Gedichte

Conrad Ferdinand Meyer
Gedichte
Ausgabe 1892
Zeno.org
Zur neuen Auflage
Mit dem Stifte les ich diese Dinge,
Auf der Rasenbank im Freien sitzend,
Plötzlich zuckt mir einer Vogelschwinge
Schatten durch die Lettern freudig blitzend.
Was da steht, ich hab es tief empfunden
Und es bleibt ein Stück von meinem Leben –
Meine Seele flattert ungebunden
Und ergötzt sich drüberhinzuschweben.[8]
1. Vorsaal
Fülle
Genug ist nicht genug! Gepriesen werde
Der Herbst! Kein Ast, der seiner Frucht entbehrte!
Tief beugt sich mancher allzu reich beschwerte,
Der Apfel fällt mit dumpfem Laut zur Erde.
Genug ist nicht genug! Es lacht im Laube!
Die saft'ge Pfirsche winkt dem durst'gen Munde!
Die trunknen Wespen summen in die Runde:
»Genug ist nicht genug!« um eine Traube.
Genug ist nicht genug! Mit vollen Zügen
Schlürft Dichtergeist am Borne des Genusses,
Das Herz, auch es bedarf des Überflusses,
Genug kann nie und nimmermehr genügen!
Das heilige Feuer
Auf das Feuer mit dem goldnen Strahle
Heftet sich in tiefer Mitternacht
Schlummerlos das Auge der Vestale,
Die der Göttin ewig Licht bewacht.
Wenn sie schlummerte, wenn sie entschliefe,
Wenn erstürbe die versäumte Glut,
Eingesargt in Glut, und Grabestiefe
Würde sie, wo Staub und Moder ruht.
Eine Flamme zittert mir im Busen,
Lodert warm zu jeder Zeit und Frist,
Die, entzündet durch den Hauch der Musen,
Ihnen ein beständig Opfer ist.[9]
Und ich hüte sie mit heilger Scheue,
Daß sie brenne rein und ungekränkt;
Denn ich weiß, es wird der ungetreue
Wächter lebend in die Gruft versenkt.[10]
Schillers Bestattung
Ein ärmlich düster brennend Fackelpaar, das Sturm
Und Regen jeden Augenblick zu löschen droht.
Ein flatternd Bahrtuch. Ein gemeiner Tannensarg
Mit keinem Kranz, dem kargsten nicht, und kein Geleit!
Als brächte eilig einen Frevel man zu Grab.
Die Träger hasteten. Ein Unbekannter nur,
Von eines weiten Mantels kühnem Schwung umweht,
Schritt dieser Bahre nach. Der Menschheit Genius war's.
Liederseelen
In der Nacht, die die Bäume mit Blüten deckt,
Ward ich von süßen Gespenstern erschreckt,
Ein Reigen schwang im Garten sich,
Den ich mit leisem Fuß beschlich;
Wie zarter Elfen Chor im Ring
Ein weißer lebendiger Schimmer ging.
Die Schemen hab ich keck befragt:
»Wer seid ihr, luftige Wesen? Sagt!«
»Ich bin ein Wölkchen, gespiegelt im See.«
»Ich bin eine Reihe von Stapfen im Schnee.«
»Ich bin ein Seufzer gen Himmel empor!«
»Ich bin ein Geheimnis, geflüstert ins Ohr.«
»Ich bin ein frommes, gestorbenes Kind.«
»Ich bin ein üppiges Blumengewind –«
»Und die du wählst, und der's beschied
Die Gunst der Stunde, die wird ein Lied.«
Schwarzschattende Kastanie
Schwarzschattende Kastanie,
Mein windgeregtes Sommerzelt,
Du senkst zur Flut dein weit Geäst,
Dein Laub, es durstet und es trinkt,
Schwarzschattende Kastanie!
Im Porte badet junge Brut
Mit Hader oder Lustgeschrei.
Und Kinder schwimmen leuchtend weiß
Im Gitter deines Blätterwerks,
Schwarzschattende Kastanie!
Und dämmern See und Ufer ein
Und rauscht vorbei das Abendboot,
So zuckt aus roter Schiffslatern
Ein Blitz und wandert auf dem Schwung
Der Flut, gebrochnen Lettern gleich,
Bis unter deinem Laub erlischt
Die rätselhafte Flammenschrift,
Schwarzschattende Kastanie!
Nachtgeräusche
Melde mir die Nachtgeräusche, Muse,
Die ans Ohr des Schlummerlosen fluten!
Erst das traute Wachtgebell der Hunde,
Dann der abgezählte Schlag der Stunde,
Dann ein Fischer-Zwiegespräch am Ufer,
Dann? Nichts weiter als der ungewisse
Geisterlaut der ungebrochnen Stille,
Wie das Atmen eines jungen Busens,
Wie das Murmeln eines tiefen Brunnens,
Wie das Schlagen eines dumpfen Ruders,
Dann der ungehörte Tritt des Schlummers.
Die toten Freunde
Das Boot stößt ab von den Leuchten des Gestads.
Durch rollende Wellen dreht sich der Schwung des Rads.[11]
Schwarz qualmt des Rohres Rauch... Heut hab ich schlecht,
Das heißt mit lauter jungem Volk gezecht –
Du, der gestürzt ist mit zerschossener Stirn,
Und du, verschwunden auf einer Gletscherfirn,
Und du, verlodert wie schwüler Blitzesschein,
Meine toten Freunde, saget, gedenkt ihr mein?
Wogen zischen um Boot und Räderschlag,
Dazwischen jubelt ein dumpfes Zechgelag,
In den Fluten braust ein sturmgedämpfter Chor,
Becher läuten aus tiefer Nacht empor.[12]
Der schöne Tag
In kühler Tiefe spiegelt sich
Des Julihimmels warmes Blau,
Libellen tanzen auf der Flut,
Die nicht der kleinste Hauch bewegt.
Zwei Knaben und ein ledig Boot –
Sie sprangen jauchzend in das Bad.
Der eine taucht gekühlt empor,
Der andre steigt nicht wieder auf.
Ein wilder Schrei: »Der Bruder sank!«
Von Booten wimmelt's schon. Man fischt.
Den einen rudern sie ans Land,
Der fahl wie ein Verbrecher sitzt.
Der andre Knabe sinkt und sinkt
Gemach hinab, ein Schlummernder,
Geschmiegt das sanfte Lockenhaupt
An einer Nymphe weiße Brust.
Über einem Grabe
Blüten schweben über deinem Grabe.
Schnell umarmte dich der Tod, o Knabe,[12]
Den wir alle liebten, die dich kannten,
Dessen Augen wie zwei Sonnen brannten,
Dessen Blicke Seelen unterjochten,
Dessen Pulse stark und feurig pochten,
Dessen Worte schon die Herzen lenkten,
Den wir weinend gestern hier versenkten.
Maiennacht. Der Sterne mildes Schweigen...
Dort! ich seh es aus der Erde steigen!
Unterm Rasen quillt hervor es leise,
Flatterflammen drehen sich im Kreise,
Ungelebtes Leben zuckt und lodert
Aus der Körperkraft, die hier vermodert,
Abgemähter Jugend letztes Walten,
Letzte Glut verrauscht in Wunschgestalten,
Eine blasse Jagd:
Voran ein Zecher,
In der Faust den überfüllten Becher!
Wehnde Locken will der Buhle fassen,
Die entflatternd nicht sich haschen lassen,
Lustgestachelt rast er hinter jenen,
Ein verhülltes Mädchen folgt in Tränen.
Durch die Brandung mit verstürmten Haaren
Seh ich einen kühnen Schiffer fahren.
Einen jungen Krieger seh ich toben,
Helmbedeckt, das lichte Schwert erhoben.
Einer stürzt sich auf die Rednerbühne,
Weites Volksgetos beherrscht der Kühne.
Ein Gedräng, ein Kämpfen, Ringen, Streben!
Arme strecken sich und Kränze schweben –
Kränze, wenn du lebtest, dir beschieden,
Nicht erreichte!
Knabe, schlaf in Frieden![13]
Der Marmorknabe
In der Capuletti Vigna graben
Gärtner, finden einen Marmorknaben,[13]
Meister Simon holen sie herbei,
Der entscheide, welcher Gott es sei.
Wie den Fund man dem Gelehrten zeigte,
Der die graue Wimper forschend neigte,
Kniet', ein Kind daneben: Julia,
Die den Marmorknaben finden sah.
»Welches ist dein süßer Name, Knabe?
Steig ans Tageslicht aus deinem Grabe!
Eine Fackel trägst du? Bist beschwingt?
Amor bist du, der die Herzen zwingt?«
Meister Simon, streng das Bild betrachtend,
Eines Kindes Worte nicht beachtend,
Spricht: »Er löscht die Fackel. Sie verloht.
Dieser schöne Jüngling ist der Tod.«[14]
Liebesflämmchen
Die Mutter mahnt mich abends:
»Trag Sorg zur Ampel, Kind!
Jüngst träumte mir von Feuer –
Auch weht ein wilder Wind.«
Das Flämmchen auf der Ampel,
Ich lösch es mit Bedacht,
Das Licht in meinem Herzen
Brennt durch die ganze Nacht.
Die Mutter ruft mich morgens:
»Kind, hebe dich! 's ist Tag!«
Sie pocht an meiner Türe
Dreimal mit starkem Schlag
Und meint, sie habe grausam
Mich aus dem Schlaf geschreckt –
Das Licht in meinem Herzen
Hat längst mich aufgeweckt.
Brautgeleit
Ich sehe dich, den Kranz im Haar,
Die zur Vermählung schreitet,
Von einer jungen Genienschar
Umjubelt und begleitet.
Ein kleines Heer, ein feines Heer,
Sind alles deine Schwestern.
Du bist sie und bist sie nicht mehr
Und warest sie noch gestern.
Wer gibt Geleit mit Lustgetön
Dem stillen Hochzeitspaare?
Das sind, bekränzt mit Rosen schön,
All deine raschen Jahre.
Voran ein Kindlein weint und lacht,
Vom Mutterarm getragen,
Das zweite setzt die Füßchen sacht
Und schreitet noch mit Zagen.
Es folgen Stufen mannigfalt
Des jungen Menschenbildes,
Mit einem scheuen Kinde wallt
Ein Mägdlein schon, ein wildes.
Dann ist ein frisches minniges
Lenzangesicht zu schauen,
Und dann ein blasses inniges
Antlitz mit ernsten Brauen.
Nun eines noch, versunken ganz
In still verklärten Zügen,
Erfüllung in des Blickes Glanz
Und seliges Genügen.
Jetzt trittst du durch das Kirchentor,
Dich ewig zu verbinden,
Die Mädchen bleiben all davor,
Vergehen und verschwinden.
Hochzeitslied
Aus der Eltern Macht und Haus
Tritt die zücht'ge Braut heraus
An des Lebens Scheide –
Geh und lieb und leide!
Freigesprochen, unterjocht,
Wie der junge Busen pocht
Im Gewand von Seide –
Geh und lieb und leide!
Frommer Augen helle Lust
Überstrahlt an voller Brust
Blitzendes Geschmeide –
Geh und lieb und leide!
Merke dir's, du blondes Haar:
Schmerz und Lust Geschwisterpaar,
Unzertrennlich beide –
Geh und lieb und leide!
Die Jungfrau
Wo sah ich, Mädchen, deine Züge,
Die drohnden Augen lieblich wild,
Noch rein von Eitelkeit und Lüge?
Auf Buonarottis großem Bild:
Der Schöpfer senkt sich sachten Fluges
Zum Menschen, welcher schlummernd liegt,
Im Schoße seines Mantelbuges
Ruht himmlisches Gesind geschmiegt:
Voran ein Wesen, nicht zu nennen,
Von Gottes Mantel keusch umwallt,
Des Weibes Züge, zu erkennen
In einer schlanken Traumgestalt.[16]
Sie lauscht, das Haupt hervorgewendet,
Mit Augen schaut sie, tief erschreckt,
Wie Adam Er den Funken spendet
Und seine Rechte mahnend reckt.
Sie sieht den Schlummrer sich erheben,
Der das bewußte Sein empfängt,
Auch sie sehnt dunkel sich, zu leben,
An Gottes Schulter still gedrängt –
So harrst du vor des Lebens Schranke,
Noch ungefesselt vom Geschick,
Ein unentweihter Gottgedanke,
Und öffnest staunend deinen Blick.[17]
Die Fei
Mondnacht und Flut. Sie hangt am Kiel,
Umklammert mit den Armen ihn,
Sie treibt ein grausam lüstern Spiel,
Den Nachen in den Grund zu ziehn.
Der Ferge stöhnt: »In Seegesträuch
Reißt nieder uns der blanke Leib!
Rasch, Herr! Von Sünde reinigt Euch,
Begehrt Ihr heim zu Kind und Weib!«
Der Ritter hält den Schwertesgriff
Sich als das heil'ge Zeichen vor –
Aus dunkeln Haaren lauscht am Schiff
Ein schmerzlich bleiches Haupt empor.
»Herr Christ! ich beichte Rittertat,
Streit, Flammenschein und strömend Blut,
Doch nichts von Frevel und Verrat,
Denn Treu und Glauben hielt ich gut.«
Er küßt das Kreuz. Gell schreit die Fee!
Auflangen sieht er eine Hand
Am Steuer, blendend weiß wie Schnee,
Und starrt darauf, von Graun gebannt.[17]
»Herr Christ! Ich beichte Missetat!
Ich brach den Glauben und die Treu,
Ich übt an einem Lieb Verrat.
Es starb. Ich tue Leid und Reu!«
Sie löst die Arme. Sie versinkt.
Das Ruder schlägt. Der Nachen fliegt.
Vom Strand das Licht des Erkers winkt,
Wo Weib und Kind ihm schlummernd liegt.[18]
Die Dryas
O Liebe, wie schnell verrinnest du,
Du flüchtige, schöne Stunde,
Mit einer Wunde beginnest du
Und endest mit einer Wunde.
Ein Jüngling irrt in Waldesraum,
Umspielt von goldnen Schimmern,
Und späht nach einem schönen Baum,
Sich draus ein Boot zu zimmern.
»Jungeiche mit dem stolzen Wuchs,
Du bist mir gleich die rechte,
Dich zeichn ich mit dem Beile flugs,
Dann ruf ich meine Knechte.«
Er führt den Streich. Ein schmerzlich Ach
Macht jählings ihn erbleichen.
»Ich sterbe!« stöhnt's im Stamme schwach,
»Die jüngste dieser Eichen!«
Ein Tröpfchen Blutes oder zwei
Sieht er am Beile hangen
Und schleudert's weg mit einem Schrei,
Als hätt er Mord begangen.
Schnell flüstert's aus dem Baume jetzt:
»Der Mord ist nicht vollendet!
Ich bin nur leicht am Arm verletzt.
Ich hatt mich umgewendet.«[18]
»Komm, Göttin«, fleht er, »Waldeskind,
Daß ich Vergebung finde!«
Die Schultern schmiegend schlüpft geschwind
Die Dryas aus der Rinde.
Ein Dämmer lag auf Stirn und Haar,
Ein Brüten und ein Weben,
Von grünem Blätterschatten war
Der schlanke Wuchs umgeben.
Er fing den Arm zu küssen an,
Die Stelle mit dem Hiebe,
Und, der er viel zuleid getan,
Die tat ihm viel zuliebe.
»In meinem Baum – ist lauter Traum«...
Sie schlüpft zurück behende
Und lispelt in den Waldesraum:
»Ich weiß, wen ich dir sende!«
Der Botin Biene Dienst ist schwer,
Sie muß sich redlich plagen,
Honig und Wermut hin und her,
Waldaus, waldein zu tragen.
Einmal kam Bienchen wild gebrummt.
»Dryas, mich kann's entrüsten!«
Es setzt sich an den Stamm und summt:
»Ich sah's, wie sie sich küßten!
Sie ist ein blühend Nachbarkind,
Muß ihn beständig necken –
Dich läßt er nun bei Wetter und Wind
In deinem Baume stecken!«
Ein schmerzlich Ach, als Wände sich
Ein schlanker Leib und stürbe!
Das Laub vergilbt, die Krone blich,
Die Rinde bröckelt mürbe.[19]
Ein Lied Chastelards
Sehnsucht ist Qual!
Der Herrin wag ich's nicht zu sagen,
Ich will's den dunkeln Eichen klagen
Im grünen Tal:
Sehnsucht ist Qual.
Mein Leib vergeht
Wie schmelzend Eis in bleichen Farben,
Sie sieht mich dursten, lechzen, darben,
Bleibt unerfleht –
Mein Leib vergeht.
Doch mag es sein,
Daß sie an ihrer Macht sich weide!
Ergetzt sie grausam sich an meinem Leide,
So denkt sie mein –
Drum mag es sein.
Sehnsucht ist Qual!
Dem Kühnsten macht die Folter bange,
Ein Grab, darin ich nichts verlange,
Gib mir, o Tal!
Sehnsucht ist Qual.
Die kleine Blanche
An dem kleinen Hofe von Navarra
War das Leben eine lose Fabel,
Eine drohnde oder heitre Maske,
Eine überraschende Novelle,
Ein phantastisch wahrheitloses Schauspiel –
Der am Hofe war auf kurzen Urlaub,
Hauptmann Duplessis saß vor der Bühne,
Drauf ein Mädchen an verratner Liebe
Starb. Im letzten Akte lag sie marmorn
Auf dem Grabmal als ihr eigen Bildnis,
Schluchzend rang die Hände der Verräter,
Sieh! da hob sie sachte sich und lebte.[20]
Andern Tages wandelte der Hauptmann
In des Schlosses irrsam dunkeln Gärten,
An die zarte kleine Blanche denkend,
Die er schnell geküßt und schnell verraten –
Etwas sieht er schimmern durch Zypressen:
Auf dem Grabmal liegt die kleine Blanche
Marmorn. An dem Sockel ist zu lesen:
»Blanche schlummert nach verratner Liebe.«
»Heb dich, kleine Blanche!« ruft der Hauptmann.
»Wickle dich aus deinen weißen Tüchern!
Spiel nicht mit dem Tode, kleine Blanche!«
Doch der Marmor fühlte nichts. Es fühlte
Nichts, die drunter schläft. Sie starb im Ernste.[21]
Die gelöschten Kerzen
Ein gewalt'ger Herd mit glühnden Kohlen
Und zwei hellen Kerzen auf dem Simse,
Dran ein plaudernd Paar: ein narb'ger Feldherr
In der Majestät des Greisenalters
Und ein unbefangnes Kind der Neuzeit,
Ein geliebter und verzogner Neffe.
Würdevoll erzählt der Greis von weiland,
Von Verschollnem oder halb Verschollnem.
»Damals warst du noch ein Ungeborner,
Neffe«, sagt er, »oder in den Windeln«...
Auf dem Herde zuckt ein blaues Flämmchen,
Ein vergeßnes Flämmchen aus der Asche,
Und die beiden sehn den Irrwisch tanzen,
Und der Irrwisch unversehens springt er
Auf des Jünglings blühend kecke Lippen:
– »Ohm, wie war es denn mit der Camargo?«
Der Benarbte lächelt. »Wissen willst du
Das mit der Camargo?« – Eine Kerze
Haucht er aus und auch die andre Kerze.
»Du erlaubst? Nur daß ich nicht erröte!
Also...« Durch das Dunkel glühn die Kohlen.
Und der Jüngling streicht ein Holz, die eine
Kerze flammt er an und dann die andre:
»Ohm, wie war's denn mit dem Sturm auf Düppel?«
Fingerhütchen
Liebe Kinder, wißt ihr, wo
Fingerhut zu Hause?
Tief im Tal von Acherloo
Hat er Herd und Klause;
Aber schon in jungen Tagen
Muß er einen Höcker tragen,
Geht er, wunderlicher nie
Wallte man auf Erden!
Sitzt er, staunen Kinn und Knie,
Daß sie Nachbarn werden.
Körbe flicht aus Binsen er,
Früh und spät sich regend,
Trägt sie zum Verkauf umher
In der ganzen Gegend,
Und er gäbe sich zufrieden,
Wär er nicht im Volk gemieden;
Denn man zischelt mancherlei:
Daß ein Hexenmeister,
Daß er kräuterkundig sei
Und im Bund der Geister.
Solches ist die Wahrheit nicht,
Ist ein leeres Meinen,
Doch das Volk im Dämmerlicht
Schaudert vor dem Kleinen.
So die Jungen wie die Alten
Weichen aus dem Ungestalten –
Doch vorüber wohlgemut
Auf des Schusters Räppchen
Trabt er. Blauer Fingerhut
Nickt von seinem Käppchen.
Einmal geht er heim bei Nacht
Nach des Tages Lasten,
Hat den halben Weg gemacht,
Darf ein bißchen rasten,
Setzt sich und den Korb daneben,
Schimmernd hebt der Mond sich eben:[22]
Fingerhut ist gar nicht bang,
Ihm ist gar nicht schaurig,
Nur daß noch der Weg so lang,
Macht den Kleinen traurig.
Etwas hört er klingen fein –
Nicht mit rechten Dingen,
Mitten aus dem grünen Rain
Ein melodisch Singen:
»Silberfähre, gleitest leise« –
Schon verstummt die kurze Weise.
Fingerhütchen spähet scharf
Und kann nichts entdecken,
Aber was er hören darf,
Ist nicht zum Erschrecken.
Wieder hebt das Liedchen an
Unter Busch und Hecken,
Doch es bleibt der Reimgespan
Stets im Hügel stecken.
»Silberfähre gleitest leise« –
Wiederum verstummt die Weise.
Lieblich ist, doch einerlei
Der Gesang der Elfen,
Fingerhütchen fällt es bei,
Ihnen einzuhelfen.
Fingerhütchen lauert still
Auf der Töne Leiter,
Wie das Liedchen enden will,
Führt er leicht es weiter:
»Silberfähre gleitest leise«
– »Ohne Ruder, ohne Gleise.«
Aus dem Hügel ruft's empor:
»Das ist dir gelungen!«
Unterm Boden kommt hervor
Kleines Volk gesprungen.
»Fingerhütchen, Fingerhut«,
Lärmt die tolle Runde,
»Faß dir einen frischen Mut![23]
Günstig ist die Stunde!
Silberfähre, gleitest leise
Ohne Ruder, ohne Gleise!
Dieses hast du brav gemacht,
Lernet es, ihr Sänger!
Wie du es zustand gebracht,
Hübscher ist's und länger!
Zeig dich einmal, schöner Mann!
Laß dich einmal sehen:
Vorn zuerst und hinten dann!
Laß dich einmal drehen!
Weh! Was müssen wir erblicken!
Fingerhütchen, welch ein Rücken!
Auf der Schulter, liebe Zeit,
Trägst du grause Bürde!
Ohne hübsche Leiblichkeit
Was ist Geisteswürde?
Eine ganze Stirne voll
Glücklicher Gedanken,
Unter einem Höcker soll
Länger nicht sie schwanken!
Strecket euch, verkrümmte Glieder!
Garst'ger Buckel, purzle nieder!
Fingerhut, nun bist du grad,
Deines Fehls genesen!
Heil zum schlanken Rückengrat!
Heil zum neuen Wesen!«
Plötzlich steckt der Elfenchor
Wieder tief im Raine,
Aus dem Hügelrund empor
Tönt's im Mondenscheine:
»Silberfähre gleitest leise
Ohne Ruder, ohne Gleise.«
Fingerhütchen wird es satt,
Wäre gern daheime,
Er entschlummert laß und matt
An dem eignen Reime.[24]
Schlummert eine ganze Nacht
Auf derselben Stelle,
Wie er endlich auferwacht,
Scheint die Sonne helle:
Kühe weiden, Schafe grasen
Auf des Elfenhügels Rasen.
Fingerhut ist bald bekannt,
Läßt die Blicke schweifen,
Sachte dreht er dann die Hand,
Hinter sich zu greifen.
Ist ihm Heil im Traum geschehn?
Ist das Heil die Wahrheit?
Wird das Elfenwort bestehn
Vor des Tages Klarheit?
Und er tastet, tastet, tastet:
Unbebürdet! Unbelastet!
»Jetzt bin ich ein grader Mann!«
Jauchzt er ohne Ende,
Wie ein Hirschlein jagt er dann
Über Feld behende.
Fingerhut steht plötzlich still,
Tastet leicht und leise,
Ob er wieder wachsen will?
Nein, in keiner Weise!
Selig preist er Nacht und Stunde,
Da er sang im Geisterbunde –
Fingerhütchen wandelt schlank,
Gleich als hätt er Flügel,
Seit er schlummernd niedersank
Nachts am Elfenhügel.[25]
Traumbesitz
»Fremdling, unter diesem Schutte
Wölbt sich eine weite Halle,
Blüht des Inka goldner Garten,
Prangt der Sessel meines Ahns![25]
Alles Laub und alle Früchte
Und die Vögel auf den Ästen
Und die Fischlein in den Teichen
Sind vom allerfeinsten Gold.«
– »Knabe, du bist zart und dürftig,
Deine greisen Eltern darben –
Warum gräbst du nicht die nahen
Schätze, die dein Erbe sind?«
»Solches, Fremdling, wäre sündlich!
Nein, ich lasse mir genügen
An dem kleinen Weizenfelde,
Das mir oben übrigblieb.
Im Geheimen meines Herzens,
Mit den Augen meines Geistes
Schwelg ich in den lichten Wundern,
In dem unermeßnen Hort:
O des Glanzes! O der Fülle!
Siehst du dort die Büschel Maises
Mit den schöngeformten Kolben?
Siehst du dort den goldnen Thron?«[26]
Die gefesselten Musen
Es herrscht' ein König irgendwo
In Dazien oder Thrazien,
Den suchten einst die Musen heim,
Die Musen mit den Grazien.
Statt milden Nektars, Rebenblut
Geruhten sie zu nippen,
Die Seele des Barbaren hing
An ihren sel'gen Lippen.
Erst sang ein jedes Himmelskind
Im Tone, der ihm eigen,
Dann schritt der ganze Chor im Takt
Und trat den blühenden Reigen.[26]
Der König klatschte: »Morgen will
Ich wieder euch bestaunen!«
Die Musen schüttelten das Haupt:
»Das hangt an unsern Launen.«
»An euren Launen?...« Der Despot
Begann zu schmähn und lästern.
»Ihr Knechte«, schrie er, »Fesseln her!«
Und fesselte die Schwestern.
Der König wacht' um Mitternacht
Vernahm er leises Schreiten,
Geflüster: »Seid ihr alle da?«
Und Schüttern zarter Saiten.
Er fuhr empor. »Den hellen Chor
Ergreift, getreue Wächter!«
Die Schergen griffen in die Luft
Und silbern klang Gelächter.
Am Morgen war der Kerker leer,
Der Reigen über die Grenze –
Drin hingen statt der Ketten schwer
Zerrißne Blumenkränze.[27]
2. Stunde
Morgenlied
Mit edeln Purpurröten
Und hellem Amselschlag,
Mit Rosen und mit Flöten
Stolziert der junge Tag.
Der Wanderschritt des Lebens
Ist noch ein leichter Tanz,
Ich gehe wie im Reigen
Mit einem frischen Kranz.
Ihr taubenetzten Kränze
Der neuen Morgenkraft,
Geworfen aus den Lüften
Und spielend aufgerafft –
Wohl manchen ließ ich welken
Noch vor der Mittagsglut;
Zerrissen hab ich manchen
Aus reinem Übermut!
Mit edeln Pupurröten
Und hellem Amselschlag,
Mit Rosen und mit Flöten
Stolziert der junge Tag –
Hinweg du dunkle Klage,
Aus all dem Licht und Glanz!
Den Schmerz verlorner Tage
Bedeckt ein frischer Kranz.
Eppich
Eppich, mein alter Hausgesell,
Du bist von jungen Blättern hell,[28]
Dein Wintergrün, so still und streng,
Verträgt sich's mit dem Lenzgedräng?
– »Warum denn nicht? Wie meines hat
Dein Leben alt und junges Blatt,
Eins streng und dunkel, eines licht
Von Lenz und Lust! Warum denn nicht?«[29]
Das tote Kind
Es hat den Garten sich zum Freund gemacht,
Dann welkten es und er im Herbste sacht,
Die Sonne ging und es und er entschlief,
Gehüllt in eine Decke weiß und tief.
Jetzt ist der Garten unversehns erwacht,
Die Kleine schlummert fest in ihrer Nacht.
»Wo steckst du?« summt es dort und summt es hier.
Der ganze Garten frägt nach ihr, nach ihr.
Die blaue Winde klettert schlank empor
Und blickt ins Haus: »Komm hinterm Schrank hervor!
Wo birgst du dich? Du tust dir's selbst zuleid!
Was hast du für ein neues Sommerkleid?«
Lenz. Wanderer, Mörder, Triumphator
1.
Ich lag an einem Raine
Mit meinem dürren Stab.
Was lauf ich? Meine Beine
Erlaufen nur das Grab...
Ein Wandrer zog derenden,
War noch ein Knabe fast,
Der hielt als Stab in Händen
Den blütenreichsten Ast.[29]
»Grüß Gott dich, schöner Wandrer!
Bist du es, Knabe Lenz?«
Er rief: »Ich bin kein andrer
Und komme von Florenz!«
Das mußte mich erwecken.
»Kind Lenz, ich wandre mit!«
Wir hoben unsre Stecken
In einem Schritt und Tritt.
Die beiden Stäbe hoben
Kind Lenz und ich zugleich;
Auch meiner ward von oben
Bis unten blütenreich.[30]
2.
Nieder trägt der warme Föhn
Der Lauine fern Getön,
Hinter jenen hohen Föhren
Kann den dumpfen Schlag ich hören.
In des Lenzes blauen Schein
Aus der Scholle dunkelm Schrein
Drängt und drückt das neue Leben,
Lüftet Kleid und Decken eben –
Von derselben Kraft und Lust
Wächst das Herz mir in der Brust,
Heute kann es noch sich dehnen
Mit den Liedern, mit den Tränen!
Aber blauen wird ein Tag,
Da sich's nicht mehr dehnen mag –
Mit den Veilchen, mit den Flöten
Kommt mich dann der Lenz zu töten.
3.
Frühling, der die Welt umblaut,
Frühling mit der Vöglein Laut,[30]
Deine blühnden Siegespforten
Allerenden, allerorten
Hast du niedrig aufgebaut!
Ungebändigt, kreuz und quer,
Über alle Pfade her
Schießen blütenschwere Zweige,
Daß dir jedes Haupt sich neige,
Und die Demut ist nicht schwer.[31]
Maientag
Englein singen aus dem blauen Tag,
Mägdlein singen hinterm Blütenhag,
Jubelnd mit dem ganzen Lenzgesind,
Singt mir in vernarbter Brust – ein Kind.
Was treibst du, Wind?
Was treibst du, Wind,
Du himmlisches Kind?
Du flügelst und flügelst umsonst in der Luft!
»Nicht Wanderscherz!
Ich nähre das Herz
Mit Erdgeruch und Waldesduft!«
Was bringst du, Wind,
Du himmlisches Kind?
»Einen Morgengruß, einen Schrei der Lust!«
Aus Vogelkehle nur?
Aus Lerchenseele nur?
»Nein, nein! Aus voller Menschenbrust!«
Was trägst du, Wind,
Du himmlisches Kind?
»Seeüber ein wallend, ein hallend Geläut!«
Senken sie ein
Den Totenschrein?
»Nein, nein! Sie halten Hochzeit heut!«
Lenzfahrt
Am Himmel wächst der Sonne Glut,
Aufquillt der See, das Eis zersprang,
Das erste Segel teilt die Flut,
Mir schwillt das Herz wie Segeldrang.
Zu wandern ist das Herz verdammt,
Das seinen Jugendtag versäumt,
Sobald die Lenzessonne flammt,
Sobald die Welle wieder schäumt.
Verscherzte Jugend ist ein Schmerz
Und einer ew'gen Sehnsucht Hort,
Nach seinem Lenze sucht das Herz
In einem fort, in einem fort!
Und ob die Locke dir ergraut
Und bald das Herz wird stillestehn,
Noch muß es, wann die Welle blaut,
Nach seinem Lenze wandern gehn.
Lenz, wer kann dir widerstehn?
Jedem, außer an die Toten,
Sendet Frühling einen Boten,
Ein Gezwitscher aus den Lüften,
Eines Wölkchens helles Wehn,
Einer roten Knospe Springen,
Irgendein verstohlnes Düften,
Oder ein verlornes Singen –
Lenz, wer kann dir widerstehn?
Durch das Wiesengrün, das linde,
Wandr ich mit dem eignen Kinde
Und es kann an Murmelbächen
Nicht mit stummen Lippen gehn –
Wann die Knospen alle brechen,
Wollen Lippen sich entfalten,
Auf den jungen, auf den alten,
Will ein kleines Lied entstehn.[32]
Lieb und Lust und Leben saugen
Will ich aus den Kinderaugen,
In dem Blicke meiner Kleinen
Will ich nach dem Himmel spähn,
Ja, es ist das gleiche Scheinen,
Hier im Blauen, dort im Blauen,
Und das selbige Vertrauen –
Lenz, wer kann dir widerstehn?
Kuckuck ruft! willst du erfahren
Deine Jahre, gläub'ge Seele?
Kuckuck ruft im Walde, zähle!
Neun und zehn und mehr als zehn...
Ei, das will ja gar nicht enden,
Frühling schenkt aus vollen Händen –
Soll auf diesen blonden Haaren
Noch den Myrtenkranz ich sehn?...[33]
Der Lieblingsbaum
Den ich pflanzte, junger Baum,
Dessen Wuchs mich freute,
Zähl ich deine Lenze, kaum
Sind es zwanzig heute.
Oft im Geist ergötzt es mich,
Über mir im Blauen,
Schlankes Astgebilde, dich
Mächtig auszubauen.
Lichtdurchwirkten Schatten nur
Legst du auf die Matten,
Eh du dunkel deckst die Flur,
Bin ich selbst ein Schatten.
Aber haschen soll mich nicht
Stygisches Gesinde,
Weichen werd ich aus dem Licht
Unter deine Rinde.[33]
Frische Säfte rieseln laut,
Rieseln durch die Stille.
Um mich, in mir webt und baut
Ew'ger Lebenswille.
Halb bewußt und halb im Traum
Über mir im Lichten
Werd ich, mein geliebter Baum,
Dich zu Ende dichten.[34]
Der verwundete Baum
Sie haben mit dem Beile dich zerschnitten,
Die Frevler – hast du viel dabei gelitten?
Ich selber habe sorglich dich verbunden
Und traue: Junger Baum, du wirst gesunden!
Auch ich erlitt zu schier derselben Stunde
Von schärferm Messer eine tiefre Wunde.
Zu untersuchen komm ich deine täglich
Und meine fühl ich brennen unerträglich.
Du saugest gierig ein die Kraft der Erde,
Mir ist, als ob auch ich durchrieselt werde!
Der frische Saft quillt aus zerschnittner Rinde
Heilsam. Mir ist, als ob auch ich's empfinde!
Indem ich deine sich erfrischen fühle,
Ist mir, als ob sich meine Wunde kühle!
Natur beginnt zu wirken und zu weben,
Ich traue: Beiden geht es nicht ans Leben!
Wie viele, so verwundet, welkten, starben!
Wir beide prahlen noch mit unsern Narben!
Das bittere Trünklein
Ein betrogen Mägdlein irrt im Walde,
Flieht den harten Tag und sucht das Dunkel,
Wirft auf eine Felsenbank sich nieder
Und beginnt zu weinen unersättlich.[34]
In den wettermürben Stein des Felsens
Ist gegraben eine kleine Schale –
Da das Mägdlein sich erhebt zu wandern,
Bleibt die Schale voller bittrer Zähren.
Abends kommt ein Vöglein hergeflattert,
Aus gewohntem Becherlein zu trinken,
Wo sich ihm das Himmelswasser sammelt,
Schluckt und schüttelt sich und fliegt von hinnen.[35]
Abendrot im Walde
In den Wald bin ich geflüchtet,
Ein zu Tod gehetztes Wild,
Da die letzte Glut der Sonne
Längs den glatten Stämmen quillt.
Keuchend lieg ich. Mir zu Seiten
Blutet, siehe, Moos und Stein –
Strömt das Blut aus meinen Wunden?
Oder ist's der Abendschein?
Jetzt rede du!
Du warest mir ein täglich Wanderziel,
Viellieber Wald, in dumpfen Jugendtagen,
Ich hatte dir geträumten Glücks soviel
Anzuvertraun, so wahren Schmerz zu klagen.
Und wieder such ich dich, du dunkler Hort,
Und deines Wipfelmeers gewaltig Rauschen –
Jetzt rede du! Ich lasse dir das Wort!
Verstummt ist Klag und Jubel. Ich will lauschen.
Die Lautenstimmer
Schlummernd jüngst in Waldesraum
Hatt ich einen hübschen Traum:[35]
Etwas regt sich in der Hecke,
Etwas klimpert im Verstecke.
Das Gesträuch mit leiser Hand
Teilt ich, bis das Nest ich fand:
Kinder, rings im Grase sitzend,
Mit den hellen Augen blitzend!
Rutschend auf dem nackten Knie,
Stimmten eine Laute sie –
»Sagt, was lagert ihr im Runde?
Sprecht, was schaffet ihr im Bunde?«
Auf das zarte Werk erpicht,
Hörten sie die Frage nicht.
»Seht, wie ist sie zugerichtet!
Wundgerissen! Fast vernichtet!«
Emsig ward geklopft, gespäht,
An den Saiten flink gedreht,
Ließen eine tiefer klingen,
Ließen eine hohe springen –
Endlich klang die Laute rein
Und die Kinder spielten fein,
Bis ich aus dem Traum erwachte
Und mir seinen Sinn bedachte:
Dumpf entschlummert, jetzo hell,
Ganz ein anderer Gesell!
Was die Kinder ohne Fehle
Stimmten, es war meine Seele![36]
Sonntags
Ich liebe, Nymphe, deine keusche Flut,
Die kühl im allertiefsten Walde ruht.
Du spiegelst weder Stadt noch Firneschnee,
Den Himmel schimmerst du, mein kleiner See!
Dein Antlitz sagt mir alles, rasch erregt,[36]
Was dir das kindliche Gemüt bewegt,
Und leicht erhellt, verdunkelt ohne Grund,
Macht es mir alle deine Launen kund.
Der Kahn, geborgen tief im Schilfe dort,
Gefesselt ist er durch ein Zauberwort.
Nie hat gelöst ihn eine trunkne Schar,
Nie hat sich eine Dirn im Flatterhaar,
Von rohen Buhlen durch den Wald gehetzt,
Vor deinen Spiegel keuchend hingesetzt.
Nie hat ein unstet zuckend Fackelrot
Dir über deine kühle Stirn geloht!
Horch! Stimmen durch den Wald! Ein Lustgeschrei!
Gekreisch! Gewieher! Freches Volk vorbei!
Den Gassenhauer, liederlich gejohlt –
Schäme dich, Echo! – hast du wiederholt!
Verhülle, Nymphe, deiner Augen Schein,
Verbirg dich tiefer in den Wald hinein!
Und zürnend gegen den Tumult gewandt:
»Hinweg!« gebot ich mit erhobner Hand.
»Nicht näher!« Und im Walde ward es Ruh.
Der Jubel zog sich einer Schenke zu.
Du bliebst in deinem blauen Kleide rein,
In deinem grünen Waldesdämmerschein –
Indessen hat die Sonne sich geneigt,
Wie süß in jedem Blatt die Stille schweigt!
In Tannenduft und unter Himmelsruh,
Bewacht von meinem Blick, entschlummerst du![37]
Schwüle
Trüb verglomm der schwüle Sommertag,
Dumpf und traurig tönt mein Ruderschlag –
Sterne, Sterne – Abend ist es ja –
Sterne, warum seid ihr noch nicht da?
Bleich das Leben! Bleich der Felsenhang!
Schilf, was flüsterst du so frech und bang?[37]
Fern der Himmel und die Tiefe nah –
Sterne, warum seid ihr noch nicht da?
Eine liebe, liebe Stimme ruft
Mich beständig aus der Wassergruft –
Weg, Gespenst, das oft ich winken sah!
Sterne, Sterne, seid ihr nicht mehr da?
Endlich, endlich durch das Dunkel bricht –
Es war Zeit! – ein schwaches Flimmerlicht –
Denn ich wußte nicht, wie mir geschah.
Sterne, Sterne, bleibt mir immer nah![38]
In Harmesnächten
Die Rechte streckt ich schmerzlich oft
In Harmesnächten
Und fühlt gedrückt sie unverhofft
Von einer Rechten –
Was Gott ist, wird in Ewigkeit
Kein Mensch ergründen,
Doch will er treu sich allezeit
Mit uns verbünden.
Votivtafel
Mit kümmernden Gedanken schlief
Ich ein auf meinem Krankenbett,
Da kam sie, da erschien sie mir
In einem wunderklaren Traum.
Sie war ein Mädchen groß und schlank
Mit feurig blauem Augenlicht,
Sie kam und nahm mich bei der Hand
Und sagte freundlich: »Wirb um mich!
Vertraue! Habe Zuversicht!
Halt an und überleg es nicht!
Halt an und überlaß es mir!
Erbitte mich! Erbitte mich!« –[38]
Da wacht ich auf im Morgenlicht
Und hob die Hände hoch empor:
Gebt sie, versaget sie mir nicht,
Ihr Götter, sonst bin ich dahin.
Die Göttlichen erhörten mich,
Und wieder atm ich leichter schon,
Denn, siehe, die Genesung war's,
Die mir erschien im Morgentraum.[39]
Eingelegte Ruder
Meine eingelegten Ruder triefen,
Tropfen fallen langsam in die Tiefen.
Nichts, das mich verdroß! Nichts, das mich freute!
Niederrinnt ein schmerzenloses Heute!
Unter mir – ach, aus dem Licht verschwunden –
Träumen schon die schönern meiner Stunden.
Aus der blauen Tiefe ruft das Gestern:
Sind im Licht noch manche meiner Schwestern?
Ein bißchen Freude
Wie heilt sich ein verlassen Herz,
Der dunkeln Schwermut Beute?
Mit Becher-Rundgeläute?
Mit bitterm Spott? Mit frevlem Scherz?
Nein, mit ein bißchen Freude!
Wie flicht sich ein zerrißner Kranz,
Den jach der Sturm zerstreute?
Wie knüpft sich der erneute?
Mit welchem Endchen bunten Bands?
Mit nur ein bißchen Freude!
Wie sühnt sich die verjährte Schuld,
Die bitterlich bereute?[39]
Mit einem strengen Heute?
Mit Büßerhast und Ungeduld?
Nein. Mit ein bißchen Freude![40]
Im Spätboot
Aus der Schiffsbank mach ich meinen Pfühl,
Endlich wird die heiße Stirne kühl!
O wie süß erkaltet mir das Herz!
O wie weich verstummen Lust und Schmerz!
Über mir des Rohres schwarzer Rauch
Wiegt und biegt sich in des Windes Hauch.
Hüben hier und drüben wieder dort
Hält das Boot an manchem kleinen Port:
Bei der Schiffslaterne kargem Schein
Steigt ein Schatten aus und niemand ein.
Nur der Steurer noch, der wacht und steht!
Nur der Wind, der mir im Haare weht!
Schmerz und Lust erleiden sanften Tod.
Einen Schlummrer trägt das dunkle Boot.
Vor der Ernte
An wolkenreinem Himmel geht
Die blanke Sichel schön,
Im Korne drunter wogt und weht
Und rauscht und wühlt der Föhn.
Sie wandert voller Melodie
Hochüber durch das Land,
Früh morgen schwingt die Schnittrin sie
Mit sonnenbrauner Hand.
Erntegewitter
Ein jäher Blitz. Der Erntewagen schwankt.
Aus seinen Garben fahren Dirnen auf
Und springen schreiend in die Nacht hinab.[40]
Ein Blitz. Auf einer goldnen Garbe thront
Noch unvertrieben eine frevle Maid,
Der das gelöste Haar den Nacken peitscht.
Sie hebt das volle Glas mit nacktem Arm,
Als brächte sie's der Glut, die sie umflammt,
Und leert's auf einen Zug.
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