.

 

Dem Steffen steigt das Haar. Er starrt

Auf ein gespenstig Bacchanal:

Die Königskinder, hell und zart

Verblühen all im Mondenstrahl.

 

»Verloren geht mein himmlisch Teil,

Gebrochen ist mein männlich Wort:

Nicht bring an Leib und Seele heil

Die Kinder ich nach England Dort!

 

Stirb, Blanche Nef! Bevor es tagt!

Im Wasser weiß ich hier ein Riff . . . «

Er dreht das Steuer stracks und jagt

Der Klippe zu das Sündenschiff.

 

Der König lauscht zurück: »Das scholl

Wie Sterbeschrei!« Klar ist der Sund.

Ein Korb von welken Blumen voll,

Sinkt Blanche Nef zum Meeresgrund.[169]

 

Der schwarze Prinz

Schwarzer Prinz und König Hans

Maßen sich in raschem Waffentanz,

Bis der Prinz den König überwand

Mit der erzgeschienten Hand.

 

Ins Gezelt nahm er den Raub,

Wusch den Wunden rein von Blut und Staub,

Bog das Knie und bot den Labetrank

Ihm, der tief in Gram versank.

 

Frankreichs armer König träumt

Also schwer, daß er den Wein versäumt,

Ihn ermahnt der Prinz wie er's vermag:

»Herr, es ist des Schicksals Tag![169]

Manchen hattet Ihr gestreckt,

Da Ihr sanket, Herr, mich hat's erschreckt,

Doch man lebt, und blieb nur Ehre heil,

Duldet man sein menschlich Teil!

 

Morgen als des Friedens Pfand

Send ich Euch nach meinem Engelland.

Zeit ist mächtig! Jede Fessel fällt!

Nur die Erde schließt und hält.«

 

König Hans, aus seinem Traum

Blickt er auf und sieht des Zeltes Raum,

Und in geisterbleichem Angesicht

Zweier schwarzer Augen Licht.

 

Er beschaut das edle Haupt,

Das ein unsichtbarer Kranz umlaubt,

Ärgert sich und murmelt: »Worte sind's.

Deine Augen spotten, Prinz!

 

Heuchle! Streichle meinen Schmerz!

Leis im Panzer jubelt dir das Herz.

Horch! Es triumphiert!« Der Sieger spricht:

»König, nein. Es jubelt nicht.

 

Ich bin eine kurze Kraft,

Heut geharnischt, morgen weggerafft!

Frühe Stunde lost' ich wie Achill,

Meinem Lose halt ich still.«[170]

 

Der gleitende Purpur

»Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!«

Schallt im Münsterchor der Psalm der Knaben.

Kaiser Otto lauscht der Mette,

Diener hinter sich mit Spend und Gaben.

 

Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!

Heute da die Himmel niederschweben,

Wird dem Elend und der Blöße

Mäntel er und warme Röcke geben.[170]

 

Hundert Bettler stehn erwartend –

Einer hält des Kaisers Knie umfangen

Mit den wundgeriebnen Armen,

Dran zerrißner Fesseln Enden hangen.

 

– »Schalk! Was zerrst du mir den Purpur?

Harr und bete! Kennst du mich als Kargen?«

Doch der Bettler hält den Mantel

Fest und jammert: »Kennst du mich, den Argen?

 

Du Gesalbter und Erlauchter!

Kennst du mich?... Du hast mit mir gelegen,

Mit dem Siechen, mit dem Wunden,

Unter eines Mutterherzens Schlägen.

 

Aus demselben Wollentuche

Schnitt man uns die Kappen und die Kleider!

Aus demselben Psalmenbuche

Sang das frische Jugendantlitz beider!

 

Heinz, wo bist du? Heinz, wo bleibst du?

Hast zum Spiele du mich oft gerufen

Durch die Säle, durch die Gänge,

Auf und ab der Wendeltreppe Stufen...

 

Wehe mir! Da du dich kröntest,

Hat des Neides Natter mich gebissen!

Mit dem Lügengeist im Bunde

Hab ich dieses deutsche Reich zerrissen!

 

Als den ungetreuen Bruder

Und Verräter hast du mich erfunden!

Du ergrimmtest und du warfest

In die Kerkertiefe mich gebunden...

 

In der Tiefe meines Kerkers

Hab ich ohne Mantel heut gefroren...

Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!

Heute wird der Welt das Heil geboren!«[171]

 

»Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!«

Hundert Bettler strecken jetzt die Hände:

»Gib uns Mäntel! Gib uns Röcke!

Sei barmherzig! Gib uns deine Spende!«

 

Ein Spange löst der Kaiser

Sacht. Sein Purpur gleitet, gleitet, gleitet

Über seinen sünd'gen Bruder,

Und der erste Bettler steht bekleidet...

 

Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!

Jubelt Erd und Himmelreich mit Schallen.

Glorie! Glorie! Friede! Freude!

Und am Menschenkind ein Wohlgefallen![172]

 

Das Goldtuch

»Ihr Mägde, schaut, was ihr im Schreine habt!

Nicht darfst du mir von hinnen unbegabt,

Mein blondgelockter Enkel, der mir bot

Mit priesterlichen Händen Gott im Brot!«

 

Mathilde sprach's, die Fürstin, sterbeschwach.

Richburg, die Schaffnerin, seufzt': »Weh und Ach!

Hingabst den Armen alles du! Allein

Dein goldgewoben Bahrtuch liegt im Schrein!«

 

– »Die goldne Decke! Gebt dem Bischof die!

Bahrtuch und Totenhemd, das mangelt nie!«

Der Bischof zaudert... »Nimm die Decke! Kränk

Mich nicht!« Der Jüngling zieht mit dem Geschenk...

 

Sie atmet aus. Es läutet lang und schön

Mit allen Glocken von des Münsters Höhn...

Fern in der Ebne gleißt's wie Sonnenblick:

Mathildens Bahrtuch kehrt zu ihr zurück.

 

Abspringt ein Reiter, der den Turm ersteigt.

»Den Bischof warf das Roß. Ein Toter schweigt.

Wir bringen ihn! Verdoppelt das Geläut!

Ihr Glöckner, zwier bekommt ihr Löhnung heut!«

 

Frau Agnes und ihre Nonnen

Ein Klosterhof, ein Lenzestag!

Ein schwarzer Lindenschatten,

Wo der gekrönte Habsburg lag

Erstochen auf den Matten.

 

Frau Agnes, die gestrenge Frau,

Des Vaters Blut zu rächen,

Rief mordend aus: »Ich bad in Tau!«

Und schritt in roten Bächen.

 

Sie freute sich in warmes Blut

Die Knöchel einzutauchen,

Sie warf in stille Dörfer Glut,

Sie ließ die Burgen rauchen.

 

Nachdem Gericht gehalten war,

Vollbracht die Totenfeier,

Verbarg sie das Medusenhaar

Mit einem Nonnenschleier.

 

Sie schuf ein Kloster, wo hervor

Aus Grüften Geister schweben,

Sie füllt mit Blumen an den Chor,

Mit lauter jungem Leben:

 

Sie raubt das krause Blondgelock

Manch einem Edelkinde,

Beschert ihm einen schwarzen Rock

Und eine blanke Binde.

 

Sie geißelt sich den weißen Leib,

Bis rote Tropfen rinnen,

Sie will, das unbarmherz'ge Weib,

Den zarten Heiland minnen.

 

Dort sitzt sie unter Lindennacht

Am kühlen Klosterbronnen,

Sie hat die Bibel mitgebracht

Zur Andacht ihrer Nonnen.[173]

 

Am Gatter lauschen Kinder scheu

Mit frisch gepflückten Veilchen,

Ein Weiblein hinkt mit Holz vorbei,

Bückt tief sich vor den Heil'gen.

 

Dem jüngsten Nönnchen gibt das Buch

Sie jetzt, der lieblich Bleichen:

»Wir blieben bei Sankt Pauli Spruch.

Sieh her! Da steckt das Zeichen!«

 

Die Zarte, die das Buch empfing,

Beschaut Sankt Paulum denkend.

Sie liest. Ihr lauscht der Schwestern Ring,

Die Wimper züchtig senkend –

 

»Was frommte mir die Fastenzeit,

Was frommten Geißelhiebe,

Was frommt' es, trüg ich hären Kleid,

Und mangelte der Liebe?«

 

Da schwellt ein Seufzer manche Brust

Im Nonnenrock erbaulich,

Und manche kecke Lebenslust

Blickt traurig und beschaulich...[174]

 

Kaiser Sigmunds Ende

»Licht und lauter Bläue! Recht ein Wandertag!

Weit hinaus ins Freie! Weg aus diesem Prag!

Holt mir eine Sänfte, macht es mir zu Dank:

Vorn ein Rößlein, hinten eins, und beide blank!

 

Fröhlich will ich fahren tief ins Abendrot,

Sei mein schlanker Läufer, spring, Gevatter Tod!

Trabe, Läufer, trabe! Flugs bestelle mir

Ein geruhig Bettlein und das Nachtquartier!«

 

Durch die Gassen ging es, wo die Menge stand,

Statt des Purpurs trug er schlichtes Reis'gewand,

Von dem Lorbeerzweige das Gelock umlaubt,

Nickt' ins Volk er freundlich, zitternd mit dem Haupt.[174]

 

Als er vor dem Tore blaches Feld gewann,

Pries er Erd und Himmel: »O ich sel'ger Mann!

Herden seh ich gerne, auch den Pflüger gern:

Sei gesegnet, Nähe! Sei gesegnet, Fern!«

 

Wie die wandermüde Sonne niedersank,

Öffnet' er die Lippen als zum Abendtrank,

Dann ist er entschlummert in der dunkeln Flur,

Drauf mit weißen Rößlein seine Sänfte fuhr.[175]

 

Die drei gemalten Ritter

»Frau Berte, hört: Ihr dürftet nun

Mir einmal einen Gefallen tun!«

 

– »Was denkt Ihr, Graf? Wohin denket Ihr?

Vor den drei gemalten Rittern hier?«

 

Drei Ritter prahlen auf der Wand

Mit rollenden Augen, am Dolch die Hand.

 

»Wer, Frau, ist diese Ritterschaft?«

– »Drei Vettern und alle drei tugendhaft!

 

Gelobt Ihr, Graf, die Ehe mir

Bei den drei gemalten Rittern hier,

 

Will ich – Ihr laßt es doch nicht ruhn –

Euch einmal einen Gefallen tun.«

 

Das Gräflein zwinkert den Rittern zu:

Frau Berte, welch eine Gans bist du!

 

Das Gräflein hebt die Finger flink:

Frau Berte, du bist ein dummes Ding!

 

»Trautlieb, ich schwör und beschwör es dir

Bei den drei gemalten Rittern hier!«[175]

 

Jetzt rufen aus einem Mund die drei:

»Es ist geredet und bleibt dabei!«

 

Die Wand versinkt: dahinter stehn

Drei gült'ge Zeugen. So ist's geschehn.[176]

 

Einsiedel

»Was pocht mir an das Fenster?

Was klopft an meine Tür so laut?«

– »Ich bin ein junger Wildfang

Und naß bis auf die Haut.

 

Ich bin der Gerold Wendel,

Wir ziehen an den Hof zu zwein,

Der andre ist ein Konrad

Und nennt sich Lützelstein.

 

Der duckt sich etwo anders

Vor Blitzgezuck und Wetterzorn

Und bläst mich morgen munter

Mit seinem Jägerhorn.

 

Einsiedel, frommer Bruder,

Ihr sehet, wie es um mich steht!

Gewährt mir Euer Lager

Und sprecht mein Nachtgebet!«

 

Er lallt es, halb entschlummert,

Und streckt die Glieder aus zur Ruh,

Einsiedel deckt sein Lämpchen

Mit beiden Händen zu.

 

»Wie lieblich ist die Jugend!

Hätt ich ein Füllhorn voller Glück,

Ich leert es dir zu Häupten,

Es bliebe nichts zurück.«[176]

 

Der Schlummrer wird zum Träumer,

In hast'gen Worten redet er,

Lacht, weint in einem Atem

Und wirft sich hin und her.

 

– »Ich habe Blut vergossen!«

Einsiedel faßt besorgt ihn an.

»Du träumst nicht gut. Erwache!

Die Augen aufgetan!«

 

Er starrt mit wilden Blicken.

»Mein Kind, wie hast du mich erschreckt!«

– »Einsiedel, frommer Bruder,

Ich bin mit Blut bedeckt.

 

Wir saßen unter Linden,

Ich und der Konrad Lützelstein,

Ein Fräulein von dem Hofe

Bot lachend uns den Wein.

 

Sie streift' mich mit dem Ärmel,

Die binsenschlank gewachsen war,

Sie hatte schnelle Augen

Und aschenblondes Haar.

 

Sie streift mich mit der Achsel

Und lispelt mir ins Ohr hinein

›Wilt, junger Edelknabe,

Mein Trautgeselle sein?‹

 

Da schwang man einen Reigen,

Sie reigte mit dem Lützelstein –

›Wilt, junger Edelknabe,

Mein Trautgeselle sein?‹

 

Mir schwoll die Brust vor Eifer,

Ein Hader reißt die Klingen bloß –

›Herzbruder, mein Herzbruder,

Gabst mir den Todesstoß!‹«...[177]

 

Einsiedel mahnt: »Erwache!«

Und schiebt zurück sein Fensterlein.

Da strömt mit Tannendüften

Ein Erdgeruch herein.

 

Und horch, ein Hifthorn schmettert

Und eine frische Stimme schallt:

»Wo steckt der Gerold Wendel?

Den such ich durch den Wald!«[178]

 

Das Münster

Des Meisters hohle Wange brennt,

Sie bringen ihm das Sakrament,

Er ißt des ew'gen Lebens Brot,

Im Stubenwinkel grinst der Tod.

Fortträgt der Pfaffe die Monstranz.

Mit Augen scharf von Fieberglanz

Winkt weg der Meister seinem Weibe,

Dem Sohn, dem einz'gen, winkt er: Bleibe!

Und deutet auf den Eichenschrein:

Was mag da Köstlichs drinnen sein?

Der Jüngling hebt ein Pergament

Aus einer Lade, die er kennt,

Er breitet auf die Lagerstatt

Ein langsam aufgerolltes Blatt:

Da dehnt sich feierlich-gewaltig

Ein Münster eins und mannigfaltig

Vom obern bis zum untern Rand –

Ein Riß von jugendkühner Hand.

Der Meister sieht am Brett sich stehn

Und seine Zeichenkohle gehn,

Sieht über blühendfrische Wangen

Verworrne Haare niederhangen –

Und vor dem ersten seiner Pläne

Erstaunt er und zerdrückt die Träne.

Auflodern seine Lebensgeister,

Mit raschen Pulsen spricht der Meister:

»Dies Blatt erweckt den Tag mir wieder,

Wo in der Vaterstadt ich nieder[178]

Gelegt den Stab der Wanderschaft –

Ich schritt in voller Jugendkraft.

Daheim war ein begeistert Leben,

Ein Münster wollten sie erheben

Mit andern Ländern um die Wette

Und höher noch als andre Städte,

Gott und den Heil'gen all zum Ruhm,

Zur Ehre deutschem Bürgertum.

Mich ließ auf seine Stube kommen

Der Rat. ›Laß, junger Meister, frommen,

Was du erwandert hast! Wohlan!

Entwirf uns eines Münsters Plan!‹

 

Da saß ich auf in langen Nächten,

Zur Linken standen mir und Rechten

Der Christ mit seiner Märt'rerschar,

Die Kaiser mit den Kronen gar,

Viel reine Fraun und Helden gut,

Die nahmen mich in Zucht und Hut,

Wollt ich in schwelgendes Verzieren,

In üppig Blattwerk mich verlieren,

Und opfert's nicht mit keuschem Sinn

Dem Ganzen streng ich zu Gewinn,

Gleich schlug ein altes Heldenbild

Erzürnt an seinen ehrnen Schild,

Den Finger hob, das Haupt von Licht

Umrahmt, ein Heil'ger: Tändle nicht!

Das Amt, das dir zu Lehen fiel,

Das ist ein Werk und ist kein Spiel!

 

Da war's, als ich die Kohle führte,

Daß Gott, der Geist, das Werk berührte:

Gemach begann der Dom zu schweben

Und regte sich aus eignem Leben,

Mich riß es über mich empor.

Mit schlanken Stämmen wuchs der Chor.

Gen Himmel blüht' in Laub und Ranke

Der menschlich-göttliche Gedanke –

Das Münster stand auf meinem Blatte,

Ich wußte, wer's vollendet hatte.[179]

Im Flur auf unsrem städt'schen Haus

Stellt ich das Blatt den Blicken aus,

Und wie die Bürger nahe traten,

Sprach aller Mund: ›Du hast's erraten!

So und nicht anders soll es sein!‹

Ich legte meinen ersten Stein,

Aus allen Herzen, allen Händen,

In freud'ger Fülle quollen Spenden.

Beschattend schon die Häusermasse

Entstieg der Dom dem Lärm der Gasse

Und wuchs mit abgemeßnen Schritten.

Die Wolken und die Jahre glitten,

Doch karger werdend mit den Jahren,

Begannen Herz und Hand zu sparen,

Die Flamme der Begeistrung fiel

In müde Asche vor dem Ziel.

Erst sprach der Rat von kurzen Fristen,

Und stiller ward's auf den Gerüsten,

Dann setzten neue Frist sie wieder,

Das Baugestelle faulte nieder.

Laut feilschte rings der Markt und summte,

Sobald der Hammerschlag verstummte,

Mit ekeln Buden ward verklebt

Der Pfeiler, der nach oben strebt.

Ich aber ging dem Brote nach

Baut Erkerlein und Giebeldach,

Ein wackrer Lohnknecht wie die andern,

Doch abends im Nachhausewandern

Bei trauter Dämmerglocke Klang

Stand ich vor meinem Münster lang.

Die Glut erklomm den höchsten Trümmer,

Verglomm in letztem Tagesschimmer,

Noch ging das Knabenspiel im Braus

Rings um das dunkelnd hohe Haus,

Oft hemmt' ein Junge kurz den Lauf

Und schaut' am Münster trotzig auf –

Dann runzelt ich die weißen Braun

Und dachte: Werden's diese baun?

 

Inzwischen schossen auf die Reiser,

Sie wurden saft'ger und ich greiser –[180]

Jüngst irrt ich traurig und allein

Um meinen Dom im Abendschein,

Da stand das junge Volk beisammen,

Die kräft'gen Augen sprühten Flammen,

Ich schlich in ihre Nähe leis,

Aus einem Munde schwur der Kreis:

›Bei Gottes Haupte! Wir vollenden

Den Dom mit diesen unsern Händen!‹...

Ob sie den ersten Meister kennen

Des Werks, das sie zu enden brennen?

Nach den Gesichtern keck und neu

Blickt ich hinüber still und scheu...

Mit einem Male rief ein dreister

Gesell: ›Begrüßt den alten Meister!‹

Und riß die Kappe sich vom Haar,

Da grüßte mich die ganze Schar.

 

Habt Dank und Gottes Lohn, Gesellen!

Ihr wollet die Gerüste stellen?

Nicht ich – habt Dank und Gottes Lohn –

Geht hin und rufet meinen Sohn!

Wie wird mir?... Schallt im Dom das Amt?

Die Glocken dröhnen allesamt...«

Er faßt des Sohnes Rechte... »Schau!

Es steigt... Mein Münster steigt im Blau!«

Er starrt, den Blick emporgewendet.

Er neigt das Haupt. Er seufzt: »Vollendet!«[181]

 

Die Krypte

Baut, junge Meister, bauet hell und weit

Der Macht, dem Mut, der Tat, der Gunst der Stunde,

Der Dinge wahr und tief geschöpfter Kunde,

Dem ganzen Genienkreis der neuen Zeit!

 

Des Lebens unerschöpften Kräften weiht

Die freud'ge, lichtdurchflutete Rotunde –

Baut auch die Krypte drunter, wo das wunde

Gemüt sich flüchten darf in Einsamkeit:[181]

 

Vergeßt die Krypte nicht! Dort soll sich neigen

Das heil'ge Haupt, das Dornen scharf umwinden!

Ich glaube: Ein'ge werden niedersteigen.

 

Dort unten werden ein'ge Trost empfinden.

Wir mögen, wenn die Leiden uns umnachten,

Nicht Glück noch Ruhm, nur größern Schmerz betrachten.[182]

 

8. Genie

Camoëns

Camoëns, der Musen Liebling,

Lag erkrankt im Hospitale.

In derselben armen Kammer

Lag ein Schüler aus Coimbra,

Ihm des Tages Stunden kürzend

Mit unendlichem Geplauder.

 

»Edler Herr und großer Dichter,

Was sie melden, ist es Wahrheit?

Daß gescheitert eines Tages

Am Gestad von Coromandel

Sei das undankbare Fahrzeug,

Das beehrt war, Euch zu tragen?

Daß Ihr, kämpfend in der Brandung,

Mit der Rechten kühn gerudert,

Doch in ausgestreckter Linken

Unerreicht vom Wellenwurfe

Hieltet Eures Liedes Handschrift?

Schwer wird solches mir zu glauben.

Herr, auch mir, wann ich verliebt bin,

Sind Apollos Schwestern günstig;

Aber ging' es mir ans Leben,

Flattern meine schönsten Verse

Ließ' ich wahrlich mit dem Winde,

Brauchte meine beiden Arme!«

 

Antwort gab der Dichter lächelnd:

»Solches tat ich, Freund, in Wahrheit,

Ringend auf dem Meer des Lebens!

Wider Bosheit, Neid, Verleumdung

Kämpft ich um des Tages Notdurft[183]

Mit dem einen dieser Arme.

Mit dem andern dieser Arme

Hielt ich über Tod und Abgrund

In des Sonnengottes Strahlen

Mein Gedicht, die Lusiaden,

Bis sie wurden, was sie bleiben.«[184]

 

Michelangelo und seine Statuen

Du öffnest, Sklave, deinen Mund,

Doch stöhnst du nicht. Die Lippe schweigt.

Nicht drückt, Gedankenvoller, dich

Die Bürde der behelmten Stirn.

Du packst mit nerv'ger Hand den Bart,

Doch springst du, Moses, nicht empor.

Maria mit dem toten Sohn,

Du weinst, doch rinnt die Träne nicht.

Ihr stellt des Leids Gebärde dar,

Ihr meine Kinder, ohne Leid!

So sieht der freigewordne Geist

Des Lebens überwundne Qual,

Was martert die lebend'ge Brust,

Beseligt und ergötzt im Stein.

Den Augenblick verewigt ihr,

Und sterbt ihr, sterbt ihr ohne Tod.

Im Schilfe wartet Charon mein,

Der pfeifend sich die Zeit vertreibt.

 

Il Pensieroso

In einem Winkel seiner Werkstatt las

Buonarotti, da es dämmerte;

Allmählich vor dem Blicke schwand die Schrift...

Da schlich sich Julianus ein, der Träumer,

Der einzige der heitern Medici,

Der Schwermut kannte. Dieser glaubte sich

Allein. Er setzte sich und in der Hand

Barg er das Kinn und hielt gesenkt das Haupt.

So saß er schweigend bei den Marmorbildern,[184]

Die durch das Dunkel leise schimmerten,

Und kam mit ihnen murmelnd ins Gespräch,

Geheim belauscht von Michelangelo:

»Feigheit ist's nicht und stammt von Feigheit nicht,

Wenn einer seinem Erdenlos mißtraut,

Sich sehnend nach dem letzten Atemzug,

Denn auch ein Glücklicher weiß nicht, was kommt

Und völlig unerträglich werden kann –

Leidlose Steine, wie beneid ich euch!«1

Er ging und aus dem Leben schwand er dann

Fast unbemerkt. Nach einem Zeitverlauf

Bestellten sie bei Michelangelo

Das Grabbild ihm und brachten emsig her,

Was noch in Schilderein vorhanden war

Von schwachen Spuren seines Angesichts.

So waren seine Züge, sagten sie.

Der Meister schob es mit der Hand zurück:

»Nehmt weg! Ich sehe, wie er sitzt und sinnt

Und kenne seine Seele. Das genügt.«[185]

 

Fußnoten

 

1 Eigene Worte Julians in einem von ihm vorhandenen Sonett.

 

Conquistadores

Zwei edle Spanier halten Wacht

Und einer spricht zum andern:

»Señor, mir deucht, der Teufel lacht,

Wie wir ins Leere wandern!

Das Segel bauscht, es rauscht der Kiel,

Noch keines Strandes Boten –

Die Hölle treibt mit uns ihr Spiel,

Wir fahren zu den Toten!

 

Wer einem Genuesen traut,

Hat den Verstand verloren!

Die Klugen hat er schlecht erbaut,

Doch lockt' er alle Toren –

Rund sei die Erde, log er mir,

Wie Pomeranzenbälle,

Doch unermeßlich flutet hier

Nur Welle hinter Welle!«[185]

 

Der andre blickt ins Meer hinaus

Und runzelt finstre Brauen:

»Señor, mich zog Columb ins Haus,

Ließ mich die Karten schauen,

Was er doziert', verstand ich nicht,

Ich ließ es alles gelten –

Sein übermächtig Angesicht

Verhieß mir neue Welten!

 

Ist er ein Narr und haben wir

Uns in das Nichts verlaufen,

Ein räud'ger Hund, Señor, wie Ihr,

Darf fröhlich mit ersaufen!«

– »Señor, da betet Ihr nicht gut!

Zurück Euch in den Rachen

Den räud'gen Hund! Ihr raucht von Blut

Und risset aus den Wachen!«

 

»Señor, ich dolcht ein falsches Weib,

Bekenn ich unverhohlen!

Nicht hab dem Bäcker einen Laib

Vom Brett ich weggestohlen!

Señor, Ihr seid ein Galgenstrick!«

– »Señor, Ihr seid nicht besser!«

Sie ziehen mit entflammtem Blick

Und kreuzen blanke Messer...

 

Da zwischen ihre Messer walzt

In tollem Freudensprunge,

Mit ölgetränkten Fingern schnalzt

Miguel, der Küchenjunge.

Er drückt die Lider blinzelnd ein

Mit schlauem Wimperzwinken,

Bald hüpft er auf dem rechten Bein,

Bald hopst er auf dem linken,

 

In Lüften bläht sich sein Gewand,

Es puffen ihm die Hosen –

Neugierig kommen hergerannt

Soldaten und Matrosen.

Der Junge redet kunterbunt,[186]

Als ob's im Kopf ihm fehle,

Dann öffnet er den großen Mund

Und singt aus voller Kehle:

 

»Das Heimchen zirpt, das Heimchen zirpt,

Stimmt Laudes an und Psalmen!

Und wenn's mir nicht vor Freude stirbt,

Bald weidet's unter Halmen!

Ich schwör es euch bei Gottes Haupt:

Es atmet duft'ge Weiden,

Es wittert Wälder dichtbelaubt

Und unermeßne Heiden!

 

Erlauchte Herren, gebet acht,

In meinem engen Räumchen

Hat unsre Meerfahrt mitgemacht

Ein andalusisch Heimchen –

Mitnahm ich's aus dem Vaterland,

Mich scheidend zu beschenken,

Ich fing's mit flinkem Griff der Hand

Zu einem Angedenken.

 

Da wir zu Schiffe stiegen dort,

Die Zierden aller Lande,

Zirpt' Heimchen mir im Busen fort,

Als weidet's noch am Strande.

Das grüne Vorgebirg verschwand,

Dem Heimchen ward es schaurig,

Beklommen saß es an der Wand

Und wurde faul und traurig.

 

So darbt's und dämmert's langezeit,

Schon gab ich es verloren,

Und nun, bei meiner Seligkeit,

Ist Heimchen neugeboren!

Bedenkt, es hockte gram und lahm

An Dielen und an Wänden,

Jetzt jubelt's wie ein Bräutigam

Und kann nur gar nicht enden!«[187]

 

Miguel ist fort und wieder da,

Die Fingerspitze zeigend:

Da sitzt es ja! Da singt es ja!

Die Spanier lauschen schweigend –

Dann sinnen sie der Sache nach,

Den Lustgesang im Ohre,

Sie schütteln sich die Hände jach

Und schrein in wildem Chore:

 

»Das Heimchen zirpt! Das Heimchen zirpt!

Bald schwelgen wir in Beute!

Wer spielt, gewinnt! Wer wagt, erwirbt!

Wir sind gemachte Leute!

Die Küste winkt! Das Gold erblinkt,

Davon die Sagen melden!

Das Morgen steigt! Das Gestern sinkt!

Wir sind berühmte Helden!«[188]

 

Don Fadrique

Don Fadrique bringt ein Ständchen

Der possierlichen Pepita:

»Liebchen, strecke durch die Türe

Deines Füßchens Spitze nur!«

 

Und die drollige Pepita

Streckt durch eine schmale Spalte

Eines allerliebsten Fußes

Weißes Spitzchen in die Luft.

 

Don Fadrique krümmt den Rücken,

Will das weiße Spitzchen küssen,

Knabe Amor steht beiseite,

Der den Bogen lachend spannt.

 

Nach dem ewigjungen Herzen

Zielt er, doch wer lacht, der zielt schlecht:

In des Ritters alten Rücken

Schießt er einen Hexenschuß.[188]

 

Don Fadriques Knochen rasseln,

Don Fadrique stürzt zusammen,

Figaro holt eine Sänfte,

Figaro bringt ihn zu Bett.

 

»Frommer Bruder Agostino,

Exorziere mir das frevle

Allerliebste weiße Füßchen,

Das durch meine Beichte tanzt!«

 

Don Fadrique sucht den Hades,

Zierlich schreitend wie ein Stutzer,

Tänzelnd leuchtet ihm ein weißes

Füßchen durch die Unterwelt.[189]

 

Die Schweizer des Herrn von Tremouille

Herr Karl war verdrossen,

Sein Pulver verschossen:

»O Gunst der Bellona, du wandelndes Glück!

Umstarrt allerenden

Von Felsen und Wänden,

Laß ich meine herrlichen Büchsen zurück?«

 

Da kam aus der Pouille

Herr Ludwig Tremouille

Und sprach: »Ich bezwinge die schwindelnde Bahn!

Nicht Rosse, nicht Farren

Vor Büchsen und Karren!

Ich spanne mich selbst und die Schweizer daran.

 

Die kennen die Berge!

Das sind keine Zwerge,

Wie deine Gascogner, die zapplige Brut!

Die haben dir Arme,

So harte, so warme!

Herr König, ich steh für die Büchsen dir gut!

 

Ihr Herrn aus den Bünden,

Bedenkt eure Sünden:[189]

Den rollenden Würfel, den Becher, die Dirn!

Die wollen wir fegen

Auf brennenden Wegen,

Die büßen wir heute mit triefender Stirn!«

 

Weg warf er die Jacke,

Daß fester er packe

Das Seil um die erste Kanone geknüpft –

Da jauchzten die Buben

Und schoben und huben,

Im Nu aus den puffigen Wämsern geschlüpft.

 

Der stämmige Berner,

Der lust'ge Luzerner,

Sie streiften die nervigen Arme sich nackt;

Die Kinder der Rhone,

Der braune Grisone,

Sie zogen die rasselnden Büchsen im Takt.

 

Ein knarrendes Stöhnen,

Metallenes Dröhnen!

Sie fuhren zu Berg mit der Herde von Erz,

Vorüber den Schründen,

Die Herrn aus den Bünden,

Als ging' es zum Reigen mit Jubel und Scherz.

 

Ein prächtiges Wetter!

Drommetengeschmetter

Erschüttert die blaue, die strahlende Luft.

Ihr schollt, Apenninen,

Von hellen Klarinen

Und klangt bis in eure verborgenste Schluft!

 

Doch hartes Bedenken!

Da gab's keine Schenken

Für durstige Gaumen und siedendes Blut.

Herr Ludwig ruft munter:

»Bald geht es bergunter!«

Und reißt an dem Seil in der sengenden Glut.[190]

 

Wie kicherte Flore,

Wie höhnte Aurore,

Erblickten hemdärmlig den Ritter sie hier!

Mit keuchender Lunge,

Mit lechzender Zunge,

Den zierlichen Helden an Fest und Turnier!

 

Noch einmal geschoben,

Und jetzt sind sie oben!

Sie rasten, auf glühende Felsen gestreckt,

Und sehen mit Weiden

Und goldnen Getreiden

Die fette lombardische Fläche bedeckt.

 

Der Liebling der Frauen

Nahm, sich zu beschauen,

In Züchten sein silbernes Spieglein hervor,

Besah in der Wildnis

Sein schreckliches Bildnis

Und fluchte: »Potz Blitz! Ich bin Ludwig der Mohr!«[191]

 

Die Seitenwunde

Über ihre Tore statt der Muse

Meißeln die Baglioni die Meduse

Und an ihren grausen Hochzeitsfesten

Kämpft der Bräutigam mit seinen Gästen.

 

Heute liegen wieder sie wie Garben:

Blutsgenossen, die, sich würgend, starben!

Wo des Bruderhasses Fackel brannte,

Sucht das Kind und findet's Atalante.

 

Niederstarrend, auf das Knie gesunken,

Hebt des Sohnes Haupt sie jammertrunken,

Drüber hebt sie die geballte Rechte,

Daß sie fluche diesem Mordgeschlechte...

 

Ihres Knaben Haupt, ein blondes ist es,

Wie das dorngekrönte Haupt des Christes![191]

Wie des Christes Haupt ist's ein erbleichtes,

Auf die Schulter friedevoll geneigtes!

 

Ihrem Knaben steht die Seite offen,

Wo der Speer Longins den Herrn getroffen...

Haß und Fluch erlischt auf ihrem Munde,

Sie verehrt die heil'ge Seitenwunde...[192]

 

Cäsar Borjas Ohnmacht

Wer bin ich? Einer, welcher unterging,

Den Kranz im Haar, den Becher in der Faust,

Mit einem herkulanischen Gelag

Von einem ungeheuren Sturz bedeckt?

Ich weiß den Becher nur und meinen Sturz...

 

Im Belvedere... Gestern... Am Bankett...

Den Becher, ihn kredenzte schlürfend mir

Der Papst, der ewig heiter lächelnde,

Denn Cäsar Borja bin ich, Sohn des Papstes!

 

Die Ampel über meinem Lager kämpft

Mit eines neuen Tages fahlem Schein...

Ob's gestern oder ehegestern war,

Ich weiß es nicht, doch eines weiß ich wohl:

In jenem Becher gor der Borja Gift.

Er galt dem Gast, dem Bischof. Selbst gewürzt

Hat sich der Vater ew'gen Schlummers Trunk!

Ein Becher ward verwechselt. Warum nicht?

Verrat des Schenken? Zufall?... Es geschah.

Ich lebe.