Mein Kind ist keine Dirn!

Ihr blicket frech!« Der Jüngling starrt

Auf die gesenkte Mädchenstirn.

 

Der Wunsch ist Glut! Die Scham ist Glut!

Die hohe Doppelflamme loht!

Er streckt die Hand. Das höchste Gut

Ergreift er und ergreift den Tod.[160]

 

»Frau, strafet mich nicht allzuschwer!

Das süße Haupt! Das blonde Haar!

Gewähret sie mir!« stammelt er.

»Ich führe stracks sie zum Altar!«

 

Den Ring, der ihm die Hand bereift,

Der Amidei Trauungsring,

Hat rasend er sich abgestreift

Und schleudert ihn. Da rollt er. Kling...

 

Jetzt kniet er im Kapellenraum,

An Freveln und an Wonnen reich,

Zur Linken kniet sein sünd'ger Traum,

Wie Engel schön, wie Tote bleich.

 

Dem Paar zu Häupten murmelt leer

Und schnell ein feiles Priesterwort –

»Die Rosse her! Die Rosse her!

Zum Tor hinaus! Ins Freie fort!

 

Du lieb Geschöpf! Du bebst wie Laub!

Verlarve dir das Angesicht!

Faß Mut! Ich bringe meinen Raub

In eine Burg, die keiner bricht!«

 

Am Rand der Arnobrücke steht

Ein schwarzverwittert Marmelbild

Mit Helmgeflatter, Kriegsgerät,

Gott Mars, und lächelt falsch und wild.

 

Das Schwert des Gottes schüttert leis.

Da springt hervor mit Erzeslaut

Ein Hinterhalt, ein Mörderkreis,

Die Sippe der verratnen Braut.

 

»Verdammter, stirb!« – »Geliebte, flieh!«

Wild ringend stürzt er umgebracht,

An seinen Busen gleitet sie

Und sinkt mit ihm in eine Nacht.[161]

 

Herab von aller Türme Hang

Verkündet gellend Sturmgeläut

Den Bürgerkampf. Das Schwert erklang

Dem Gott, der sich des Mordes freut.[162]

 

Die Ketzerin

Fra Dolcin, der Ketzer, der von Dante

In den achten Höllenkreis Gebannte,

Hat ein Weib geliebt, von dem sie sagen,

Daß kein schönres lebt' in jenen Tagen.

Kamen seine Jünger ihn zu grüßen,

Saß die Blonde schon zu seinen Füßen,

Segnet' er das Volk mit frevler Rechten,

Neigte sie zuerst die goldnen Flechten;

Dem Verfemten folgte sie, dem Fliehnden,

Durch die Schluchten des Gebirges Ziehnden –

Da er von den Schergen ward gefangen,

Ist sie seinen Fesseln nachgegangen;

Wo er in der Flamme sich gewunden,

Steht auch sie am Marterpfahl gebunden.

 

Lieblich ist, die Fra Dolcin verführte,

Wie noch nie ein Weib die Herzen rührte;

Augen, unergründlich wunderbare,

Schaun, als ob sie zu den Sel'gen fahre.

Die sie richten, fragen sich mit Grauen:

Kann die Hölle wie der Himmel schauen?

Und es zittern vor dem unschuldvollen

Engelsantlitz, die sie martern wollen.

 

Selbst der Priester spricht mit ihr gelinde,

Als mit einem irrgegangnen Kinde:

»Schwaches Weib, der dich verleitet hatte,

Weder Bruder war er dir, noch Gatte!

Seine Asche treibt im Wind! Verflogen

Sind die Stapfen, die dich nachgezogen!

Büße! Folge reuig den Geboten

Unsrer heil'gen Kirche! Laß den Toten!«

In den Banden kann sich nicht bewegen[162]

Margherita, nur die Lippen regen:

»Leiden muß ich, was Dolcin gelitten...

Horch, er ruft! Ich folge seinen Schritten« –

Und die warmen, tiefen Blicke strahlen –

»Durch die Martern folg ich, durch die Qualen!«

– »Ketzerin, dich stärken finstre Mächte!

Brände her!«... Es rühren sich die Knechte.

 

Siehe da! Wie flammendes Gewitter

Unter die Gescheuchten fährt ein Ritter,

Will den schönen Dämon sich erstreiten;

Er bemächtigt sich der Maledeiten,

Ihre Kniee faßt er mit der Linken,

In der Rechten droht des Schwertes Blinken:

»Tretet aus die Glut! Bei Gottes Leibe,

Löscht die Fackeln! Weg von meinem Weibe!

Sage ja... mit einem Wink der Lider...

Und vom Scheiterhaufen steigst du nieder!

Keiner wird auf meiner Burg es wagen,

Dich um deinen Glauben zu befragen!«

 

– »Laß mich ziehn!... Ich darf mich nicht verweilen...

Horch, Dolcino ruft!... Ich muß mich eilen...

Gib mich frei!« er weicht mit einem herben

Hohngelächter: »Mag die Törin sterben!«

 

Über ihrem blonden Haupt zusammen

Schlagen Todesflammen, Liebesflammen.[163]

 

Der Mönch von Bonifazio

»Korsen, löst des Portes Ketten! Jede Hoffnung ist verschwunden!

Nirgend weht ein rettend Segel! Gebt euch! Pfleget eure Wunden!

Genua, euer hat's vergessen! Spähet aus von eurem Riffe!

Sucht im Meere! Schärft die Augen! Nirgend, nirgend Genuas Schiffe![163]

Eure Kinder hör ich wimmern, eure Fraun, die hungermatten,

Blicken hohl wie Nachtgespenster und ihr selber wankt wie Schatten!«

Vom Verdeck des Schiffes ruft's empor zu Bonifazios Walle

König Alfons milden Sinnes, aber droben schweigen alle.

Nimmer würden sich dem Dränger diese tapfern Korsen geben,

Gölt es nur das eigne, gölt es nicht der Knaben junges Leben!

Finster vor sich niederstarrend, treten flüsternd sie zusammen –

Eines Mönchs empörte Augen schießen Blitze, schleudern Flammen:

»Feige Hunde! Keine Korsen! In die Hölle der Verräter!«

– »Schweige, Mönch! Wir haben Herzen. Wir sind Gatten, wir sind Väter.«

Auf dem preisgegebnen Felsen kniet der Mönch in wildem Harme:

»Leihe, Gott, mir deine Hände! Gib mir deine starken Arme!

Heute komm ich Lohn zu fordern. Alles gab ich. Nichts geblieben

Ist mir außer meinem Felsen. Aber etwas muß ich lieben.

Gott, du kannst mit deinen Kräften eines Menschen Kräfte steigern!

Was du tatst für deine Juden, darfst du keinem Korsen weigern!

Genuas Schiffe will ich suchen! Will sie bei den Schnäbeln fassen!

Spannen will ich weite Segel und sie nicht ermatten lassen!«

Alle seine Muskeln schwellen, alle seine Pulse beben,

Schiffe durch das Meer zu schleppen, Segel aus der Flut zu heben.

Aufgesprungen, überwindend Raum und Zeit mit seinem Gotte,

Deutet er ins Meer gewaltig: »Dort! Ich sehe dort die Flotte!«[164]

Aber keine Segel blinken aus des Meeres farb'ger Weite,

Unbevölkert flutet eine schrankenlose Wasserbreite.

Nur die Sonne wandert höher, ihre Strahlen brennen wärmer.

Nichts als Meer und nichts als Himmel. Alfons lächelt: »Armer Schwärmer!«

Dort! Am Saum des Meers das Pünktchen... Sichtbar kaum... Der zweit und dritte

Punkt und jetzt ein viert und fünfter und ein sechster in der Mitte!

Winde blasen, Wellen stoßen. Meer und Himmel sind im Bunde.

Segel, immer neue Segel steigen aus dem blauen Grunde.

Wende deine Schiffe, König! Sonst verlierst du Ruhm und Ehre!

Woge, Fürstin Genua, woge, du Beherrscherin der Meere!

Alle Glocken Bonifazios schlagen schütternd an und stürmen,

Jubel wiegt sich in den Lüften über den zerschoßnen Türmen.

Und der Mönch, der mit der Allmacht seinen ird'schen Arm bewehrte?

An der Erde liegt er sterbend, der von ihrem Hauch Verzehrte.[165]

 

Jung Tirel

»Jung Tirel, fuhrest über See?

Jung Tirel, mir willkommen hie!

Sahst du so dunkle Forste je?

So stolze Forste sahst du nie!

 

Ein englisch Wild erst umgebracht!

Dann geb ich dir ein englisch Lehn!«

Jung Tirel, dem das Herze lacht,

Läßt seine blanken Zähne sehn.

 

»Wer heut den besten Schuß mir tut,

Den Achtzehnender mir erlegt,

Der nehme sich als Lehensgut

Den Königsforst, der ihn gehegt![165]

 

Zuschwör ich dir's auf diesen Bart,

Der feuerrot die Brust mir deckt!

Zu Wald! Zu Wald! Der Rappe scharrt!

Die Bracke spürt! Der Rüde bleckt!«

 

Herr Wilhelm stößt ins Jägerhorn,

Ein Geier krächzt in seinem Horst,

Die Wipfel peitscht ein dunkler Zorn,

Es braust und tost. Dann schweigt der Forst.

 

Herr Wilhelm schlägt mit Tirel Rat:

»Ich links, du rechts! Fort! Gute Birsch!«

Es knirscht das Laub, darauf er trat.

In heller Lichtung äst ein Hirsch:

 

Ein Rothirsch, der vier Ellen mißt,

Daß sich ein Jägerherze freut,

Der dieses Forstes König ist,

Mit weit verästetem Gestäud.

 

Herraunt's aus Waldesfinsternis

Zu Tirel, der sich duckt ins Moos:

»Verdammt, daß mir die Sehne riß!

Drück du in Teufels Namen los!«

 

Herr Tirel lauscht. »Wer sprach das Wort?«

Ein Weilchen schweigt's im Laubesdach.

»Schieß, Tirel!« raunt's von anderm Ort.

Er schießt. Genüber stöhnt ein Ach.

 

Herr Tirel, das war schlimme Birsch!

Im Dickicht rinnt ein Bächlein rot.

Ihr fehltet Englands größten Hirsch

Und schosset Englands König tot.[166]

 

La Blanche Nef

»Herr König, ich bin Steffens Kind,

Der den Erobrer einst geführt!

Es ist ein Lehn, daß mein Gesind,

Mein Schiff allein den König führt![166]

 

Voraus den schnellsten Seglern fliegt

Mein Boot, La Blanche Nef genannt,

Es weiß, wo sichre Tiefe liegt,

Es furcht das Meer, es kennt den Strand!«

 

– »Nicht mich, doch meinen besten Hort,

Vier Königskinder, führest du –

Sie knospen, weil mein Leben dorrt –

Die junge Normandie dazu!

 

Gelobe mir dein himmlisch Teil,

Gelobe mir dein männlich Wort:

Du bringst an Leib und Seele heil

Die Kinder mir nach England dort!«

 

– »Ich schwöre dir mein himmlisch Teil,

Ich schwöre dir mein männlich Wort:

An Leib und Seele bring ich heil

Die Kinder dir nach England dort!«

 

Des Schiffers geller Pfiff erscholl,

In See das Boot des Königs stach –

Ein Korb von frischen Blumen voll,

Glitt Blanche Nef, la Belle, nach.

 

So leichtbeschwingt wie nie zuvor,

Durchfurchte Blanche Nef die See

Mit ihrem kräft'gen Knabenflor

Und Mägdlein schlank wie Hirsch und Reh.

 

Die Königskinder hell und zart,

Erhöht, inmitten saßen sie,

Ringsum, gepaart in Zucht und Art,

Das Edelblut der Normandie.

 

Vier Stimmen sangen frisch und schön

Und hundertstimmig scholl der Chor,

Es zog das junge Lustgetön

Die Nixen aus der Flut empor.[167]

 

– »Ich warne junge Herrlichkeit

Und dich, normännisch Edelblut,

Das Singen schafft der Nixe Leid

Dem freudelosen Kind der Flut!«

 

– »Und schaffen dem Gezücht wir Leid,

Und quälen wir das Halbgeschlecht,

Und reizen wir der Nixe Leid.

Das, Steffen, ist uns eben recht!«

 

Gemach verlosch das Abendrot,

Des Tages Gluten schliefen ein,

Ausbreitet über Meer und Boot

Der Mond den bleichen Geisterschein.

 

Die See ist wunderlich erregt.

Was wandert um des Kieles lauf?

Von Armen wird die Flut bewegt,

Beglänzte Nacken tauchen auf.

 

Der Steffen ernst am Steuer stand:

»Das Meer ist klar . . . doch droht Gefahr . . .«

Er deutet mit gestreckter Hand:

»Da naht sie schon, die Nixenschar!«

 

Umklammert hält den schrägen Mast

Ein blanker Leib als Schiffsfigur,

Daß Blanche Nef, von Graun erfaßt,

In wilder Flucht von dannen fuhr.

 

– »Ich warne junge Herrlichkeit,

Vergeßt die Nachtgebete nicht!«

– »Ei, Steffen, Kind der alten Zeit,

Süß herzt es sich im Mondenlicht . . .«

 

Es klimmt und überklimmt das Bord,

Es läßt sich nieder aus den Taun,

Es kichert wie ein freches Wort,

Es schaudert wie ein lüstern Graun . ..[168]

 

Es reizt, es quält, es schlüpft, es schmiegt

Sich zwischen Edelknecht und Maid,

Bis sich das Paar in Armen liegt

Zu früher Lust, zu Tod und Leid . . .

 

Dem Steffen steigt das Haar.