»Wollen Sie sie deshalb in die kostbarsten, feinsten Stoffe kleiden, die eine schöne Gestalt am vortheilhaftesten bezeichnen? Liebe Gabriele!« fuhr er fort, »alle Welt schreit jetzt über den alles entnervenden äußern Luxus, in unsrer der höchsten Kraft bedürftigen Zeit, ich aber halte den geistigen Luxus für weit gefährlicher; mir graut weit mehr, wenn ich die Töchter unsrer wohlhabenden Handwerker in französische Schulen, als wenn ich ihre Mütter in gestickten Kleidern gehen sehe. Schöne Kleider lassen sich allenfalls erwerben und bezahlen, wie aber setzt man ein durch halbes Wissen verdrehtes Köpfchen wieder zurechte?«
»Und doch redeten Sie noch gestern Abend bei der Tante allem Luxus gar sehr das Wort,« wandte lächelnd Gabriele ein.
»Das that ich und werde es immer thun,« antwortete Ernesto, »aber nur bei denen, welche Zeit und Geld genug dazu haben. Alles, was wir zu besitzen streben, ohne es zu brauchen, ist Luxus, aber in unsern Tagen ist vieles Bedürfniß geworden, was noch vor dreißig Jahren Luxus war. Auch sprach ich jetzt gar nicht vom äußeren Luxus, denn jedes Kind weiß, daß wir ohne ihn wieder zum eichelnessenden Naturzustande unsrer Vorfahren herabsänken. Ich spreche vom innerlichen, geistigen, den sollen und müssen die Reichen freilich treiben. Was würde sonst aus Autoren, Verlegern und aus Künstlern, wenn niemand ein Buch oder ein Kunstwerk kaufte, als wer Freude und Genuß davon hat? Sehen Sie nur ihre Tante an, die treibt den rechten geistigen Luxus, und ich kann sie darum nicht genug loben und ehren, denn sie hat Geld und Zeit im Ueberfluß. Für sich bedarf sie weder Bücher noch Kunstwerke, weder Gelehrte noch Künstler zum Umgange, im Gegentheil sie sind ihr alle recht lästig, dennoch kauft sie die erstern, bereitet den zweiten ein angenehmes Daseyn, und ahnet nicht einmal, wie viel Gutes sie damit stiftet. Aber eine Frau des arbeitenden Mittelstandes darf ihr das nicht nachthun. Wenn eine solche Bildchen malt, Guitarre spielt und Lektüre treibt, so verschwendet sie wenigstens die Zeit, welche ihrem Haushalt gehört, und oft köstlicher als Gold ist; obendrein bereitet sie sich eine traurige Existenz, weil sie gegen ihren, ihr bestimmten Kreis anstrebt, von welchem sie sich doch nicht losreißen kann. Darum, liebe Gabriele, bitte ich Sie nochmals, versuchen Sie es nicht, aus einer niedlichen Wiesenblume eine Prachtpflanze zu ziehen, die in dem rauhen Klima zu Grunde gehen müßte, in welchem sie in ihrem natürlichen Zustande recht ergötzlich blüht! Lehren Sie Annetten weder französisch noch italienisch, und sagen Sie ihr kein Wort mehr von Alexander dem Großen.«
Gabriele versprach endlich, ihrem erfahrnen Freunde zu folgen, obgleich mit innerm Widerstreben, denn er hatte nur ihren Verstand aber nicht ihr Gemüth besiegt; obendrein erschwerten ihr sowohl Annettens Eitelkeit, als ihre wirkliche Lust am Lernen diesen Entschluß, aber sie blieb ihm treu, nicht nur weil sie es versprochen hatte, sondern auch weil sie einsah, daß es wirklich so besser sey.
Ottokar blieb noch immer Gabrielens Hausgenosse. Als den Sohn eines entferntlebenden, aber mit ihrem Gemahl innigst verbunden gewesenen Freundes, hatte die Gräfin Rosenberg ihn dringend eingeladen, in ihrem sehr geräumigen Hause bei ihr zu wohnen, so lange er in der Stadt verweilen mußte, in welcher er seine nahe Anstellung zu einem Gesandtschaftsposten erwartete. Aus den wenigen zu seinem dortigen Aufenthalt bestimmt gewesenen Wochen wurden Monate, ohne daß weder er noch seine gastlichen Freundinnen es zu bemerken schienen. Ottokar befand sich zu wohl in ihrer Nähe, um über dieses Zögern der Entscheidung seines Schicksals in Ungeduld zu gerathen. Die Gräfin sowohl als Aurelia hatten ebenfalls ihre eignen triftigen Gründe, ihn gerne bei sich zu sehen, und so lebten alle drei in großer Zufriedenheit neben einander hin, ohne die Tage zu zählen.
In der ersten Zeit sah Gabriele Ottokarn weit seltner, als sie es im Stillen gehofft und gefürchtet hatte, denn der geselligen Abende im Hause ihrer Tante gab es jetzt sehr wenige.
In großen Städten tritt zwar nie eine gänzliche Ebbe der Vergnügungen ein, aber oft eine alles mit sich fortreißende Fluth, während welcher Feste an Feste sich reihen, und die Zahl der Tage für alle kaum hinreichen will. Solch eine Fluth fiel gerade in die Zeit, wo Gabriele noch nicht öffentlich erschien. Bälle, große Soupers, auffallende theatralische Neuigkeiten zogen die Gräfin und ihre Tochter an jedem Abende aus dem Hause, ohne ihnen Zeit für ihre eignen Zirkel zu lassen, und auch Ottokar ward von dem Strome mit fortgerissen. Gabrielen entging dadurch jede Gelegenheit, ihn anders als an der Mittagstafel zu sehen, und auch an dieser vermißte sie ihn oft. Sowohl seine persönliche Liebenswürdigkeit, als seine äußern Verhältnisse zogen ihm vielfältige Einladungen in andern Häusern zu, und die Gräfin hielt ihn nie davon zurück, solche anzunehmen. Sie blieb auch in Hinsicht seiner ihrem Systeme treu: keinen ihrer Gäste in seiner Freiheit zu beschränken, denn Erfahrung hatte sie gelehrt, daß dieß der sicherste Weg sey, sie immer fester an sich zu binden.
Mit gewaltigem Herzklopfen hörte Gabriele jedesmal die Stunde schlagen, welche sie in den Speisesaal rief; ihre sonst ziemlich überwundne ängstliche Blödigkeit kehrte dann mit verdoppelter Gewalt zurück, und nur heimlich wagte es ihr Blick, unter den Anwesenden nach Ottokar zu suchen. Stumm und traurig nahm sie ihren Platz ein, wenn er abwesend war; die Unterhaltung rauschte unbeachtet an ihr vorüber, und nur Aureliens lustiger Uebermuth versuchte es zuweilen, sie hinein zu verflechten. Die Uebrigen, mit Stadtgesprächen beschäftigt, schienen fast gar nicht sie zu bemerken. Ohnehin war die Gesellschaft nie zahlreich, die Gräfin liebte keine Diners, sie schimmerte lieber bei Kerzenschein, und auch Ernesto war ein seltner Gast an ihrem Tische.
Ganz anders aber gestaltete sich die Unterhaltung, wenn sie durch Ottokars Gegenwart belebt ward. Mit Entzücken sah dann Gabriele, wie alles in seiner Nähe sich veredelte, wenn sie auch dabei bald hochroth erglühte, bald blüthenweiß erblaßte, und ihr Herz sich zitternd in ihrer Brust bewegte. Es konnte ihr nicht entgehen, daß Alle strebten, sich vor ihm vom Gemeinen entfernt zu halten, und ihn offenbar als den Ersten unter sich anerkannten, obgleich er mit der anspruchlosesten Bescheidenheit sich über keinen zu erheben suchte. Sein Platz an der runden Tafel zwischen der Gräfin und Aurelien war dem von Gabrielen gerade gegenüber. Ihr entging fast kein einziges seiner Worte, und wenn er im Gespräch sich gegen seine Nachbarinnen wendete, so konnte sie dem freundlichen Strahlen seiner Augen, dem anmuthigen Spiel seiner Gesichtszüge zusehen, ohne daß jemand es bemerkte. Oft wünschte sie recht sehnlich, daß er auch an sie mit freundlichen Worten sich wenden möge, und wenn er es that, so raubte süßes Erschrecken ihr den Athem zur Antwort. Ottokar konnte nicht umhin, ihre ewige Verlegenheit zu bemerken, er sah, daß sie auch mit den übrigen Anwesenden nur dann sprach, wenn sie gefragt ward, und immer in möglichst wenigen Worten. Er schrieb ihr Benehmen einzig der unüberwindlichen Furchtsamkeit zu, die er an einem so jungen, in der tiefsten Einsamkeit erzogenen Mädchen sehr natürlich fand, und begnügte sich endlich, aus Mitleid mit ihrer Angst, sie nur mit einem freundlichen Lächeln zu begrüßen, ohne sie ferner durch Anreden in Verlegenheit zu setzen.
Gabriele bemerkte dieß, ohne zu wissen, ob sie sich darüber freue oder betrübe. Immer mehr verstummte sie in seinem Beiseyn und strebte nur, nichts von dem zu verlieren, was er zu den Uebrigen sprach.
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