Gabriele
Schopenhauer, Johanna
Gabriele
Johanna Schopenhauer
Gabriele
Ein Roman in drei Theilen
Du standest an dem Eingang in die Welt,
Die ich betrat mit klösterlichem Zagen,
Sie war von tausend Sonnen aufgehellt,
Ein guter Engel schienst du hingestellt,
Mich aus der Kindheit fabelhaften Tagen
Schnell auf des Lebens Gipfel hinzutragen,
Mein erst Empfinden war des Himmels Glück,
In dein Herz fiel mein erster Blick.
Schiller.
Erster Theil
Meinen
lieben und treuen Freundinnen
der verwittweten Oberkammerherrin
Karoline Freifrau
von und zu Egloffstein,
geb. Freyin von Aufseeß,
Henrietten von Pogwisch,
geb. Gräfin Henkel von Donnersmark,
Hofdame Ihro Königl. Hoheit der Frau Großherzogin
Luise zu Sachsen-Weimar-Eisenach etc. etc.
und
Karolinen Gräfin Egloffstein,
Hofdame Ihro Kaiserl. Hoheit, der Frau Großfürstin
Maria Pawlowna von Rußland, vermählten Erbgroßherzogin zu
Sachsen-Weimar-Eisenach etc. etc.
zur Erinnerung an froh und traurig,
aber immer in treuer Liebe durchlebte Tage
freundlich gewidmet
von
der Verfasserin.
Vorwort
Der freundliche Empfang, welcher den Beschreibungen meiner Reisen durch mancherlei Städte und Länder wiederfuhr, munterte mich auf, auch mit einigen Ansichten hervorzutreten, die ich auf der großen Reise durch das Leben sammlete.
Jene Reisebeschreibungen sind Abbildungen nach der Natur, mit möglichster Wahrheit wiedergegeben, wie ich sie auffaßte. Ich möchte sie Landschaftsgemälde nennen, auf denen ich mich bemühte, jeden treu kopirten Gegenstand genau an den Platz hinzustellen, wo er in der Wirklichkeit sich befindet, indem ich mich wohl hüthete, den Regeln der Gruppirung oder dem Zauber des Effekts das kleinste Opfer zu bringen. Diese Blätter hingegen bieten willkührliche Zusammensetzungen einzelner Studien nach Gegenständen, wie sie mir auf dem Lebenswege begegneten, die ich nach Gefallen trennte und vereinte, so daß oft zu einer meiner Figuren mehrere Individuen und Oertlichkeiten beitragen mußten. Obgleich diesem nach keine einzige derselben ein Portrait im strengen Sinne genannt werden darf, so würde es mich doch freuen, wenn jede einzelne für ein solches gehalten würde. Denn so wäre mir gelungen, wonach jeder Historienmaler streben muß, und was unser großer Meister durch Wahrheit und Dichtung so treffend bezeichnet.
Uebrigens fühle ich mich in meinem Gewissen verpflichtet, zu bekennen, daß mir die Gabe des Gesanges vom Himmel versagt ward und daß daher die in diesem Buche enthaltnen Gedichte nicht von mir sind. Ich danke sie einem Freunde, den ich gern von der Welt nenne. Friedrich von Gert stenbergk, von dem wir schon so manches schöne Lied, so manche zarte Dichtung mit Dank und Freude empfingen, der Verfasser der »kaledonischen Erzählungen« und der »Phalänen« steuerte meine Gabriele mit diesem Schmucke aus.
Geschrieben zu Weimar am ersten Pfingstfeiertage 1819.
Johanna Schopenhauer.
»Niemand liebt seine Freunde inniger als ich, mein Leben gäbe ich willig für sie hin, aber Unmöglichkeiten darf mir niemand zumuthen.« Mit diesen Worten verließ Gräfin Eugenia ziemlich erhitzt den Salon der Gräfin Rosenberg, in welchem die Hauptprobe einer für den folgenden Abend bestimmten Darstellung von Tableaus so eben gehalten ward, und rauschte mit einer leichten Verbeugung an der eintretenden Aurelia vorüber. Flammend vor Zorn, blieb die Gräfin Rosenberg auf ihrem königlichen Throne sitzen. Ein reichgestickter Baldachin erhob sich über ihrem Haupte, ein Purpurmantel umwallte in weiten Falten ihre majestätische Gestalt, in ihrem schwarzen Haare funkelte ein Diadem von Brillanten, und ihre Hand hielt das goldne Zepter. Vor ihr stand ein mit reichen Teppichen und Prachtvasen geschmückter Tisch, um sie her waren mehrere Herren und Damen in altrömischer und ägyptischer Kleidung eifrig, aber fruchtlos, bemüht, sie zu beruhigen. Die Scene gieng in einer alkovenartigen, von einem großen goldnen Rahmen umfaßten Vertiefung der Zimmerwand vor, gerade der Thüre gegenüber, verborgne Lampen gossen einen magischen Strom von Licht über sie aus, im Zimmer selbst herrschte tiefe Dämmerung, doch verrieth ein leises Flüstern und Rauschen die Gegenwart mehrerer Personen.
Sprachlos vor Erstaunen über das ihr unbegreifliche, plötzlich hereingebrochne Unheil, blieb Aurelia, die Tochter der Gräfin, in der eben geöffneten Thüre stehen; hinter ihr schmiegte sich furchtsam die sechzehnjährige Gabriele, welche in diesem Moment aus der tiefsten Einsamkeit eines alten Bergschlosses angelangt war, um einige Monate im hause ihrer Tante zuzubringen. Aurelia, ihre Kusine, hatte sie mit der Versichrung empfangen, daß sie zum Glücke heute ganz unter sich wären; und nun stand sie da, einen freundlichen Empfang erwartend, und wußte bei dem wunderbaren Anblick, der sich ihr darbot, nicht, ob sie wache oder träume.
»Thue mir die Liebe,« rief die Gräfin Aurelien entgegen, so wie sie ihrer ansichtig ward, »thue mir die einzige Liebe, und werde morgen krank, bleib den ganzen Tag im Bette; ich lasse früh alles absagen, mit der Feier deines Geburtstages ist es vorbei, wir haben weder Konzert, noch Ball, noch Tableaus; Eugeniens prätentiöser Eigensinn vernichtet alles. Mit ihrer winzig-kleinen Figur besteht sie darauf, an meiner Stelle die Kleopatra vorzustellen, und da ich ihr beweise, wie unmöglich dieß sey und ihr die Rolle der Dienerin, welche das Schmuckkästchen trägt, zutheile, eilt sie davon und derangirt mir den ganzen Plan.« »Könnten wir nicht die Dienerin ganz weglassen?« stammelte furchtsam ein junger Mann in römischer Tracht, welcher wahrscheinlich den Antonius vorstellte. »Unmöglich,« erwiederte Kleopatra, »wo soll ich die köstliche Perle hernehmen, wenn das Schmuckkästchen fehlt? und überdies ist die Figur unumgänglich nothwendig zur Gruppirung des Ganzen. Es ist vorbei,« fuhr sie fort, indem sie sich in höchst unmuthiger Stellung auf ihrem Throne zurück warf! »Eugenia macht heute Abend und morgen früh gewiß noch funfzig Visiten, um ihren Triumph zu sichern. Keine Dame wird an die Stelle treten, welche sie verschmähte, und alle Welt ist doch schon von der Darstellung unsrer morgenden Tableaus voll. Ottokar beschleunigt seine Zurückkunft von der Reise, um sie zu sehen, er trifft morgen ein, und nun ist alles zerstört! Ich könnte vor Verdruß weinen,« setzte sie hinzu, das Gesicht in beide Hände verbergend.
Aurelia benutzte diese Pause in der heftigen Rede ihrer Mutter, um Gabrielens Ankunft zu melden. »Laß die Kusine von Aarheim an Eugeniens Stelle treten,« rieth sie, indem sie das bange Kind hinter sich hervor zog und vor den Rahmen hinstellte. »Die Kleine?« fragte die Gräfin, sich emporrichtend und Gabrielen von oben bis unten mit prüfendem Blicke betrachtend. »Nun,« fuhr sie fort, »stehen wird sie ja können; nöthigen Falls stellen wir sie auf eine Erhöhung. Willkommen, liebes Kind!« Mit diesen Worten zog sie Gabrielen zu sich in den Rahmen, küßte sie auf die Stirn, gab ihr ein goldnes Kästchen in die Hand, stellte sie in die gehörige Attitüde und schob sie an den von der Gräfin Eugenia verlaßnen Platz, indem sie selbst wieder ihren Thron einnahm. Alle andere, zur Gruppe gehörende Personen reihten sich im nämlichen Moment in gebührender Ordnung um sie her.
»Es geht!« rief hocherfreut die ganze Gesellschaft im Zimmer. »Aber,« setzte lachend Aurelia hinzu, »deliziös sieht es jetzt aus, das blasse Gesicht, die rothen Augen und das schwarze Kleid mitten in all der bunten Pracht und Herrlichkeit; doch sey nur getrost, Gabriele, morgen soll es besser werden, Wind und Staub haben dir heut auf der Reise übel mitgespielt, das ist morgen vorüber und ich will dich schon kostümiren.« Die arme Gabriele, welche bei allen diesen Vorgängen noch kein Wort hatte aufbringen können, flüsterte jetzt, halb nur hörbar und in großer Beklommenheit, die Frage: was sie denn eigentlich morgen thun solle? »Was du heute thust,« war die kurze Antwort, »hier einige Minuten stehen und das Kästchen halten.« »In dem tiefen Traueranzug?« wandte Gabriele zur großen Belustigung der Uebrigen ein. Kaum konnte Aurelia vor Lachen dazu kommen, ihr zu bedeuten, daß sie morgen ohnehin auf einen Tag die Trauer ablegen müßte.
Gabrieleblickte sehr ernst um sich her.
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