Wahrscheinlich wird sie die Frau eines Handwerkers, wenn es hoch kommt eines Krämers oder eines untergeordneten Beamten; höheres darf sie nicht erwarten, und heirathen wird sie doch wollen, denn das will jedes Mädchen. Und nun denken Sie sich Annetten mit der geistigen Bildung, die Sie ihr zu geben im Begriff stehen, ein Paar Kinder um sie her, eine große Wäsche im Hause, und auf dem Heerde das Mittagsmahl für ihren Mann und vielleicht für noch ein Dutzend Gehülfen bei seinem Gewerbe!«

»Und warum sollte ich sie mir so nicht denken können?« unterbrach ihn ziemlich lebhaft Gabriele; »warum sollte diese geistige Bildung sie in der Uebung ihrer Pflicht hindern? Sagt man mir doch, es stünden oft die geistreichsten Männer in Aemtern, welche ihrem Genius gerade entgegen streben, ohne daß weder ihre Pflicht noch ihr Talent darunter leiden.«

»Sie vergessen, oder vielmehr Sie wissen noch nicht, liebe Gabriele, wie viel günstiger das Loos der Männer als das der Frauen fiel,« erwiederte Ernesto; »wie viel Freiheit Jenen außer dem Hause bleibt, und wie schneckenartig diese das ihrige immer mit sich herumtragen müssen, wenn Reichthum sie nicht von den drückendsten Banden befreit. Sie kennen den Mittelstand nicht,« fuhr er fort; »Ihr vornehmen Leute kennt ihn überhaupt alle nicht; bittre Armuth, das höchste Elend, so wie alle Extreme kann Eure Fantasie Euch allenfalls malen, Mitleid führt Euch auch wohl ein paarmal in Eurem Leben in Hütten, aus denen Ihr mit einer Hand voll Eures überflüssigen Goldes alle Noth verbannt, aber das beschränkte Wesen von Menschen, welche einen sogenannten kleinen Haushalt führen müssen, bleibt Euch ewig verborgen. Ich aber kenne es, denn Künstler und Handwerker sind einander im Leben näher verwandt, als unser Hochmuth es eingestehen will. Schütteln Sie nicht so vornehm das Köpfchen, liebe Gabriele, es bleibt dennoch wahr, beide haben gleiche Hülfsmittel und oft gleiche Noth. Von dieser bezwungen, sinkt der Künstler in unsern Tagen nicht selten zum Handwerker herab, dafür aber erstanden auch in frühern Zeiten viele große Meister aus der engen Werkstatt des Handwerkers.«

»Aber gerade den Mittelstand dachte ich mir immer als den glücklichsten,« wandte Gabriele, das Gespräch wieder zurücklenkend, ein. »Mann und Frau, jeder auf seine Weise, bringen den Tag im emsigen Bemühen für das Wohl der Ihrigen zu. Die Ruhestunden führen sie Abends wieder zusammen, sie erzählen einander die Geschichte ihres wohlgelungenen Tagewerks, und vergessen alle Mühe des Lebens beim gemeinschaftlichen Lesen eines Buchs, das ihren Geist aus dem Werkeltags-Staub wieder erhebt. Bei Musik, im geistreich erheiternden Gespräch, beim Zauber der Poesie, schwinden ihnen die Feierstunden, und jedes geht am folgenden Morgen frisch und fröhlich an die Arbeit und freut sich den ganzen Tag über auf den Abend.«

»Sie malen da ein Bild, das Ihrer Fantasie alle Ehre macht,« sprach lächelnd Ernesto; »leider aber ist es im wirklichen Leben ganz anders. Wenn Sie die höhere Klasse des Mittelstandes meinen, zu welcher der reiche, angesehne, große Kaufmann, der wohlhabende, auf den ersten Stellen stehende Beamte gehören, so haben sie Recht, dort ist es zuweilen so, und könnte es immer seyn. Aber zu den niedrigern Klassen, in welchen Annette einst leben wird, paßt dieses nicht. Können Sie sich wirklich einen Schneider oder Tischler denken, der das Leben führte, welches sie eben geschildert haben? und setzen sie selbst den Fall, daß Annette einen untergeordneten Beamten oder einen Landprediger heirathete. Was diese Männer auf Universitäten an geistiger Bildung vielleicht gewannen, geht gewöhnlich in überhäufter Arbeit und Nahrungssorgen wieder zu Grunde, was sie von geistiger Unterhaltung brauchen, gewähren ihnen die politischen Welthändel, und Abends verlangt der abgemattete Mann nur nach einer guten Suppe, während die Frau ihrerseits auch froh ist, wenn sie die Kinder erst zur Ruhe weiß.«

»Meine arme Annette!« rief Gabriele dazwischen. »Und nun die Frau Basen, die Frau Gevattern,« fuhr Ernesto fort, »von diesen Leuten hat ein hochgebornes Fräulein, wie Sie sind, keinen Begriff. Familienbande sind im eigentlichen Bürgerstande viel fester und dabei weiter umfassend als in dem Ihrigen. Was mit einander in irgend einem Grad von Verwandtschaft steht, muß an Ehrentagen und bei Kaffeevisiten zusammen kommen, da gilt keine Ausnahme. Und nun denken Sie sich die hochgebildete Annette in einer solchen Gesellschaft. Die gelehrte Frau Meisterin, welche französisch und italienisch kann, von den Griechen und Römern zu reden weiß, und dabei vielleicht einmal den Festkuchen verbrennen ließ, wie würde es ihr ergehen! wie müßte ihr selbst in diesen Umgebungen zu Muthe werden! und welche Qual wäre es für sie, den ewig unbefriedigten Hang zum Höhern, zum geistig Schönen mit sich herum zu tragen, während sie den ganzen Tag arbeiten müßte, um ihr Hauswesen zu beschicken, und bei noch unerwachsenen Kindern selbst Nachts auf keine sicher ruhige Stunde rechnen könnte. Ihr Mann mag sie noch so herzlich lieben, er mag noch so gut und brav in seiner Art seyn, er wird doch in geistiger Hinsicht immer tief unter ihr stehen, und oft gar nicht wissen, was sie meint, wenn sie von etwas anderm, als dem ganz Alltäglichen mit ihm zu sprechen versucht.«

»So sehe ich denn keine Rettung für meine arme Annette, als daß sie immer bei mir bleibt,« rief schmerzlich bewegt Gabriele. »Nichts hat je mein innigstes Mitleid mehr erregt,« fuhr sie fort, »als wenn ich las, wie Jean Paul das vernähte, verwaschne, verkochte Leben der armen Weiber schildert, die nur einmal im sonnenhellen kurzen Tage der Liebe ihr Haupt erhoben, und dann mit beraubtem Herzen auf ewig in die Tiefe versinken. Ich hoffte, es könne in der Wirklichkeit anders seyn, Sie, Ernesto, lehren mich das Gegentheil, ich traue Ihrem erfahrnen, weltklugen Sinn, aber ich möchte darüber weinen, daß der größte Theil meines Geschlechts so elend seyn muß.«

»Sie gehen in Ihrem Eifer wieder zu weit, gute Gabriele,« sprach Ernesto, »gerade wie an jenem ersten Abend bei den Tableaus. Erinnern Sie sich noch, wie Sie um einiger unschuldig-boshafter Anmerkungen willen die ganze Gesellschaft für lauter maskirte Tigerkatzen ansahen? und doch haben Sie jetzt schon gefunden, daß ich Recht hatte, indem ich Sie versicherte, daß jene Leute wirklich so übel nicht sind, und daß sie, ihrer Lust am Medisiren unbeschadet, für Unglückliche nicht nur einen Dukaten in der Hand, sondern sogar eine Thräne im Auge in Bereitschaft halten, wenn man ihnen den Jammer nur recht deutlich zu machen versteht. So wie damals die Verderbniß der Welt, so denken Sie sich jetzt das Unglück, sich nicht auf Ihre Weise des Lebens freuen zu können, wieder viel zu groß. Und nehmen Sie denn die Mutterfreuden, welche eine Handwerkers-Frau eben so gut empfindet als eine Gräfin, für gar nichts? für nichts das Gelingen in ihrem Hauswesen? die treuherzige, ehrliche Liebe eines guten, wenn gleich nicht geistig gebildeten Mannes? Selbst bei Ihrem Jean Paul können Sie des Trostes genug finden; gegen die eine Stelle, welche Sie anführten, will ich Ihnen zwanzig andere zeigen, wo er die Freuden dieser Frauen an schönen neuen Hauben und Kleidern, an festlichen Gastereien, an einem wohleingerichteten Hausstande eben so wahr schildert, als ihr mühseliges Alltagsleben. Rauben Sie Ihrer Annette nur nicht die Fähigkeit, an dem Glück sich genügen zu lassen, das ihrem Stande gebührt. Entbehrt sie die Freuden höherer Bildung, so entgeht sie auch vielen aus ihr entspringenden Schmerzen, und es ist noch immer nicht entschieden, wohin die Wage sich neigt.«

»Soll ich sie denn so ganz ohne allen Unterricht lassen?« fragte Gabriele. »Lehren Sie sie richtig deutsch schreiben und sprechen,« war Ernestos Antwort, »aber um des Himmelswillen keine fremden Sprachen, die sie nur dazu bringen könnten, sich über ihres gleichen zu erheben. Annette wird in Deutschland leben und sterben, und sollte ein seltenes Geschick sie ins Ausland versetzen, so lehrt Noth nicht nur beten sondern auch englisch und französisch. Lassen Sie ihr artiges Stimmchen mit den Waldvögeln um die Wette singen, aber wie diese, ohne Noten und ohne Guitarre, Mann und Kinder werden sich an ihren Liedern doch ergötzen. Von Alexander dem Großen und seines gleichen braucht sie vollends keine Sylbe zu wissen, um eine thätige, freundliche Hausfrau zu werden, deshalb kann sie aber doch Sonntags manches gute Buch beim Strickstrumpf lesen, das ihren literarischen Horizont nicht übersteigt, und wenn es seyn muß bey Lafontaines rührenden Geschichten ihr bitter-süßes Thränchen weinen, obgleich ich ihr gerade diese am wenigsten anpreisen möchte.«

»Aber Annette hat doch so viel Anlagen,« wandte halb besiegt Gabriele ein.

»Sie ist auch hübsch und wohlgewachsen,« erwiederte schnell Ernesto.