Ein schönes Spiel,
Davor ich stillehielt. Da sah ich dich!
Mit einem Blütenzweige spieltest du,
Die junggebliebne Tote! Durch die Hast
Und Flucht der Zeit zurück erkannt ich dich,
Die just des Himmels Feuer überglomm.
Erglühend standest du, wie dazumal,
Da dich das erste Liebeswort erschreckt,
Du Ungebändigte, du Flüchtende!
Dann mit den Blüten wieder blichest du.
Lethe
Jüngst im Traume sah ich auf den Fluten
Einen Nachen ohne Ruder ziehn,
Strom und Himmel stand in matten Gluten
Wie bei Tages Nahen oder Fliehn.
Saßen Knaben drin mit Lotoskränzen,
Mädchen beugten über Bord sich schlank,
Kreisend durch die Reihe sah ich glänzen
Eine Schale, draus ein jedes trank.
Jetzt erscholl ein Lied voll süßer Wehmut,
Das die Schar der Kranzgenossen sang –
Ich erkannte deines Nackens Demut,
Deine Stimme, die den Chor durchdrang.
In die Welle taucht ich. Bis zum Marke
Schaudert ich, wie seltsam kühl sie war.
Ich erreicht die leise ziehnde Barke,
Drängte mich in die geweihte Schar.[111]
Und die Reihe war an dir zu trinken,
Und die volle Schale hobest du,
Sprachst zu mir mit trautem Augenwinken:
»Herz, ich trinke dir Vergessen zu!«
Dir entriß in trotz'gem Liebesdrange
Ich die Schale, warf sie in die Flut,
Sie versank und, siehe, deine Wange
Färbte sich mit einem Schein von Blut.
Flehend küßt ich dich in wildem Harme,
Die den bleichen Mund mir willig bot,
Da zerrannst du lächelnd mir im Arme
Und ich wußt es wieder – du bist tot.[112]
Einer Toten
Wie fühl ich heute deine Macht!
Als ob sich deine Wimper schatte
Vor mir auf diesem ampelhellen Blatte
Um Mitternacht!
Dein Auge sieht
Begierig mein entstehend Lied.
Dein Wesen neigt sich meinem zu,
Du bist's! Doch deine Lippen schweigen –
Und liesest du ein Wort, das zart und eigen,
Bist's wieder du,
Dein Herzensblut,
Indes dein Staub im Grabe ruht.
Mir ist, wann mich dein Atem streift,
Der ich erstarkt an Kampf und Wunden,
Als seist in deinen stillen Grabesstunden
Auch du gereift
An Liebeskraft,
An Willen und an Leidenschaft.[112]
Die Marmorurne setzten dir
Die Deinen – um dich zu vergessen,
Sie erbten, bauten, freiten unterdessen,
Du lebst in mir!
Wozu beweint?
Du lebst und fühlst mit mir vereint![113]
Ihr Heim
Lang vorüber ging ich den Gehegen,
Drin der Giebel deines Heimes ragt,
Dieser Pforte, diesen Schattenwegen!
Wer da wohne, hab ich nicht gefragt.
Wer da wohne
Hinter einer dunkeln Lindenkrone,
Hat das Herz mir nicht vorausgesagt.
Pfade liefen durch die feuchte Wiese,
Kleine Sohlen sah ich hier und dort
Eingezeichnet auf dem weichen Kiese,
Aber meines Weges zog ich fort.
Ich begehrte
Zu verfolgen nicht die flücht'ge Fährte,
Zu betreten nicht den stummen Ort.
Auch ein Rauschen hört ich aus der Linde,
Die der Hauch der Abendlüfte bog;
»Komme, Wandrer«, rief es, »komm und finde!«
Während rascher ich des Weges zog.
Ich vertraute
Dem Versprechen nicht der Geisterlaute,
Deren Wehn mir oft das Herz betrog.
Und den Stern der Liebe sah ich eilen
Dort zum dunkelscharfen Bergesrand,
Auf dem schlanken Giebel blitzend weilen
Wie ein zitternd Feuer, eh er schwand.
Im Entweichen
Gab der Freund am Himmel mir ein Zeichen,
Wann er über meinem Glücke stand.[113]
Längst versunken glaubt ich's in die Ferne,
Das so nahe mir verborgen lag!
Wer versteht den stillen Wink der Sterne
Vor dem rechten, dem bestimmten Tag?
Vor der Stunde,
Die ihn zieht zu dem ersehnten Bunde,
Den nicht Tod noch Leben trennen mag?
Lang vorüber ging ich deiner Liebe
Durch den Staub des Lebens unbewußt,
Daß zur Wonne mir die Klage bliebe,
Und ein leiser Schmerz in sel'ger Brust –
Schmerz und Klage
Über ohne dich verdarbte Tage,
Die mit deinem Kuß du stillen mußt.[114]
Liebesjahr
Hat sich die Kelter gedreht? Tanzt dort mit dem Laub eine Flocke?
Zuckte der Blitz im August? Blühten die Kirschen im Mai?
Blüten und Ähren und Trauben erblickt ich in schwellendem Kranz nur
Um das geliebteste Haupt und ich erblicke sie noch.
Weihnacht in Ajaccio
Reife Goldorangen fallen sahn wir heute, Myrte blühte,
Eidechs glitt entlang der Mauer, die von Sonne glühte.
Uns zu Häupten neben einem morschen Laube flog ein Falter –
Keine herbe Grenze scheidet Jugend hier und Alter.
Eh das welke Blatt verweht ist, wird die Knospe neu geboren –
Eine liebliche Verwirrung, schwebt der Zug der Horen.
Sprich, was träumen deine Blicke? Fehlt ein Winter dir, ein bleicher?
Teures Weib, du bist um einen lichten Frühling reicher![114]
Liebst du doch die langen Sonnen und die Kraft und Glut der Farben!
Und du sehnst dich nach der Heimat, wo sie längst erstarben?
Horch! durch paradieseswarme Lüfte tönen Weihnachtsglocken!
Sprich, was träumen deine Blicke? Von den weißen Flocken?[115]
Schneewittchen
Schneewittchen hast im Scherz du dich genannt,
Da plaudernd einst zusammen wir gesessen,
Der Augen tiefes Blau, die Elfenhand,
Des Nackens Blondgekraus, wer kann's vergessen?
Noch jüngst – ich schritt ein hohes Tal entlang,
Es war gekrönt mit sieben Silberspitzen,
Die von dem himmelnahen Felsenhang
Herunter auf die grünen Pfade blitzen –
»Schneewittchen!« rief ich laut und unbewußt,
»Schneewittchen hinter deinen sieben Bergen!
Führst droben pünktlich du mit kühler Brust
Den kleinen Haushalt deinen sieben Zwergen?«
Ein spottend Echo nur antwortet' mir,
Die Felsstirn rümpfte lachend ihre Falten;
Und doch, und doch, mir war's, ich hätt von dir,
Schneewittchen! einen lieben Gruß erhalten.
Hirtenfeuer
Ließest unter uns dich nieder,
Liebe, liebenswerte Frau,
Aber heute ziehst du wieder,
Wie die Sterne ziehn im Blau.
Siehst den Abendstern du blinken
Dort vor seinem Untergang?
Einen Augenblick im Sinken
Ruht er auf dem Bergeshang.[115]
In der flüchtigen Minute,
In dem eilenden Moment
Ist's, als ob er gastlich ruhte,
Wie ein Hirtenfeuer brennt.
Aber nur die kleinste Weile
Bringt er auf der Erde zu,
Sieh – er zittert ja vor Eile
Und verschwindet, Frau, wie du.[116]
Laß scharren deiner Rosse Huf!
Geh nicht, die Gott für mich erschuf!
Laß scharren deiner Rosse Huf
Den Reiseruf!
Du willst von meinem Herde fliehn?
Und weißt ja nicht, wohin, wohin
Dich deine Rosse ziehn!
Die Stunde rinnt! Das Leben jagt!
Wir haben uns noch nichts gesagt
Bleib bis es tagt!
Du darfst aus meinen Armen fliehn?
Und weißt ja nicht, wohin, wohin
Dich deine Rosse ziehn...
Dämmergang
Du lebst meerüber
In blauer Ferne
Und du besuchst mich
Beim ersten Sterne.
Ich mach im Felde
Die Dämmerrunde,
Umbellt, umsprungen
Von meinem Hunde.[116]
Es rauscht im Dickicht,
Es webt im Düster,
Auf meine Wange
Haucht warm Geflüster.
Das Weggeleite
Wird trauter, trauter,
Du schmiegst dich näher,
Du plauderst lauter.
Da gibt's zu schelten,
Da gibt's zu fragen,
Und hell zu lachen
Und leis zu klagen.
Was wedelt Barry
So glückverloren?
Du kraust dem Liebling
Die weichen Ohren...[117]
Die tote Liebe
Entgegen wandeln wir
Dem Dorf im Sonnenkuß,
Fast wie das Jüngerpaar
Nach Emmaus,
Dazwischen leise
Redend schritt
Der Meister, dem sie folgten,
Und der den Tod erlitt.
So wandelt zwischen uns
Im Abendlicht
Unsre tote Liebe,
Die leise spricht.
Sie weiß für das Geheimnis
Ein heimlich Wort,
Sie kennt der Seelen
Allertiefsten Hort.
Sie deutet und erläutert
Uns jedes Ding,[117]
Sie sagt: So ist's gekommen.
Daß ich am Holze hing.
Ihr habet mich verleugnet
Und schlimm verhöhnt,
Ich saß im Purpur,
Blutig, dorngekrönt,
Ich habe Tod erlitten,
Den Tod bezwang ich bald,
Und geh in eurer Mitten
Als himmlische Gestalt –
Da ward die Weggesellin
Von uns erkannt,
Da hat uns wie den Jüngern
Das Herz gebrannt.[118]
Mit einem Jugendbildnis
Hier – doch keinem darfst du's zeigen,
Solche Sanftmut war mir eigen,
Durfte sie nicht lang behalten,
Sie verschwand in harten Falten,
Sichtbar ist sie nur geblieben
Dir und denen, die mich lieben.[118]
6. Götter
Die Schule des Silen
In der schattendunkeln Laube gab Silen, der weise, Stunde,
Der ihm weich ans Knie geschmiegte Bacchus hing an seinem Munde,
Lieblich lauschend.
Unter seinem krausen Barte lachte schelmisch der Ergraute,
Da er in das milde Feuer junger Götteraugen schaute,
Dann begann er:
»Kind, betrachte dieses Antlitz, die gedankenschweren Lider!
Kind, in jedem greisen Zecher ehre du die Züge wieder
Deines Lehrers.
Oft, wo die Veliten wankten, jene prahlerischen Knaben,
Sind es die Triarier, Liebling, die das Feld behauptet haben
Unerschüttert!
Wenn auf Chios mit dem Mädchen teilt den Becher der Ephebe,
Laß sie nippen, laß sie kosen – mit der vollsten Schale schwebe
Du vorüber.
Lenke deine götterleichten Schritte zu Homer, dem alten,
Netze seine heil'gen Lippen, glätte seiner Stirne Falten,
Wundertäter!
Lös ihm jeder Erdenschwere Fessel mit der Hand, der milden,
Fülle du des Blinden Auge mit unsterblichen Gebilden,
Ewigschönen!«
Pentheus
Sie schreitet in bacchisch bevölkertem Raum,
Mit wehenden Haaren ein glühender Traum,
Von Faunen umhüpft,
Um die Hüfte den Gürtel der Natter geknüpft.
Melodisch gewiegt und von Eppich umlaubt,
Ein flüsterndes rücklings geworfenes Haupt –
»Ich opfre mich dir.
Verzehre, Lyäus, was menschlich in mir!«
»Agave!« ruft's, und der bacchische Schwarm
Zerstiebt und der Vater ergreift sie am Arm.
»Weg, trunken Gesind!
Erwach und erröte, verlorenes Kind!
Du dienst einem Gaukler!« Im Schutz des Gewands
Verhüllt er den Busen, entreißt ihr den Kranz –
Wild hebt sie den Stab.
Sie schlug! Aufstöhnt, der das Leben ihr gab.
»Ich glaube den Gott! Ich empfinde die Macht!
Ich strafe den Frevler, der Götter verlacht!
Wer bist du, Gesicht?
Ich bin die Bacchantin! Ich kenne dich nicht!«
Er betrachtet sein Kind. Er erstaunt. Er erblaßt.
Er entspringt, von entsetzlichem Grauen erfaßt.
Er flieht im Gefild,
Ein rennender Läufer, ein hastendes Wild.
»Herbei, alle Schwestern! Mänaden, herbei!«
Erhebt sie den Weidruf, das helle Geschrei.
»Zur Jagd! Zur Jagd!«
– »Wir folgen dir, blonde, begeisterte Magd!«
Sie jagen den König, Agave vorauf,
Er stürzt in den Strom und erneuert den Lauf
Am andern Gestad,
Auf spritzen die Wasser, sie springen ins Bad.[120]
Er wirbelt mit bebenden Füßen den Staub,
Es dämmert – die Bacchen verfolgen den Raub –
Es dämmert empor
Ein Fels ohne Pfad, eine Wand ohne Tor.
Er steht und er starrt an die grausige Wand,
Da trifft ihn der Thyrsus in rasender Hand –
Nacht schwebt heran
Und erschrickt und verhüllt, was Agave getan.[121]
Vor einer Büste
Bist du die träumende Bacche? Der Sterblichen lieblichste bist du!
Still in den Winkeln des Munds lächelt ein grausamer Zug.
Die sterbende Meduse
Ein kurzes Schwert gezückt in nerv'ger Rechten,
Belauert Perseus bang in seinem Schild
Der schlummernden Meduse Spiegelbild,
Das süße Haupt mit müden Schlangenflechten.
Zur Hälfte zeigt der Spiegel längs der Erde
Des jungen Wuchses atmende Gebärde –
»Raub ich das arge Haupt mit raschem Hiebe,
Verderblich der Verderberin genaht?
Wenn nur die blonde Wimper schlummern bliebe!
Der Blick versteint! Gefährlich ist die Tat.
Die Mörderin! Sie schließt vielleicht aus List
Die wachen Augen! Sie, die grausam ist!
Durch weiße Lider schimmert blaues Licht
Und – zischte dort der Kopf der Natter nicht?«
Medusen träumt, daß einen Kranz sie winde,
Der Menschen schöner Liebling der sie war,
Bevor die Stirn der Göttin Angebinde
Verschattet ihr mit wirrem Schlangenhaar.
Mit den Gespielen glaubt sie noch zu wandern
Und spendet ihnen lockenschüttelnd Grüße,
In blühndem Reigen regt sie mit den andern[121]
Die freudehellen, die beschwingten Füße,
Ihr Antlitz hat vergessen, daß es töte,
Es glaubt, es glaubt an die barmherz'ge Lüge
Des Traums. Es lauscht dem Hauch der Hirtenflöte,
Der weichmelodisch zieht durch seine Züge.
Es lächelt still, von schwerem Bann befreit,
In unverlorner erster Lieblichkeit.
Der Mörder tritt an ihre Seite dicht
Und dunkler träumt Medusens Angesicht.
Ihr ist, sie habe Haß empfunden schon,
Vor sich geschaudert, dumpf und bang gelitten.
Die Menschen habe scheu sie erst geflohn,
Dann ihnen nachgestellt mit Meuchlerschritten –
Sie sinnt, was Unheilbares sie gequält,
Daß sie dem eignen Leben feind geworden,
Und andres Leben sich ergötzt zu morden –
Sie sinnt umsonst. Ihr hält's der Traum verhehlt.
Die grause Larve, die sie lang geschreckt,
Ist wie mit einem Purpurtuch bedeckt.
Das Graun ist aufgelöst in Seligkeit,
Begonnen hat der Seele Feierzeit.
Der Dämmer herrscht. Das harte Licht verblich.
Als eine der Erlösten fühlt sie sich.
Sie fürchtet keines Schreckens Wiederkehr,
Sie weiß, die Qualen kommen nimmermehr,
Nein, nimmermehr, und nun ist alles gut!
Sie liegt, den Hals gebogen, auf dem Rasen,
Sie hört die Hirtenflöte wieder blasen
Und lauscht. Sie zuckt. Sie windet sich. Sie ruht.[122]
Nächtliche Fahrt
Ein Schiff befuhr das Meer. Aufrauschend quoll
Die Flut am Kiel. Er suchte Pylos' Strand.
Das Steuer führt' ein Jüngling kummervoll,
Dem früh des Vaters Rat und Hilfe schwand.[122]
Der Glückbedürft'ge hieß Telemachos
Und schaute nach des Segels nächt'gem Flug,
Dicht neben ihm der hohe Fahrtgenoß,
Athene war's, die Mentors Züge trug.
Unendlich brach hervor der Sterne Heer,
Die lichten Waller wußten ihre Bahn...
Da sprach die Tochter Zeus' auf dunkelm Meer:
»Zusammenrufen wir die Götter an!«
Die Hände, wie der Staubgeborne fleht,
Erhob sie ausgebreitet in die Nacht –
Und sie erhörte selber das Gebet,
Von ihr für den Verlaßnen dargebracht.[123]
Der Stromgott
Morgengraun. Die Karawane windet sich dem Nil zur Seite,
Eine Rede dröhnt und murmelt über dunkler Stromesbreite.
Längs dem Ufer nippen durstig silbergraugeperlte Tauben,
Trinken Ibisse mit blankem Flügelpaar und schwarzen Hauben.
Nil, der segenreiche Vater, sorgt für alle seine Kinder,
Speist und tränkt aus seiner Fülle keines mehr und keines minder –
Neben einem braunen Reiter ein gebundner Knabe wandelt,
Joseph ist's, von seinen Brüdern in die Sklaverei verhandelt.
Taub' und Ibis flattern nur um wenig Flügelschläge weiter.
Joseph lauscht des Stromes Worten. Ruhig sitzt der stumme Reiter.
»Knabe, deine Blicke trauern! Jüngling, deine Füße bluten!
Dich verkauften deine Brüder... Sei willkomm an meinen Fluten!
Joseph, fremder Knabe Joseph, du gefesselter, du müder,
Bist du einst der Herr der Ernten, speise deine schlimmen Brüder![123]
Knabe Joseph!« rauscht es dumpfer. Das erstaunte Kind in Banden
Tröstet sich des güt'gen Grußes, bleibt er auch ihm unverstanden.
Auf des Niles weiten Wassern ist des Stromgotts Wort verschollen,
Nur ein Antlitz schwimmt und schimmert, dessen Haare lockig rollen...
Jetzt beleben sich die Pfade. Schiffe blähen ihre Flügel.
Kleebeladene Kamele wandern, sanftbewegte Hügel.
Frauen kommen mit dem schlanken Kruge, die gemessen schreiten
In verhülltem, stillem Zuge, wie die Jahre, wie die Zeiten...
Aus der ahnungsvollen Ferne ragen Spitzen, hell besonnte,
Steigen wie beschneite Gipfel weiß am reinen Horizonte –
Joseph schaut empor zum Reiter: »Mit dir meiner Väter Frieden!
Herr, wie nennst du dort die Berge?« »Kind, du schaust die Pyramiden!«[124]
Thespesius
Zwei Greise ruhten unter einer Pinie,
Stab neben Stab, an einer Quelle klarer Flut,
Wo wandernd sie begegnet sich von ungefähr.
Sie führten Zwiegespräch und sie behagten sich.
– »Man nennt mich Eukrates, und wer, mein Freund, bist du?«
– »Mich nannten Aridäus lange Jahre sie,
Seit langen Jahren bin ich nun Thespesius.«
– »Zwei Namen trugst du?« – »Beide Namen, Eukrates.
Hör an! Ein Jüngling, peitscht ich rasend das Gespann.
Die Rosse flogen. Becher, Buhlen, Würfelspiel,
Wut, Zorn, vergossen Blut – verklagend Blut!
Dem ich entfloh, die Eumeniden hinter mir.
Sie folgten meiner raschen Füße schnellstem Lauf,
Ich warf mich in den Fluß, sie sprangen jauchzend nach[124]
Und hoben schwimmend ihrer Fackeln düstre Glut.
Ich klomm bergan – verirrt stürzt ich von einer Wand –
Die Sinne schwanden mir. Dann lebt ich wieder – war's
Im Traum? – und schritt auf einem weichen Wiesengrün,
Wo Sel'ge, solche schienen sie, lustwandelten
In still bewegten Scharen. Kränze trugen sie.
Den einen kannt' ich wohl und ward von ihm erkannt:
Mein Blutsverwandter, welcher jüngst geschwunden war
Aus dieser Erde Staub nach einem reinen Lauf.
Der sprach mich an: ›Ich grüße dich, Thespesius!‹
›Wozu der neue Name, wundersamer Ohm?
Wie nennst du mich? Dein Aridäus bin ich ja!‹
Die Locken schüttelt' leis er, die ambrosischen,
Und abermals: ›Ich grüße dich, Thespesius!‹...
Jetzt wacht ich wirklich auf. Am Hange lag
Ich blutbefleckt, von gier'gen Raben schon umschwärmt.
Was mehr? Ich ward ein andrer. Nicht mit kleinem Kampf!
Der Kampf ist groß! Mein neuer Name stärkte mich,
Der makellose, der so rein und göttlich klang!
Hab gute Fahrt!« – »Fahr wohl auch du, Thespesius!«[125]
Der trunkene Gott
Weiße Marmorstufen steigen
Durch der Gärten laub'ge Nacht,
Schlanke Palmenfächer neigen
In des Himmels blaue Pracht.
Über Tempeln, Hainen, Grüften
Zecht in abendweichen Lüften
Alexanders Lieblingsschar;
Knieend bietet ihm ein Knabe,
Daß der Erde Herr sich labe,
Wein in edler Schale dar.
Herrlich ist's, den Wein zu schlürfen,
Lagernd in der Götter Rat,
Zwischen schwelgenden Entwürfen
Und der wundergleichen Tat!
Goldne Becher überquellen,
Ruhmesgeister mit den hellen[125]
Helmen tauchen aus der Flut –
Goldne Schalen überschäumen,
Geister, die gebunden träumen,
Steigen auf in Zornesglut.
Kleitos neben Philipps Sohne
Furcht die Stirne kummervoll,
Der benarbte Mazedone
Schlürft im Weine Gram und Groll:
Er gedenkt der Heergenossen,
Die die erste Phalanx schlossen
In den Bergen kühl und fern –
Seinen dunkeln Mut zu kränken
Lüstet es den schönen Schenken
Lagernd an dem Knie des Herrn.
Die erhabne Stirn und Braue
Träumt den Zug ins Inderland,
Lauschend liest den Traum das schlaue
Kind, den Blick emporgewandt:
»Bacchus bist du, der belaubte,
Mit dem schwärmerischen Haupte,
Der ins Land der Sonne zieht!
Ohne Heer kannst du bezwingen,
Nur den Thyrsus darfst du schwingen,
Winke nur und Indien kniet!«
Finster grollt der alte Streiter:
»Durch der Wüste heißen Sand?
Immer ferner, immer weiter?
Nach des Indus Fabelstrand?
Kann ein Wink dir Sieg erwerben,
Warum bluten, warum sterben
Wir für dich? Zu deinem Spott?
Lebende kannst du belohnen,
Deine toten Mazedonen,
Wecke sie, bist du ein Gott!« –
– »Welchen dampfenden Altares
Freust du auf der Erde dich?
Bist du die Gewalt des Ares,[126]
Helmumflattert, fürchterlich?
Herr, bevor den niedern Talen
Du dich nahtest ohne Strahlen,
Welches war dein himmlisch Amt?
Bist du Zeus? Bist du ein andrer?
Bist du Helios, der Wandrer,
Dessen Stirne sonnig flammt?«
Grimmig neigt der graue Fechter
Sich zum Ohr des Gottes hin,
Mit unseligem Gelächter
Rührt er an der Schulter ihn:
»Gast des Himmels, warum sinken
Haupt und Schulter dir zur Linken?1
Lastet dir der Erde Raub?
Mit den Göttern willst du zechen?
Spotten hör ich dein Gebrechen:
Alexander, du bist Staub!«
Eine zürnende Gebärde!
Blitz und Sturz! Ein Gott in Wut!
Ein Erdolchter an der Erde
Windet sich in seinem Blut...
In den Abendlüften Schauer,
Ein verhülltes Haupt in Trauer,
Ausgerast und ausgegrollt!
Marmorgleich versteinte Zecher,
Und ein herrenloser Becher,
Der hinab die Stufen rollt.[127]
Fußnoten
1 Alexander war schief, seine rechte Schulter etwas höher als die schwächere linke.
Der Botenlauf
Blicke gen Himmel gewandt, gebreitete flehende Arme!
Murmeln und schallender Ruf knieender Mädchen und Fraun:
»Götter, beflügelt den Boten! Entscheidung, lieber als Bangnis!
Seit sich die Sonne erhob, ringen die Stadt und Tarquin.
Siehe, die Sonne versinkt! Mitkämpfer, Castor und Pollux,
Denkt der verlassenen Fraun, sendet den Boten geschwind!«[127]
Horch! Achthufig Geklirr bergan. Zwei befreundete Reiter!
Schon am heiligen Quell spülen die Waffen sie rein.
Dann, zwei gewaltige Jünglinge, stehn auf der ragenden Burg sie,
Gegen die schauernden Fraun hat sich der eine gekehrt:
»Freude, knospendes Mädchen! Entschlossene Römerin, Freude!
Herrlicher Sieg ist erkämpft! Geht ihr entgegen dem Heer?«
Einer spricht's und der andere lauscht, zu dem Bruder gewendet.
Jetzt in das bleichende Licht springen die Rosse empor.
Einer der Jünglinge schwindet im Abend, es schwindet der andre,
Denn wie ein liebendes Paar lassen die Brüder sich nicht.
Über der römischen Feste gewaltigem, dunkelndem Umriß
Hebt sich in dämmernder Nacht seliges Doppelgestirn.[128]
Der Gesang der Parze
In der Wiege schlummert ein schönes Römerkind,
Die graue Parze sitzt daneben und spinnt.
Sie schweigt und spinnt. Doch ist die Mutter fort,
So singt die Parze murmelnd ein dunkles Wort:
»Jetzt liegst du, Kindlein, noch in der Traumesruh.
Bald, kleine Claudia, spinnest am Rocken du –
Du wachsest rasch und entwächst den Kleidlein bald!
Du wachsest schlank! Du wirst eine Wohlgestalt!
Die Fackel lodert und wirft einen grellen Schein,
Sie kleiden dich mit dem Hochzeitsschleier ein!
Die Knaben hüpfen empor am Festgelag
Und scherzen ausgelassen zum ernsten Tag.
Eine Herrin wandelt in ihrem eignen Raum,
Und ihre Mägd und die Sklaven atmen kaum.
Ihr ziemt, daß all die Hände geflügelt sind.
Ihr ziemt, daß all die Lippen gezügelt sind.
Die blühenden Horen schwingen im Reigen sich:
Dir ward ein Knabe, Julier, freue dich!
Doch wann die Freude schwebt und die Flöte schallt,
Dann« – singt die Parze – »kommt der Jammer bald,.[128]
Der Tiber flutet und überschwemmt den Strand,
Das bleiche Fieber steigt empor ans Land,
Der Rufer ruft und kündet von Haus zu Haus:
›Vernehmt! Den Julier tragen sie heut hinaus!‹
Jetzt, kleine Claudia, trägst du unträglich Leid!
In strenge Falten legst du dein Witwenkleid.
Dein Römerknabe springt dir behend vom Schoß,
Und grüßt dich helmumflattert herab vom Roß...
Die Tuben blasen Schlacht und sie blasen Sieg...
Da naht's. Da kommt's, was empor die Stufen stieg:
Vier Männer und die Bahre, Claudia, sind's
Mit der bekränzten Leiche deines Kinds!
Jetzt, kleine Claudia, bist du zu Tode wund« –
Das Kindlein lächelt. Es klirrt ein Schlüsselbund.
Die Mutter tritt besorgt in die Kammer ein
Und die Parze bleicht im goldenen Morgenschein.[129]
Der Ritt in den Tod
»Greif aus, du mein junges, mein feuriges Tier!
Noch einmal verwachs ich zentaurisch mit dir!
Umschmettert mich, Tuben! Erhebet den Ton!
Den Latiner besiegte des Manlius Sohn!
Voran die Trophän! Der latinische Speer!
Der eroberte Helm! Die erbeutete Wehr!
Duell ist bei Strafe des Beiles verpönt...
Doch er liegt, der die römische Wölfin gehöhnt!
Liktoren, erfüllet des Vaters Gebot!
Ich besitze den Kranz und verdiene den Tod –
Bevor es sich rollend im Sande bestaubt,
Erheb ich in ewigem Jubel das Haupt!«
Das Joch am Leman
»Die einen liegen tot mit ihren Wunden,
Die andern treiben wir daher gebunden!
Den Römeraar der Zwillingslegion,
Im Männerkampf, im Roßgestampf entrissen
Der eingegarnten Wölfin scharfen Bissen,
Schwingt Divico, der Berge Sohn!« –
Weit blaut die Seeflut. Scheltend jagen Treiber
Am Ufer einen Haufen Menschenleiber,
Die nackte Schmach umjauchzt Triumphgesang,
Ein Jüngling kreist auf einem falben Pferde
Um die zu zwein gepaarte Römerherde
Die Krümmen des Gestads entlang.
Er schleudert auf den Aar mit stolzem Schreie
Er schickt den Ruf empor zur Firnenreihe –
Die Grät und Wände blicken groß und bleich –
»Hebt, Ahnen, euch vom Silbersitz, zu schauen
Die Pforte, die wir für den Räuber bauen,
Der sich verstieg in euer Reich!
Wir bauen nicht mit Mörtel noch mit Steinen,
Zwei Speere pflanzt! Querüber bindet einen!
Zwei Römerköpfe drauf! Es ist getan!« –
Das Joch umstehn verwogne Kriegsgesellen
Mit Auerhörnern und mit Bärenfellen
Und schauen sich das Bauwerk an.
Die Hörner dröhnen. Zu der blut'gen Pforte
Strömt her das Volk aus jedem Tal und Orte,
Groß wundert sich am Joch die Kinderschar,
Ein Mädelreigen springt in heller Freude
Um das von Schande triefende Gebäude,
Den blühnden Veilchenkranz im Haar.
Der Manlierstirn verzogne Brauen grollen,
Des Claudierkopfs erhitzte Augen rollen –
Der Hirtenknabe geißelt wie ein Rind[130]
Den Brutusenkel.
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