Doch auch solches ziemt dir nicht!
Was einzig dir geziemt, ist Kampf und Kampfespreis –
Pelide! ein Erwachen schwebt vor deinem Boot
Und schimmert unter deinem mächt'gen Augenlid!
Du lebst, Achill? Gib Antwort! Wohin wanderst du?
Er schweigt! Er schweigt. Der Wagen rollt. Ein Triton bläst
Sein Muschelhorn, daß leis und dumpf der Marmor tönt.[92]
Der Musensaal
Jüngst trug ein Traum auf dunkler Schwinge mich
Nach Rom, der ew'gen Stadt. Den Vatikan
Betrat ich. Ich betrat den Musensaal
Verwundert, denn er war ein andrer heut,
Als ich geschaut mit jungen Augen ihn,
Da Pio Nono höchster Priester war.
Verschwunden aus dem edeln Oktogon,
Dem kuppelhellen, war der Musaget,
Apollo, der die Zither zierlich schlug,
Voranzugehn dem Chor tanzmeisterlich.
Die Neune saßen oder standen nicht,
Umher verteilt, in schönen Stellungen –
In wilder Gruppe schritten eilig sie,
Wie Schnitterinnen, die auf blachem Feld
Ein flammendes Gewitter überrascht!
Voran die blutige Melpomene,
Die an den Söhnen rächt der Väter Schuld.
Sie trägt das Schwert und auch den Kranz von Wein.
Wer schreitet, schlicht gewandet, neben ihr?
Kalliope, die keusch und kindlich blickt,
Die den erblindeten Homer geführt,
Die tapfre Helden liebt und Schildgetos
Und Roßgestampf und dann abseits der Schlacht
Im jugendzarten Busen Lose wägt.
Weithallend redet dort ein mächtig Paar,
Terpsichore und Polyhymnia:
»Der Tag ist fern und er erfüllt sich doch:[92]
Die Völker schreiten einen Reigen einst,
Sich an den Händen haltend, freigesellt,
Vieltausendstimmig dröhnt der Chorgesang!«
– »Dann weicht das Leid! Nicht alles, aber doch
Das meiste Leid!« Euterpe flötet es,
Das liebliche Geschöpf, die Schmeichlerin!
– »Dann füllt«, Erato lacht's mit blühndem Mund,
Die schöne Schelmin, die das Liebeslied,
Das Zechlied für allein unsterblich hält,
–-»Dann füllt ein jeder seine Schale sich
Mit duft'gem Wein und schlürft und keiner darbt!«
– »Törinnen!« gellt ein scharfgeschnittner Mund,
»Verspotte sie, mein Aristophanes!...
Doch eure Kampfgesellin bin ich auch!
Ich morde lachend, was nicht sterben kann,
In trunkner Lust, wie die Bacchante jach
Ein Zicklein oder Reh in Stücke reißt.
Mordlust'ger bin ich noch und tragischer
Als du, mein Schwesterchen Melpomene,
Denn du erhellest unter Zähren dich,
Doch mein Gelächter, Tränen schluchzen drin!«
Thalia rief's und unterm Efeukranz
Verlarvte mit der Satyrmaske sie
Die wehmutvoll ergriffnen Züge sich
Und hob mit nerv'gem Arm das Tympanum.
Die letzte wandelt noch Urania,
Die Gläubige, mit dem gehobnen Blick.
Die andern nennen sie die Schwärmerin,
Doch trennt sie sich von den Geschwistern nicht.
Sie sieht den Sturm der Erdendinge ruhn
In friedevollen Händen immerdar...
Aufflattert das Gewand! Die Locken wehn!
Die Kuppel weicht! In leuchtend tiefem Blau
Entfesselt schwebt der Musenchor einher.[93]
Alte Schweizer1
Sie kommen mit dröhnenden Schritten entlang
Den von Raffaels Fresken verherrlichten Gang
In der puffigen alten geschichtlichen Tracht,
Als riefe das Horn sie zur Murtener Schlacht:
»Herr Heiliger Vater, der Gläubigen Hort,
So kann es nicht gehn und so geht es nicht fort!
Du sparst an den Kohlen, du knickerst am Licht –
An deinen Helvetiern knausre du nicht!
Wann den Himmel ein Heiliger Vater gewann,
Ergibt es elf Taler für jeglichen Mann!
So galt's und so gilt's von Geschlecht zu Geschlecht,
Wir pochen auf unser historisches Recht!
Herr Heiliger Vater, du weißt, wer wir sind!
Bescheidene Leute von Ahne zu Kind!
Doch werden wir an den Moneten gekürzt,
Wir kommen wie brüllende Löwen gestürzt!
Herr Heiliger Vater, die Taler heraus!
Sonst räumen wir Kisten und Kasten im Haus...
Potz Donner und Hagel und höllischer Pfuhl!
Wir versteigern dir den apostolischen Stuhl!«
Der Heilige Vater bekreuzt sich entsetzt
Und zaudert und langt in die Tasche zuletzt –
Da werden die Löwen zu Lämmern im Nu:
»Herr Heiliger Vater, jetzt segne uns du!«
Fußnoten
1 Bei der Thronbesteigung Leos XIII. brach im Vatikan eine kleine Palastrevolte aus, weil der sparsame Papst den Schweizern das übliche Donativ zurückhielt.
Abschied von Korsika
Ölbaumsilber, Myrte, Lorbeer, Pinie,
Bald im Schnee der Heimat denk ich euer –
Sanfte Buchten, blaue Meereslinie,
Auf dem Abend dunkelnd Burggemäuer!
Aus der Schlucht erstrahlend Hirtenfeuer![94]
Lebet, Korsen, wohl, mir lieb geworden!
Vor den Kirchen lüpft ihr leicht die Hüte!
Gerne knallt ihr und ein bißchen Morden
Steckt seit alter Zeit euch im Geblüte –
Daß die heil'ge Jungfrau euch behüte!
Klimmend am Gestein des Insellandes,
Lebet wohl, ihr hitz'gen kleinen Pferde!
Wallend um die Krümmungen des Strandes,
Lebet, Schafe, wohl! Gedrängte Herde
Mit den weichsten Vliesen auf der Erde!
Lebet wohl, ihr grellen Hirtenflöten,
Um die Gunst der jungen Korsin werbend!
Lebet wohl, ihr warmen Abendröten,
In den weiten Himmeln selig sterbend,
Erst die Wolken, dann die Fluten färbend!
Märchen, aus dem Tageslicht verschollen,
An Ajaccios, näht'ger Hafenstiege
Töne fort im dumpfen Wogenrollen!
Ehernes Gedröhn der hundert Siege
Um des toten Welterobrers Wiege!
Schwer entsagt das Aug der offnen Ferne,
Schwer das Ohr dem Meereswellenschlage –
Unter kältre Sonnen, blaßre Sterne
Folget mir, ihr Inselwandertage,
Und umklingt mich dort, wie eine Sage...[95]
Napoleon im Kreml
Er nickt mit seinem großen Haupt
Am Feuer eines fremden Herds:
Im Traum erblickt er einen Geist,
Der seines Purpurs Spange löst.
Der Dämon schreit mit wilder Gier:
»Mich lüstet nach dem roten Kleid!
In ungezählter Menschen Blut
Getaucht, verfärbt der Purpur nicht!«[95]
Die beiden rangen Leib an Leib.
»Gib her!« »Gib her!« Der Dämon fleucht
Mit spitzen Flügen durch die Nacht
Und schleift den Purpur hinter sich.
Und wo der Purpur flatternd fliegt,
Sprühn Funken, lodern Flammen auf!
Der Korse fährt aus seinem Traum
Und starrt in Moskaus weiten Brand.[96]
Die Korsin
Als das Mütterlein erkrankt,
Zog es ächzend aus die Schuh',
Ist dem Bettlein zugewankt,
Bettet' sich zur ew'gen Ruh,
Seine Haare weiß wie Flachs,
Seine Füße gelb wie Wachs –
Statt wie Mütterlein zu tun,
Sterb ich stracks in meinen Schuhn!
Heute war ich in der Stadt
Mit dem letzten Silberling,
Schaute, was der Krämer hat,
Kramte weder Kreuz noch Ring,
Kaufte Mehl von Weizenkorn
Und ein volles Pulverhorn –
In die freien Berge nun
Lauf ich stracks in meinen Schuhn!
Reiten just die Blauen1 aus,
Trinken beim Battista Wein,
Laden scharf am Zollerhaus,
Sprengen ins Gebirg hinein...
Rasch zur Linken abgeschweift!
Psss... Die erste Kugel pfeift –
Nächtens bei dem Liebsten ruhn
Werd ich stracks in meinen Schuhn![96]
Fußnoten
1 Die Gendarmerie.
Der Gesang des Meeres
Wolken, meine Kinder, wandern gehen
Wollt ihr? Fahret wohl! Auf Wiedersehen!
Eure wandellustigen Gestalten
Kann ich nicht in Mutterbanden halten.
Ihr langweilet euch auf meinen Wogen,
Dort die Erde hat euch angezogen:
Küsten, Klippen und des Leuchtturms Feuer!
Ziehet, Kinder! Geht auf Abenteuer!
Segelt, kühne Schiffer, in den Lüften!
Sucht die Gipfel! Ruhet über Klüften!
Brauet Stürme! Blitzet! Liefert Schlachten!
Traget glühnden Kampfes Purpurtrachten!
Rauscht im Regen! Murmelt in den Quellen!
Füllt die Brunnen! Rieselt in die Wellen!
Braust in Strömen durch die Lande nieder –
Kommet, meine Kinder, kommet wieder!
Das Strandkloster
Bollwerk und Mauer trutzen
Dem Wellenwurf schon ein Jahrtausend ja,
Wir singen, elf Kapuzen,
Ein kräftig schallend Deo Gloria!
Die Kutten, stark gewoben,
Umhingen uns in braunen Lappen lang,
Sie sind gemach verstoben,
Die Stäubchen irren durch den Klostergang.
Die Orgel im Empore
Spielt unser zwölftes totes Brüderlein,
Hier rieselt uns im Chore
Der morsche Kalk sanft ins Geripp herein.[97]
Es glitt vor tausend Jahren
Dem Strand ein Sarazenensegel nah,
Sobald's vorbeigefahren,
Anstimmten wir ein kräftig Gloria.
Ergötzt von unserm Singen,
Nahm der Pirat zu uns zurück den Lauf,
Zwölf Köpfe ließ er springen,
Das Blut schoß wie aus Brunnenröhren auf.
Wir singen ohne Kehlen,
Wir sitzen fröhlich ohne Schädel da,
Wir singen mit den Seelen
Ein kräftig schallend Deo Gloria!
Der Morgenstrahl, der schiefe,
Durchs rechte Fenster äugelt er herein,
Vergoldend in der Tiefe
Ein lustiglich psallierend Totenbein.
Der Abendstrahl, der schräge,
Durchs linke Fenster blinzelt er herein,
Und zählt, ob allewege
Wir richtig unser elf Gespenster sei'n.
Oft übertäubt das Dröhnen
Des Meers die Noten unsrer Litanei,
Aus unsern Orgeltönen
Erhebt sich oft ein schriller Möwenschrei –
Bollwerk und Mauer trutzen
Dem Wellenwurf noch tausend Jahre ja ,
Wir singen, elf Kapuzen,
Ein kräftig schallend Deo Gloria![98]
Nicola Pesce
Ein halbes Jährchen hab ich nun geschwommen
Und noch behagt mir dieses kühle Gleiten,
Der Arme lässig Auseinanderbreiten –
Die Fastenspeise mag der Seele frommen![98]
Halb schlummernd lieg ich stundenlang, umglommen
Von Wetterleuchten, bis auf allen Seiten
Sich Wogen türmen. Männlich gilt's zu streiten.
Ich freue mich. Stets bin ich durchgekommen.
Was machte mich zum Fisch? Ein Mißverständnis
Mit meinem Weib. Vermehrte Menschenkenntnis.
Mein Wanderdrang und meine Farbenlust.
Die Furcht verlernt ich über Todestiefen,
Fast bis zum Frieren kühlt ich mir die Brust –
Ich bleib ein Fisch und meine Haare triefen![99]
Zwiegespräch
Sonne:
Meine Strahlen sind geknickte Speere,
Ich versank in blut'ger Heldenehre –
Abendröte:
Wie der Ruhm, will ich mit lichten Händen
In das nahe Dunkel Grüße spenden.
Sonne:
Folge deiner Sonne! Längs dem Strande
Schleppe nicht die dämmernden Gewande!
Abendröte:
Darf ich nicht ans Sterben mich gewöhnen
Mit den sanften, mit den grünen Tönen?
Sonne:
Eile dich! Bevor den jungen Helden
Eines neuen Tages Fackeln melden!
Abendröte:
Ich bin dein, dir folg ich unaufhaltsam!
Ich bin dein, doch zieh mich nicht gewaltsam...
Flut und Ebbe
In einem fernen umbrandeten Land
Spielen die Mädchen ein Spiel an dem Strand,
Schreiten im Reigen, heiter gesinnt,
Wann zu steigen die Flut beginnt,
Weichen zurück in gemeßner Flucht
Aus der schwellenden Meeresbucht.
In den Gewässern ruhigklar
Werden sie krause Gestalten gewahr,
Rollt eine Woge, sie sehen ein Roß,
Sehn einen Reiter, bis er zerfloß.
»Schauet den Meermann! Garstig Gesicht!
Grinzende Larve, du haschest mich nicht!«
Aber das Meer es wächst und naht –
»Fliehet, ihr Schwestern! Sonst wird's zu spat!«
Alle sie stürzen in hastigem Lauf,
Gleiten, und reißen die Strauchelnden auf
Bis zu der Bank, wo die Ebbe beginnt,
Wo, wie sie wissen, das Wasser zerrinnt.
Dort ist gelagert der flüchtige Chor,
Zieht an dem Felsen die Füße empor,
Fleht in den Himmel mit brünstigem Schrein:
»Götter! ihr lasset die Unschuld allein?«
Aber die Flut, da den Raub sie berührt,
Hat das Verhängnis des Ebbens gespürt,
Und, wie erschreckt durch das maidliche Ach,
Gleitet sie nieder und fällt gemach! –
Gegen die Ziehnde mit drohendem Arm
Hebt sich verfolgend der blühende Schwarm:
»Höhnet die Feigen! Sie fliehn aus dem Krieg!
Kränzet die Locken und feiert den Sieg!«
Also vergnügt sich das sterbliche Heer
Mit dem gelaßnen, dem ewigen Meer.
Möwenflug
Möwen sah um einen Felsen kreisen
Ich in unermüdlich gleichen Gleisen,
Auf gespannter Schwinge schweben bleibend,
Eine schimmernd weiße Bahn beschreibend,
Und zugleich in grünem Meeresspiegel
Sah ich um dieselben Felsenspitzen
Eine helle Jagd gestreckter Flügel
Unermüdlich durch die Tiefe blitzen.
Und der Spiegel hatte solche Klarheit,
Daß sich anders nicht die Flügel hoben
Tief im Meer, als hoch in Lüften oben,
Daß sich völlig glichen Trug und Wahrheit.
Allgemach beschlich es mich wie Grauen,
Schein und Wesen so verwandt zu schauen,
Und ich fragte mich, am Strand verharrend,
Ins gespenstische Geflatter starrend:
Und du selber? Bist du echt beflügelt?
Oder nur gemalt und abgespiegelt?
Gaukelst du im Kreis mit Fabeldingen?
Oder hast du Blut in deinen Schwingen?
Das Ende des Festes
Da mit Sokrates die Freunde tranken,
Und die Häupter auf die Polster sanken,
Kam ein Jüngling, kann ich mich entsinnen,
Mit zwei schlanken Flötenbläserinnen.
Aus den Kelchen schütten wir die Neigen,
Die gesprächesmüden Lippen schweigen,
Um die welken Kränze zieht ein Singen...
Still! Des Todes Schlummerflöten klingen![101]
5. Liebe
Alles war ein Spiel
In diesen Liedern suche du
Nach keinem ernsten Ziel!
Ein wenig Schmerz, ein wenig Lust,
Und alles war ein Spiel.
Besonders forsche nicht danach,
Welch Antlitz mir gefiel,
Wohl leuchten Augen viele drin,
Doch alles war ein Spiel.
Und ob verstohlen auf ein Blatt
Auch eine Träne fiel,
Getrocknet ist die Träne längst,
Und alles war ein Spiel.
Zwei Segel
Zwei Segel erhellend
Die tiefblaue Bucht!
Zwei Segel sich schwellend
Zu ruhiger Flucht!
Wie eins in den Winden
Sich wölbt und bewegt,
Wird auch das Empfinden
Des andern erregt.
Begehrt eins zu hasten,
Das andre geht schnell,
Verlangt eins zu rasten,
Ruht auch sein Gesell.
Hesperos
Über schwarzem Tannenhange
Schimmerst mir zum Abendgange,
Eine Liebe fühl ich neigen
Sich in deinem Niedersteigen,
Unbemerkt bist du gekommen,
Aus der blassen Luft entglommen.
So mit ungehörten Tritten,
Durch die Dämmrung hergeglitten,
Kam die Mutter, die mir legte
Auf die Schulter die bewegte
Hand, daß ich ihr nicht verhehle,
Was ich leide, was mich quäle,
Und warum ich ohne Klage
Mich verzehre, mich zernage.
Und ich schwieg und unter Zähren
Ließ sie meinen Trotz gewähren.
Hat sie Wohnung jetzt, die Milde,
Dort in deinem Lichtgefilde?
Deiner Strahlen saug ich jeden,
Durch das Dunkel hör ich reden,
– Und mir ist, als ob die kühle
Hand ich auf der Schulter fühle –,
Reden, nicht von Seligkeiten,
Nur Erinnrung alter Zeiten!
Jetzt versteht sie ohne Kunde
Wer ich bin im Herzensgrunde.
Dies und jenes muß sie schelten,
Andres läßt sie heiter gelten,
Und sie meint, wie sich's entschieden,
Gebe sie sich auch zufrieden...
Abendstern, du eilst geschwinde!
Laß sie plaudern mit dem Kinde!
Freundlich zitternd gehst du nieder...
Mutter, Mutter, komme wieder!
Das begrabene Herz
Mich denkt es eines alten Traums.
Es war in meiner dumpfen Zeit,
Da junge Wildheit in mir gor.
Bekümmert war die Mutter oft.
Da kam einmal ein schlimmer Brief.
– Was er enthielt, erriet ich nie –
Die Mutter fuhr sich mit der Hand
Zum Herzen, fast als stürb es ihr.
Die Nacht darauf hatt ich den Traum:
Die Mutter sah verstohlen ich
Nach unserm Tannenwinkel gehn,
Den Spaten in der zarten Hand,
Sie grub ein Grab und legt' ein Herz
Hinunter sacht. Sie ebnete
Die Erde dann und schlich davon.
Ohne Datum
(An meine Schwester)
Du scherzest, daß ein Datum ich vergaß,
Und meinst, ich dürfte bei dem Stundenmaß
Mit einem Federstriche mich verweilen.
Du schreibst: »Datiere künftig deine Zeilen!«
Doch war das Zählen meine Sache nie,
Nach dem Wievielten such ich stets vergebens,
Auch diese Zeilen, wie datier ich sie?
»Aus allen Augenblicken meines Lebens!«
Kurz ist und eilig eines Menschen Tag,
Er drängt, er pulst, er flutet, Schlag um Schlag,
Wie eines Herzens ungestümes Klopfen...
Wer teilt die Jagd des Bluts und seiner Tropfen?
Es ist der Sturm, der nie zur Rüste geht,
Die Wechselglut des Nehmens und des Gebens,
Und meine Haare flattern windverweht
In allen Augenblicken meines Lebens.[104]
Zu ruhn ist mir versagt, es treibt mich fort,
Die Stunde rennt – doch hab ich einen Hort,
Den keine mir entführt, in deiner Treue!
Sie ist die alte wie die ewig neue,
Sie ist die Rast in dieser Flucht und Flut,
Ein fromm Geleite leisen Flügelschwebens,
Sie ist der Segen, der beständig ruht
Auf allen Augenblicken meines Lebens.
Ich hemme die beschwingten Rosse nicht,
Ich freue mich, mit jedem neuen Licht,
Das Feld gestreckten Laufes zu durchmessen,
Ein fernes, dunkles Gestern zu vergessen,
Ich fliege – hinter mir versinkt die Zeit –
Im Morgensonnenstrahl verjüngten Strebens!...
Vorbei!... Nur du allein weißt noch Bescheid
Von allen Augenblicken meines Lebens.[105]
Die Ampel
An des Jahres Wende sprach ich: Muse,
Keiner Mutter Hand beschert mich! Gib mir
Du mein Angebinde, Muse! fleht ich.
In die Kammer, lauschend von dem Lager,
Sah ich bald der Schwestern eine schreiten.
Auf mein Tischchen setzt sie einer Ampel
Zarte Form mit schlankgeschweiften Henkeln,
Aber die mir keineswegs antik schien.
Ich erschrak. Was meinst du, Muse? Rätst du
Nächtlich auszufeilen meine Verse?
Schon entschwebend, wandte sie das Antlitz
Halb. Ich sah des Musenhauptes edeln
Umriß mit den spottend feinen Lippen...
Als ich dann in neuem Jahr erwachte,
Keine Ampel! Doch ich fand sie wieder –
Und erkannte gleich sie an der zarten
Form und an den schlankgeschweiften – Henkeln
In des Liebchens Hand, das mir die Treppe
Nächtlich hellt' mit stillen Ampelstrahlen.
Scheidend auf die letzte Stufe setzt' sie
Das Geschenk der Muse sacht und küßt' mich.
Unruhige Nacht
Heut ward mir bis zum jungen Tag
Der Schlummer abgebrochen,
Im Herzen ging es Schlag auf Schlag
Mit Hämmern und mit Pochen,
Als trieb sich eine Bubenschar
Wild um in beiden Kammern,
Gewährt hat, bis es Morgen war,
Das Klopfen und das Hammern.
Nun weist es sich bei Tagesschein,
Was drin geschafft die Rangen,
Sie haben mir im Herzensschrein
Dein Bildnis aufgehangen!
Der Kamerad
Mit dem Tode schloß ich Kameradschaft.
Über einem vollen Humpen saßen
Oft wir nächtens und philosophierten.
Auch zusammen gingen wir spazieren,
Lauschten mit elegischen Gefühlen
Nach dem Pilgerruf der Abendglocke.
Aber männlich auch an meiner Seite
Stand der Kamerad und sekundierte,
Oder wann ich im Gebirg verirrt war,
Hangend über schwindelnd tiefem Abgrund,
Sprach er: »Blick mir in das Auge ruhig!«
Und ich tat es und ich war gerettet.
Lange standen wir auf gutem Fuße,
Bis mich volles Leben überströmte
Glühend warm mit unbekannter Fülle,
Und mir schauderte vor meinem Freunde...
Als das Liebchen heute mir am Hals hing,
Über seine Schulter weg erblickt ich
Meines Kameraden leichten Umriß
Auf dem Abendhimmel und er grollte:
»Bin ich dir verleidet? Deine feigen[106]
Lippen meiden meinen schlichten Namen?
Ist das hübsch von einem Kameraden?«
In demselben Augenblick umarmte
Liebchen mich und rief: »So möcht ich sterben!
Komme, Tod, und raub mich, Tod, im Kusse!«
Und der Tod, von schwellend jungen Lippen
Heiß und leidenschaftlich angerufen,
Hörte seinen Namen mit Vergnügen.
Über sein geheimnisvolles Antlitz
Glitt ein Leuchten und er schied in Minne.[107]
Spielzeug
Liebchen fand ich spielend. Einen Kasten
Hatte sie entdeckt voll längstvergeßnen,
Staub'gen Kinderspielzeugs: Mauern, Tore,
Rathaus, Häuser, Häuserchen und Kirche...
Sie erbaut' das Städtchen mit gelenken
Händen, stellt' den Kirchturm in die Mitte.
Doch ein Häuschen hatt sie vorbehalten,
Vorbehalten sieben grüne Pappeln
Für ein allerliebstes kleines Landgut.
Nicht zu nah! Im Städtchen klatscht man sündlich.
Nicht zu ferne! Man bedarf der Menschen.
»Eben sind wir eingezogen!« jubelt'
Sie und klatscht' in ihre kleinen Hände.
In der Wonne des erworbnen Heimes
Riß ich Liebchen an mich so gewaltsam,
Daß den Arm sie streckte wie ertrinkend...
Was erwischte sie mit schnellen Fingern,
Eng an meine Brust gepreßt? Die Kirche,
Ja die Kirche mit dem roten Dach war's.
Und sie stellt' sie dicht vor unser Landhaus.
Weihgeschenk
Heute deiner zu gedenken,
Deren Grab die Nacht betaut,
Nahen wir mit Weihgeschenken
Und gedämpftem Klagelaut![107]
Warum war dir's nicht gegeben,
Mutig deinen Tag zu leben?
Chor:
Warum schwandst du vor dem Ziel,
Allerlieblichstes Gespiel?
Braune, schwermutvolle Augen,
Öffnet euch ein letztes Mal!
Laßt aus euren Tiefen saugen
Mich noch einen süßen Strahl!
O wie hatt ich euch so gerne,
Traute, träumerische Sterne –
Chor:
Sanften Schlummer, gute Ruh!
Tu die Augen wieder zu.
Wie das Schüttern zarter Saiten
Schlichen sich in jedes Herz
Deine stillen Lieblichkeiten,
Deiner Züge leiser Schmerz!
Feuchte Waldesschatten lagen
Über dir in Lenzestagen –
Chor:
Schwermut, Königin der Nacht,
Hat ihr Mägdlein umgebracht.
Wie ein Reh dem Wald entronnen,
Das ein üppig Tal entdeckt,
Nahtest schüchtern du dem Bronnen,
Bebst, vom eignen Bild erschreckt!
Ängstlich, wo sich Wege teilen,
Seh ich zweifeln dich und weilen –
Chor:
Ohne Glauben an das Glück,
Flohst ins Dunkel du zurück!
Zeigte jung ein arger Spiegel
Dir den Wurm in jeder Frucht?
Schwebte nahen Todes Flügel
Über dir mit Eifersucht?
Nie hat dich ein Arm umschlossen,[108]
Liebe hast du nie genossen –
Chor:
In der Sel'gen keuschen Hain
Tratest unvermählt du ein.
Willig stiegest du die Stufen
Nieder in dein frühes Grab,
Wandtest dich, von uns gerufen,
Lächelnd um – und stiegst hinab!
Mit gelassener Gebärde
Schiedest du vom Grün der Erde –
Chor:
Ließest du das süße Licht,
Doch vergessen bist du nicht![109]
Der Blutstropfen
Zur Zeit der Lese war's im Winzerhaus.
Des Herdes goldne Flamme prasselte,
Die Fensterscheiben überhauchten sich
Und draußen scholl das Evoe geisterhaft
Aus Nebeldämmer. Becher klangen. Jung
Und alt empfand die bacchische Gewalt.
Mit einem zarten Schimmer röteten
Selbst ihr die Wangen sich, die unser Gast
Und dieser Erde Gast nicht lange war,
Ein stilles, scheues, ungezähmtes Kind.
Zum Reigen rief Lyäus. Jene schlich
Sich weg. Ins Freie blickte sie hinaus
Durchs Fenster. Dann beschrieb sie träumerisch,
Die ganz sich unbeachtet Wähnende,
Die Scheibe mit dem Finger. Weh! umstellt,
Belauert wurde sie von einem Schwarm
Und überfallen. Rasch in Trümmer schlug,
Das Antlitz glutbedeckt, die Scheibe sie,
Sich selbst verwundend. Dieses Tüchlein hier,
Das als Reliquie mir im Schreine liegt,
Fing, über die verletzte Hand gelegt,
Das Quellen eines Tropfen Blutes auf,
Der warm ihr eben erst im Herzen rann.[109]
Jung schwand sie hin, und kein Lebend'ger weiß,
Was dort geschrieben auf der Scheibe stand –
Als dieser bleiche Tropfen Bluts vielleicht.[110]
Stapfen
In jungen Jahren war's. Ich brachte dich
Zurück ins Nachbarhaus, wo du zu Gast,
Durch das Gehölz. Der Nebel rieselte,
Du zogst des Reisekleids Kapuze vor
Und blicktest traulich mit verhüllter Stirn.
Naß ward der Pfad. Die Sohlen prägten sich
Dem feuchten Waldesboden deutlich ein,
Die wandernden. Du schrittest auf dem Bord,
Von deiner Reise sprechend. Eine noch,
Die längre, folge drauf, so sagtest du.
Dann scherzten wir, der nahen Trennung klug
Das Angesicht verhüllend, und du schiedst,
Dort wo der First sich über Ulmen hebt.
Ich ging denselben Pfad gemach zurück,
Leis schwelgend noch in deiner Lieblichkeit,
In deiner wilden Scheu, und wohlgemut
Vertrauend auf ein baldig Wiedersehn.
Vergnüglich schlendernd, sah ich auf dem Rain
Den Umriß deiner Sohlen deutlich noch
Dem feuchten Waldesboden eingeprägt,
Die kleinste Spur von dir, die flüchtigste,
Und doch dein Wesen: wandernd, reisehaft,
Schlank, rein, walddunkel, aber o wie süß!
Die Stapfen schritten jetzt entgegen dem
Zurück dieselbe Strecke Wandernden:
Aus deinen Stapfen hobst du dich empor
Vor meinem innern Auge. Deinen Wuchs
Erblickt ich mit des Busens zartem Bug.
Vorüber gingst du, eine Traumgestalt.
Die Stapfen wurden jetzt undeutlicher,
Vom Regen halb gelöscht, der stärker fiel.
Da überschlich mich eine Traurigkeit:
Fast unter meinem Blick verwischten sich
Die Spuren deines letzten Gangs mit mir.
Wetterleuchten
Im Garten schritt ich durch die Lenzesnacht.
Des Jahres erste Blitze loderten.
Die jungen Blüten glommen feuerrot
Und blichen wieder dann.
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