Dort gafft ein Weib,

Die Haare triefend, mit geschwollnem Hals...

Blutlose Brut! Weg in des Tibers Grab!...

Aus allen Wänden quillt es schwarz hervor

Und dunkelt über mir... Unsagbar Graun...[193]

 

Papst Julius

Halb vom Hades schon bezwungen,

Von Lemuren schon umschwebt,

Hat er doch sich losgerungen –

Sieh, er atmet! Sieh, er lebt!

Hinter seinen greisen Brauen

Flammt's! Jetzt langt er nach dem Bart,

Zürnt und schilt den Tod mit rauhen,

Ungestümen Worten hart:

 

»Weg mir aus dem Angesichte,

Larven, die mir bleich gedroht!

Charon, aus dem Sonnenlichte

Weg ins Schilf mit deinem Boot!

Keine Macht ist dir gegeben,

Bis ich selbst dich rufen mag!

Heute hab ich noch zu leben

Einen vollgedrängten Tag!

 

Arzt, statt deiner faden Tropfen

Gib mir des Falerners Glut!

Lasse meine Pulse klopfen,

Wirf mir Feuer in das Blut!

Auf die Türen! Weg die Kissen!

Meine Feldherrn, tretet ein!

Meine Meister, laßt sie wissen,

Daß sie dreifach emsig sein!

 

Regst, Bramante, die geschickten

Hände du? Vollende doch!

Diese Augen, sie erblickten

Gerne deine Kuppel noch!

Michelangelo, willkommen!

Warum schaust du wieder scheel?

Dort erblick ich meinen frommen,

Meinen süßen Raffael!

 

Als den Hirten nicht des Lammes,

Bildet mich als Mosen ab,

Der den Dränger seines Stammes[194]

Niederschlug mit wucht'gem Stab –

Wo die Wasserstürze tosen

In die Brunnenschale jach,

Setzet, Meister, mich als Mosen,

Der die Felsenwand zerbrach!

 

Moses bin ich in dem Blitze

Sinais, in Rauch und Dampf:

Meine donnernden Geschütze

Enden flammend jeden Kampf!

Mit den neugegoßnen Stücken

Bring ich Burg und Stadt zu Fall,

Schmettre Breschen, breche Lücken

In den stärksten Mauerwall!

 

Falkner, sprich, was macht mein Sperber,

Der die Klaue sich zerstieß?

Marschalk, sag, wie lebt mein Berber,

Den zu scharf ich jagen ließ?

Tummelt, Diener, zum Ergötzen

Mir im Hof ein feurig Tier!

Laßt es springen, laßt es setzen

Vor den alten Augen mir!

 

Helmt mir die gefurchte Stirne!

Harnischt mir die welke Hand!

Der Italien macht zur Dirne,

Jagt den Fremdling aus dem Land!

Reicht ein Schwert! Ich will es retten!

Ruft, Drommeten, ruft zur Schlacht!

In der Faust zerrißne Ketten,

Schreit ich durch des Hades Nacht!«[195]

 

In der Sistina

In der Sistine dämmerhohem Raum,

Das Bibelbuch in seiner nerv'gen Hand,

Sitzt Michelangelo in wachem Traum,

Umhellt von einer kleinen Ampel Brand.[195]

 

Laut spricht hinein er in die Mitternacht,

Als lauscht' ein Gast ihm gegenüber hier,

Bald wie mit einer allgewalt'gen Macht,

Bald wieder wie mit seinesgleichen schier:

 

»Umfaßt, umgrenzt hab ich dich, ewig Sein,

Mit meinen großen Linien fünfmal dort!

Ich hüllte dich in lichte Mäntel ein

Und gab dir Leib, wie dieses Bibelwort.

 

Mit wehnden Haaren stürmst du feurigwild

Von Sonnen immer neuen Sonnen zu,

Für deinen Menschen bist in meinem Bild

Entgegenschwebend und barmherzig du!

 

So schuf ich dich mit meiner nicht'gen Kraft:

Damit ich nicht der größre Künstler sei,

Schaff mich – ich bin ein Knecht der Leidenschaft –

Nach deinem Bilde schaff mich rein und frei!

 

Den ersten Menschen formtest du aus Ton,

Ich werde schon von härterm Stoffe sein,

Da, Meister, brauchst du deinen Hammer schon,

Bildhauer Gott, schlag zu! Ich bin der Stein.«[196]

 

Der Schreckliche

Benvenuto, sprich, was schmiedest

Du wie rasend in der Werkstatt?

Welches ungeheure Kunstwerk?

– »Messer! Scharfe, feine Messer!«

 

Benvenuto, sprich, was prahlst du?

Welche ungeheure Lüge

Tischest auf du den Gesellen?

– »Ich bin stummer als ein Fischchen.«

 

Benvenuto, sprich, was drohst du?

Welche ungeheure Mordtat,

Die vor Abend du begehn wirst?

– »Ich bin frömmer als ein Lämmlein.«[196]

 

Benvenuto bringt die Eisen

Meister Jakob von Perugia,

Der den kranken Finger schneidet

Dem geduld'gen Kind des Goldschmieds.

 

Benvenutos glühnde Blicke

Folgen jedem Schnitt des Stahles.

»Raffaela, schmerzt mein Messer?«

»Nein, es schmerzt nicht, Benvenuto.«[197]

 

Pergoleses Ständchen

Nina, laß den Schlummer fahren!

Bist du denn gestorben? ach!

Bist du tot in jungen Jahren?

Horch, die Liebe ruft! Erwach!

 

Aus dem Schlummer sie zu wecken,

Der vor Tod und Sterben graut,

Mischt der Meister einen Schrecken

In den süßen Liebeslaut.

 

Willst du schweigen! Haucht's im Düster,

Ich bin blühend, bin gesund!

Küsse mich, sagt das Geflüster,

Fühle meinen frischen Mund!

 

Und der Wohllaut des Gesanges

Ward von Stadt und Land belobt,

Und die Macht des Liebeszwanges

Ward vom jungen Volk erprobt:

 

Nina, laß den Schlummer fahren!

Bist du denn gestorben? ach!

Bist du tot in jungen Jahren?

Horch, die Liebe ruft! Erwach!

 

Da geschah's, daß eine schwarze

Wolke über Napel glitt

Und der Tod sich eine volle

Garbe blühnder Jugend schnitt.[197]

 

Sant Agnese flammt von Kerzen

Nina schlummert am Altar,

Pergolese spielt das Requiem

Auf der Orgel wunderbar.

 

In das Hallen der Posaunen,

In das Rufen, in das Drohn,

In das Zürnen mischt der Meister

Einen süßen Liebeston:

 

Nina, laß den Schlummer fahren!

Bist du denn gestorben? ach!

Bist du tot in jungen Jahren?

Horch, die Liebe ruft! Erwach![198]

 

Auf Ponte Sisto

Süß ist das Dunkel nach Gluten des Tags! Auf dämmernder Brücke

Schau ich die Ufer entlang dieser unsterblichen Stadt.

Burgen und Tempel verwachsen zu einer gewaltigen Sage!

Unter mir hütet der Strom manchen verschollenen Hort.

Dort in der Flut eines Nachens Gespenst! Ist's ein flüchtiger Kaiser?

Ist es der »Jakob vom Kahn«1, der Buonarotti geführt?

Gellend erhebt sich Gesang in dem Boot zum Ruhme des Liebchens.

Horch! Ein lebendiger Mund fordert lebendiges Glück.

 

Fußnoten

 

1 In den dreißiger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts setzte Meister »Jakob vom Kahn« zwischen Ponte Sisto und S. Angelo die Leute über den Tiber.

 

Chor der Toten

Wir Toten, wir Toten sind größere Heere

Als ihr auf der Erde, als ihr auf dem Meere!

Wir pflügten das Feld mit geduldigen Taten,

Ihr schwinget die Sicheln und schneidet die Saaten,

Und was wir vollendet und was wir begonnen,

Das füllt noch dort oben die rauschenden Bronnen,

Und all unser Lieben und Hassen und Hadern,[198]

Das klopft noch dort oben in sterblichen Adern,

Und was wir an gültigen Sätzen gefunden,

Dran bleibt aller irdische Wandel gebunden,

Und unsere Töne, Gebilde, Gedichte

Erkämpfen den Lorbeer im strahlenden Lichte,

Wir suchen noch immer die menschlichen Ziele –

Drum ehret und opfert! Denn unser sind viele![199]

 

9. Männer

Lutherlied

Ein Knabe wandert über Land

In einem schlichten Volksgewand,

Gewölke quillt am Himmel auf,

Er blickt empor, er eilt den Lauf,

Stracks fährt ein Blitz mit jähem Licht

Und raucht an seiner Ferse dicht –

So ward getauft an jenem Tag

Des Bergmanns Sohn vom Wetterschlag.

 

Schmal ist der Klosterzelle Raum,

Drin lebt ein Jüngling dumpfen Traum,

Er fleißigt sich der Möncherei,

Daß er durch Werke selig sei,

Ein Vöglein blickt zu ihm ins Grab,

»Luthere«, singt's, »wirf ab, wirf ab!

Ich flattre durch die lichte Welt,

Derweil mich Gottes Gnade hält.«

 

In Augsburg war's, daß der Legat

Ein Mönchlein auf die Stube bat,

Er war ein grundgelehrtes Haus,

Doch kannt er nicht die Geister aus,

Des Mönchleins Augen brannten tief,

Daß er: »Es ist der Dämon!« rief –

Du bebst vor diesem scharfen Strahl?

So blickt die Wahrheit, Kardinal!

 

Jetzt tritt am Wittenberger Tor

Ein Mönch aus allem Volk hervor:

Die Flamme steigt auf seinen Wink,

Die Bulle schmeißt hinein er flink,

Wie Paulus schlenkert' in den Brand[200]

Den Wurm, der ihm den Arm umwand,

Und über Deutschland einen Schein

Wie Nordlicht wirft das Feuerlein.

 

In Worms sprach Martin Luther frank

Zum Kaiser und zur Fürstenbank:

»Such, Menschenherz, wo du dich labst!

Das lehrt dich nicht Konzil noch Papst!

Die Quelle strömt an tiefrem Ort:

Der lautre Born, das reine Wort

Stillt unsrer Seelen Heilsbegier –

Hier steh ich und Gott helfe mir!«

 

Herr Kaiser Karl, du warst zu fein,

Den Luther fandest du gemein –

Gemein wie Lieb und Zorn und Pflicht,

Wie unsrer Kinder Angesicht,

Wie Hof und Heim, wie Salz und Brot,

Wie die Geburt und wie der Tod –

Er atmet tief in unsrer Brust,

Und du begrubst dich in Sankt Just.

 

»Ein feste Burg« – im Lande steht,

Drin wacht der Luther früh und spät,

Bis redlich er, und Spruch um Spruch,

Verdeutscht das liebe Bibelbuch.

Herr Doktor, sprecht! Wo nahmt Ihr her

Das deutsche Wort so voll und schwer?

»Das schöpft ich von des Volkes Mund,

Das schlürft ich aus dem Herzensgrund.«

 

Herr Luther, gut ist Eure Lehr,

Ein frischer Quell, ein starker Speer:

Der Glaube, der den Zweifel bricht,

Der ew'gen Dinge Zuversicht,

Des Heuchelwerkes Nichtigkeit!

Ein blankes Schwert in offnem Streit! –

Ihr bleibt getreu trotz Not und Bann

Und jeder Zoll ein deutscher Mann.

 

In Freudenpulsen hüpft das Herz,

In Jubelschlägen dröhnt das Erz,[201]

Kein Tal zu fern, kein Dorf zu klein,

Es fällt mit seinen Glocken ein –

»Ein feste Burg« – singt jung und alt,

Der Kaiser mit der Volksgewalt:

»Ein feste Burg ist unser Gott,

Dran wird der Feind zu Schand und Spott!«[202]

 

Hussens Kerker

Es geht mit mir zu Ende,

Mein Sach und Spruch ist schon

Hoch über Menschenhände

Gerückt vor Gottes Thron,

Schon schwebt auf einer Wolke,

Umringt von seinem Volke,

Entgegen mir des Menschen Sohn.

 

Den Kerker will ich preisen,

Der Kerker, der ist gut!

Das Fensterkreuz von Eisen

Blickt auf die frische Flut,

Und zwischen seinen Stäben

Seh ich ein Segel schweben,

Darob im Blau die Firne ruht.

 

Wie nah die Flut ich fühle,

Als läg ich drein versenkt,

Mit wundersamer Kühle

Wird mir der Leib getränkt –

Auch seh ich eine Traube

Mit einem roten Laube,

Die tief herab ins Fenster hängt.

 

Es ist die Zeit zu feiern!

Es kommt die große Ruh!

Dort lenkt ein Zug von Reihern

Dem ew'gen Lenze zu,

Sie wissen Pfad und Stege,

Sie kennen ihre Wege –

Was, meine Seele, fürchtest du?

 

Der Landgraf

Mir sitzt zu Hause, jung gezähmt

Und leicht gelähmt,

Ein Steinaar im Verließe,

Der martert sich den Hals zu drehn,

Ins Blau zu sehn,

Aus dem er gerne stieße.

 

So streck ich Landgraf ebenfalls

Den Kopf und Hals

Wohl durch das Kerkergitter,

Ob etwas auf der Straße zieht

Für mein Gemüt,

Ein Schüler oder Ritter.

 

Der Kaiser, der vergichtet ist,

Drum gerne mißt

Die Kost der harschen Lüfte,

Vergaß, wie schwer ein ganzer Mann

Entraten kann

Das Jagdhorn an der Hüfte.

 

Ich wurde hinterrücks gefällt,

Ein Netz gestellt

Ward mir mit falschen Schriften!

Wer mir mit lächelndem Gesicht

Die Treue bricht,

Der kann mich auch vergiften!

 

Wär ich ein römisch blöder Mann,

Ich wähnte dann:

Damit hätt ich's verbrochen,

Daß triumphierend ich hinaus

Zum Gotteshaus

Schmiß Mühmchen Lisbeths Knochen!1

 

Jüngst warf ich auf den Festungsrain

Ein Stüberlein[203]

Dem Bettler hin, dem lahmen:

Den schlug der Spanier bis aufs Blut –

Mich fraß die Wut –

Der Teufel hol ihn! Amen!

 

Wohl läg ich besser auf dem Feld –

Ade, du Welt! –

Gewundet und erstochen!

Wie Meister Ulrich Zwingli lag

Am grünen Hag,

Den hellen Blick gebrochen!

 

Nur tröstet mich das eine doch:

Das päpstlich Joch

Ist in den Dreck getreten!

Wir dürfen ohne Klerisei

Und Heuchelei

Getrost zum Herrgott beten![204]

 

Fußnoten

 

1 Die Reliquien der heiligen Elisabeth.

 

Der Rappe des Komturs

Herr Konrad Schmid legt' um die Wehr,

Man führt' ihm seinen Rappen her:

»Den Zwingli laß ich nicht im Stich,

Und kommt ihr mit, so freut es mich.«

Da griffen mit dem Herren wert

Von Küßnach dreißig frisch zum Schwert:

Mit Mann und Roß im Morgenrot

Stieß ab das kriegbeladne Boot.

Träg schlich der Tag; dann durch die Nacht

Flog Kunde von verlorner Schlacht.

Von drüben rief der Horgnerturm,

Bald stöhnten alle Glocken Sturm,

Und was geblieben war zu Haus:

Das stand am See, lugt' angstvoll aus.

Am Himmel kämpfte lichter Schein

Mit schwarzgeballten Wolkenreihn.

»Hilf Gott, ein Nachtgespenst!« Sie sahn

Es drohend durch die Fluten nahn.

Wo breit des Mondes Silber floß,[204]

Da rang und rauscht' ein mächtig Roß,

Und wilder schnaubt's und näher fuhr's...

»Hilf Gott, der Rappe des Komturs!«

Nun trat das Schlachtroß festen Grund,

Die bleiche Menge stand im Rund.

Zur Erde starrt' sein Augenstern,

Als sucht' es dort den toten Herrn...

Ein Knabe hub dem edeln Tier

Die Mähne lind: »Du blutest hier!«

Die Wunde badete die Flut,

Jetzt überquillt sie neu von Blut,

Und jeder Tropfen schwer und rot

Verkündet eines Mannes Tod.

Die Komturei mit Turm und Tor

Ragt weiß im Mondenglanz empor.

Heimschritt der Rapp das Dorf entlang,

Sein Huf wie über Grüften klang,

Und Alter, Witwe, Kind und Maid

Zog schluchzend nach wie Grabgeleit.[205]

 

Die spanischen Brüder

»Da find ich dich! In Wintergraus

Hält dich ein deutsches Donaunest,

Ein schneebelastet Giebelhaus,

Kind einer heißen Sonne, fest.

 

Was treibst du hier? Mit toller Brunst

Bohrst du dich in Folianten ein?

Vom Teufel kommt die schwarze Kunst!

Griechisch? Die Kirche spricht Latein!

 

Darüber sitzest, Nacht um Nacht,

Du auf? Noch qualmt der Lampe Docht!

Auch siehst du bleich und überwacht,

Der sonst so weidlich ritt und focht!

 

Du darbst? Du meidest jede Lust?

Von allem Denken mach dich frei!

Verbrenn an einer warmen Brust,

Ertränk in Wein die Ketzerei![205]

 

Ergreife Schwert und Eisenhut!

Dem Spanier ward die Welt zum Raub!

Nach Flandern! Eh dein Edelblut

Versiegt in ekelm Bücherstaub!

 

Mein Bruder Juan, komm mit mir,

Beflecke nicht der Diaz Ruhm!

Ersäuf im Guadalquivir

Das gottverdammte Luthertum!

 

In Wittenberg hast du – absurd! –

Auf einer Schule Bank gehockt!

Bei diesem Dolch an meinem Gurt,

Ich morde den, der dich verlockt!

 

Der Vater ist ein alter Christ

Und sähe lieber dich im Grab!

Die Mutter, welche gläubig ist –

Der Mutter drückst das Herz du ab!

 

Nie hat ein Diaz falsch geglaubt!

Nicht wahr? Uns tust du nicht die Schmach,

Geliebter Bruder, teures Haupt!

Ich eilte deinen Schritten nach!

 

Juan, ich reiße dich heraus

Mit dieser meiner Arme Kraft!

Die Rosse stampfen vor dem Haus,

Geführt von meiner Dienerschaft.

 

Du schweigst? Bekenn mir, ob's geschah!

Tatst du den Schritt? Du schüttelst: Nein!

Wirst du ihn tun? Ja? Du nickst: Ja?..

Juan, es muß geschieden sein!«

 

Eng hält den Bruder er umfaßt,

Bang stöhnend senkt er Blick in Blick,

Küßt, küßt ihn noch einmal in Hast –

Und stößt den Dolch ihm durchs Genick.[206]

 

Er hält den Bruder lang im Arm,

Mit unerschöpften Tränen netzt

Und badet er den Toten warm:

»Noch starbest als ein Christ du jetzt!«[207]

 

Das Auge des Blinden

Durch das Marktgedräng von Namur

Stelzt ein armer narb'ger Krüppel.

»Leute, bringt mich zu Don Juan!«

»Schweigst du wohl! Da ist Don Juan!«

 

»Schweigst du wohl, blick auf! da ist er!«

In des Volkes Gasse reitet

Ein Gespenst am hellen Tage:

Don Juan der Österreicher –

 

Don Juan der Österreicher,

Der im Wein das Gift getrunken

König Philipps, seines Bruders,

Und Don Juan weiß den Mörder.

 

Seinen Mörder kennt Don Juan,

Auch den armen Krüppel kennt er,

Der den Bügel ihm betastet,

Der die Hand ihm deckt mit Küssen –

 

Der ihm deckt die Hand mit Küssen:

»Bin zerfetzt wie eine Fahne!

Wohne jetzt in Barcelona

Braves Volk, bei meiner Ehre!

 

Braves Volk! es speist und tränkt mich:

›Alter, leere dieses Glas mir!‹

›Alter, kanntest du Don Juan?‹

›Sprich uns immer von Don Juan!‹

 

Immer sprech ich von Don Juan!

In den Schenken, an dem Hafen

Gab ich tausendmal zum besten

Bei Lepanto, die Viktorie![207]

 

Die Viktorie von Lepanto

Gab ich tausendmal zum besten...

Hergestelzt bin ich nach Flandern

Zu dem Abgott meines Lebens!

 

Helle Freude meines Lebens!

Sohn des Kaisers! Kind des Glückes!

Deines Volkes Held und Liebling!

Ruhmgekrönter junger Feldherr!

 

Junger Feldherr mit dem Lorbeer

In den goldnen Ringelhaaren,

Mit dem Himmel in den Augen,

Sonnig wie ein Engel Gottes!

 

Eia, schöner Engel Gottes!...«

Durch die Menge, die des Todes

Bild betrachtet, geht ein Schauder.

Juan, der gespenstig bleiche,

 

Juan mit des Grabes Antlitz

Sucht erstaunt das Aug des Krüppels –

Ist es trunken? Loht's im Wahnsinn?

Es ist leer. Es ist erloschen!

 

Ist dem Tageslicht erloschen.

Don Juans zerstörte Jugend

Blüht in eines Blinden Auge

Fort in unversehrter Schönheit.[208]

 

Die verstummte Laute

Sie mochte gern an seiner Schulter lehnen

In einem weichen Abenddämmerlicht,

Sie barg vor ihm das Rieseln ihrer Tränen,

Den halbenthüllten Reiz der Seele nicht:

»Freund, einz'ger Freund auf diesem düstern Eiland,.

Ich welke! Chastelard, auch du bist bleich!

Schlag deine Laute! Singe mir von weiland!

Von meinem ersten Königreich!«[208]

 

Er stürmte durch die Saiten: »Jener Tage

Ins Meer gesunkne Sonnen sind verblaßt!

Maria Stuart! Ich erhebe Klage,

Daß du geschluchzt an meinem Herzen hast!

Mit deinen Tränen bade hier dem reinen,

Entseelten Gott die Marmorfüße bleich –

Weib, sündlich ist's vor einem Menschen weinen

Mit diesen Augen warm und weich!

 

Was war ich dir? Der nichtige Vertraute!

Ein Echo, das von deinen Seufzern scholl!

Ein Spiegel, drin sie eitel sich beschaute,

Die Zähre, die dir an der Wimper quoll!

War dir die Laute nur, darauf zu breiten

Die Fingerspitzen und ich hallte schön –

Ich hasse dich!« Er riß entzwei die Saiten

Mit einem gellen Mißgetön.

 

Er floh davon, hinaus in Wald und Wildnis,

Doch wo er lechzend schlürft' aus einem Quell,

Sah er im Brunnen ein geliebtes Bildnis

Aus naher Tiefe schimmern dunkelhell,

Sah er ein blasses Angesicht in Zähren,

Es schwand und blickte wiederum empor,

Von Sehnen und Erfüllen und Gewähren

Rauscht's um den Born in Schilf und Rohr.

 

»Maria!« so beginnt in ihrer Kammer

Am Lager knieend sie das Nachtgebet,

»Maria!« wiederholt voll Glut und Jammer

Ein Mund, der neben ihr im Dunkel fleht.

Sie schreit. Man kommt. Von Fackelglut gerötet

Bebt sie vor Zorn: »Ein Mörder! Fesselt ihn!«

Er lächelt: »Ist sie schön! Auch wenn sie tötet!«

Und gibt den Schergen sich dahin.

 

Er schreitet seinem Blutgerüst entgegen

In einem klaren, kühlen Morgenrot,

Mit hohlen Blicken flüstert angelegen

Als hagrer Pater der vermummte Tod:

»Freund, du bekommst es gut! Du wirst entlastet![209]

Ich absolviere dich von Lust und Pein!

Von keiner weichen, weißen Hand betastet,

Wirst du die stumme Laute sein!«[210]

 

Das Weib des Admirals

Auf mondenhellem Lager wälzt ein Weib,

Ein schlummerloses, sich: »O banger Pfühl!

Auch du, mein sorgender Gemahl, du wachst!

Wer dürfte schlafen? Horch, die Folter stöhnt...

Erwürgte modern ohne Leichentuch,

Sieh unser Linnen, Chatillon, wie fein!

Gen Himmel schreit der Märt'rer frommes Blut,

Ich schreie, Herr, in deinen Armen mit!

Mein Held, ich rede Zeugnis gegen dich

Vor Gott, entrollest du dein Banner nicht!«

Sie schweigt in düstrer Glut. Er sinnt und sagt:

»Erwäge, Weib, die Schrecken, die du wählst!

Dies Haus in Rauch und Trümmern! Dies mein Haupt

Verfemt, dem Meuchelmord gezeigt – geraubt!

Entehrt dies Wappen von des Henkers Hand!

Du mit den Knaben bettelnd auf der Flucht!

Wählst du dir solches? Nimm drei Tage Frist!«

– »Drei Tage Frist? Sie sind vorbei. Brich auf!«

 

Hugenottenlied

In die Schule bin ich gangen

Bei dem Meister Hans Calvin,

Lehre hab ich dort empfangen:

 

Vorbestimmt ist alles ewighin!

Jeder volle Wurf im Würfelspiele,

Jeder Diebestritt auf Liebchens Diele,

Jeder Kuß –

Schicksalsschluß!

 

Dann bin ich zu Roß gestiegen

Mit dem Hauptmann Des Adrets,

Der das Kindlein in der Wiegen[210]

 

Würgt und sich ergötzt an Qual und Weh!

Jeder First, der raucht und dampft und lodert,

Jeder Tote, der im Graben modert,

Jeder Schuß –

Schicksalsschluß![211]

 

Die Karyatide

Im Hof des Louvre trägt ein Weib

Die Zinne mit dem Marmorhaupt,

Mit einem allerliebsten Haupt.

Als Meister Goujon sie geformt

In feinen Linien, überschlank,

Und stehend auf dem Baugerüst

Die letzte Locke meißelte,

Erschoß den Meister hinterrücks

(Am Tag der Saint-Barthelemy)

Ein überzeugter Katholik.

Vorstürzend überflutet' er

Den feinen Busen ganz mit Blut,

Dann sank er rücklings in den Hof.

Die Marmormagd entschlummerte

Und schlief dreihundert Jahre lang,

Ein Feuerschein erwärmte sie

(Am Tag, da die Kommüne focht).

Sie gähnt' und blickte rings sich um:

Wo bin ich denn? In welcher Stadt?

Sie morden sich. Es ist Paris.

 

Mourir ou parvenir!

Herr Heinrich Guise schrieb. Da rauscht Gewand – Es war sein Lieb, das aus der Kirche kam,

Sein zärtlich Lieb, dem schäkernd aus der Hand

Er das mit Gold beschlagne Meßbuch nahm.

Er blättert' drin. Hell war's von Farbenglut

Und keck verschlungner Arabeskenzier –

»Geliebter, dich verdirbt dein Übermut!

Hinweg! Entflieh von hier![211]

Du bist zu hoch! Der König, feig und schlau,

Bebt wie ein Kind vor deinen mächt'gen Braun!

Dich haßt er tödlich – glaub es einer Frau!

Ihn sah ich lächeln jüngst – mich schüttelt Graun!«

Zur Feder griff er. »Flora, schlanke Fei!

Wie könnt ich leben«, seufzt er, »fern von dir?«

Und schrieb ins Meßbuch, wo die Zeile frei:

Mourir –

 

»Versuche Gott nicht! Das Verderben reift!

Hinweg aus Blois! Mein Alles, Schmerz und Lust!

Ich weiß: in diesem Augenblicke schleift

Der Meuchelmord ein Schwert für deine Brust!«

In ihrem Büchlein schrieb er ruhig fort,

Soviel ihm Raum gewährte das Papier,

Als wär's ein auferbaulich Bibelwort:

– Ou parvenir!

 

»Mich so zu quälen! Schlimm hat mir geträumt!

Mein Gott! Du wandest dich in Todesschmerz!

Hinweg! Jetzt! Heute! Hörst du? Nicht gesäumt!«

Die Bange zog er kosend an das Herz,

Sie senkte des betränten Auges Glanz –

In kühnen Zügen stand der Spruch vor ihr,

Umrankt von einem üpp'gen Blumenkranz:

Mourir ou parvenir![212]

 

Das Reiterlein

Das Bächlein nimmt nach der Loire den Gang,

An beiden Seiten

Auf und ab, die Ufer entlang

Spähn sie und reiten.

Sie sind sich so nahe! Sie sind sich so fern!

»Bon jour, meine Herrn!«

Grüßt keck eine Stimme.

 

Ein feurig, unbändig Reiterlein

Springt ab behende,

Setzt rechts ein Bein und links ein Bein[212]

In beide Gelände:

»Groß ist der Sonne Glut –

Liebe Herrn, meint ihr's gut,

Schafft eins zu trinken!«

 

Rechts kommt ein Pokal und links ein Pokal

Von verschiedener Helle,

Der: schäumender Champagnerstrahl,

Der andre: Purpurwelle –

»Katholik? Calvinist?

Hier ein Christ! Dort ein Christ!«

Er schlürft aus beiden Bechern.

 

»Mitstreitender Theologie

Mach ich mir nichts zu schaffen,

Den Guisen überlaß ich sie,

Den Weibern und den Pfaffen!

Pred'gerrock? Meßgewand?

Stich und Schuß! Mord und Brand!

Ins Meer geschwemmte Leichen!

 

Bekennt mir, Herren, frei und frank:

Wie tut ihr, wann ihr dürstet?

Ihr setzt euch rittlings auf die Bank

Und ruft nach Wein und bürstet!

Zug und Schluck! Schluck und Zug!

Noch ein Trunk! Nie genug!

Die einen wie die andern.

 

Genießt ihr wonn'ge Minnelust

Nach Dogmen oder Schulen?

Kost alle nicht ihr Brust an Brust

Mit euren trauten Buhlen?

Tört ihr nicht? Trügt ihr nicht?

Schwört ihr nicht? Lügt ihr nicht?

Die einen wie die andern.

 

Drum lassen wir auf sich bestehn

Die Lehren, die uns trennten,

Da wir erbaulich einig gehn

In allen Elementen:[213]

Erntefest! Winzertanz!

Ährenkranz! Traubenkranz!

Feldruhm und edle Waffen!«

 

Spricht's und es fährt ein elektrischer Schlag

Rundum und setzt alles in Flammen:

Frankreich hoch! Freudentag!

Heut wächst es zusammen!

Sie springen ins Wasser, sie waten im Fluß,

Sie spitzen die bärtigen Lippen zum Kuß,

Sie fallen sich all in die Arme.

 

Der Kleine drückt und küßt und herzt

Sie alle wie alte Bekannte.

»Wie aber, Herren, steht es«, scherzt

Er, »mit dem Proviante?

Alles her! Fleisch und Fisch!

Ihr seid geladen heut zu Tisch

Bei Heinrich von Navarra.«[214]

 

Die Füße im Feuer

Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Turm.

Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Roß,

Springt ab und pocht ans Tor und lärmt. Sein Mantel saust

Im Wind. Er hält den scheuen Fuchs am Zügel fest.

Ein schmales Gitterfenster schimmert goldenhell

Und knarrend öffnet jetzt das Tor ein Edelmann...

 

– »Ich bin ein Knecht des Königs, als Kurier geschickt

Nach Nîmes. Herbergt mich! Ihr kennt des Königs Rock!«

– »Es stürmt. Mein Gast bist du. Dein Kleid, was kümmert's mich?

Tritt ein und wärme dich! Ich sorge für dein Tier!«

Der Reiter tritt in einen dunkeln Ahnensaal,

Von eines weiten Herdes Feuer schwach erhellt,

Und je nach seines Flackerns launenhaftem Licht

Droht hier ein Hugenott im Harnisch, dort ein Weib,

Ein stolzes Edelweib aus braunem Ahnenbild...

Der Reiter wirft sich in den Sessel vor dem Herd[214]

Und starrt in den lebend'gen Brand. Er brütet, gafft...

Leis sträubt sich ihm das Haar. Er kennt den Herd, den Saal...

Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut.

 

Den Abendtisch bestellt die greise Schaffnerin

Mit Linnen blendend weiß. Das Edelmägdlein hilft.

Ein Knabe trug den Krug mit Wein. Der Kinder Blick

Hangt schreckensstarr am Gast und hangt am Herd entsetzt...

Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut.

– »Verdammt! Dasselbe Wappen! Dieser selbe Saal!

Drei Jahre sind's... Auf einer Hugenottenjagd...

Ein fein, halsstarrig Weib...›Wo steckt der Junker? Sprich!‹

Sie schweigt. ›Bekenn!‹ Sie schweigt. ›Gib ihn heraus!‹ Sie schweigt.

Ich werde wild. Der Stolz! Ich zerre das Geschöpf...

Die nackten Füße pack ich ihr und strecke sie

Tief mitten in die Glut..