Gedichte

John Keats


Gedichte von einem,
dessen Name in Wasser geschrieben wurde

Ode an eine Nachtigall

Ein Herz tut weh, und schläfriges Erlahmen,
Als hätt ich Gift getrunken, quält mich sehr.
Betäubte mich ein Trank aus giftigen Samen?
Mich hüllt Vergessenheit, ich weiß nichts mehr.
Doch ist's nicht Neid auf dein so glücklich Los –
Nur füllt so schwer mit Glück dein Glück mich an:
Daß du, des Walds beflügelte Dryade,
In lieblich kühlem Schoß,
Im Schatten, den das Buchengrün dir spann,
Der Freiheit jubeln kannst, der Sommergnade.

O Wein jetzt! Jungen Wein, den Erde kühlte,
Den dunkelkühl ein langes Jahr gereift,
Der sonngebräunten Frohsinn tanzen fühlte,
Und der des Provençalen Lied begreift;
O einen Becher warmen Südens jetzt!
O Hippokrene, die zum Rande schäumt
Und gern und gut Begeisterung bereitet
Mit Lippen rot benetzt,
Dich will ich trinken, daß ich ungesäumt
Zum Wald entschweben kann, von dir geleitet.

Entschweben, ganz vergehn – und ganz vergessen,
Was du in deinem Walde nie gekannt:
Die Menschennot, die Mühen unermessen,
Das Sorgenfieber, das die Herzen bannt;
Du weißt nicht, wie gelähmtes Alter stöhnt,
Wie Denken immer nur Sich-härmen heißt,
Wie Jugend bleicht und schleicht und siecht und schwindet,
Und wie Verzweiflung höhnt,
Wo Schönheit, wenn ihr Blick das Leben preist,
Um Liebe weinen lernt und bald erblindet.
Hinweg! Zu dir! Doch soll nicht Bacchus Wagen
Mit Pantherkraft mich ziehn, nein! Poesie
Soll mich auf unsichtbaren Schwingen tragen,
Drückt auch dies Hirn noch müde Apathie.
Schon bin ich bei dir! Milde ist die Nacht,
Und Luna thront mit lächelndem Gesicht
Und überblickt ihr Sternenvolk voll Gnade,
Doch hat sie hier nicht Macht:
Nur manchmal bläst ein Windhauch etwas Licht
Durch grüne Dämmernis auf moosige Pfade.

Ich sehe nicht, was blüht zu meinen Fußen,
Welch süßer Balsam rings an Zweigen hängt;
Doch auch im Dunkel ahn ich, was an süßen
Duftwellen atmend in die Mainacht drängt
Aus wildem Beerenbaum und Gras und Strauch:
Ich atme Weißdornduft und Rosenblühn
Und Veilchen, die in Blätterbetten sterben,
Und Moschusrosen auch,
In denen morgens bunte Tropfen glühn
Und abends Sommerfliegen sich umwerben.

Im Dunkel lausche ich; und wie Verlangen
Mich oft schon faßte nach dem stillen Grab,
Wie ich dem Tod, mich herzlich zu umfangen,
Schon oft in Liedern liebe Namen gab,
So scheint mir Sterben jetzt besonders schön.
Ach, schmerzlos mich zu lösen in die Nacht,
Indeß dein Sang in heiligen Ekstasen
Beschüttet Tal und Höhn
Und doch mein Herz nicht höher schlagen macht,
Das nur als Duft noch schwingt im blumigen Rasen.

Du Vöglein wurdest nicht zum Tod geboren!
Nein, dich zertritt kein hungerndes Geschlecht.
Was diese Nacht mir tönt, sang in die Ohren
Dem ersten König schon, dem ersten Knecht,
Und ist vielleicht derselbe Sang, der tief
Der heimwehkranken Ruth zum Herzen klang,
Als sie in Tränen schritt durch fremde Gassen,
Derselbe Sang, der tief
Bezaubernd sich um Märchenschlösser schwang
Und Feenreiche, die nun längst verlassen.

Verlassen! Ach, dies Wort ist wie das Klingen
Trostloser Glocken, das zu mir mich mahnt!
Auch Phantasie kann nicht Erlösung bringen,
Wenn ihr nicht Hoffnung einen Weg gebahnt.
Lebwohl! Lebwohl! Dein Schmerzgesang entschwebt
Zum Wiesengrund aus Waldes hohem Dom,
Ins Tal hinab und schweigt am dunklen Bache.
Ward mir ein Traum belebt?
Betrog die wachen Sinne ein Phantom?
Wer sagt mir, ob ich schlafe oder wache!

Ode auf eine griechische Urne

Liebkeusche Braut der steten Stille du,
Du Pflegekind von Tag und Tag und Schweigen!
Welch blumiges Waldgeschichtchen schilderst du –
Und sagst es süßer als ein Reimereigen?
Welch blattumrankte Mär umstreicht dein Rund
Von Göttern oder Menschen oder beiden
In Tempe oder in Arkadiens Hängen?
Wer sind sie, die an Mädchenangst sich weiden?
Was jagt so toll? Was ringt und flieht so bunt?
Welch Flötenlied? Welch lustberauschtes Drängen?

Gehörtes Lied ist süß, doch süßer ist
Ein ungehörtes: sanfte Flöte, weiter!
O wie du, klanglos, mehr als köstlich bist,
Du geisterhaft-lautlosen Lieds Begleiter!
Nie kannst du, Jugend, lassen von dem Sang,
Wie nie die Bäume hier ihr Laub verlieren;
Du keck Verliebter, nie, nie kannst du küssen,
So nah du auch dem Ziel – doch sei nicht bang:
Nie welkt sie! Wirst du auch entbehren müssen,
Wird Liebe dich und Schönheit sie stets zieren.

Glücklicher Baum in ewiger Frühlingszeit,
Nie sinken deiner Zweige Blätter nieder.
Glücklicher Sänger, ohne Müdigkeit
Für immer flötend immer neue Lieder!
Und Liebe, Liebe, voll von größerem Glück:
Für immer heiß und der Erfüllung harrend,
Du immer jagende, du immer junge!
Wie steht vor dir lebendige Gier zurück,
Die Herzen satt macht, im Genuß erstarrend,
Die Hirn erhitzt und dürr versengt die Zunge!

Und wer sind diese mit dem Priester hier
Und jener Färse? Welcher Gottheit danken
Im Grünen sie mit schönstem Opfertier,
Dem Kränze blühen um die seidnen Flanken?
Welch kleine Stadt an Fluß, in Bergeshain,
An Seestrand, Stadt mit Burg zu Wehr und Frieden.
Steht diesen frommen Tag mit leeren Gassen?
Du kleine Stadt wirst ewig stumm nun sein,
Denn keinem wird die Heimkehr je beschieden,
Dir kundzutun, warum du so verlassen.

O attische Form, so schön wie nie erschaut,
Um die sich marmorn Mann und Mädchen ranken,
Mit vollen Zweigen und zertretnem Kraut,
Schweigende Form! du rufst in uns Gedanken,
Wie Ewigkeit es tut: kalt Schäferspiel!
Sind wir mit unserm Leid dahin, so findest
Du andres Leid und wirst in Kümmernissen
Den Menschen trösten, dem du dies verkündest:
»Schönheit ist Wahrheit, Wahr ist Schön!« – Nicht viel,
Nur dies weißt du – und brauchst nicht mehr zu wissen.

Ode an Psyche

O Göttin! lausche diesem armen Lied,
Das lieb Erinnern, süßer Zwang geboren;
Verzeih, das dein Geheimnis es erriet
Und wiederkündet deinen eignen Ohren:
Ich träumte heut – denn sollte wacher Sinn
Wohl je die lichtbeschwingte Psyche schauen? –
In lichtem Walde schritt ich für mich hin,
Da plötzlich faßte mich ehrfürchtig Grauen:
Eng Seit an Seite lag ein schönes Paar
Ins Gras gebettet, über ihnen spann
Das Laub ein flüsternd Dach, ein Bächlein rann
Durchs Grün, kaum wahrnehmbar.

Auf blumiger Au, die bunt und silberklar
Und kühl und duftend in die Stille sann,
Sanftatmend lagen sie, die Flügel bogen
Sich aneinander und die Arme auch,
Die Lippen trennte nur ein Atemhauch,
Als halbe Schlummer Mund von Mund gezogen,
Als würden jungerwachte Liebeswogen
Zu neuem seligen Küssen sie beglücken.
Den Knaben kannte ich;
Du Taube doch, du lieblichstes Entzücken,
Warst Psyche sicherlich!

O letztgebornes lieblichstes Gesicht
Hoch über des Olymps verbleichter Pracht!
O schöner du als erstes Sternenlicht,
Das wie ein Glühwurm in den Abend wacht.
Ja schöner du! Obgleich nicht ein Altar
Noch Opfer dir geschichtet
Und nächtens keine süße Mädchenschar
Zu dir Gesänge richtet:
Kein Wort, kein Flötenspiel, kein frommer Rauch,
Der sanft aus schwingenden Gefäßen wellte,
Kein Schrein, kein Hain, nicht ein inbrünstiger Hauch,
Der eines bleichen Priesters Träumen schwellte.

O Strahlendste! Zu spät für jene Zeit,
Zu spät, zu spät auch für leichtgläubige Leier,
Die heilig sprach des Waldes Einsamkeit,
Heilig die Luft, das Wasser und das Feuer.
Doch selbst in unsern Tagen, die so ferne
Von froher Frömmigkeit, erglänzt dein Flug,
Der über stürzenden Olymp dich trug,
Nun meinen Augen, und ich bete gerne.
So laß mich sein die süße Mädchenschar,
Die betet am Altar,
Dein Wort, dein Flötenspiel, dein frommer Rauch,
Den dir ein schwingend Weihgefäß entsendet,
Dein Schrein, dein Hain und dein inbrünstiger Hauch,
Den eines bleichen Priesters Traum dir spendet.

Ich will, dein Priester, dir den Tempel richten
In meiner Seele unbegangnem Hain:
Verschlungene Gedanken sind die Fichten,
Die flüsternd schützen deinen heiligen Stein,
In dunklen Gruppen sollen all die Bäume
Die steilen Bergesklüfte dicht befiedern,
Und schlummernde Dryaden wiegt in Träume
Der Wind, der Strom, der Wald mit seinen Liedern.
Und in der Mitte dieser weiten Stille
Baut dir ein rosiges Heiligtum mein Wille
Mit allem, was inbrünstiges Hirn ersinnt,
Umrankten Gittern, seltnen Blütenglocken.
Im Blumenhain, den Phantasie dir spinnt,
Ist alles Blühen ewiges Frohlocken,
Und dort ist dein allsüße Seligkeit,
So weit wie Träume fassen,
Und Fackel nachts und Fenster, das bereit,
Die Liebe einzulassen.

Ode auf die Indolenz

Ein Morgen war, da sah ich drei Gestalten,
Das Haupt gesenkt und Hand in Hand geschmiegt,
Und wie sie feierlich vorüber wallten
Mit sanftem Schritt, von weißem Kleid umwiegt,
Wars so, als würde marmornes Gefäß
Rundum gedreht, den Bildschmuck zu besehen,
Bis daß des Reigens Anfang wiederkehrt;
So kamen sie, dem Urnenbild gemäß.
Und wie wir fremd vor mancher Urne stehen,
So war auch hier Verstehen mir verwehrt.

Wie kams, daß ich euch Schatten nicht erkannte?
Wars Absicht, daß wie starres Maskenbild,
Den Blick verhüllt, sich keine näher wandte,
Damit nun Trägheit meine Tage füllt?
Ihr stahlt euch fort; die Stunde trug so schwer:
Wie Wolkenschwall kam Indolenz geschwommen,
In Sommerseligkeit ertrank mein Blick,
Und Leid und Freude schmolz im sonnigen Meer.
Was mußtet ihr so mahnend wiederkommen?
Entschwebt, und laßt mir nichts als nichts zurück!

Sie nahten sich zum drittenmal und wandten
Den Blick nach mir – und wandelten vorbei;
Ich wollte folgen, meine Pulse brannten.
Euch nach! so riefs in mir, ich kenn euch drei!
Du bist die Liebe, erste – schönste Maid!
Du zweite: Ehrsucht mit den bleichen Wangen
Und müden Augen, – ach, sie schlummert nie!
Du letzte, viel geschmäht in Haß und Streit,
Von mir geliebt in schmerzlich süßem Bangen,
Du bist mein Dämon – du bist Poesie!

Sie schwanden – und ich sehnte mich nach Schwingen.
O Torheit! – Liebe? Wem erblüht sie je? –
Und Ehrsucht? Was kann arme Ehrsucht bringen?
Was ist sie mehr als eine Wahnidee! –
Und Poesie? Nein, so beglückt sie nie –
Mich sicher nie – wie süße Sommerstunden,
In die des Nichtstuns goldner Honig taut.
O hinter Mauern seliger Lethargie
Ein Leben leben, fern von Qual und Wunden,
Von Tag und Nacht und hastigem Menschenlaut!

Noch einmal nahten sie wie stumme Frage.
Weshalb? Mit Träumen war mein Schlaf bestickt,
Die Seele lag gleich buntdurchblühtem Hage,
Von Sonnenglanz und Schattenspiel durchblickt;
Der Morgen war bewölkt, sein Auge schwer
Von Tränen, doch sie flossen nicht hernieder;
Durchs offne Fenster lugte junger Wein,
Drang Knospenglut und klangen Drossellieder –
O Schatten! Geht und naht euch nun nicht mehr,
Ich hatte keine Tränen euch zu weihn.

Ihr könnt mein Haupt nicht heben, das im Grase,
Im buntdurchblühten, kühl in Ruhe sank;
Mich lüstet nicht nach Ruhm, nach Lobesphrase,
Nicht Held zu sein in bürgerlichem Schwank.
Verweht vor meinem Blick, seid noch einmal
Wie alter Urne fremde Traumfiguren.
Lebt ewig wohl! Noch hab ich für die Nacht,
Noch für den Tag Visionen ohne Zahl.
Phantome ihr, entschwebt in Wolkenfluren,
Mein Geist ruht aus, ihr habt ihn nicht in Macht!

An die Hoffnung

Wenn ich in meinem Zimmer einsam bin
Und häßliche Gedanken mich umdunkeln,
Wenn keine Traumlust schmeichelt meinem Sinn,
Aus kahlem Leben keine Blüten funkeln,
Dann, süße Hoffnung, schenke Balsam du,
Mit Silberschwingen fächle mich in Ruh.

Und wenn ich wandre zu Beginn der Nacht
Durch Dickichte, die keinen Mondglanz kennen,
Und wenn Verzagtheit mich bekümmert macht
Und gut versteht, von Frohsinn mich zu trennen,
Dann lug durchs Laubendach als lichter Stern
Und halt den Teufel Kleinmut von mir fern.

Und sollt Verdruß, der Verzweiflung liebt,
Für sie nach meinem jungen Herzen krallen,
Die durch die Luft gleich schwarzer Wolke schiebt
Und immer lauert, auf mich herzufallen,
Dann, süße Hoffnung, strahle deine Pracht
Und scheuche ihn, wie Morgen scheucht die Nacht!

Spricht je das Schicksal jener, die mir nah,
Zu meinem Herzen von betrübten Sorgen,
O Hoffnung, heiliges Auge, lächle da,
Laß deine süßen Tröstungen mich borgen,
Himmlisches Leuchten, Hoffnung, schenke du,
Mit Silberschwingen fächle mich in Ruh!

Wenn je unglücklich Lieben an mir zehrt
Zu einer grausam unbarmherzigen Schönen,
So laß mich denken, daß es doch von Wert,
Sonette in die Mitternacht zu stöhnen!
O süße Hoffnung, schenke Balsam du,
Mit Silberschwingen fächle mich in Ruh!

Im langen Lauf der Jahre, die da gehn,
Gib mir, daß unser Land der Ehre diene,
Und laß mich wieder seine Seele sehn:
Die Freiheit – nicht nur freiheitliche Miene.
Besondern Glanz, o Hoffnung, schenke du –
Und gib mir unter kühlen Schwingen Ruh!

Die große Freiheit, weiß und ungeschmückt,
Um deren Reinheit Patrioten sterben,
Laß mich nicht sehn, wie sie der Purpur drückt
Und sie sich beugt und bietet dem Verderben;
Doch laß mich deine Silberschwingen sehn,
Die glitzernd breit in dunklen Himmeln stehn.

Und wie wohl eines Sternes kleines Licht
Verheißungsvoll in schwarzen Höhen funkelt
Und milden Strahls durch finstre Wolken bricht,
So, süße Hoffnung, wenn mein Sinn umdunkelt
Von trübem Ahnen, dann erscheine du,
Mit Silberschwingen fächle mich in Ruh!

Auf die Phantasie

Lass die Phantasie nur schweifen,
Freude will zuhaus nicht reifen;
Denk, dein kleines Glück zerfließt:
Regen, der aufs Pflaster gießt.
Drum laß Phantasie nur streifen,
Weiter als Gedanken schweifen,
Riegle auf des Geistes Tor –
Lichtwärts segelt sie empor.
Süße Phantasie laß frei,
Sommers Freude flieht vorbei,
Und des Lenzes liebe Lust
Welkt wie all sein Blütenblust;
Herbstes rote Früchte auch –
Rot von Tau und Nebelrauch –
Sind dir Überdruß. Was nun?
Still am Herde sollst du ruhn,
Wenn die Glut zu Glanz entfacht
Geistert durch die Winternacht.
Wenn die Erde stumm und kalt
Und der Schnee sich klebrig ballt
Um des Bauern plumpen Schuh,
Nacht sich dehnt der Mittnacht zu
Und aus ihrem Dunkelland
Alles Wirkliche verbannt,
Ruhe dann und laß von hinnen –
Ehrfurcht leite dies Beginnen –
Phantasie zu hohem Flug!
Genien dienen ihr genug.
Winter weiß nur Frost zu weben –
Sie wird Schönheit wiedergeben,
Alles bringt sie wieder dar:
Sommer, der dir glühend war,
All des Maimonds Blütenlast,
Tauigen Stiel und dornigen Ast;
All des Herbstes reifen Segen,
Frucht und Duft und sanften Regen,
Mischt sie dir zu seligem Trank –
Schlürfe ihn und sag ihr Dank.
Schlürfe ihn – und zu dir zieht,
Ferneher ein Erntelied;
Reife Halme hörst du fallen,
Hörst den Sang der Nachtigallen,
Lerchenlust, die im April
Nie den Jubel enden will;
Hörst den rauhen Ruf der Krähen,
Die nach Halm und Reisig spähen,
Und du siehst im ersten Grün
Enzian und Primeln blühn,
Lilien in weißer Pracht,
Rose, die zur Sonne lacht,
Und das mailiche Frohlocken
Blauer Hyazinthenglocken,
Zweige, Blätter, Blütentaschen,
Die der Regen blank gewaschen.
Siehst die Feldmaus, die erwacht
Lugt aus ihrem Winterschacht,
Schlange, die vom Schlafen mager,
Lauert im durchsonnten Lager;
Siehst den Dornbusch Nestchen wiegen,
Drin gefleckte Eier liegen,
Und im moosigen Bett versteckt
Feldhuhn, das die Flügel streckt.
Hörst die Bienen, die im Grün
Summend hin und wieder ziehn,
Eicheln, die zu Boden schlagen,
Und des Herbstwinds Sang und Klagen.

Süße Phantasie, laß frei!
Alles wird zum Einerlei,
Selbst der Liebsten rosige Wangen
Scheinen nicht wie einst zu prangen.
Wo ist wohl der reife Mund,
Der dir neu zu jeder Stund?
Wo ein Antlitz, noch so hold,
Dem man stets begegnen wollt?
Wo die Stimme, noch so lieb,
Die uns stets ein Wohlklang blieb?
Denk dein kleines Glück zerfließt:
Regen, der aufs Pflaster gießt.
Drum laß Phantasie sich schwingen,
Sie wird dir ein Traumbild bringen,
Süß, wie einst Proserpina,
Eh der Gott der Qual sie sah,
Weiß von Leib und weiß von Lenden,
So wie Hebe, als in Händen
Sie den Becher hob und klirrend,
Jupiter den Sinn verwirrend,
Daß sein Blick sich Sehnsucht trank,
Gürtel ihr und Kleid entsank.
Auf das Netz! Gib frei die Zügel!
Schon hebt Phantasie die Flügel.
Tore auf! Sie will entschweben,
Um dir all dies Glück zu geben. – –
Laß die Phantasie nur schweifen,
Freude will zuhaus nicht reifen.

Schlaf und Poesie

Was ist noch sanfter als ein Sommerwind?
Als Bienensummen, das so still gelind
Von Kelch zu Kelch die Blütenstraße schwingt
Und milden Frieden in die Seele bringt?
Was ist geruhiger als im Inselgrün
Der Moschusrose unbemerktes Blühn?
Heilsamer als des Talwalds Blätterschwall?
Geheimer als das Nest der Nachtigall?
Stillheitrer als Cordelias Angesicht?
Traumvoller als erhabenstes Gedicht? –
Nur du, o Schlaf, der zart die Augen schließt,
Ein zärtlich Lied in müde Seelen gießt,
Der unser frohes Lager leicht umschreitet,
Um Trauerweiden Mohngewinde breitet,
Der Mädchenlocken schweigend wirrt und wendet,
Nur du, dem jeder Morgen Hymnen sendet,
Weil deine Kräfte hell und froh beglücken
Die Augen, die zum Sonnenaufgang blicken.
Doch was ist höher noch als alles Träumen?
Was frischer noch als Frucht von Höhenbäumen?
Was wundervoller, sanfter, königlicher
Als Schwanenschwingen oder feierlicher
Als ferner Adlerflug? – Mit nichts vergleichen
Läßt sich dies eine und von nichts erreichen!
Daran zu denken, heißt sich zu versenken,
Sich heiliger Andacht liebend hinzuschenken.
Es überschauert uns mit Ungewittern,
Es rüttelt uns wie unterirdisches Zittern,
Und manchmal weht's wie Flüstern von den vielen
Geheimnissen, die in den Lüften spielen –
Von irgend einem Wunder um uns her.
Da blicken wir entzückt und spähen sehr
Nach fernem Glanz, nach fremden Luftgebilden,
Nach einem Ton aus himmlischen Gefilden
Und nach dem Lorbeer, der das Haupt uns schmückt.
Wenn unser Fuß die Erde nicht mehr drückt:
Und manchmal kommt es voller Glanz und Glocken,
Und aus dem Herzen brausen, oh Frohlocken!
Erhabne Worte, die sich gottwärts schwingen,
Bis Traum und Glut in Flüstern still verklingen.

Ein jeder, der die lichte Sonne sah
Und alle Wolken, und der rein und nah
Des ewigen Schöpfers Gegenwart empfand,
Muß fühlen, was ich meine, und in Brand
Muß jetzt sein Innres lohn, da ich ihm bringe
So lief empfundne heimatliche Dinge.

O Poesie! Dir beten meine Worte,
Daß einmal du mir auftun magst die Pforte
Zu deinen Himmeln – oder sollt ich knien
Auf Bergeshöhen und die Harmonien,
Die deinem Mund entfliehn und mich umschweben,
Als dein getreues Echo wiedergeben?
O Poesie! Dir klagen meine Worte,
Daß einmal du mir auftun magst die Pforte
Zu deinen Himmeln! Möge meinem Flehen
Ein Lüftchen nur aus diesen Himmeln wehen,
Das – Lorbeerblüten eine luftige Wiege –
Mir trunkne Wollust bringt, der ich erliege.
Dann steigt vielleicht mein Geist am Sonnenlicht
Empor und schaut Apoll ins Angesicht;
Und kann ich höchste Seligkeit ertragen,
So werd ich bis ins Heiligste mich wagen.
Da wird dann moosige laubverborgne Stelle
Mir zum Elysium – zur ewigen Quelle,
Zum Buch, drin viel Entzückendes zu lesen
Von Blatt und Blume und von Spiel und Wesen
Der Wald- und Wassernymphen und von Zweigen,
Die eines Mädchens Schlummer kühl umschweigen,
Und mancher Vers von seltsam fremder Art,
Der wie aus andrer Welt sich offenbart.
Auch Phantasien werden mich umschweben,
Mir feierschöne Traumvisionen geben;
In frohem Schweigen will ich sie durchziehn,
So wie durch Schluchteneinsamkeit und Grün
Der Fluß Mäander seine Schleifen zieht.
Und komm ich in verwunschenes Gebiet,
In Zaubergrotte, in erhabnen Schatten,
Auf himmelferne grüne Bergesmatten,
Die strahlend stehn im bunten Blumenkleid,
Verschämt in ihrer eignen Lieblichkeit –
Dann schreib ich das, was Menschensinn versteht,
Auf meine Tafeln, daß es nicht vergeht,
Und werde dieser Welten Vielgestalten
Mit Riesenkräften greifen, fühlen, halten
Und meinen Geist mit Sporn und Ehrgeiz plagen,
Bis an den Schultern ihm die Schwingen ragen,
Die jedes Hemmnis freudig überwinden,
Ihn aufwärts ziehn, Unsterblichkeit zu finden!

Doch halt, bedenk! Ein einziger Tag ist Leben –
Tautropfen, der aus Wipfellaub soeben
Herniederrinnt – des Wilden Schlaf im Kahn,
Den Wirbelstrudel riß in Todesbahn.
Warum so schmerzliche Vergleiche geben?
Blühsehnsucht einer Rose ist das Leben,
Ein Buch, darin viel Abenteuer sind,
Ein übermütiges Mädchentuch im Wind,
Ein Vogel, der durch Sommersonne gleitet,
Ein Knabe, der auf Ulmenästen reitet
Und himmelfern von Sorge, Gram und Denken.

O nur zehn Jahre, tief mich zu versenken
In Poesie! daß ich das Ziel erfülle,
Das von mir selbst verlangt mein eigner Wille;
Daß ich durch diese Lande, die ich sehe,
Mit unermüdlich wachen Augen gehe!
Des alten Pan und Floras üppiges Reich
Durchstreife ich zunächst; im Gras am Teich
Geh ich zur Ruh und pflücke reife Beeren
Und darf, was Phantasie nur sieht, begehren:
Im Waldversteck die weißen Nymphen fangen,
Der Sträubenden viel Küsse abverlangen,
Auf zarte Schultern liebevoll vermessen
Inbrünstig diese kleine Wunde pressen,
Die sie erschauern macht, bis voll Erbarmen
Die Spröde mich umfängt mit Weibesarmen.
Und andre ruft mit anmutvollem Lächeln
Ein Taubenpaar, mir Kühlung zuzufächeln.
Und andre tanzt und schwingt mit flüchtiger Hand
Rund um den Kopf ihr grünendes Gewand –
Und tanzt und tanzt mit wohlgefälligem Fuß
Und lächelt Baum und Blumen ihren Gruß.
Und andre lockt und winkt und lockt und winkt
Mich durch den Hain, der hell in Blüten blinkt,
Bis tief in seine Blättereinsamkeit;
Dort liegen wir in solcher Traulichkeit
Verkettet und verschlungen, wie beisammen
Im stillen Muschelhaus zwei Perlen flammen.

Und kann ich diese Freuden je verlassen?
Ich muß es wohl, um Edleres zu fassen,
Ein Leben, das mich alle Leiden lehrt:
Was Menschenherz erkämpft, erträgt, begehrt.
Denn oh: von dort, wo Bergesklüfte blauen,
Gleitet ein Wagen her aus Wolkenauen,
Den Mähnenrosse ziehn; der Lenker blickt
Aus in den Wind, ehrfürchtig und beglückt.
Und jetzt erschauert leise das Gespann
Am Wolkenrand; doch munter kommt sodann,
Vom Sonnenauge rings umstrahlt mit Gold,
In Fröhlichkeit das Rad herabgerollt.
Und immer tiefer wirbeln seine Speichen,
Bis sie den grünen Hügelhang erreichen;
Dort bleibt der Wagen zwischen Gräsern stehn.
Der Lenker spricht – wie seltsam anzusehn –
Zu Berg und Bäumen, und alsbald erscheinen
Gestalten, die da jubeln, staunen, weinen;
Sie wandern her auf grausig düstern Wegen,
Wo mächtige Eichen dräun – und rastlos regen
Sie müden Fuß, als wollten sie ein Lied
Erjagen, das mit flüchtigen Winden flieht.
Horch! wie sie murmeln, lächeln, lachen, weinen,
Mit herbem Mund, erhobner Hand die einen,
Und andre haben tief in ihren Armen
Den Kopf begraben; manche gehn im warmen
Und hellen Glanz der Jugend durch das Grau,
Zurück sehn diese, jene hoch ins Blau.
Von tausenden hat jeder seine Weise,
Und tausend ziehn vorbei. Im Schwesterkreise
Kommt tanzend eine Mädchenschar geschwirrt,
Das lange Haar in Locken aufgewirrt.
Nun breite Schwingen. Jener dort im Wagen
Beugt weit sich vor, und seine Blicke fragen,
Er scheint zu lauschen, seine Wangen brennen,
Er schreibt – oh dürft ich dies Geschriebne kennen!

Die Bilder sind entflohn – Gespann und Wagen
Entflohn ins Himmellicht; mich aber plagen
Nun doppelt schwer die ganz realen Dinge
Es ist, als ob die Seele unterginge
In trübem Strom, im Nichts. Doch ich will sehr
Mich gegen Zweifel wehren: wach und hehr
Sei mir der Wagen und die seltne Fahrt,
Die er gemacht.

Hat denn die Gegenwart
Nicht Raum genug, daß Phantasie sich hebe
Und wie in alten Zeiten hoch entschwebe,
Die Rosse schirre, lichtwärts sie zu tragen,
Um sonderbare Taten dort zu wagen
In Wolkenfernen? Zeigte sie uns nicht
Das Atemhauchen des Vergißmeinnicht
So gut wie hoch des Äthers reines Wehen?
Läßt sie uns nicht den tiefen Sinn verstehen
Von Jupiters weitschweifigen Augenbrauen –
Und läßt uns doch die kleinen Wiesen schauen
Im zarten Frühlingsgrün? Ihr Altar ragte
Auch hier auf dieser Insel; wer wohl wagte
Den Chor zu übertönen, der ihr scholl,
In Harmonien brausend aufwärts schwoll,
Bis er im Weltenraum sich selbst verdichtet
Und machtvoll kreisend Klang auf Klang geschichtet
Zu riesigem Planet, der ewig rollt
Und ewig tönend durch Äonen tollt?
Ach, damals waren sie noch sehr geehrt,
Die edlen Musen, und man hielt sie wert,
Und keine Sorge konnte sie bedrücken,
Als nur zu singen, singend zu beglücken.

Konnt all dies der Vergessenheit verfallen?
Ja, Streit und Trug und Barbarei vor allen
War schuld, daß sich Apoll errötend wandte.
Der galt bei Menschen weise, der nicht kannte
Apollos Herrlichkeit; ach, sie regierten
Ein hölzern Schaukelpferd und triumphierten
Und hießen's Pegasus. O Geistesnacht!
Das Weltmeer rollte seine Wogenpracht,
Die Himmelswinde bliesen, und das Blau
Entblößte seine ewige Brust; der Tau
Beperlte hell das Kleid des Schmetterlings
Und schmückte alles: Schönheit wachte rings!
Was waret ihr nicht wach? Doch ihr wart blind
Für das, was fremd euch war – ein Labyrinth
Kleinlicher Regeln, elender Gesetze
Hielt euch gefangen, und in diesem Netze
Lieft ihr einher und fingt euch Verse ein –
Die wußtet ihr in Ordnung aufzureihn
Und zuzustutzen. Leicht war das Geschäft,
Handwerker ihr, die lüstern nachgeäfft
Der Poesie! O, wie ihr gottlos wart!
Ihr lästertet des Gottes Gegenwart
Und wußtet's nicht – o nein! Ihr gingt einher
Und schwenktet eure arme Fahne sehr,
Die schales Motto trug, darunter groß
Ein Wort: Boileau!

O die ihr körperlos
Und ewig unsre grünen Höhn umschwebt,
O ihr, vor denen meine Seele bebt
In so viel Ehrfurcht, daß sie wahrlich nicht
Die heiligen, verehrten Namen spricht
Vor so unheiligem Volk. – Hat euch die Schande
All derer nicht entsetzt? Hat euch am Strande
Der Themse das Gejammer wohl ergötzt?
Hat euer Weinen nie das Land genetzt
Am schönen Avon, niemals dort geklagt?
O nein, ihr habt wohl ganz lebwohl gesagt
Der Gegend, die den Lorbeer nicht mehr kannte,
Und nur gezögert noch, um euch verwandte
Einsame Seelen liebend zu umfangen,
Die schon in Jugend sich zu Tode sangen? –
Doch ich will nicht der schweren Zeiten denken,
Es brachen schönre an, denn mit Geschenken,
Mit frischen Kränzen habt ihr uns beglückt,
Und an so manchem Ort hört man entzückt
Viel süßeste Musik: bald ist's ein Schwan,
Des schwarzer Schnabel auf krystallner Bahn
Das Wasser weckte – und des Wassers Singen;
Bald tropft ein melancholisch Flötenklingen
Aus Dornendickicht, traut im Tal verschlossen;
Die Erde ist von zartem Laut umflossen:
Beglückt seid ihr und froh!
Gewiß! Doch dröhnte
Oft donnergrollend der Gesang und höhnte
Die edle süße Majestät der Kunst:
Das Plumpe, Bärenhafte kam in Gunst,
Und Polypheme, die sich Dichter nannten
Und als Zerstörer gegen Throne rannten,
Begannen roh durchs große Meer zu wühlen.
Doch Poesie ist anders, ist zu fühlen
Als breiter ewiger Strom des Lichts, – ist Macht,
Die niemals schläft, doch stets nur milde wacht:
Sie ruht, und mit dem Schwung der Augenlider
Zwingt sie sich Tausende gehorsam nieder,
Und Güte ist ihr Szepter; Kraft allein,
Auch Musenkraft, kann nur ein Engel sein,
Der fiel und Freude hat an Nacht und Dornen,
An Grab und Leichentuch und an verworrnen
Und aufgewühlten Dingen und vergißt,
Daß aller Dichtung Ziel die Liebe ist,
Die freundlich tröstet und den Sinn erhebt.

Doch ich frohlocke, denn aus bittrem Kraut
Hebt – schöner als ihn Paphos je erschaut –
Ein Myrthenbaum die vollbeladnen Äste
Und feiert seine immergrünen Feste
Mit all den Vögeln, die voll Fröhlichkeit
In seinem Schutz zu Scherz und Spiel bereit,
Und die den Blüten ihre Lieder singen.
So laßt uns durch das Dickicht zu ihm dringen
Und um ihn her die Dornenbrut vernichten,
Dann finden einst die jungen Rehe dichten
Und blumigen Rasen hier – nichts störe sie
Als eines Liebenden gebeugtes Knie,
Nichts andres teile ihre Einsamkeit
Als eines Träumenden Gelassenheit!
Heil euch, ihr lieben, hoffnungsvollen Träume!
Nun bahnt sich Phantasie durch enge Räume
Den Weg zu allem Lieblichen und Schönen,
Und die wird man zu Dichterkönigen krönen,
Die herzensfrohe, schlichte Dinge geben.
O dürft ich diese Freuden noch erleben!

Wird man nicht sagen, meine Rede sei
Gar sehr verwegen, solche Schwärmerei
Verstumme lieber und verberge sich,
Denn unklug sei es sehr, so wissentlich
Sich abzuwenden von den breiten Pfaden,
Den Donnerkeil auf sich herabzuladen?
Nein! Flüchte ich, so sei es nur zur Schwelle
Der Poesie, in ihre Tempelhelle!
Und fall ich hier, so wird man mich bestatten
In tiefem feierstummen Pappelschatten:
Geschornes sanftes Gras wird mich bedecken
Und ein Gedenkwort die Erinnrung wecken.
Doch fort, Verzweiflung! Elendes Verderben!
Dich sollten die nicht kennen, die da werben
Um edles Ende, denen ewig dürstet!
Obgleich kein breites Wissen mich gefürstet
Und ich nicht weiß, wie sich die Winde drehen,
Die hier- und dorthin auseinander wehen,
Was Menschen tief ersannen, und obgleich
Nicht helle Einsicht aus dem dunklen Reich
Der Seele kommt, besiegend jede Schranke,
Rollt doch vor mir ein Stern, ein Weltgedanke,
Der mich durchstrahlt und der mich frei gemacht,
Sodaß in mir ein klares Bild erwacht
Von Zweck und Ziel der Poesie; so klar
Ist mir dies Wissen wie: daß jedes Jahr
Vier Zeiten hat – so hell und fest gegründet
Wie auf dem Dom das Kreuz; und so verkündet
– O welch ein Feigling wär ich, wenn ich zagte –
Mein Mund getrost, was ich zu denken wagte.
Ach, lieber laßt mich wandeln blind und toll
Am Rand des schwarzen Abgrunds, lieber soll
Mein Schwingenpaar an Sonnenglut zergehen,
Daß ich kopfüber stürze! – Still, laß sehen!
Mein Innres mahnt zu mehr Bedachtsamkeit:
Ein dunkles Meer dehnt unermeßlich weit,
Besternt mit Inseln, seine breiten Wellen.
Welch rastlos Mühn! Welch ungeheures Schwellen!
Wie könnt ich je dies ganze Meer durchziehen!
Vermessenheit! Nun müßt ich auf den Knieen
Das widerrufen, was ... Unmöglich! Nein!

So will ich ruhig und bescheiden sein.
Mag dieser stürmende Versuch, der zart
Begann, verebben auf gleich sanfte Art,
Und Friede sei! Und herzlich sei gedacht
Der Freundschaft, die so hilfreich sanfter macht
Den rauhen Pfad zum Ruhm, der Brudergüte,
Die gern ihn schmückt mit mancher lieben Blüte, –
Des innigen Händedrucks, der Herzen bindet,
In Herzen tiefe Freudigkeit entzündet,
Daß unbewußt wohl ein Sonett entsteht
Und uns wie Traumwort von den Lippen weht,
Begeistrung weckt und andachtvolles Schweigen.
Ein ähnliches Empfinden mag sich zeigen,
Wenn wir mit kindlich ehrfurchtsvoller Hand
Aus seinem stillen Platz im Bücherstand
Ein sehr geliebtes Buch geholt und nun
Uns freun, den ersten Blick hineinzutun.
Kaum kann ich weiterschreiben, denn es heben
Sich Melodien, die Erinnern geben
An manches, was mich damals tief beglückte,
Als es zuerst die Seele mir entzückte:
Und es erscheinen mutige Gestalten,
Die sichern Griffs den heißen Renner halten –
Und Finger seh ich prächtige Locken teilen –
Und Bacchus wild zu Ariadne eilen.
Und vieles zieht aus flüchtigem Wort herauf,
Schlag ich versonnen ein Portfolio auf.

Derartige Dinge sinds, die eine Fülle
Von Bildern wecken: durch die Abendstille
Im Binsenwald des Schwans geruhiger Zug,
Im Dorngeheg des Hänflings hastiger Flug,
Ein durstiger Falter, der zur Rose fliegt
Und lustdurchbebt die goldnen Flügel wiegt,
Und manches Schöne mehr weiß ich zu finden;
Vor allem ihn mit seinen Mohngewinden,
Den stillen Schlaf, denn was an diesem Sang
Zu schätzen, dank ich ihm zumeist: der Klang
Geliebter Stimmen hatte Platz gemacht
Dem gleich geliebten Wort der stillen Nacht,
Und in die Kissen lehnt ich mich zurück
Und sann dem Tage nach und seinem Glück.
Es war in eines Dichters Haus; da haben
Geweihte Stätten alle Freudengaben.
Rings von den Wänden lächelten der alten
Und großen Barden ewige Gestalten
In Bild und Büste still einander an.
Wohl dem, der auf die Zukunft hoffen kann
Für seinen Liebling Ruhm! – Dann sah ich hier
Der Faune und der Satyrn wilde Gier
Im duftigen Weinlaub wühlen und mit kecken
Gebärden braune haarige Hände recken
Nach eines Apfelbaumes reifer Frucht;
Dann ragte eines Tempels Marmorflucht,
Zu dem ein Mädchenzug sich hinbewegte,
Auf grünem Teppich schöne Füße regte:
Die Lieblichste hielt hoch die weiße Hand
Dem Glanz des Sonnenaufgangs zugewandt;
Dann zweier Schwestern freundliche Gestalten,
Die sich bedächtig an den Händen halten,
Und zwischen ihnen tappt ein kleines Kind;
Und andre stehn und lauschen in den Wind,
Der tauiges Flötenspiel herüberbringt. –
Ein ander Bild: Diana nah umringt
Von kecker Nymphenschar im kühlen Bade!
Dorf wo das Wasser schaukelt ans Gestade,
Ist es von Wasserlinsen ganz verhangen
Mit grünem Schleier, der in tiefen, langen,
Rhythmischen Atemzügen steigt und fällt,
Ganz wie der Wasserspiegel ebbt und schwellt.
Auch Sappho stand mit halbem Lächeln dort,
Der sanften Stirne herber Ernst war fort,
Und milden Blicks und heitren Angesichts
Sah sie herab und lächelte ins Nichts.

Und Alfreds Bild hing hier und blickte traurig,
Als lausche er beständig auf das schaurig
Hilflose Stöhnen der gequälten Welt;
Und jener andre leidensstarke Held,
Kosciusko, groß und einsam und verlassen.

Petrarcas Herzerschrecken und Erblassen
Beim Anblick Lauras, und sein Blick, der nicht
Von ihrem Antlitz läßt! O hier ist Licht
Und höchstes Glück, denn über ihnen waltet
Der Glanz der Poesie, und frei entfaltet
Sie ihre Schwingen und erschaut im Kreis
Viel Dinge, die ich nicht zu nennen weiß. –

Schon das Bewußtsein, wo ich war, genügte
Den Schlummer fern zu halten, doch es fügte
Sich überdies Gedanke an Gedanke
Und bannte mich, so daß des Morgens schwanke
Lichtpfeile mich noch immer wachend fanden,
Da bin ich frisch und fröhlich aufgestanden,
Um auszuführen, was ich mir ersann:
Dies Bildgewebe, das ich schlaflos spann,
Mir festzuhalten. Ist's nicht gut, so wißt,
Mir ist es lieb, weil es mein Odem ist.

Isabella oder der Basilikumtopf

Schön Isabell wie eine Lilie rein!
Lorenzo einem jungen Palmbaum glich!
Des atemlosen Sehnens starre Pein,
Wenn sie einander sahn, sie jäh beschlich;
Doch durften sie einander nahe sein,
So war's als ob ein Alp von ihnen wich;
Und einsam, nachts, wenn sie einander fern,
Verband sie eines Traumes heller Stern.

Mit jedem Tag ward zärtlicher ihr Herz
Und zärtlicher und tiefer jede Nacht.
In Haus und Feld litt er der Liebe Schmerz,
Bis klar vor seinem Blick ihr Bild erwacht.
Und süßer schien sein Wort ihr als der Scherz
Des Windes, der in Blättern spielt und lacht;
Die Laute sang ihr seinen Namen nach,
Den ihre Nadel in die Seide stach.

Er wußte gut, wenn ihre zarte Hand,
Noch eh sie selbst erschien, die Tür berührt;
An ihrem Fenster hing sein Blick gebannt,
Bis er zu ihm ihr schönes Bild entführt;
Er sah zum Sternenhimmel unverwandt,
Weil er in ihm ihr Nachtgebet verspürt;
In banger Qual verbrachte er die Nacht,
Bis auf der Treppe hell ihr Schritt erwacht. –

Es war ein langer unruhvoller Mai,
Er grämte ihre jungen Wangen bleich.
»Ich schwöre mir, daß es nun morgen sei,
Ja, morgen fleh ich um mein Königreich!« –
»O wann, Lorenzo, wird dein Sehnen frei
Und spricht ein Wort, ein Wort, das himmelgleich?« –
So träumten sie in Nacht und Einsamkeit –
Der Tag fand ihn zu reden nicht bereit.

Und als der Rosen frohe Pracht erblüht,
Ward Isabellens Wange fahl und schmal,
Wie einer Mutter Wange, die verblüht
Bei ihres Kindes Fieberkampf und Qual.
»Wie krank sie ist,« sprach er, »o mein Gemüt,
Nun schweige, – nein, bekenne deine Wahl:
Die Tränen, ihre Tränen sind ja dein,
Und deinem Leiden wohl gilt ihre Pein.«

So sprach er zu sich selbst. Den ganzen Tag
War seines Herzens Schlag wie Hammerklang,
Weil seine Seele in Inbrünsten lag
Und betete um Mut und fiel und rang.
Der Hochflut seines Blutes unterlag
Der Stimme Kraft und seiner Sehnsucht Zwang;
Sie wurde sanft, demütig wie ein Kind:
Ja, sanft und dennoch wild, wie Kinder sind.

So wär es beinah wiederum geschehn,
Daß trüb die Nacht sein Liebesleid umschloß,
Hätt Isabella nicht den Blick gesehn,
Der hingegeben ihr sein Herz ergoß;
Und seine Stirne sah sie bleich vergehn
Und wieder jäh sich röten; ach, da floß
Von ihren Lippen zag der süße Laut:
»Lorenzo!« – ihr aus Träumen so vertraut.

»O Isabella! Ist es mehr als Traum,
Daß ich dir sagen darf von meinem Weh?
O Gütige! Gib der Verzeihung Raum,
Da ich so kühn, so hoffend vor dir steh!
Sieh, meine Seele bebt und atmet kaum,
Weil ich in deinem Aug ihr Schicksal seh –
Doch keine Nacht soll mehr in Qual vergehn,
Nein, frei will ich mein Hoffen dir gestehn!

Liebe! Du wecktest mich aus kalter Nacht!
Herrin! Du führest mich in Sommerglut!
Dem Kuß des Sonnenmorgens sind erwacht
Alltausend Blüten, die im Lenz geruht!« –
Die Seligkeit von seinem Antlitz lacht,
Und seine scheuen Lippen finden Mut.
O, ihre Wonne wuchs so licht empor,
Wie in den Morgen rings der Blumenflor.

Und scheidend schwebten sie so leichtbeschwingt
Wie Zwillingsrosen, die ein Zephir wiegt
Und trennt und inniger zusammenbringt,
Daß Duft in Duft und Glut in Glut sich schmiegt.
Sie schritt und sang: »In meinem Herzen singt
Ein Vöglein, das der Liebeslust erliegt ...«
Und er stieg einen Hügel schnell hinan
Und betete die Abendsonne an.

Und eh die Dämmerung den Schleier hob
Vom Sternenlicht, war eins dem andern nah,
Und eh die Dämmerung den Schleier hob,
War jeden Abend eins dem andern nah,
In stiller Laube, die Muskat umwob,
Wo keiner je sie hörte oder sah –
Ach, gut und süß war die Verborgenheit,
So fern den Menschen und so fern dem Leid.

Doch als das Leiden kam, traf es sie sehr? –
O nein! zu tief ist unser Mitgefühl,
Die Tränen bittrer Wehmut sind zu schwer,
Die Mitleid weint an ihrem letzten Pfühl,
Und Liebende, die leiden, gibt es mehr,
Die wohl am besten ruhten still und kühl;
Nur Theseus, ach, fand selbst im Tod nicht Ruh:
Jenseits des Meers nickt sein Gemahl ihm zu.

Doch pflegt es in der Liebe so zu sein,
Daß ihr ein süßer Augenblick aufwiegt
Ein vollgerüttelt Maß von Gram und Pein.
Obgleich schön Isabell vom Harm besiegt
Und auf Lorenzos Grab kein Marmorstein
Sich gleißend spreizt – ja dennoch, dennoch liegt
In Bitternis selbst Lust, das weiß gar gut
Die Biene, die am Giftkelch saugend ruht.

Mit zweien Brüdern lebte Isabell;
Sie trieben Handel nach ererbtem Brauch.
Es plagte sich für sie manch jung Gesell
In dumpfer Gruben faulem Dunst und Rauch;
Manch kraftgestraffte Lende siechte schnell
An Wunden, die die Peitsche hieb, und auch
Im Glanzgeflirr des Flusses mancher stand,
Der Erzgewinnung opfernd Aug und Hand.

Es stieg der Taucher zu des Haifischs Gier
Hinab in Indiens Meere nur für sie,
Die Robbe schrie, ein pfeilgespicktes Tier,
Auf weißer Eisprairie, sterbend für sie,
Und Leidgeschlagne gab es tausend schier,
Die Tag und Nacht sich schindeten für sie;
Wie mahlte doch der Geldgier blinde Sucht
Für diese Armen gar so bittre Frucht!

Woher ihr Stolz? Weil der Fontänen Strahl
Viel stolzer strömt, als müdes Elend weint? –
Woher ihr Stolz? Weil sanfter sich zu Tal
Orangenhügel stufen, als versteint
Die Stufen abwärts führen vom Spital? –
Woher ihr Stolz, dem Milde nicht vereint?
Woher ihr Stolz, den gar kein Leiden schmolz?
Woher in Teufels Namen all ihr Stolz?

Es schlossen diese Florentiner so
In blinder Gier sich ab von aller Welt
Wie zwei Hebräer, die, verfilzt und roh,
Von Haß verfolgt, ganz nur auf sich gestellt.
Maulesel waren sie, die Gold und Stroh
In Speicher schleppten, brüderlich gesellt
Dem Lug und Trug und nimmersatten Geiz,
Denn nur Gewinn, Gewinn bot ihnen Reiz.

Ach, wie erspähten diese Blinden nur
Schön-Isabell im heimlich stillen Nest?
Und in Lorenzos Blick die süße Spur
Vom Liebesfest? – O ganz Egyptens Pest
In ihren Argwohn, der dies Glück erfuhr!
Wie kannten diese Blinden Ost und West?
Doch wer zu ihnen kam, arglos und mild,
Der wurde bald ein müdgehetztes Wild. –

O vielberedter, vielberühmter Mann,
Boccacc', ich flehe um Vergebung dich;
Die Düfte deiner Myrthen fleh ich an
Und deine Lilien, deren Rot verblich,
Seit deiner Laute Letztakkord verrann,
Und deine Rosen, die dem Monde sich
Verlobt – vergebt der schrillen Dissonanz
In dieses Liedes schlichtem Blütenkranz.

Vergib mir, Dichter! Und es wird mein Sang
Fortschreiten nun in schicklich ernstem Stil.
Welch toller Einfall war es, der mich zwang
Um alte Kunde neuer Reime Spiel
Zu ziehn! Doch ist's geschehn (und wenn's mißlang)
Zu deinem Preis, denn sieh, es war mein Ziel,
Die Blüte, die dem Süden süß entsprang,
Zu wecken in des Nordwinds wildem Klang. –

Die Brüder also hatten bald entdeckt,
Wie's um Lorenz und Isabell bestellt.
Wie wurde da ihr böser Zorn geweckt,
Da nun ein langgehegter Plan zerschellt!
Sie sahen sich von ihm, der sich erkeckt,
Zu ihrer Schwester aufzusehn, geprellt,
Denn ihre Habsucht traf schon längst die Wahl:
Ein reicher Grundherr nur sei ihr Gemahl.

Und haßerfüllt berieten nun die zwei,
Und jeder grübelte für sich allein,
Bis sie sich einig, was das Beste sei,
Von jenem Lästigen sich zu befrein.
Und endlich war erdacht die Teufelei,
Und endlich kamen beide überein:
An irgend einem fernverborgnen Ort
Mord zu begehen – schauerlichen Mord.

Und so, als einst im frühen Morgenlicht
Auf dem Altan Lorenzo sich erging
Und glücklich war in lieber Zuversicht,
Und bunt der Tau an Blatt und Blüten hing,
Da riefen sie mit freundlichem Gesicht
Zu ihm hinauf: »Lorenzo, komm und schwing
Dich schnell aufs Roß, zu reiten durch den Hag,
Noch ist es kühl, doch wird's ein heißer Tag.

Wir wollen auch ... vielmehr es scheint uns gut ...
Kurz – mitzureiten plagt uns ein Gelüst;
Drum, bitte, komm, eh noch der Sonne Glut
Den Hagebuttenrosenkranz geküßt.« –
Und höflich grüßte er die Schlangenbrut.
Und eilte dann, betört von so viel List,
Betört auch von des Sommermorgens Pracht,
Schnell anzulegen knappe Weidmannstracht.

Dann schritt er durch des Hofes Säulengang
Und blieb oft stehn und lauschte oft empor,
Ob nicht etwa der Herrin Morgensang
Herab zu seiner Sehnsucht sich verlor –
Ganz hingegeben seiner Liebe Zwang.
Da schlug ein süßes Lachen an sein Ohr;
Er blickte auf und sah so zart und licht
Am Gitterfenster lächeln ihr Gesicht.

»Heil, Isabell!« rief er. »Gebenedeit,
Daß ich dich grüßen durfte, eh ich ritt!
Drei arme Stunden nur Abwesenheit –
Und schon hängt Sorge sich an meinen Schritt.
Doch, was der Liebe dieser Tag entleiht,
Bringt überreich der traute Abend mit.
Lebwohl, du Liebste, du!« »Lebwohl auch du!«
Und munter singend grüßte sie ihm zu.

Durchs liebliche Florenz ging nun der Ritt
Der drei Gefährten zu des Arno Strand,
Wo sich die Strömung mit den Strudeln stritt
Und an den Ufern tanzend Band bei Band
Das scharfe Schilf die schnelle Flut zerschnitt.
Die Brüder bleich, Lorenzo liebdurchbrannt,
Durchquerten sie den seichten Strom, und bald
Umbrauste sie ein grausig düstrer Wald.

Dort ward Lorenz erschlagen und verscharrt.
Doch seine Seele, die so heiß geloht,
Die auf der Liebe höchstes Glück geharrt,
Sie ächzte nun in unerhörter Not,
Ihr warmer Lebensstrom war jäh erstarrt,
In Eisesfrost gebannt durch blutgen Tod. –
Die Mörder wuschen ihre Schwerter rein
Und jagten wieder nach Florenz hinein.

Der Schwester sagten sie: nach fernem Land,
Mit dringenden Geschäften reich betraut,
Sei heut zu Schiff Lorenzo abgesandt. –
Nun nimm den Witwenschleier, junge Braut,
Leg an der Witwen trauerndes Gewand!
O, Fluch der Hoffnung, der du süß vertraut!
Du wirst ihn heut nicht sehn und morgen nicht,
Und niemals mehr grüßt dich sein Angesicht.

Sie weint um Freuden, die nun nicht mehr sind,
Sie weinte bitterlich bis in die Nacht.
Wie schien ihr sonst der Abend lieb und lind,
Weil überreiche Wonnen er gebracht –
Jetzt sah ihr Auge sich im Dunkel blind,
Bis in den Schatten ihr sein Bild erwacht,
Und immer wieder ihrem Mund entfloh
Der Schmerzenslaut: »Lorenzo! Wo, oh wo?«

Doch Selbstsucht hielt nicht lang in ihrer Brust
Der Schmerzen wilden Nachtbrand angeschürt;
Wohl bangte sie nach all der süßen Lust,
Die mit so flüchtgem Kuß sie erst berührt –
Nicht lange doch – denn bald hob sich bewußt
Die Trauer, die nichts Kleinliches mehr spürt,
Und Sorge, daß der Reise Unrast gar
Für ihre junge Liebe voll Gefahr. –

Aus Nordlands Höhlen weht wie Todes Hauch
Zur Herbstzeit schon des Winters Atem schwer
Aufs Laub und wirft es welk von Baum und Strauch,
Der kranke West tanzt mit dem toten Heer
Den Totentanz im bleichen Nebelrauch;
Und liegt das Land ergraut und stumm und leer,
Dann stürmt der Winter ein. O Isabell,
Auch deiner Schönheit Herbst kam allzuschnell.

Denn kein Lorenzo kam. Und welk und bleich
Ward ihre Wange von so herbem Gram.
Sie fragte oft die Brüder, welch ein Reich
Nun für so lange schon ihn von ihr nahm?
Da logen sie von Mal zu Mal. Ihr Streich
Wie Rauch vom Tale Hinnom auf sie kam;
Sie konnten keine Nacht dem Alp entgehn,
Die Schwester tot im Totenhemd zu sehn.

Sie würde auch, in Leid gestorben sein,
Doch da war etwas, das noch finstrer war
Als Tod; es kam in plötzlich bittrer Pein,
So wie im Todeskampf oft wunderbar
Noch einmal glüht des Lebens Widerschein;
Es kam wie Lanzenstich, der grausam klar
Den Wilden weckt im rauchdurchbeizten Zelt,
Daß schreiend er aus tiefstem Schlafe schnellt.

Es war ein visionäres Bild: – In Nacht,
In träger Mitternacht Lorenzo stand
An ihres Lagers Rand und weinte sacht:
Erloschen war in Grabes feuchtem Sand
Des goldnen Haares sonnenwarme Pracht,
Erloschen seiner Lippen roter Brand,
Der Stimme Wohllaut tot, und gramestief
Am Ohr vorbei die Tränenrinne lief.

O grausig klang es, wenn der Schatten sprach;
Denn seine arme Zunge mühte sich
Zu sprechen, wie sie einst auf Erden sprach,
Und Isabella lauschte bitterlich:
Wie seine Stimme oft sich zitternd brach,
Als wenn ein Wind gelähmte Harfen strich;
Als wenn ein heisrer Wind durch Dornen stöhnt,
So war von Ächzen jedes Wort durchtönt.

Und seltsam – das Phantom entsetzte nicht
Das arme Weib; sein Blick war mild und groß,
Von Gram verwirrt und doch von Liebe licht;
Es redete: es sprach vom Todesstoß,
Vom Mord im tiefen Wald, und wie so dicht
Sein Grab bewachsen sei mit Kraut und Moos,
Wie schwarze Fichten hielten Totenwacht,
Dort wo die Mörder ihre Tat vollbracht.

Und weiter sprach es: »Süße Liebste du!
Waldbeeren reifen über meinem Mund,
Ein schwerer Stein deckt meine Füße zu,
Die hohen Buchen stehen blätterbunt
Und werfen Frucht herab; die Waldesruh
Durchirrt ein ferner Ruf von Hirt und Hund;
Das Heidekraut ist rot; o komme bald,
Komm bald und weine bei dem Grab im Wald.

Ich bin ein Schatten nun, der das Gebiet
Des Lebens von den Grenzen nur erschaut;
Ich singe nun allein das heilge Lied
Zum Ruf der Glocken, der mir so vertraut;
Und wenn das Kraut ein Bienenschwarm durchzieht,
Wie lauscht mein Ohr des Lebens süßem Laut,
Des Lebens – darin meine Liebe lebt,
Dem ferner, ferner stets mein Geist entschwebt.

Ich weiß, was war, ich fühle tief, was ist,
Und würde rasen, könnte das ein Geist!
Daß du um mich so bleich, so leidend bist,
Durchglüht mein Grab, als würde es umgleißt
Von einem Glanz der überirdisch ist;
Ach, ich vergaß, was Erdenwonne heißt:
Doch heiliger die Liebe mich durchdringt,
Seit deine bleiche Seele um mich ringt.« –

Der Geist entschwand, nachdem er dies gesagt.
In leisen Wellen wogte rings die Nacht,
So wie das Dunkel tanzt, wenn wir verzagt
Im Bett des Tages harte Müh bedacht
Und von der stürmenden Gedankenjagd
Verfolgt, gehetzt, kein Auge zugemacht.
Und Isabella fuhr verwirrt empor
Und starrte in den leeren Nebelflor.

»So gibt es,« rief sie, »schlimmeres als Qual?
So kannte ich des Schicksals Fluch noch nicht,
Da ich gemeint, nur dieses sei die Wahl:
Glück – oder Tod, wem es an Glück gebricht;
Doch hier ist Schuld – des Bruders blutiger Stahl!
O Dank, Geliebter! Dank für den Bericht!
Ja, morgen grüßt dich meiner Liebe Kuß,
Und wenn ich dich im Himmel suchen muß!«

Und als der Morgen kam, da war gefaßt
Ihr Plan, zu prüfen, was der Geist verriet,
Dem Liebsten, den die Brüder so gehaßt,
Den letzten Gruß, das letzte Liebeslied
Zu weihn. Kaum war der Sterne Licht verblaßt,
So eilte sie ins ferne Waldgebiet,
Und daß nicht Argwohn folge ihrem Schritt,
Nahm sie die alte treue Amme mit.

Sieh nur! Sie eilen hin am Uferrain,
Und Isabella spricht von ihrem Gram,
Vom Heidekraut und von dem schweren Stein
Und zeigt ein Messer, das sie mit sich nahm.
»O Kind, wie leidest du so harte Pein!
Wann wirst du wieder froh?« – Der Abend kam,
Da hatten sie Lorenzos Grab entdeckt,
In Moos und Kraut und Beeren tief versteckt. –

Wer je das grüne Gräberfeld durchschritt,
Der wühlte wohl im Geist in Lehm und Sand,
Bis er von allen, die die Sense schnitt,
Die hohlen Schädel und die Knochen fand,
Und schauderte, wie sehr wohl jeder litt,
Als würgend ihn erfaßt des Todes Hand ...
Ach, qualvoll mochte wohl sein Mitleid sein –
Qualvoller noch war Isabellas Pein.

Ihr Blick durchdrang der Grube dunklen Schlund,
Doch sah er Tod und Wurm und Moder nicht:
Sah wie aus klaren Quells krystallnem Mund
Lorenzos Leib, Lorenzos Angesicht.
Wie eine Lilie, die in Grabes Grund
Die Wurzel schlug, so stand sie ernst und licht;
Dann sank sie hin und grub so fiebernd heiß,
Wie nur der Schmerz sich einzugraben weiß.

Bald lag ein Handschuh aufgewühlt, von ihr
Einst selbst mit bunter Stickerei geschmückt –
Wie küßt sie nun die fast verblaßte Zier!
An ihrer süßen Brust, die nie beglückt
Sich füllen sollte für des Säuglings Gier,
Verbirgt sie ihn, und seine Kälte drückt
Wie Todeshand ihr Herz. Sie sprach kein Wort,
Strich nur das Haar zurück – und suchte fort.

Betroffen stand die alte Magd dabei,
Bis mit der Armen Mitleid sie empfand,
Und sie begriff, wie schwer die Arbeit sei
Für Isabellas ungeübte Hand;
Sie kniete hin und stand der Herrin bei.
Drei Stunden gruben sie so unverwandt;
Da endlich war's geschehn – und ernst und licht
Blieb Isabell und schrie und raste nicht. –

Was öffne ich des Grabes Moderschacht,
Daß schwarz sein schaudervoller Rachen gähnt? –
Ach, ob des alten Liedes süßer Pracht,
Des Liedes, dem die Sage ich entlehnt!
O Leser, der für solcher Liebe Macht
Noch tiefres Wort, noch reinern Klang ersehnt,
Lies die Romanze, lies den alten Sang,
Der machtvoll alle Herzen einst bezwang! –

Wohl war viel stumpfer als des Perseus Schwert
Der Stahl, der jetzt ein Haupt vom Rumpfe schnitt,
Doch war's ein Haupt, so schön und liebenswert,
Daß selbst im Tode nicht sein Zauber litt.
Die Liebe höret nimmer auf! So lehrt
Ein altes Wort. O wie in Liebe stritt
Jung Isabella um Lorenzos Haupt –
In Liebe, die kein Grabeshauch beraubt!

Und Isabella nahm den Kopf mit fort
Und kämmte seines Haars verblaßten Schein
Und pflegte sorglich ihren heiligen Hort:
Um seiner Augen hohle Kämmerlein,
In denen Licht und Liebe jäh verdorrt,
Flocht Locken sie und weinte still hinein
Und wusch den Schatz mit Tränen kühl und klar
Und küßte ihn und kämmte neu sein Haar.

Sie nahm ein Tuch, dem seltne Spezerein
Gar auserlesnen Wohlgeruch verliehn,
Und tauchte es in einen Saft hinein
Von Blumen, die nur in Arabien blühn;
Das sollte nun des Kopfes Bahrtuch sein.
Sie barg ihn gut darin und legte ihn
In einen Topf und pflanzte süßes Kraut,
Basilikum, darauf und weinte laut.

Und sie vergaß das Mond- und Sternenlicht,
Und sie vergaß den blauen Sonnentag,
Und sie vergaß, was Wind und Welle spricht,
Und sie vergaß den bunten Herbst im Hag;
Und wenn der Tag erstarb, sie sah es nicht,
Und sah den neuen Morgen nicht: sie lag
Nur immer weinend bei dem lieben Kraut,
Das bis ins Herz mit Tränen sie betaut.

Und so getränkt wie nie ein Kraut zuvor
Erhob es sich in grüner Üppigkeit
Und duftete wie nie ein Kraut zuvor
Auf Florentiner Beeten weit und breit.
Wann sproß auch je Basilikum empor
Auf einem Boden, so voll Fruchtbarkeit
Wie Menschenleid, wie Herzensnot und Tod!
Wann war's ein Menschenkopf, der Dünger bot!

Verbirg, o Muse, trauernd dein Gesicht
Und raste stumm, wo dumpf Verzweiflung stöhnt
Wie eine Stimme, die aus Grüften bricht
Und hohl in dunklen Tiefen wiedertönt.
Hier laß den Tod sich freuen, der verspricht,
Daß sich in ihm der tiefste Gram versöhnt;
Er setzt ein mildes Licht auf alle Pein:
Im Totenhof den bleichen Marmorstein.

Ihr trauertiefen Töne schluchzt und bebt!
O weint, ihr Saiten meiner Leier, weint,
Daß wild aus euch des Schmerzes Sturm sich hebt
Und mit des Windes Klage sich vereint!
Wann hätte je ein Weib wie sie gelebt,
Dem so das Schicksal alles Glück verneint!
Der Palme gleich, die man des Safts bestahl,
So stirbt sie hin in langsam bittrer Qual.

O stört ihr sanftes Sterben nicht! O quält
Sie nicht noch roh ins nahe Grab hinein! –
Doch ach, die Brüder, deren Herz verstählt
Von Gier und Geiz, sie konnten nicht verzeihn,
Daß ihre Schwester sich dem Gram vermählt,
Statt eines reichen Grundherrn Braut zu sein;
Und auch Verwandte forschten oft und viel,
Warum sie mied der Jugend Tanz und Spiel.

Die Brüder hatten staunend bald entdeckt,
Daß dem Basilikum ihr Weinen galt:
Das blühte wunderprächtig, wie erweckt
Durch Zauberwortes wirkende Gewalt;
Doch welcher Wert lag denn darin versteckt,
Daß Isabell dem Kraut zuliebe kalt
Für alle Freuden war und wahnbestrickt
Selbst den vergaß – den weil man fortgeschickt!

Sie harrten lange auf Gelegenheit
Dem Rätsel heimlich auf den Grund zu sehn,
Doch nie entfernte Isabell sich weit
Und wollte kaum zum Beichtgang sich verstehn.
Und wie's den Vogel treibt zur Brütezeit
Ins teure Nest zurück mit Windeswehn,
So flog sie unruhvoll zum Hort zurück
Und weinte dort bei dem begrabnen Glück.

Und dennoch stahlen sie das Kraut ihr fort,
Durchwühlten es bis auf der Wurzeln Grund:
Ein Totenkopf, Lorenzos Kopf lag dort –
Wie schnell erkannten sie den grausen Fund!
So rächte furchtbar sich der frevle Mord.
Entsetzt entflohen sie zur selben Stund –
Fort von Florenz und fort von Hab und Gut,
Verbannt, verdammt durch feig vergossnes Blut!

Verbirg, o Muse, trauernd dein Gesicht!
O weint, ihr Saiten meiner Leier, weint –
Wie eine Stimme, die aus Gräbern bricht
Und mit des Windes Klage sich vereint!
Ach, Isabell ertrug dies Letzte nicht,
Zu tief schon hat ihr bittres Leid geweint:
Vom Harm verwirrt, neigt einsam sie das Haupt,
Des letzten Trosts, der Tränen selbst beraubt!

Wie blickte Mitleid bittend sie umher
Und sprach die toten Dinge zärtlich an
Und fragte sie, wo ihr Basiltopf wär.
Und kam des Wegs vorbei ein Wandersmann,
Sie hielt ihn an und bat und flehte sehr,
Und wenn er ratlos schwieg – wie klagte dann
In stumpfen Schmerz sie stets das gleiche Wort:
»Was nahmt ihr mein Basilikum mir fort!«

So starb sie einsam hin in müdem Gram,
Nach dem Basiltopf fragend bis zum Tod.
Da war es ganz Florenz, das Anteil nahm
Und solchem Liebesleid sein Mitleid bot –
Bis daß ein Lied von Mund zu Munde kam,
Ein traurig Lied von Isabellas Not;
Und heut noch singt das alte Volkslied dort:
»Was nahmt ihr mein Basilikum mir fort!«

Sankt Agnes Abend

Sankt Agnes Abend – oh, wie fror die Welt!
Kalt saß der Kauz trotz dickem Federkleide,
Der Hase hinkte matt durchs eisige Feld,
Wollpelzige Schafe bebten in der Heide.
In starren Fingern hing der Rosenkranz
Des Beters, dessen Atem dampfend jagte
Wie gottgefälligen Weihrauchs frommer Tanz
Und um der Jungfrau Bild, das strahlend ragte,
Wie Wolke wehte, während er Gebete sagte.

Demütig betet er, der heilige Mann,
Bis er sein Licht ergreift, um aufzustehen
Und bleich und barfuß sachten Schrittes dann
Durch der Kapelle Chorgang fortzugehen.
Die Totenstatuen geben ihm Geleit,
Die hinter schwarzen Fegefeuergittern
Gefangen beten voll Beredsamkeit:
Er geht vorbei an Damen und an Rittern
Und denkt der Qual, in der wohl deren Seelen zittern.

Er wendet nordwärts sich durch enges Tor,
Da plötzlich singt Musik mit goldnen Zungen –
In Tränen lauscht der arme Greis empor,
Doch nein – ihm hat sein Glöckchen schon geklungen:
All seines Lebens Freuden sind verhallt,
Ihn will Sankt Agnes Abend büßend sehen!
Fort eilt er, sitzt in rauher Asche bald,
Um nachtdurchwachend Gnade zu erflehen,
Um Sünders Lohn durch Leid und Reue zu entgehen.

Ein sanft Präludium hatte er erlauscht;
Und das kam so: auf standen Tür und Schranken
Für eiligen Dienst.