Weh! umstellt,
Belauert wurde sie von einem Schwarm
Und überfallen. Rasch in Trümmer schlug,
Das Antlitz glutbedeckt, die Scheibe sie,
Sich selbst verwundend. Dieses Tüchlein hier,
Das als Reliquie mir im Schreine liegt,
Fing, über die verletzte Hand gelegt,
Das Quellen eines Tropfen Blutes auf,
Der warm ihr eben erst im Herzen rann.[109]
Jung schwand sie hin, und kein Lebend'ger weiß,
Was dort geschrieben auf der Scheibe stand –
Als dieser bleiche Tropfen Bluts vielleicht.[110]
Stapfen
In jungen Jahren war's. Ich brachte dich
Zurück ins Nachbarhaus, wo du zu Gast,
Durch das Gehölz. Der Nebel rieselte,
Du zogst des Reisekleids Kapuze vor
Und blicktest traulich mit verhüllter Stirn.
Naß ward der Pfad. Die Sohlen prägten sich
Dem feuchten Waldesboden deutlich ein,
Die wandernden. Du schrittest auf dem Bord,
Von deiner Reise sprechend. Eine noch,
Die längre, folge drauf, so sagtest du.
Dann scherzten wir, der nahen Trennung klug
Das Angesicht verhüllend, und du schiedst,
Dort wo der First sich über Ulmen hebt.
Ich ging denselben Pfad gemach zurück,
Leis schwelgend noch in deiner Lieblichkeit,
In deiner wilden Scheu, und wohlgemut
Vertrauend auf ein baldig Wiedersehn.
Vergnüglich schlendernd, sah ich auf dem Rain
Den Umriß deiner Sohlen deutlich noch
Dem feuchten Waldesboden eingeprägt,
Die kleinste Spur von dir, die flüchtigste,
Und doch dein Wesen: wandernd, reisehaft,
Schlank, rein, walddunkel, aber o wie süß!
Die Stapfen schritten jetzt entgegen dem
Zurück dieselbe Strecke Wandernden:
Aus deinen Stapfen hobst du dich empor
Vor meinem innern Auge. Deinen Wuchs
Erblickt ich mit des Busens zartem Bug.
Vorüber gingst du, eine Traumgestalt.
Die Stapfen wurden jetzt undeutlicher,
Vom Regen halb gelöscht, der stärker fiel.
Da überschlich mich eine Traurigkeit:
Fast unter meinem Blick verwischten sich
Die Spuren deines letzten Gangs mit mir.
Wetterleuchten
Im Garten schritt ich durch die Lenzesnacht.
Des Jahres erste Blitze loderten.
Die jungen Blüten glommen feuerrot
Und blichen wieder dann. Ein schönes Spiel,
Davor ich stillehielt. Da sah ich dich!
Mit einem Blütenzweige spieltest du,
Die junggebliebne Tote! Durch die Hast
Und Flucht der Zeit zurück erkannt ich dich,
Die just des Himmels Feuer überglomm.
Erglühend standest du, wie dazumal,
Da dich das erste Liebeswort erschreckt,
Du Ungebändigte, du Flüchtende!
Dann mit den Blüten wieder blichest du.
Lethe
Jüngst im Traume sah ich auf den Fluten
Einen Nachen ohne Ruder ziehn,
Strom und Himmel stand in matten Gluten
Wie bei Tages Nahen oder Fliehn.
Saßen Knaben drin mit Lotoskränzen,
Mädchen beugten über Bord sich schlank,
Kreisend durch die Reihe sah ich glänzen
Eine Schale, draus ein jedes trank.
Jetzt erscholl ein Lied voll süßer Wehmut,
Das die Schar der Kranzgenossen sang –
Ich erkannte deines Nackens Demut,
Deine Stimme, die den Chor durchdrang.
In die Welle taucht ich. Bis zum Marke
Schaudert ich, wie seltsam kühl sie war.
Ich erreicht die leise ziehnde Barke,
Drängte mich in die geweihte Schar.[111]
Und die Reihe war an dir zu trinken,
Und die volle Schale hobest du,
Sprachst zu mir mit trautem Augenwinken:
»Herz, ich trinke dir Vergessen zu!«
Dir entriß in trotz'gem Liebesdrange
Ich die Schale, warf sie in die Flut,
Sie versank und, siehe, deine Wange
Färbte sich mit einem Schein von Blut.
Flehend küßt ich dich in wildem Harme,
Die den bleichen Mund mir willig bot,
Da zerrannst du lächelnd mir im Arme
Und ich wußt es wieder – du bist tot.[112]
Einer Toten
Wie fühl ich heute deine Macht!
Als ob sich deine Wimper schatte
Vor mir auf diesem ampelhellen Blatte
Um Mitternacht!
Dein Auge sieht
Begierig mein entstehend Lied.
Dein Wesen neigt sich meinem zu,
Du bist's! Doch deine Lippen schweigen –
Und liesest du ein Wort, das zart und eigen,
Bist's wieder du,
Dein Herzensblut,
Indes dein Staub im Grabe ruht.
Mir ist, wann mich dein Atem streift,
Der ich erstarkt an Kampf und Wunden,
Als seist in deinen stillen Grabesstunden
Auch du gereift
An Liebeskraft,
An Willen und an Leidenschaft.[112]
Die Marmorurne setzten dir
Die Deinen – um dich zu vergessen,
Sie erbten, bauten, freiten unterdessen,
Du lebst in mir!
Wozu beweint?
Du lebst und fühlst mit mir vereint![113]
Ihr Heim
Lang vorüber ging ich den Gehegen,
Drin der Giebel deines Heimes ragt,
Dieser Pforte, diesen Schattenwegen!
Wer da wohne, hab ich nicht gefragt.
Wer da wohne
Hinter einer dunkeln Lindenkrone,
Hat das Herz mir nicht vorausgesagt.
Pfade liefen durch die feuchte Wiese,
Kleine Sohlen sah ich hier und dort
Eingezeichnet auf dem weichen Kiese,
Aber meines Weges zog ich fort.
Ich begehrte
Zu verfolgen nicht die flücht'ge Fährte,
Zu betreten nicht den stummen Ort.
Auch ein Rauschen hört ich aus der Linde,
Die der Hauch der Abendlüfte bog;
»Komme, Wandrer«, rief es, »komm und finde!«
Während rascher ich des Weges zog.
Ich vertraute
Dem Versprechen nicht der Geisterlaute,
Deren Wehn mir oft das Herz betrog.
Und den Stern der Liebe sah ich eilen
Dort zum dunkelscharfen Bergesrand,
Auf dem schlanken Giebel blitzend weilen
Wie ein zitternd Feuer, eh er schwand.
Im Entweichen
Gab der Freund am Himmel mir ein Zeichen,
Wann er über meinem Glücke stand.[113]
Längst versunken glaubt ich's in die Ferne,
Das so nahe mir verborgen lag!
Wer versteht den stillen Wink der Sterne
Vor dem rechten, dem bestimmten Tag?
Vor der Stunde,
Die ihn zieht zu dem ersehnten Bunde,
Den nicht Tod noch Leben trennen mag?
Lang vorüber ging ich deiner Liebe
Durch den Staub des Lebens unbewußt,
Daß zur Wonne mir die Klage bliebe,
Und ein leiser Schmerz in sel'ger Brust –
Schmerz und Klage
Über ohne dich verdarbte Tage,
Die mit deinem Kuß du stillen mußt.[114]
Liebesjahr
Hat sich die Kelter gedreht? Tanzt dort mit dem Laub eine Flocke?
Zuckte der Blitz im August? Blühten die Kirschen im Mai?
Blüten und Ähren und Trauben erblickt ich in schwellendem Kranz nur
Um das geliebteste Haupt und ich erblicke sie noch.
Weihnacht in Ajaccio
Reife Goldorangen fallen sahn wir heute, Myrte blühte,
Eidechs glitt entlang der Mauer, die von Sonne glühte.
Uns zu Häupten neben einem morschen Laube flog ein Falter –
Keine herbe Grenze scheidet Jugend hier und Alter.
Eh das welke Blatt verweht ist, wird die Knospe neu geboren –
Eine liebliche Verwirrung, schwebt der Zug der Horen.
Sprich, was träumen deine Blicke? Fehlt ein Winter dir, ein bleicher?
Teures Weib, du bist um einen lichten Frühling reicher![114]
Liebst du doch die langen Sonnen und die Kraft und Glut der Farben!
Und du sehnst dich nach der Heimat, wo sie längst erstarben?
Horch! durch paradieseswarme Lüfte tönen Weihnachtsglocken!
Sprich, was träumen deine Blicke? Von den weißen Flocken?[115]
Schneewittchen
Schneewittchen hast im Scherz du dich genannt,
Da plaudernd einst zusammen wir gesessen,
Der Augen tiefes Blau, die Elfenhand,
Des Nackens Blondgekraus, wer kann's vergessen?
Noch jüngst – ich schritt ein hohes Tal entlang,
Es war gekrönt mit sieben Silberspitzen,
Die von dem himmelnahen Felsenhang
Herunter auf die grünen Pfade blitzen –
»Schneewittchen!« rief ich laut und unbewußt,
»Schneewittchen hinter deinen sieben Bergen!
Führst droben pünktlich du mit kühler Brust
Den kleinen Haushalt deinen sieben Zwergen?«
Ein spottend Echo nur antwortet' mir,
Die Felsstirn rümpfte lachend ihre Falten;
Und doch, und doch, mir war's, ich hätt von dir,
Schneewittchen! einen lieben Gruß erhalten.
Hirtenfeuer
Ließest unter uns dich nieder,
Liebe, liebenswerte Frau,
Aber heute ziehst du wieder,
Wie die Sterne ziehn im Blau.
Siehst den Abendstern du blinken
Dort vor seinem Untergang?
Einen Augenblick im Sinken
Ruht er auf dem Bergeshang.[115]
In der flüchtigen Minute,
In dem eilenden Moment
Ist's, als ob er gastlich ruhte,
Wie ein Hirtenfeuer brennt.
Aber nur die kleinste Weile
Bringt er auf der Erde zu,
Sieh – er zittert ja vor Eile
Und verschwindet, Frau, wie du.[116]
Laß scharren deiner Rosse Huf!
Geh nicht, die Gott für mich erschuf!
Laß scharren deiner Rosse Huf
Den Reiseruf!
Du willst von meinem Herde fliehn?
Und weißt ja nicht, wohin, wohin
Dich deine Rosse ziehn!
Die Stunde rinnt! Das Leben jagt!
Wir haben uns noch nichts gesagt
Bleib bis es tagt!
Du darfst aus meinen Armen fliehn?
Und weißt ja nicht, wohin, wohin
Dich deine Rosse ziehn...
Dämmergang
Du lebst meerüber
In blauer Ferne
Und du besuchst mich
Beim ersten Sterne.
Ich mach im Felde
Die Dämmerrunde,
Umbellt, umsprungen
Von meinem Hunde.[116]
Es rauscht im Dickicht,
Es webt im Düster,
Auf meine Wange
Haucht warm Geflüster.
Das Weggeleite
Wird trauter, trauter,
Du schmiegst dich näher,
Du plauderst lauter.
Da gibt's zu schelten,
Da gibt's zu fragen,
Und hell zu lachen
Und leis zu klagen.
Was wedelt Barry
So glückverloren?
Du kraust dem Liebling
Die weichen Ohren...[117]
Die tote Liebe
Entgegen wandeln wir
Dem Dorf im Sonnenkuß,
Fast wie das Jüngerpaar
Nach Emmaus,
Dazwischen leise
Redend schritt
Der Meister, dem sie folgten,
Und der den Tod erlitt.
So wandelt zwischen uns
Im Abendlicht
Unsre tote Liebe,
Die leise spricht.
Sie weiß für das Geheimnis
Ein heimlich Wort,
Sie kennt der Seelen
Allertiefsten Hort.
Sie deutet und erläutert
Uns jedes Ding,[117]
Sie sagt: So ist's gekommen.
Daß ich am Holze hing.
Ihr habet mich verleugnet
Und schlimm verhöhnt,
Ich saß im Purpur,
Blutig, dorngekrönt,
Ich habe Tod erlitten,
Den Tod bezwang ich bald,
Und geh in eurer Mitten
Als himmlische Gestalt –
Da ward die Weggesellin
Von uns erkannt,
Da hat uns wie den Jüngern
Das Herz gebrannt.[118]
Mit einem Jugendbildnis
Hier – doch keinem darfst du's zeigen,
Solche Sanftmut war mir eigen,
Durfte sie nicht lang behalten,
Sie verschwand in harten Falten,
Sichtbar ist sie nur geblieben
Dir und denen, die mich lieben.[118]
6. Götter
Die Schule des Silen
In der schattendunkeln Laube gab Silen, der weise, Stunde,
Der ihm weich ans Knie geschmiegte Bacchus hing an seinem Munde,
Lieblich lauschend.
Unter seinem krausen Barte lachte schelmisch der Ergraute,
Da er in das milde Feuer junger Götteraugen schaute,
Dann begann er:
»Kind, betrachte dieses Antlitz, die gedankenschweren Lider!
Kind, in jedem greisen Zecher ehre du die Züge wieder
Deines Lehrers.
Oft, wo die Veliten wankten, jene prahlerischen Knaben,
Sind es die Triarier, Liebling, die das Feld behauptet haben
Unerschüttert!
Wenn auf Chios mit dem Mädchen teilt den Becher der Ephebe,
Laß sie nippen, laß sie kosen – mit der vollsten Schale schwebe
Du vorüber.
Lenke deine götterleichten Schritte zu Homer, dem alten,
Netze seine heil'gen Lippen, glätte seiner Stirne Falten,
Wundertäter!
Lös ihm jeder Erdenschwere Fessel mit der Hand, der milden,
Fülle du des Blinden Auge mit unsterblichen Gebilden,
Ewigschönen!«
Pentheus
Sie schreitet in bacchisch bevölkertem Raum,
Mit wehenden Haaren ein glühender Traum,
Von Faunen umhüpft,
Um die Hüfte den Gürtel der Natter geknüpft.
Melodisch gewiegt und von Eppich umlaubt,
Ein flüsterndes rücklings geworfenes Haupt –
»Ich opfre mich dir.
Verzehre, Lyäus, was menschlich in mir!«
»Agave!« ruft's, und der bacchische Schwarm
Zerstiebt und der Vater ergreift sie am Arm.
»Weg, trunken Gesind!
Erwach und erröte, verlorenes Kind!
Du dienst einem Gaukler!« Im Schutz des Gewands
Verhüllt er den Busen, entreißt ihr den Kranz –
Wild hebt sie den Stab.
Sie schlug! Aufstöhnt, der das Leben ihr gab.
»Ich glaube den Gott! Ich empfinde die Macht!
Ich strafe den Frevler, der Götter verlacht!
Wer bist du, Gesicht?
Ich bin die Bacchantin! Ich kenne dich nicht!«
Er betrachtet sein Kind. Er erstaunt. Er erblaßt.
Er entspringt, von entsetzlichem Grauen erfaßt.
Er flieht im Gefild,
Ein rennender Läufer, ein hastendes Wild.
»Herbei, alle Schwestern! Mänaden, herbei!«
Erhebt sie den Weidruf, das helle Geschrei.
»Zur Jagd! Zur Jagd!«
– »Wir folgen dir, blonde, begeisterte Magd!«
Sie jagen den König, Agave vorauf,
Er stürzt in den Strom und erneuert den Lauf
Am andern Gestad,
Auf spritzen die Wasser, sie springen ins Bad.[120]
Er wirbelt mit bebenden Füßen den Staub,
Es dämmert – die Bacchen verfolgen den Raub –
Es dämmert empor
Ein Fels ohne Pfad, eine Wand ohne Tor.
Er steht und er starrt an die grausige Wand,
Da trifft ihn der Thyrsus in rasender Hand –
Nacht schwebt heran
Und erschrickt und verhüllt, was Agave getan.[121]
Vor einer Büste
Bist du die träumende Bacche? Der Sterblichen lieblichste bist du!
Still in den Winkeln des Munds lächelt ein grausamer Zug.
Die sterbende Meduse
Ein kurzes Schwert gezückt in nerv'ger Rechten,
Belauert Perseus bang in seinem Schild
Der schlummernden Meduse Spiegelbild,
Das süße Haupt mit müden Schlangenflechten.
Zur Hälfte zeigt der Spiegel längs der Erde
Des jungen Wuchses atmende Gebärde –
»Raub ich das arge Haupt mit raschem Hiebe,
Verderblich der Verderberin genaht?
Wenn nur die blonde Wimper schlummern bliebe!
Der Blick versteint! Gefährlich ist die Tat.
Die Mörderin! Sie schließt vielleicht aus List
Die wachen Augen! Sie, die grausam ist!
Durch weiße Lider schimmert blaues Licht
Und – zischte dort der Kopf der Natter nicht?«
Medusen träumt, daß einen Kranz sie winde,
Der Menschen schöner Liebling der sie war,
Bevor die Stirn der Göttin Angebinde
Verschattet ihr mit wirrem Schlangenhaar.
Mit den Gespielen glaubt sie noch zu wandern
Und spendet ihnen lockenschüttelnd Grüße,
In blühndem Reigen regt sie mit den andern[121]
Die freudehellen, die beschwingten Füße,
Ihr Antlitz hat vergessen, daß es töte,
Es glaubt, es glaubt an die barmherz'ge Lüge
Des Traums. Es lauscht dem Hauch der Hirtenflöte,
Der weichmelodisch zieht durch seine Züge.
Es lächelt still, von schwerem Bann befreit,
In unverlorner erster Lieblichkeit.
Der Mörder tritt an ihre Seite dicht
Und dunkler träumt Medusens Angesicht.
Ihr ist, sie habe Haß empfunden schon,
Vor sich geschaudert, dumpf und bang gelitten.
Die Menschen habe scheu sie erst geflohn,
Dann ihnen nachgestellt mit Meuchlerschritten –
Sie sinnt, was Unheilbares sie gequält,
Daß sie dem eignen Leben feind geworden,
Und andres Leben sich ergötzt zu morden –
Sie sinnt umsonst. Ihr hält's der Traum verhehlt.
Die grause Larve, die sie lang geschreckt,
Ist wie mit einem Purpurtuch bedeckt.
Das Graun ist aufgelöst in Seligkeit,
Begonnen hat der Seele Feierzeit.
Der Dämmer herrscht. Das harte Licht verblich.
Als eine der Erlösten fühlt sie sich.
Sie fürchtet keines Schreckens Wiederkehr,
Sie weiß, die Qualen kommen nimmermehr,
Nein, nimmermehr, und nun ist alles gut!
Sie liegt, den Hals gebogen, auf dem Rasen,
Sie hört die Hirtenflöte wieder blasen
Und lauscht. Sie zuckt. Sie windet sich. Sie ruht.[122]
Nächtliche Fahrt
Ein Schiff befuhr das Meer. Aufrauschend quoll
Die Flut am Kiel. Er suchte Pylos' Strand.
Das Steuer führt' ein Jüngling kummervoll,
Dem früh des Vaters Rat und Hilfe schwand.[122]
Der Glückbedürft'ge hieß Telemachos
Und schaute nach des Segels nächt'gem Flug,
Dicht neben ihm der hohe Fahrtgenoß,
Athene war's, die Mentors Züge trug.
Unendlich brach hervor der Sterne Heer,
Die lichten Waller wußten ihre Bahn...
Da sprach die Tochter Zeus' auf dunkelm Meer:
»Zusammenrufen wir die Götter an!«
Die Hände, wie der Staubgeborne fleht,
Erhob sie ausgebreitet in die Nacht –
Und sie erhörte selber das Gebet,
Von ihr für den Verlaßnen dargebracht.[123]
Der Stromgott
Morgengraun. Die Karawane windet sich dem Nil zur Seite,
Eine Rede dröhnt und murmelt über dunkler Stromesbreite.
Längs dem Ufer nippen durstig silbergraugeperlte Tauben,
Trinken Ibisse mit blankem Flügelpaar und schwarzen Hauben.
Nil, der segenreiche Vater, sorgt für alle seine Kinder,
Speist und tränkt aus seiner Fülle keines mehr und keines minder –
Neben einem braunen Reiter ein gebundner Knabe wandelt,
Joseph ist's, von seinen Brüdern in die Sklaverei verhandelt.
Taub' und Ibis flattern nur um wenig Flügelschläge weiter.
Joseph lauscht des Stromes Worten. Ruhig sitzt der stumme Reiter.
»Knabe, deine Blicke trauern! Jüngling, deine Füße bluten!
Dich verkauften deine Brüder... Sei willkomm an meinen Fluten!
Joseph, fremder Knabe Joseph, du gefesselter, du müder,
Bist du einst der Herr der Ernten, speise deine schlimmen Brüder![123]
Knabe Joseph!« rauscht es dumpfer. Das erstaunte Kind in Banden
Tröstet sich des güt'gen Grußes, bleibt er auch ihm unverstanden.
Auf des Niles weiten Wassern ist des Stromgotts Wort verschollen,
Nur ein Antlitz schwimmt und schimmert, dessen Haare lockig rollen...
Jetzt beleben sich die Pfade. Schiffe blähen ihre Flügel.
Kleebeladene Kamele wandern, sanftbewegte Hügel.
Frauen kommen mit dem schlanken Kruge, die gemessen schreiten
In verhülltem, stillem Zuge, wie die Jahre, wie die Zeiten...
Aus der ahnungsvollen Ferne ragen Spitzen, hell besonnte,
Steigen wie beschneite Gipfel weiß am reinen Horizonte –
Joseph schaut empor zum Reiter: »Mit dir meiner Väter Frieden!
Herr, wie nennst du dort die Berge?« »Kind, du schaust die Pyramiden!«[124]
Thespesius
Zwei Greise ruhten unter einer Pinie,
Stab neben Stab, an einer Quelle klarer Flut,
Wo wandernd sie begegnet sich von ungefähr.
Sie führten Zwiegespräch und sie behagten sich.
– »Man nennt mich Eukrates, und wer, mein Freund, bist du?«
– »Mich nannten Aridäus lange Jahre sie,
Seit langen Jahren bin ich nun Thespesius.«
– »Zwei Namen trugst du?« – »Beide Namen, Eukrates.
Hör an! Ein Jüngling, peitscht ich rasend das Gespann.
Die Rosse flogen. Becher, Buhlen, Würfelspiel,
Wut, Zorn, vergossen Blut – verklagend Blut!
Dem ich entfloh, die Eumeniden hinter mir.
Sie folgten meiner raschen Füße schnellstem Lauf,
Ich warf mich in den Fluß, sie sprangen jauchzend nach[124]
Und hoben schwimmend ihrer Fackeln düstre Glut.
Ich klomm bergan – verirrt stürzt ich von einer Wand –
Die Sinne schwanden mir. Dann lebt ich wieder – war's
Im Traum? – und schritt auf einem weichen Wiesengrün,
Wo Sel'ge, solche schienen sie, lustwandelten
In still bewegten Scharen.
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