Mann, welcher seine Kraft an andre Stelle trug. Sie flüsterten zusammen, zweifellos irgendein Stelldichein bestimmend.
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