Ich könnte dann auch sagen,
Welche der Grazien in Apolls Geleit
Die erste sei an holder Lieblichkeit.

Einsamkeit! Wohl muß mit dir ich wohnen

Einsamkeit! Wohl muß mit dir ich wohnen;
Doch sei es nicht in diesem finsterkalten
Gewirr von Häusern; hoch auf Felsgestalten –
Sternwarten der Natur – da laß uns thronen!

Wo tief das Tal mit Fluß und Wälderkronen
Nur fußlang scheint. Laß uns Vigilien halten,
Dort wo das Reh aus grünen Hinterhalten
Die Biene schreckt von Ginst und Anemonen.

Wohl möcht ich gern mit dir dies alles schauen!

 

Doch süßre Freude meine Seele kennt,

 

Und das ist Höchstes, was mir Sehnsucht nennt:

Mit Wahlverwandtem fliehn zu deinen Gauen,
Mit ihm, in dem die reine Flamme brennt
Und Worte weiß, ihr Wesen zu vertrauen.

Die letzten Blätter, die an Büschen hängen

Die letzten Blätter, die an Büschen hängen,
Zerrauft ein Wind mit monotonem Wort,
Die Sterne stehen kalt am Himmel dort,
Und vor mir liegt ein Weg von Meileslängen.

Doch kann mich Kampf und Kälte nicht bedrängen;
Auf toten Blättern schreit ich heiter fort,
Obschon sehr fern der heimatliche Ort
Und kalt herab die Silberlampen hängen.

Denn übervoll bin ich der Freundlichkeit,
Die heut in kleiner Hütte zu mir kam,
Von Miltons Klage, Lycidas geweiht,

Als Schicksalshärte diesen Freund ihm nahm;
Von Laura, die Petrarca so entzückte,
Daß ihn die Krone aller Kronen schmückte.

Grashüpfer und Heimchen

Niemals ist tot der Erde Poesie:
Wenn Vögel müde sind von heißen Sonnen,
Dann nimmt die Führung in den Sommerwonnen
Grashüpfers Stimme, und sie rastet nie.

Von Heck zu Hecke rennt die Melodie
Und hält die frischgemähte Trift umsponnen;
Macht Lust ihn matt, so ruht er süß versonnen
Bei grünstem Halme, der für ihn gedieh.

Nie endet sie, die Poesie der Erde.
Am stillen Winterabend, wenn der grimme
Nachtfrost ein Schweigen breitet, schrillt vom Herde

Des Heimchens Sang dem Träumer in die Ohren,
Als habe sich Grashüpfers Sommerstimme
Aus grüner Trift in seinen Traum verloren.

Wie lieb ich das: Wenn still aus goldnen Krügen

Wie lieb ich das: wenn still aus goldnen Krügen
Der Sommerabend fließt und die gelinden
Weißwölkchen ruhn auf duftgeschwellten Winden,
Von trübem Denken mich hinwegzulügen;

Befreit vom Kleinlichen, in vollen Zügen
Den Glanz zu trinken, ein Versteck zu finden,
Wo Schönheit und Natur sich Kränze winden,
Und dort mein Herz zur Freude zu betrügen;

Ans heimatlich Erhabne mich zu drängen,
Dem Schicksal Milton's, Sidney's nachzuhängen,
Bis beide ernst vor meiner Seele leuchten –

Vielleicht im Liede mich hinaufzuschwingen,
Bis Melodieen mir die Augen feuchten
Und Lust und Leid in Tränen sanft verklingen.

Die Glocken läuten Trübsinn in die Welt

Die Glocken läuten Trübsinn in die Welt.
Laut mahnt ihr Ruf zu anderen Gebeten;
Mit wilden Zungen, fürchterlich beredten,
Von Grauen, Schmerz und Schreck ihr Toben gellt.

Und machtvoll ist ihr Ruf, der zürnend bellt,
Denn Menschen folgen ihm, fliehn angstbetreten
Vom stillen Herd, wo edelste Poeten
Mit Wort und Werken ihren Geist erhellt.

Noch – noch ihr Läuten! Und wie Grabesschauer
Würd' mich Verzweiflung fassen, wüßt' ich nicht,
Daß dieses Heulen nicht von langer Dauer.

Ich aber weiß, wie einer Lampe Licht
Einmal erlischt, so stirbt auch dieser Schrei, –
Und edle Freudigkeiten blühen neu.

Nach langer Zeit, da dichte Nebeldecken

Nach langer Zeit, da dichte Nebeldecken
Das Land bedrückten, wacht mit sanfter Schwüle
Ein Tag auf von des Südens sonnigem Pfühle
Und fegt vom kranken Himmel alle Flecken.

Fröhlich erlöst aus trübem Winterschrecken
Frohlockt die Zeit in mailichem Gefühle;
Die Lider spielen mit der sanften Kühle,
Wie Rosenblätter Sonnentropfen lecken;

Uns überkommen friedliche Gedanken:
Von Knospenkraft – Fruchtreife – Herbstessonnen,
Die still auf Halme lächeln und auf Ranken –

Von Sapphos Wange – Schlummerkindleins Rot –
Von Sand, der sanft durchs Stundenglas geronnen –
Vom Bach im Wald – von eines Dichters Tod.

Auf ein Bild des Leander

Ihr sittsam süßen Mädchen, kommt gegangen,
Senkt unter Wimpern blasser Augenlider
Demütig keuschen Blick zur Erde nieder
Und haltet milde Hand von Hand umfangen,

Als könntet ihr bestürzt nur und mit Bangen
Ein Opfer eurer Schönheit sehn, das nieder
In nasse Nacht sinkt: niemals löst ihn wieder
Die junge Liebe aus den Wogenschlangen.

Leander ist's, der sich zu Tode müht.
Ohnmächtig lächeln noch die matten Lippen
Den letzten Kuß, den Sturm zu Hero trug.

O schrecklich! Seht, wie seine Kraft versprüht.
Sein Leib löscht aus wie Leuchten zwischen Klippen,
Aufperlt der Liebe letzter Atemzug.

Auf das Meer

Es flüstert rings zum Strand in Ewigkeit,
Füllt flutend zwanzigtausend Grotten an,
Bis ihnen Hekate mit Zauberbann
Wieder den alten dunklen Klang verleiht.

Oft ist es von so sanfter Heiterkeit,
Daß allerkleinste Muschel ruhen kann,
Wo sie dem lauten Wogenbraus entrann
Nach letztem wildentbranntem Wetterstreit.

Ihr, deren Augen brennend oder matt,
Ergötzt sie wieder auf der weiten Flut!
Ihr, deren Ohren taub vom rohen Spotte

Oder von Melodieen übersatt,
Sitzt nah dem Meer und hört in Traumesglut
Den Sang des Nymphenchors aus aller Grotte!

Wenn Furcht mich faßt, mein Dasein könne enden

Wenn Furcht mich faßt, mein Dasein könne enden,
Noch eh' die Feder, was mein Hirn erdachte,
In Schrift, in Büchern wußte zu vollenden,
Das reife Korn in volle Speicher brachte –

Wenn wolkengleich tief seltsame Legenden
Der Nacht besterntes Antlitz überfließen,
Und ich es weiß, daß nie mit Zufallshänden
Das Glück mir hilft, ihr Bild in Form zu gießen –

Und wenn ich fühle, Schönste du von allen,
Daß nur die flüchtige Stunde uns umfängt,
Daß nie mein Herz in jenen Zauberfallen

Gedankenloser Liebe träumend hängt –
Dann steh ich einsam vor den Ewigkeiten,
Bis Ruhm und Liebe in ein Nichts entgleiten.

An eine Dame

(flüchtig gesehen in Vauxhall)

Fünf Jahre ebbt das träge Meer der Zeit,
Und langsam rann der feine Stundensand,
Seit du den Handschuh zogst von weißer Hand
Und ich mich fing in deiner Lieblichkeit.

Und dennoch: schau ich auf zum Sternenlicht,
So zeigt Erinnrung deiner Augen Glanz,
Und seh ich rosiger Rosen zarten Kranz,
Denkt meine Seele nur an dein Gesicht.

Kein Knospenschwellen kann mein Auge sehen,
Ohn' daß mein töricht Ohr sich neigt und lauscht,
Um deines Mundes Worte zu verstehen.

So wird in jedes Glück dies Deingedenken
– Wie tiefre Lust; die inniger berauscht –
Den süßen Stachel seiner Schmerzen senken.

Das Milchmädchen

Wo gehst du nur hin, du Mädchen, sag?
Und was trägst du im Körbchen so sittig?
Du sauberes Kind, eil nicht so geschwind,
Reich mir einen Trunk, ich bitt dich!

Ich mag deinen Anger, ich mag deinen Klee,
Und Milch naschen mag ich unendlich;
Doch lieber mir's ist, wenn dein Mündchen mich küßt.
Das ist ja so selbstverständlich.

Ich mag deine Hügel, deine Täler so sehr,
Und ich mag deine blökenden Schafe –
Doch ach, mich ins Heu zur Seite dir treu
Zu betten zum Liebesschlafe!

Dein Körbchen, das stell ich recht sorgsam beiseit,
Deinen Schal häng ich auf an der Weide,
Und dann seufzen wir matt in Blumen und Blatt
Und küssen und küssen uns beide.

Stanzen an Miss Wylie

O komm, Georgiana! Die Rosen schau an,
Den blumigen Teppich, den Flora rings spann;
Die Luft ist voll Süße, das Wasser voll Glanz.
Der West schwebt mit funkelndster Sonne zum Tanz.

O komm! Laß uns ziehn ins erfrischende Grün,
Durch Schatten und Matten, die duften und sprühn,
Zur Waldlichtung hin, wo die Feen sich drehn
Und Sylphen wie lichtester Sonnenglanz gehn.

Und bist du dann müde, so bett ich dich sacht
Auf Moos und auf Blumen mit liebem Bedacht;
Dort lieg ich, Georgiana, zu Füßen dir nah,
Mein Märchen von Liebe erzähl ich dir da.

Und atme so zärtlich und seufze so lind,
Als seufze von Liebe der Frühsommerwind;
Dein schönes Knie preß ich und atme so tief –

Da fühlst du, daß ich's war, der seufzend dich rief.
Warum, liebstes Mädchen, entbehren dies Glück?
Ein Narr nur weist soviel Beglückung zurück:
So lächle Gewährung und gib deine Hand
Und ein zärtliches Wort, das dein Herz für mich fand.

Ich lachte heut - warum? Wer sagt es mir?

Ich lachte heut – warum? Wer sagt es mir?
Kein Gott, kein Dämon ist, der Antwort sagt,
Der mir aus Himmel, Hölle Antwort wagt!
Nur Schweigen, – Herz, so wend ich mich zu dir:

Herz! Du und ich sind traurig und allein;
Ich frage: weshalb lachte ich? – Nun? Nun? –
O Dunkel, Dunkel! Und ich kann nicht ruhn,
Und Himmel, Hölle, Herz höhnt meine Pein!

Ich lachte heut – warum? – Kurz ist das Leben,
Sein Seligstes genoß beschwingt mein Geist –
Doch würd' ich heute gern dem Tod mich geben,

Der unsre bunten Fahnen schrill zerreißt:
Lied, Ruhm und Schönheit türmen nur den Thron
Für König Tod – des Lebens höchsten Lohn.

An den Schlaf

O sanfter Duft der stillen Mitternacht,
Der zart und sorgsam unsre Augen schließt
Und schattend vor dem Lichte sie bewacht,
In Seelen göttliches Vergessen gießt.

O sanfter Schlaf! Schließ mir die willigen Lider,
Eh dieses Hymnus' letztes Wort verklingt,
Nein, hör das Amen erst, eh schläfernd nieder
Dein Mohn die süßen Gnadengaben bringt.

Dann hüte mich, sonst gießt der Tag sein Licht,
Vielfachen Jammer brütend, auf mein Kissen,
Behüte mich, denn ach, es schlummert nicht

Das wie ein Maulwurf wühlende Gewissen;
Dreh flink den Schlüssel in geölten Riegeln,
Die meiner Seele Springbrunn sanft versiegeln.

An Fanny

Ich schreie: hab Erbarmen! – Mitleid! – Liebe!
Liebe, die sich erbarmt und die nicht quält,
Beständige, arglose, offene Liebe,
Die, makellos, sich keine Maske wählt.

O gib dich ganz! Sei mein – sei meinem Flehen!
Gestalt und Antlitz – süßer kleiner Mund –
Himmlische Augen, Hände, die verstehen,
Der warmen Brüste freudevolles Rund, –

Gib deine Seele – gib dein ganzes All,
Halt nichts zurück, nichts – nichts! Ich würde sterben!
Und lebte ich, dein elender Vasall,

Ich würde doch an meinem Schmerz verderben!
Ich könnte meines Daseins Sinn nicht finden,
Mein Geist, mein Ehrgeiz würden stumpf erblinden!

La belle dame sans merci

Was fehlt dir doch, du armer Wicht,
Was schweifst du einsam bleich umher?
Das Schilf ist längst schon welk, es singt
Kein Vöglein mehr.

Was fehlt dir doch, du armer Wicht;
Was bist du so verhärmt und krank?
Des Eichhorns Speicher ist gefüllt,
Die Ähre sank.

Eine Lilie blüht auf deiner Stirn,
Betaut von Fieber, Not und Qual,
Die Rosen deiner Wangen sind
Verwelkt und fahl.

»Ein Fräulein traf im Hag ich an,
War schön, wie nur ein Feenbild,
Ihr Haar war lang, ihr Schritt war leicht,
Ihr Blick war wild.

Ich hob sie auf mein schreitend Roß,
Und seitwärts lehnte sie und sang;
Nun sah ich nichts als sie im Tag –
Viel Stunden lang.

Ich flocht ihr einen Kranz aufs Haupt
Und duftigen Kranz um Brust und Arm,
Sie dankte mir mit Blick und Wort
So süß und warm.

Sie suchte saftiges Wurzelwerk,
Wildhonig, Manna-Tau für mich
Und sagte mir in fremdem Laut:
Ich liebe dich.

Sie nahm mich in ihr Grottenschloß
Und sah mich an und seufzte tief.
Ich küßte ihr die Augen zu,
Sie lag und schlief.

Dort schlief auch ich im Moose ein,
Da träumte mir ein Traum so bang,
Der letzte Traum, den ich geträumt
Am Hügelhang.

Sah Könige, Fürsten, Ritter stehn –
So bleich, wie Tod nur bleich sein kann –
Sie schrien: La belle dame sans merci
Hat dich im Bann!

Aus klaffend offnem Totenmund
Der schauerliche Warnruf drang.
Ich wachte auf und fand mich hier
Am Hügelhang.

Und darum irr ich einsam hier
Und bleich im welken Schilf umher,
Obgleich ich weiß, es singt schon längst
Kein Vöglein mehr.«

An die Herbstzeit

Du Zeit der Feuchte und der Fruchtbarkeit,
Freundin des Sonnengotts, der Reife sendet,
Mit ihm vereinigt, daß zur Süßigkeit
Des Rankenweins betaute Traube endet,
Daß Apfellast die moosigen Bäume biegt,
Daß aller Früchte Herz von Saft durchquollen,
Daß Kürbis schwillt und jede Nuß sich füllt
Mit würzigem Kern, und weicher gelber Pollen
In vielen späten Blumen wartend liegt,
Und jede Biene schwer zur Zelle fliegt,
Draus Sommers Segen schäumend überquillt.

Wer sah nicht oft in deiner Pracht dich stehn?
Sucht einer draußen, mag er wohl dich finden
Mit Lächeln über weite Speicher gehn,
Die Haare sanft bewegt von Fächelwinden,
Oder auf halbgemähtem Ackerreich.
Im Mohnduft schlafen: vor den nächsten Schwaden
Voll Blumen hält die Sense noch zurück.
Und manchmal gehst du, Ährenlesern gleich,
Quer übern Bach, den hohen Kopf beladen,
Oder du läßt den ernsten Hüterblick
Im gelben Fluß der Obstweinkelter baden.

Wo ist, ach wo, des Frühlings Finkenschlag?
O still! Musik – auch dir ist sie verliehen –
Wenn wolkenbunt verblüht der sanfte Tag
Und Rosenschatten über Stoppeln ziehen:
Dann klagt in Uferweiden das Gewimmel
Der winzigen Mücken – lebt der Wind empor,
Hebt sich der Schleier, stirbt er, sinkt der Flor –
Erwachsne Lämmer blöken laut am Bach,
Und Grillen zirpen; nun entzückt das Ohr,
Rotbrüstchens Flötensang vom Laubendach,
Und Schwalben sammeln zwitschernd sich im Himmel.

Ode auf die Melancholie

Du sollst nicht Lethe suchen, sollst nicht Wein
Aus harter giftiger Wolfsmilchwurzel klopfen,
Noch soll Proserpinas blutrote Pein,
Nachtschattentraube, deine Stirn umtropfen.
Dein Rosenkranz sei nicht aus Taxusperlen,
Dein Gram soll nicht zum flaumigen Kauz sich retten,
Im schwarzen Falter ein Symbol erblicken
Und klagend wandeln unter Trauererlen,
Sonst wird nur schläfernd Dunkel dich umbetten
Und deiner Seele wache Qual ersticken.

Doch wenn Melancholie herniederdrängt,
Gleich wie vom Frühlingshimmel Wolkenweinen
Um grüne Höhn sein graues Bahrtuch hängt
Und volle Nahrung gibt den müden kleinen
Kopfhängerischen Blumen, – oh, so drücke
Dein Leid in frühen Rosenkelch und schmücke
Päonienblühn mit dunklen Gramgeschmeiden;
Und ist die Herzensherrin trüb, verdrossen –
Halt ihre Hand in Händen sanft verschlossen
Und laß den Blick in ihren Augen weiden.

Sie lebt, wo Schönheit ist, die sterben muß,
Wo Freude ist, die stets, die Hand am Munde,
Zum Gehn bereit – bei schmerzendem Genuß,
Der Gifte braut aus jeder seligen Stunde.
Ja selbst im Tempel aller hohen Wonnen
Besitzt Melancholie Altar und Stätte –
Wenngleich nur der sie sieht, der Mut gewonnen,
Der Freudenbeere allzusanfte Glätte
Mit durstiger Zunge aufzutun: er findet
Die Schwermut ihrer Macht, die ewig bindet.

Zeilen an Fanny

Was kann ich tun, um meinen Augen
Erinnrung zu entziehn? Warst du doch nah;
Erst eine Stunde ging, seit ich dich sah,
Mit durstigem Blick dein Bildnis aufzusaugen.
Berührung hat Gedächtnis! Lieb, o sage,
Wie kann ich das ertöten?
Wie rett ich mich aus diesen tiefen Nöten,
Daß ich in aller Freiheit wieder rage?
Wenn jeder Schönen, die ich sah, mein Fang
Geschickt gelang,
So riß doch bald die schlechtgewebte Schlinge,
Und ich entsprang!
Ob dürftige, ob farbenbunte Dinge –
Ich fühlte meiner Muse Flügel,
Ich hielt die Zügel!
Und stets war ihre Kraft bereit
Sich meinem Wunsch zu schenken,
Der ohne nachzudenken
Doch thronte in erhabner Göttlichkeit.
In Göttlichkeit! – Der Vogel, den sein Flug
Hintanzend über Meeresrauschen trug,
Wird er im heitren Steigen, Neigen, Senken –
Ein Philosoph – an Ziel und Absicht denken?

Wie soll ich tun,
Von neuem nun.
Verlorne Federn wiederzuempfangen,
Empor, empor,
Bis drunten Amors Flattern sich verlor,
In ewigreinen Äther zu gelangen? –
Berausche dich in Wein! –
Das ist gemein,
Ist Sünde, Ketzerei,
Die das Gesetz der Liebe schmählich schändet.
Nein, – nur den Frohen macht das Trinken frei,
Doch mir ist Leid gesendet! –
Wie soll ich wissen, wo mein Friede sei?
Und wie mich stählen, jenem grausigen Lande,
Dem Kerker meiner Freude, fern zu bleiben:
Dem eklen Strande,
An dem sie scheiterten und haltlos treiben;
Der fürchterlichen Welt, wo trübe Flüsse
Die schmutzigen Wellen an die Ufer spülen
Und nie die Nähe heitrer Götter fühlen –
Wo rauher Wind beeiste Ruten schwingt
Und Geißelhiebe bringt
Und wilden Schmerz als einzige Genüsse –
Wo blind und schwarz erfrorne Wälder ragen,
Dryaden schreckend –, wo verdorrtes Gras,
Des dürren Ochsen widerlicher Fraß,
Die Wiesen deckt, die keine Blumen tragen –
Wo niemals lockt ein lieber Vogelruf:
Dem Land, das die Natur im Zorn erschuf!

O daß ein Wunder käme!
Daß Sonne diese Höllenschatten nähme!
Sie müssen fort! – Bei Tages Dämmerschein
Ist meine Dame mein!
O meiner Seele Lust:
Noch einmal ruhn auf dieser süßen Brust!
Noch einmal meine Arme fühlen lassen,
Daß sie als Kerkermeister dich umfassen!
Noch einmal mich an deinen Atem drängen,
Daß seine Düfte in mein Haar sich hängen!
Du tiefe Süße solcher Qual –
O küß mich noch einmal!
Genug! genug! Es ist genug für mich:
Find ich im Traume dich!

Lamia

Erster Teil

Vorzeiten, ehe noch die Feenbrut
Satyrn und Nymphen trieb aus Waldeshut,
Eh König Oberon mit Krongeschmeide
Und Szepter und betautem Blütenkleide
Die Faune und Dryaden ganz vertrieb,
Daß ihnen nicht ein Binsensaal mehr blieb,
Kein Dornendickicht und kein lichter Hain,
Kein Wiesengrund mit gelben Blümelein,
Floh Hermes, neu entbrannt, den goldnen Thron
Und stahl sich fort um süßer Liebe Lohn.
Den Wolken Jupiters nahm er das Licht
Zur Erdenseite fort, damit ihn nicht
Sein hoher Mahner auf der Flucht entdecke,
Und flog dann hin zu dunkler Waldesstrecke
Auf Kretas Inselufer, denn hier war
Ein Nymphlein, dem die ganze Satyrschar
Ergeben kniete; sehnende Tritonen
Versuchten ihre Schönheit zu belohnen
Mit Perlen, die sie ihr zu Füßen legten.
Ganz nah den Quellenbächen, grün umhegten,
Die Bad ihr gaben, und auf jenen Matten,
Die oft schon ihren Schritt getragen hatten,
War manche reiche Gabe ausgestreut,
Den Musen fremd – doch Phantasie gebeut,
Aus ihrem reichen Born nur auszuwählen.
Ach, so viel Liebe läßt sich garnicht zählen!
So dachte Hermes, und ein himmlisch Glühn
Durchflog von den beschwingten Sohlen ihn
Bis aufwärts zu den Ohren – sonst so weiß
Wie klare Lilien, jetzt wie Rosen heiß,
Um die sich dicht die goldnen Locken ballten,
Und ringelnd tief auf nackte Schultern wallten.
Er flog von Tal zu Tal, von Wald zu Wald
Und gönnte keinen Atemzug sich Halt,
Kaum daß die Blumen sein Erglühen fühlten.
An Flüssen hin, die ihre Ufer kühlten,
Flog er, der Nymphe Lager zu erspähn:
Doch nirgends konnte er die Süße sehn.
So hielt er an verlassner Stelle Rast,
Gedankenvoll, von Eifersucht erfaßt
Auf jeden Waldgott, ja auf jeden Baum.
Da hört er eine Stimme wie aus Traum;
So sanfte Stimme, die wohl mildem Herzen
All Leiden fortnimmt, bis auf Mitleidschmerzen.
»Wann werd ich diesem Ringelgrab entsteigen,
Wann mich in süßem Leib dem Leben zeigen,
Der Liebe und der Lust und rotem Streit
Von Herz und Mund? O Arme ich in Leid!«
Der taubenfüßige Gott glitt schweigend fort
Um Busch und Baum, sacht streifte hier und dort
Sein Fuß das Gras und voll erblühte Kraut,
Bis er im Dickicht eine Schlange schaut,
Die, kreisgerollt, wie Glanz im Düster bebt,
Gordischer Knoten, blendend und belebt.

Zinnober, golden, grün und blau gefleckt,
Mit Kreisen wie ein Leopard bedeckt,
Mit Zebrastreifen und mit Pfauenaugen
Und Silbermonden, die beim Atemsaugen
Zerflossen oder strahlender erglänzten,
Mit sanftem Schein den buntern Schmuck umkränzten.
So regenbogenstrahlend lag sie dort,
Wie schmachverflucht durch Zorn und Zauberwort,
Nein, selber schien ein Dämon sie zu sein.
Ihr Haupt umgab ein bleicher Feuerschein,
Von Sternglanz hell, Ariadnes Tiara gleich,
Ihr Haupt war Schlange, doch – wie wunderreich
Und bitter süß! – sie hatte Weibesmund
Mit schimmerschönem vollem Perlenrund.
Und ihre Augen! Konnten solche Augen
Zu andrem als zu heißem Weinen taugen,
Weil sie, so schön, für solchen Leib bestimmt?
Klagt doch Proserpina noch heut ergrimmt
Um ihr Sizilien und um seine Pracht.
Ihr Hals war Schlangenhals, doch lind und sacht
Wie Honig flossen ihre Worte hin,
Und Liebessehnen schenkte ihnen Sinn.
Und Hermes lag, die Schwingen vorgeneigt,
Dem Falken gleich, wenn sich die Beute zeigt.

»O schöner Hermes, holder Himmelsglanz,
Umragt, bekrönt von lichtem Schwingenkranz,
Ich träumte diese letzte Nacht von dir:
Auf goldnem Throne sah ich dich vor mir,
Hoch im Olymp, im frohen Götterkreise.
Nur du warst traurig, taub der sanften Weise
Des Lautenspiels der Musen, taub sogar
Apollos Sang, so süß und weh er war.
Mir träumt', ich sah dich funkenübersprüht
Durch Wolken brechen, hell wie Morgen glüht,
Und dann verliebt wie Phöbus' Pfeil so schnell
Nach Kreta eilen – und du bist zur Stell!
Zu sanfter Hermes, fandest du die Maid?«
Da gab der Stern der Lethe so Bescheid:
»Du Schlange mit dem süßen Frauenmund,
Himmlischer Weisheit bist du sicher kund!
Du prächtiger Kranz mit schwermutvollem Blick,
Dein sei das allerseligste Geschick,
Nur sage mir, wo meine Nymphe ruht,
Wohin sie floh?« »O Gott, du redest gut,«
Die Schlange sprach, »doch gib des Schwures Siegel!«
»Ich schwöre,« sagte Hermes, »bei dem Spiegel,
Der deine Augen sind, bei deinem Glanz,
Bei meinem Stab und seinem Schlangenkranz!«
Die ernsten Worte flohn ihm leicht vom Munde
Und glitten sanft in blütenbunte Runde.
Und wieder drauf das schöne Weib und Tier:
»Zu schwach dein Herz! Denn höre nun von mir:
Die Nymphe gleitet unsichtbar wie Luft
Hier durch die Wildnis, frei wie zarter Duft
Genießt sie ungesehen ihre Tage,
Kaum daß ihr flüchtiger Fuß das Gras im Hage
Und zarte Blumen streift. Von schweren Zweigen,
Gebognen Ranken, die sich lastvoll neigen,
Pflückt sie ganz ungesehn die süße Frucht,
Sie badet ungesehn in Bach und Bucht,
Und meine Macht ist's, die die Schöne hütet,
Daß dreiste Gier umsonst in Blicken wütet,
Und Faune und triefäugiger Silen
Umsonst zu ihr in tiefen Seufzern flehn.
Bleich wurde die Unsterbliche vor Leid,
Um aller dieser Wilden Dreistigkeit;
Da gab ich ihr aus Mitgefühl den Rat,
Ihr Haar zu tauchen in ein Zauberbad,
Dann könne sie in Freiheit ungesehn
Und unbehelligt rings durchs Grüne gehn.
Du sollst sie schauen, Hermes, du allein,
Willst du, dem Schwur getreu, mir dankbar sein.«
Da schwur der Gott, verzückt, noch einen Eid.
Die Schlange fühlte tiefe Seligkeit,
Als warm und bebend seine Worte klangen,
So voll von Glut und Liebe und Verlangen.
Sie hob ihr Kirke-Haupt beglückt empor
Und hauchte selig nah dem Gott ins Ohr:
»Ich war ein Weib, – laß mich noch einmal haben
Die Weibgestalt und Weibes Reiz und Gaben.
Ich liebe einen Jüngling aus Korinth,
Mach mich zum Weib und führ mich schnell wie Wind
Hin wo er weilt – nun, Hermes, beug dich nieder,
Ich hauche – und du siehst die Nymphe wieder.«
Er schloß die Schwingen halb und neigte sich,
Und über seiner Brauen Bogenstrich
Ging leis ihr Atem, und sogleich erschien
Die Nymphe beiden sichtbar nah im Grün.
Es war kein Traum – doch sagt so, wenn ihr wollt;
Der Götter Traum ist Wirklichkeit, und hold
Entrollt wie ewiger Traum ihr ewiges Leben.
Ein Augenblick gab Glühen und Erbeben:
Der Nymphe Schönheit warf den Gott fast nieder;
Nun trat er hin ins Grün und blickte wieder
Zur bleichen Schlange her und regte sacht
Den Arm und übte seines Zaubers Macht.
Dann schickte er den Blick zur Nymphe hin,
Verehrung stand in Tränenschrift darin,
Und schritt zu ihr. Wie Mond erbleicht und sinkt,
Wenn hell im Ost der neue Morgen blinkt,
Verging sie vor dem Gott, versteckte sich
Und schluchzte auf und seufzte bitterlich.
Wie Blume war sie, die sich fest verschließt,
Wenn Abend seine kühlen Schatten gießt.
Doch sanft nahm er die kalt erschreckte Hand,
Bis still an seiner Glut ihr Zagen schwand;
Da hob sie ihrer Augenlider Flor,
Und wie die Blüte in den Tag hervor,
Wenn Morgen seinen Bienenschwarm ergießt,
Den süßen honigvollen Kelch erschließt,
So bot sie selig ihren Honig dar.
In grünste Waldestiefen floh das Paar
Und schien nicht irdisch Liebenden zu gleichen,
Die, krank in Sehnsucht, welken und erbleichen.

Allein gelassen fing die Schlange an
Sich zu verwandeln; durch den Körper rann
Ihr Blut wie toll, und Schaum troff ihr vom Mund
Und machte Gras und Kräuter welk und wund;
Die Augen starrten schwer in Angst und Qual
Und glänzten auf wie überhitzter Stahl
Und gluteten in grellem Phosphorschein,
Und keine Träne kühlte ihre Pein.
Die Farben ihres Leibes schossen Flammen
Und krampften sich in Purpurschmerz zusammen;
Und tiefes sattes Gelb verwischte ganz
Der anmutvollen Silbermonde Glanz;
Wie Lava eine bunte Wiese leckt,
So war ihr Kleid von Düster überdeckt,
Die Streifen, Flecke, Monde, Sterne blichen.
Und schon nach wenig Augenblicken wichen
Die blauen, grünen, amethystnen Ringe;
Und all die silber-roten Schmetterlinge,
Die sie geziert, verblichen Stück für Stück,
Nichts blieb als Schmerz und Häßlichkeit zurück.
Noch glomm die Krone, doch auch sie entglitt,
Und da verschwand sie selber plötzlich mit.
Und durch die Lüfte läutete ihr Wort:
»O Lycius, lieber Lycius!« Schwebte fort
Mit hellen Nebeln, die um Höhen flogen –
Sie war aus Kretas Wäldern fortgezogen.

Wohin floh Lamia, eine Schönheit nun,
Wo wird ihr lichter Weibesteib jetzt ruhn?
Sie floh in jenes Tal, das der betritt,
Der von Kenchreas' Ufern lenkt den Schritt
Hin nach Korinth, und hielt erst rastend an,
Als sie das wilde Hügelland gewann,
Wo Bäche sich durch rauhe Schluchten drücken,
Und jenen andern Grat mit zackigem Rücken,
Den Nebeldunst und Wolkenwulst bedeckt
Und der südwest sich bis Kleone streckt.
Sie stand, wie junges Vöglein flattert, schön,
Auf grünem Hang der moosbewachsnen Höhn
Vor eines klaren Bächleins Spiegel da,
Entzückt, daß sie ihr Bildnis also sah,
Entronnen jener schreckensvollen Zeit.
Narzissen küßten sanft ihr Mädchenkleid.

Glück, Lycius, dir! denn schöner war wohl nie
Ein Zöpfe flechtend Mädchen, ach, als sie,
Ein schämig Mädchen, das mit Seufzern bang
Durch blumige Wiesen schritt beim Vogelsang.
O Jungfrau, der, so schuldlos auch ihr Mund,
Doch alle tiefste Liebesweisheit kund,
Nicht eine Stunde alt, doch voll Verstehen,
Daß Lust und Leiden nah zusammengehen,
Und klug, die zarten Grenzen zu erkennen
Und eins vom andern immer wohl zu trennen,
Als habe dich Kupido selbst belehrt,
Wie man mit List und Schlichen sich bewehrt –
Und du, die lieblich lässige Schülerin,
Du hieltst voll Sehnsucht alles wohl im Sinn!

Weshalb das schöne Wesen es erwählt
Am Weg zu warten, sei euch bald erzählt;
Erst aber sei gesagt, wie sie versonnen
So manchen wundersamen Traum gesponnen,
Als sie in Schlangenleib gefangen war.
Ihr Geist war frei und sah und hörte klar,
Was sie nur hören oder sehen wollte:
Wie dort, wo grüne Wogenlocke rollte,
Die Nereide über Perlenstiegen
Hinglitt, in Thetis' Schattensaal zu liegen,
Wie Bacchus, seligen Becher in der Hand,
Traumfreudig unter harziger Pinie stand,
Und wie die Gärten Plutos Schönheit tragen,
Wo Mulcibers metallne Säulen ragen.
Und in die Städte glitt ihr Träumen auch,
Um mitzutun bei frohem Festesbrauch.
Und so, als einst ihr Traum bei Menschen weilte,
Da sah sie Lycius, der vorübereilte
Auf schwankem Wagen und zum Ziele jagte.
Wie junger Jupiter, so blühend ragte
Der Jüngling mit geruhigem Angesicht –
Da traf die Liebe sie mit Erzgewicht.
Nun wußte sie, daß heut, wenn Dämmrung kam,
Er diesen Weg vom Strande heimwärts nahm,
Hin nach Korinth, denn Ostwind blies daher.
Und eben jetzt schob sich sein Schifflein schwer
Mit erznem Schnabel an der Mauer fort,
Um in Kenchreas wohlgeschütztem Port
Zu ankern; von Äginas Inselland,
Wo hoch für Jupiter ein Tempel stand,
Kam Lycius nun zurück, vom Gott erhört,
Der, was er wünschte, gnädig ihm gewährt.
Denn irgend eine Laune fügt' es so,
Daß er die Nähe der Gefährten floh,
Ermüdet wohl von zu geschwätzigem Wort,
Und einsam ging er gen Korinth hin fort.
Gedankenlos zunächst, doch als zur Nacht
Am Himmelsdom der Abendstern erwacht,
Verstieg sein Träumen sich zu fernen Matten
Im sanften Dämmerlicht platonischer Schatten.
Ihn konnte Lamia näher, näher sehen,
In trübem Gleichmut dicht vorübergehen –
Sein sanfter Schritt durchfegte Moos und Grün –
Er sah sie nicht, sah nicht ihr Auge sprühn;
Er ging vorbei, geheimnisvolles Bild,
Sein Geist gleich ihm in Mantel eingehüllt.
Sie wandte fürstlich weiß den Hals ihm nach,
Bis sie »o hehrer Lycius!« bittend sprach,
»Du läßt mich auf dem Hügel hier allein?
O blicke Mitleid mir ins Herz hinein!«
Er tats, verwundert nicht und nicht voll Weh,
Er sah wie Orpheus auf Eurydice;
So süß die Worte, die sie liebend sang,
Ihm war, er liebte sie schon sommerlang.
Sein Auge trank die Schönheit auf voll Glück,
Ließ keinen Tropfen in dem Kelch zurück,
Doch blieb verwirrend voll der Kelch – indessen
Er bang, die schuldige Ehrung zu vergessen,
Bevor sie schwände, Anbetung begann.
Scheu sah ihr Blick ihn ganz in ihrem Bann.
»Allein dich lassen! Göttin, sieh mich hier,
Wie könnt' mein Aug sich wenden je von dir!
Aus Mitleid trüge nicht dies trübe Herz –
O bleib! Entschwebst du, brichts in Todesschmerz.
Ob du Najade auch aus fernen Flüssen,
Dir werden sie auch fern gehorchen müssen!
O bleib! Und wären grünste Wälder dein,
Den Regen trinken können sie allein!
Und wenn Plejaden deine Schwestern wären,
Wird ihrer keine leiten deine Sphären?
An deinerstatt harmonisch silbern scheinen?
Dein süßer Gruß, er kam so süß zu meinen
Entzückten Ohren, – schwändest du mir nun,
Das Deingedenken ließe nie mich ruhn,
Zu einem Schatten bliche ich dahin –
Aus Mitleid, steh!« – »Und hätte ich im Sinn,«
Sprach Lamia, »länger hier im Lehm zu stehn,
Mit wundem Schritt durch Stachelkraut zu gehn,
Was tätest du, das soviel Reize hätte,
Daß ich darum vergäß die Heimatstätte?
Soll ich mit dir durch Tal und Höhen streifen,
Wo Tod und Trauer ist, vorüberschweifen?
Lycius, du bist gelehrt, und weißt du nicht,
Daß eure Erdenluft zu schwer und dicht
Für zartre Seelen ist? – Ach, armer Knabe,
Welch reinere Luft bringst du als Schmeichelgabe
Verführend dar? Welch lichtere Paläste,
Für alle meine Sinne Freudenfeste,
Da hundert Wünsche dann erfüllt sich sehen?
Es kann nicht sein – lebwohl!« – Und hoch auf Zehen
Reckt sie sich auf, die Arme weit gebreitet;
Er, krank vor Ängsten, daß sie ihm entgleitet,
Sank hin in Ohnmacht, bleich in Liebesschmerz.
Sie zeigte für sein Weh kein liebend Herz,
Doch ihre Augen, die so strahlen konnten,
Noch strahlender an seinem Bild sich sonnten,
Ihr neuer Mund an seinen Lippen hing,
Das Leben, das in ihrem Netz sich fing,
Ihm neu zurückzugeben; doch erwacht,
Umfing ihn wiederum nur Angst und Nacht.
Da hub sie, die in Glück und Liebe so
Und Glanz und Schönheit überirdisch froh,
Ein Liebeslied zu singen an, so süß,
Daß jeder Stern sein flimmernd Atmen ließ
Und selig lauschte ihrem Himmelssang.
Dann wieder sprach sie Flüsterwort so bang
Und innig, wie nur die einander sagen,
Die sich allein nach vielen Trennungstagen
Beisammensehn und mehr denn Blicke geben;
Sie bat ihn sacht, das liebe Haupt zu heben,
Den Zweifel abzutun: sie sei ein Weib,
Und Blut durchpulse ihren Menschenleib,
Ihr schwaches Herz sei ganz dem seinen gleich,
An Liebesseligkeit und -Schmerzen reich.
Dann sprach sie ihr Verwundern aus, daß er
Sie nie gesehen in Korinth bisher,
Wo, sagte sie, ihr Leben heiter fließe,
So schön, als es mit Gold sich leben ließe;
Zwar ohne Liebe, doch in stillem Frieden,
Bis ihn zu sehn ihr eines Tags beschieden,
Beim Venustempel im Vorübergehn;
Da sah sie ihn an einer Säule stehn,
Tief in Gedanken; rings im Kreise standen
Viel Körbe voll von Blumen und Guirlanden,
Wars doch der Abend vor Adonis' Fest.
O wie sie da die Augen zugepreßt,
Sein Bild zu halten, und wie Tränen kamen
Und ihres Herzens süßen Frieden nahmen.
Und Lycius wachte auf, und staunend sah
Die Wundersame er noch immer nah
Und hörte ihren herzlich lieben Sang.
Da wich Bestürzung, und Entzücken rang
Sich ihm durchs Herz, als er ihr Wort vernahm,
Das so aus tiefster Weibesliebe kam.
Und jedes ihrer Worte lockte sacht,
Bis er zu vollstem Glücksgefühl erwacht.
Ja, mögen Dichter noch so gerne singen,
Daß Feen nur und Peris Freude bringen, –
Sie alle, die in Grotte, See und Fluß
Sich bergen, schenken niemals den Genuß,
Wie echtes Weib, dem alle Ahnen kamen
Aus Pyrrhas Kieseln oder Adams Samen.
Auch Lamia hatte listig jetzt erkannt,
Daß Lycius ihr, in Ehrfurcht festgebannt,
Nicht Liebe schenken könne; also ließ
Die Göttin sie beiseite und verhieß
Ihm größre Lust, indem sie Mensch sich nannte
Und ihn allein durch Mädchenschönheit bannte,
Die, wo sie niederwirft, auch Hoffnung spendet,
Daß alle Sehnsucht in Erfüllung endet.
Beredte Antwort gab ihr Lycius dann,
Der jedes Wort mit Seufzern heiß umspann;
Und nach Korinth hinzeigend fragte er,
Ob ihrem zarten Fuß der Weg zu schwer.
Wie kurz war der, da Lamias Zauber wachte,
Der Schritte nur aus langen Meilen machte.
Doch Lycius merkte dieses Wunder nicht:
Blind machte ihn ihr strahlend Angesicht.
Durchs Stadttor schritten sie so sacht und leis –
Er ging wie einer, der von Traum nur weiß.

Und wie des Träumers wirres Wortetasten,
So murmelte Korinth mit all dem Hasten
Belebter Straßen, rühriger Paläste,
Durchwogter Tempel und verruchter Feste:
Wie Sturmwind nähersummt aus weiten Fernen,
So sprach Korinth hinauf zu Nacht und Sternen.
Denn Mann und Weib und Arm und Reich belebte,
Sobald der kühle Abend niederschwebte,
Die weißen Straßen, und erst jetzt erwachte
Die Plauderlust; und aus dem Dunkel sachte
Glomm Licht um Licht und warf bewegte Schatten,
Die seltsam tanzten über Marmorplatten,
In Tempelwinkel sich zusammenduckten
Und geisterhaft um Säulenschäfte zuckten.

Er barg das Antlitz tief in Mantelfalten,
Um ungesehn zu sein; und doch, wie krallten
Sich seine Finger fest um ihre Hand,
Als unerwartet Einer nahe stand
Und näher schlürfte über den Granit,
Den seine Tracht als Philosoph verriet:
Mit scharfen Augen, grauem Lockenbart,
Das mächtige Greisenhaupt fast unbehaart.
Lycius verbarg sich tiefer, als er kam;
Es war, als ob ihm Angst den Atem nahm;
Und Lamia bebte; flüsternd fragte er:
»Geliebte, sag, was schauderst du so sehr?
Weshalb schmilzt deine Hand in Furcht dahin?«
Und Lamia sagte: »Weil ich müde bin.
Doch sage mir, wer ist der alte Mann,
Auf den ich mich nicht recht besinnen kann?
Weshalb verbargst du dich, als er uns sah?«
»'s ist Apolonius,« sagte Lycius da,
»Mein weiser Lehrer; heute Nacht doch scheint
Er wie ein Geist, der reines Glück verneint.«

Noch sprach er so, da kamen beide vor
Gedeckter Säulenhalle hohes Tor,
Wo einer Silberampel Phosphorschein
Auf Stufen schwamm von reinstem Marmorstein
Wie mild ein Stern im Wasser; denn die Farbe
Des Steines war so ohne Fleck und Narbe,
Und wie durch Wasser rannen dunkle Adern
Durch den krystallnen Schliff der Marmorquadern:
Für Götterfuß gefügt! Aus Angeln klangen
Äolische Töne, als die Flügel sprangen
Und Raum enthüllten, den noch keiner fand –
Auf Zeitlang diesen beiden nur bekannt
Und einer fremden persischen Dienerschar:
Man sah sie auf den Märkten jenes Jahr;
Wo wohnten sie? Die Neugier ward betrogen,
Die ihren Spuren heimlich nachgezogen.
Der fledermausbeschwingte Vers allein
Muß – selbst im spätern Leid – wahrhaftig sein,
Wenngleich es manchem Herz wohl mehr gefiel,
Man ließ die rohe Welt hier aus dem Spiel.

Zweiter Teil

Asche und Staub ist – Liebe, o vergib –
In karger Siedlerhütte alle Lieb',
Im Schlosse mag sie wohl noch schwerer lasten –
Qualvoller noch als Eremitenfasten.
Dies ist ein Stückchen aus dem Märchenland,
Unfaßbar für gewöhnlichen Verstand.
Hätt Lycius selbst erzählt, was er erlebt,
Stirnrunzelnd hätte die Moral gebebt;
Zu kurz doch war ihr Glück, um Niedertracht
Zu brüten, die die Stimme zischen macht;
Auch rauschte schreckhaft nachts mit Feuerflügel
Die Liebe wachend um der Türe Riegel,
Voll Eifersucht auf so vollkommnes Paar,
Das mehr als alle ihrer würdig war.

Dies alles mußte enden. Seit' an Seit'
Auf liebem Lager um die Abendzeit,
Dem Vorhang nah, der luftig leicht gewebt
Von goldner Schnur herab ins Zimmer schwebt
Und halb geöffnet Sommerhimmelpracht
Zwischen zwei Säulen leuchtend sichtbar macht –
So ruhten sie, wie oft, in Glück und Hoffen,
Die Lider zu – doch schmalen Spalt noch offen,
Durch den die Liebe, immerwährend nah,
Bis in den Traum hinein den andern sah:
Da tönt vom Wall der Vorstadt plötzlich schrill
Trompetenschall – die Schwalben schweigen still –
Lycius fährt auf – die Klänge sind verrauscht.
Doch tönt es in ihm fort – er sinnt und lauscht:
Zum erstenmal, seit er im Schlosse thront,
Wo süße Sünde Tag und Nacht ihn lohnt,
Entfloh sein Geist, den keine Grenze hält,
Hinweg in fast vergeßne laute Welt.
Doch sie, die immer sorgend wachsam war,
Sah dies mit Schmerz; sie ahnte die Gefahr,
Daß eine Macht, der ihren überlegen,
Ihn rufe – fort aus ihren Lustgehegen.
Und sie begann zu seufzen und zu klagen.
Sie wußte, leicht ist Liebe zu verjagen,
Ist oft so kurz wie einer Glocke Schlag.
»Was seufzest du?« sprach er, der bei ihr lag.
»Was grübelst du?« gab zärtlich sie zurück;
»Du nahmst mich fort aus meinem stillen Glück –
Wo bin ich nun? In deinem Herzen nicht,
Da Trauer deine Braue düster flicht.
Nein, nein! Du bist mir fern, und ich entgleite
Von deiner Brust in heimatlose Weite.«
Er beugte sich zu ihren Augen nieder,
Sie spiegelten sein Bild getreulich wider:
»Mein Silberstern von Abend und von Morgen,
Was brütest du so kummervolle Sorgen,
Da ich um dich versuche, meinem Herzen
Aus tiefrer Glut zu wecken tiefre Schmerzen,
Um deine Seele enger noch zu binden,
Mit innigerer Fessel zu umwinden
Und sie in Labyrinthe einzuspinnen
Wie Duft in Rosenknospe – ohn' Entrinnen!
Ah, küsse mich! – Du siehst, dein Leid hat Macht.
Doch du willst wissen, was ich jetzt gedacht?
So höre! Welcher Mann tat solchen Fang,
Der andre neidisch machte, wirr und bang,
Und führte nicht mit Stolz die edle Beute
Zuweilen triumphierend vor die Leute?
Wie würde der Triumph mich doch beglücken,
Mit deiner jungen Schönheit mich zu schmücken
Und Freunde jubeln, Feinde fluchen lassen,
Wenn durch Korinths durchlärmte heisere Gassen
Dein Brautgefährt die blinken Speichen dreht.« –
Wie wird ihr Antlitz bleich, als sie versteht!
Sie bebt, erhebt sich, wankt und sinkt ins Knie
Und sagt kein Wort – doch ach, wie weinte sie!
Bis ihre Angst dann endlich Sprache fand
Und sie beschwörend preßte seine Hand,
Ihn umzustimmen; doch nur mehr und mehr
Verstärkt ihr scheues Bangen sein Begehr.
Und überdies – trotz Liebe – fand sein Herz
Ein seltsam Wohlgefühl an ihrem Schmerz,
An dieses Weibes demutvollem Bild;
Und seine Leidenschaft ward heiß und wild,
Blutdürstig fast – soweit dies ihm gegeben,
Dem Wut und Raserei noch fern im Leben.
Wie schön war sein verhaltnes Zürnen, gleich
Apollos Glut, bevor sein nerviger Streich
Die Schlange schlug. – Die Schlange! Ah, sie war
Nicht Schlange mehr – nein, aller Listen bar
Gab sie in Demut nach, den Tag zu wählen,
Sich dem Geliebten bräutlich zu vermählen.
In Mittnachtstille flüstert er ihr zu:
»Welch süßen Namen, sage, führest du?
Ich frug noch nie, denn meinem Herzen ist,
Als ob du nicht von irdischen Eltern bist,
Nein, Himmelstochter! Sag, wie nennt man dich?
Hast du auf Erden Eltern, Freunde – sprich,
Zu teilen unser hochzeitliches Fest?« –
»Nicht einen Freund,« sagt Lamia da gepreßt;
»Korinth, das große, weiß von mir wohl kaum.
Der Eltern Staub füllt nur noch kleinsten Raum
In dunkler Urne, und kein Opferrauch
Verehrt den Ort nach liebevollem Brauch,
Da ihr Geschlecht verstorben bis auf mich,
Und ich vergaß die heilige Pflicht – um dich.
So bitte deine Freunde denn zu Gast –
Doch wenn du irgend Liebe für mich hast,
So halt den alten Apollonius fern,
Vor seinen Blicken hüte meinen Stern.«
Lycius, von solchem kühnen Wort betroffen,
Frug nach dem Grund; vergebens doch sein Hoffen,
Sie täuschte Schlummer vor, bis bald die Schatten
Des Schlafs ihn selber eingefangen hatten.

Die Sitte forderte, daß man die Braut,
Wenn sanfte Abendröte niederschaut,
Mit prächtigem Wagen ihrem Heim entführte;
Und viel Gepränge solchem Zug gebührte,
Wie Fackellicht und Liedes Süßigkeit –
Dies fremde Weib doch hatte kein Geleit.
So harrte sie, indessen Lycius eilte,
Den Kreis zu sammeln, der die Freude teilte.
Und da sie wußte, daß wohl nimmermehr
Sein töricht Herz entsagte dem Begehr,
Die Hochzeit laut und pomphaft zu begehen,
So wollte denn auch sie das Fest versehen
Mit allem, was ihr zu Gebote stand.
Doch was für Kräfte sie dazu verwandt,
Woher sie kamen, die ihr Hilfe brachten
Und Tagesarbeit in Minuten machten –
Das weiß man nicht. Es war, als rauschten Schwingen
Durch Tor und Hallen, alles zu vollbringen.
Der Festsaal schimmerte in lichter Pracht,
Und Festmusik durchtönte lind und sacht
Das weite Haus mit seltnem Weh und Klagen,
Als habe sie das Zauberdach zu tragen
Und fürchte, alles könne plötzlich schwinden.
Und stolze Zedern, die von Laubgewinden
Viel Schnitzwerk trugen, stellten Feigenbaum
Und Palme dar und reihten durch den Raum
Sich aneinander bis zu jener Stelle,
Wo hoch der Brautsitz stand in Strahlenhelle;
Denn reihenweis durchfloß ein breiter Strom
Von Lampenlicht des Saals gewaltigen Dom.
So überwölbt lag reich ein wartend Mahl
Und schickte dampfend Düfte in den Saal;
Und Lamia schritt in fürstlichem Gewand –
Und wie sie schweigend ging und stille stand
In blasser Ruh, die ihre Unruh deckte,
Trieb sie die Geisterschar, die wohl versteckte,
Zu immer neuem Überschwange an,
Bis jeden Winkel Pracht und Prunk umspann.
Die Wände waren breite Marmorplatten,
Die Jaspistäfelung zum Schmucke hatten,
Und hingemaltes zartes Baumgerank
Stand zwischen breiten Zedern licht und schlank.
Sie sah zufrieden hin; dann glitt sie fort,
Entschwebte und verschloß den Feierort,
Der fertig und bereit zum wilden Feste
Der ihr so unwillkommnen lauten Gäste.

Die Stunde kam. O unbedachter Mann,
Was zogst du diesen rohen Schwarm heran!
Was mußtest du dein süß verschwiegnes Fest,
Der Liebestunden warm gebettet Nest,
Der andachtlosen Neugier so entdecken!
Die Menge nahte, und mit Hälserecken
Bestaunten sie das Tor und traten näher.
O Wunder, Wunder hier für jeden Späher!
Von Kind auf hatten sie den Ort gekannt,
Auf dem jetzt plötzlich solche Pforte stand
Zu stattlich hohem, fürstlich stolzem Haus.
Da eilte Neugier jedem Schritt voraus
Und trieb sie an und machte alle kühn.
Nur einer war, der ernst und düster schien
Und würdig und gedankenvoll sich nahte.
Ihm war, als ob er ein Problem errate,
Als löse sich ein Rätsel, das schon sehr
Den Geist ihm fesselte, nun mehr und mehr
Und schwinde hin und werde sonnenklar –
Wie listig klug doch Apollonius war!

Im Vorraum bei den Gästen traf er bald
Den jungen Schüler. »Lycius,« sprach er kalt,
»Verzeih, daß in dem Schwarm der jüngern Gäste
Ich ungebeten nahe deinem Feste,
Und dennoch muß ich dieses Unrecht tun.«
Lycius ward rot vor Scham und führte nun
Den Alten durch weitoffne innre Pforten.
Er war verwirrt und suchte sehr nach Worten,
Um mit geziemender Ergebenheit
Zu mildern des Gelehrten Dreistigkeit.

Der Festsaal war von reichem Prunk erfüllt,
In grellen Glanz und schweren Duft gehüllt;
Vor jedem Lager licht ein Becken stand,
Myrrhen und Würzholz füllten's bis zum Rand,
Von schlank geschweiftem Dreifuß hochgehalten
Hob jedes sich aus weichen Teppichfalten:
Aus fünfzig Räucherbecken wob ein Flor
Von fünfzig Rauchgewinden sacht empor,
Und rings in Spiegelwänden sah man Reigen
Von Zwillingswölkchen mit zum Dache steigen.
Zwölf hohe runde Tische hoben sich
Auf Leopardentatzen wunderlich
Und trugen schwer, wie Erntefeld an Korn,
Das Goldgerät und Frucht aus Ceres' Horn,
Ein Strom von Wein stand dort zum Trunk bereit.
Aus düstrer Tonne jetzt ans Licht befreit.
Und jeden Tisches Gold und Mahl und Wein
Schloß mitten eines Gottes Bildnis ein.

Nachdem ein jeder Gast den Schwamm gefühlt,
Mit dem ihm Sklaven Hand und Fuß gekühlt,
Und jedes Haupt nach feierlicher Art
Mit duftigen Ölen übergossen ward,
Betraten sie in weißem Kleid den Saal
Und legten sich zum auserlesnen Mahl
Aufs seidne Lager, und mit leisem Raunen
Gab Ausdruck man dem übermäßigen Staunen.

Sanft goß Musik die lieblichleisen Wellen,
Sanft war der Griechensprache klangvoll Schwellen,
Solang der Wein noch nicht in Strömen rauschte
Und man befangen Frag' und Antwort tauschte.
Doch als der frohe Saft das Hirn erwärmte,
Ward kühner man und jubelte und lärmte
Zum mächtigeren Freudeschall der Töne.
Die prächtigen Stoffe, Farben – all das Schöne:
Des hochgespannten Saales stolzer Raum,
Die edlen Sklaven – Lamia schön wie Traum –
Dies alles schien nicht mehr so wunderbar,
Nun man vom süßen Weine trunken war;
Denn nicht zu schön und nicht zu göttlich dünkt
Dem das Elysium, der begeistert trinkt.
Bald steht Gott Bacchus leuchtend im Zenith,
Und jede Wange, jedes Auge glüht.
Man brachte Kränze von jedwedem Grün,
Drein jeder süße Duft geflochten schien
Beraubter Täler, Höhn und sanfter Hänge.
Aus breiten Körben quoll die bunte Menge,
Um goldne Henkel selbst hing grüne Last,
Daß nach Geschmack sich kröne jeder Gast,
Das Haupt bekränze mit erwähltem Grün,
Das seinem Wesen anzustehen schien.

Für Lamia welchen Kranz? Für Lycius dann?
Und welcher steht dem Apollonius an?
Des Weibes wehe Stirne sei umschlungen
Von schlankem Weidenzweig und Natterzungen,
Und für den Jüngling soll die Rebe sein,
Daß seiner Augen allzuwacher Schein
Hintauche in Vergessen; und des Allen
Gehässige Stirn soll Speergras scharf umfallen
Und kriegerische Distel stechend drücken;
Denn flieht nicht aller Zauber vor den Tücken
Nüchterner Denkungsart? Da war einmal
Ein Regenbogen hehr am Himmelssaal:
Jetzt kennt man sein Gewebe, seinen Bau,
Die Wissenschaft erklärte ihn genau
Und rubrizierte ihn wie andre Dinge.
Philosophie wirft ihre kecke Schlinge
Um Engelsschwingen und um Zauberpracht
In Luft und Bergesschoß und Meeresnacht,
Zerreißt die Wunder, wie sie auch erzwang
Der zarten Lamia Not und Untergang.

Wie ragend sie bei ihrem Lycius saß,
Der alles andre tief verzückt vergaß,
Bis er gewaltsam sich dem Traum entwand,
Den Becher nahm, der perlend vor ihm stand,
Und weit den heißen Blick hinüberschickte –
Ob nicht sein alter Lehrer freundlich blickte.
Der Philosoph und Kahlkopf aber starrte
Zur schönen Braut, die regungslos verharrte.
Mit Brauenrunzeln blickte er sie an,
Zwang ihren süßen Stolz in seinen Bann.
Lycius nahm ihre Hand und hielt sie fest.
Die lag so bleich aufs Lager hingepreßt
Und war so kalt, daß es sein eigen Blut
Durchschauerte, – dann wieder so voll Glut,
Daß heiße Woge ihm zum Herzen schoß,
Darein sie Angst und tiefes Grauen goß.
»Lamia, was soll das? Sag, was ficht dich an?
O gib mir Antwort: Kennst du jenen Mann?«
Arm Lamia sagte nichts. Er spähte tief
Ins Auge ihr, ob nicht ein Blick ihn rief.
Doch nichts verriet ein Grüßen und Erkennen –
Umsonst sein Blick, sein sehnendes Entbrennen!
»Lamia!« so schrie er auf. Doch sie blieb stumm,
Und stumm ward auch die Gästeschar ringsum.
Das Jauchzen der Musik verstummte ganz,
Und Myrthe welkte in jedwedem Kranz,
Und Stimme, Flöte und Vergnügen schwand,
Bis Totenstille schwer im Saale stand;
Gespenstisch schien sie, wild und wahrnehmbar
Und setzte Schrecken jedem Mann ins Haar.
»Lamia!« so kreischte er, und nur sein Ruf
Im toten Schweigen sich ein Echo schuf.
»Hinweg, du Traum!« so schrie er angstvoll laut
Und spähte neu ins Antlitz seiner Braut,
Wo keine blaue Ader mehr belebte
Die edle Schläfe, und kein Rot erbebte
Auf zarter Wange; keine Leidenschaft
Verlieh dem fernen Blick Gefühl und Kraft:
Und nicht mehr schön und jung und liebereich
Saß Lamia da – erstarrt und totenbleich.
»Schließ, schließ die Augen, unbarmherziger Mann!
Blick fort, du Unhold! Sonst soll dich der Bann
Der Götter treffen, deren Zorn entsiegelt
Sich schattenhaft in diesen Bildern spiegelt;
Dein Auge soll ihr scharfer Zorn durchstechen,
Den frechen Blick in Schmerz und Blindheit brechen,
Daß du in Zittern und in ewigem Bangen
In Reue und Gewissensnot gefangen
Vor ihnen fliehst, die du so schwer verletzt,
Da du dich frevelnd über sie gesetzt.
Korinther! Seht ihr den graubärtigen Wicht
Und die Besessenheit, die aus ihm spricht
Und seine wimperlosen Lider weitet
Und wie ein Dämon seine Blicke reitet?
Korinther, seht, wie meiner süßen Braut
So namenlos vor seinen Blicken graut!«
»Narr!« sagte der Sophist in leisem Ton.
Die Stimme bebte in zufriednem Hohn. –
Von Lycius nur ein banger Seufzer kam,
Der seinen letzten Lebensatem nahm.
Er stürzte nieder mit gebrochnem Herzen,
An seiner Seite kämpften Lamias Schmerzen.
»Narr, Narr!« rief jener, während seine Augen
Noch immer reglos an den ihren saugen,
»Vor allem Übel schützt' ich dich bis heute –
Und ließe einer Schlange dich zur Beute?«
Da atmet Lamia Tod; der Blick des Weisen
Durchbohrte grausam sie wie scharfes Eisen.
Sie bat ihn, still zu sein, so gut die Hand
Noch schwach die Bitte kundzutun verstand.
Umsonst; er blickte, blickte wieder –: nein!
Und nochmals: »Einer Schlange!« – Gelles Schrei'n –
Und sie verschwand, und niemand sah sie mehr.
Und Lycius' Arm war von Entzücken leer,
Leer wie sein Leib von Leben. Stumm und kühl
Lag vor den Freunden er auf hohem Pfühl,
Sein Puls stand still, es ging kein Atemzug –
Tot war der Leib, der Hochzeitskleider trug.

Hyperion

Fragment

Erstes Buch

In tiefen Tales schattigem Trauerdunkel,
Versunken vor des Morgens frischem Hauch,
Des Mittags Glut, des Abends einem Stern,
Saß, grau im Haar, Saturn, so still wie Stein,
Still wie das Schweigen um sein Lager rings.
Rund um sein Haupt hing bergend Forst bei Forst,
Wie Wolke über Wolkenbank. Die Luft
War stiller noch wie je an Sommertag,
Da sie dem Gras den leichten Samen nahm;
Und welkes Blatt blieb liegen, wo es fiel.
Ein Fluß zog stumm vorbei, verstummter noch
Im düstern Schatten des gefallnen Gottes.
Im Schilfversteck schloß bebend die Najade
Den kalten Finger fester auf die Lippen.

Fußstapfen gingen breit im Ufersand,
Nicht weiter, als sein Fuß gekommen war,
Und schliefen dann. Auf moorig feuchtem Boden
Lag kraftlos, reglos seine Rechte, tot
Und szepterlos. Sein Auge war geschlossen,
Das Herrscherauge, das kein Reich mehr bannte.
Gebeugtes Haupt schien seiner Mutter Erde,
Uralter Mutter, Trostwort zu erbitten.

Es schien, als könne keine Macht ihn wecken.
Doch eine kam, die seine breiten Schultern
Mit trauter Hand berührte, da der Stille
Nicht sah, wie sie zum Gruß sich tief verneigte,
Sie, eine Göttin der noch jungen Welt!
So groß war sie, daß selbst die Amazone,
Die hochgewachsne, zwerghaft neben ihr.
Sie hätte leicht Achill beim Schopf gepackt,
Den Nacken ihm gebeugt, und hielte leicht
Ixions Rad mit einem Finger an.
Ihr Antlitz war so breit wie memphischer Sphinx
Verschwiegnes Angesicht, in das Gelehrte
Um Kunde von Egypten prüfend blickten.
Doch oh, wie wenig marmorn dies Gesicht!
Wie schön, wenn nicht der Kummer es verstände,
Noch schöner als selbst Schönheit auszusehn!
Ein angstvoll Lauschen lag in ihrem Blick,
Als habe Unheil eben erst begonnen;
Als hätten erste Wolken böser Tage
Ihr Übel ausgespien und jetzt ergrolle,
Schwer voll von Donner, neues Leidgeschick.
Die eine Hand lag fest auf jener Stelle,
Wo Menschenherz in Schmerz zu schlagen pflegt,
Als fühle dort auch sie die herbste Pein,
Sie, die unsterblich doch und göttlich war;
Die andre um Saturns gebeugten Nacken
Geschmiegt, so bog sie sich zu seinem Ohr
Und sprach mit ernster voller Orgelstimme
Die Trauerworte, die in unsrer Sprache –
Wie kraftlos, ach, verglichen mit den Lauten
Der frühen Götter! – dies bedeutet hätten:

»Saturn, blick auf! – Wozu jedoch, du Armer?
Ich habe keinen Trost für dich, nicht einen!
Ich kann nicht sagen: o, was schläfst du doch?
Denn Himmel ist von dir getrennt, und Erde
Kann dich Gebeugten nicht als Gott erkennen;
Und Ozean mit seinem Wogenbrausen
Entwand sich deinem Szepter, und die Luft
Ist leer von deiner greisen Majestät.
Dein Donner, neuer Herrschaft untertan,
Umdröhnt nur zögernd dein gestürztes Haus.
Dein scharfer Blitz in ungeübten Händen
Zerstört das einst so selig heitere Reich.
O Schmerz! O Augenblicke groß wie Jahre!
Ihr rollt vorbei und schwellt die ungeheure
Grausame Wahrheit aus und preßt sie schwer
Auf unsern müden Gram, daß Selbstbetrug
Nicht einen Atemzug mehr wagen kann. –
Saturn, schlaf fort! – O wie gedankenlos
Verletzt' ich Schlummer dir und Einsamkeit.
Warum den schwermutvollen Blick dir öffnen?
Saturn, schlaf fort! Ich weine dir zu Füßen.«

Wie wenn in tief entrückter Sommernacht
Die grünberockten Ratsherrn mächtiger Wälder,
Die hohen Eichen, von den ernsten Sternen
In Bann gezaubert, träumen und die Nacht,
Die ganze Nacht so reglos weiter träumen,
Nur dann und wann von Windstoß wachgeschaukelt,
Der sachte in das Schweigen stößt und stirbt,
Als ebbe hoch in Luft nur eine Woge,
So kamen, gingen diese Tränenworte.
Sie bog die schöne breite Stirn zu Boden,
So daß ihr Haar, ein sanfter seidner Teppich,
Saturn zu Füßen ausgebreitet lag. –
Ein Mond war mählich wechselnd hingegangen,
Und reglos ruhten immer noch die beiden,
Wie Steingebild in domgewölbter Grotte:
Der Gott erstarrt am kalten Boden kauernd,
Die Göttin tränenvoll zu seinen Füßen –
Bis nun Saturn den welken Blick erhob
Und sah, sein Königreich war fort, und sah
Das Dunkel und die Trauer dieses Ortes
Und jene schöne Göttin knien und sprach,
Indem sein Bart wie Espenlaub erbebte,
Mit schwerer, wie von Gram gelähmter Zunge:
»O Thea, sanft Gemahl Hyperions,
Ich fühl dich mehr, als ich dein Antlitz sehe;
Blick auf und laß mich unser Schicksal lesen,
Blick auf und sprich, ob dieser schwache Leib
Saturn noch ist, ob diese leere Stimme
Saturn noch ist, ob diese Runzelstirne,
So nackt und ihres Diadems beraubt,
Saturnens Stirne gleicht? Wer hatte Macht,
Mich arm zu machen? Woher kam die Kraft,
Wer nährte sie zu so gewaltgem Sturm,
Da Schicksal doch in meiner sehnigen Faust
Gefesselt schien? Doch ach, es ist geschehen.
Ich bin gestürzt und grabesfern dem Wirken
Der Göttlichkeit, der gütigen Gewalt
Auf bleiche Sterne und auf Wind und Meer,
Dem sanften Segen über Saal und Ernte
Und allem Tun, darein erhabne Gottheit
Ihr Herz voll Liebe gießt. – Dem eignen Busen
Bin ich entflohn und ließ mein wahres Selbst,
Mein bessres Ich wohl irgendwo am Thron
Und hier am Boden liegen. Thea such!
Tu auf den ewigen Blick und schick ihn rund
In alle Weiten, weit in Sternenraum,
Der lichtverlassen, weit in leere Luft
Und weit in Feuerschlund und Höllengähnen. –
Such, Thea, such! Und sag mir, ob du nicht
Ein seltsam schattenhaftes Wesen schaust,
Das hoch auf Flügeln oder Feuerwagen
Sich Wege bahnt, um Himmel zu erobern,
Die unlängst es verlor: es muß, es muß
Ans Ziel hinauf – Saturn muß König sein!
Ja, kommen muß ein herrlich goldner Sieg;
Gestürzte Götter und Trompetenblasen,
Triumphgetön und helle Festgesänge
Auf goldnen Wolken hoch in Herrscherhöhn,
Verkündungsruf und silbersanftes Rühren
Von Saitenspiel; und vielfach schöne Dinge
Will neu ich schaffen: Lust den Himmelskindern
Und Überraschung! Auf! Befehlen will ich!
O Thea! Thea! Sag, wo ist Saturn?«

Dies Feuer riß ihn auf. Er stand und drohte
Mit Fäusten in die Luft. Aus Götterlocken,
Die flogen, troff der Schweiß; in seinen Augen
Lag Fieberglut, und seine Stimme brach.
Er stand und hörte Theas Seufzen nicht.
Nur kurze Zeit, und dann entstürmte neu
Sein Zorneswort: – »Kann ich nicht Schöpfer sein?
Kann ich nicht formen? Eine zweite Welt,
Ein ander Universum auferwecken,
Das dieses stürzt und ganz zu nichts zermalmt?
Wo ist ein andres Chaos? – Wo?« Dies Wort
Schwang aufwärts zum Olymp und ließ erbeben
Die drei Rebellen. – Thea sprang empor,
Und Hoffnung schien ihr Wesen zu beleben,
Als sie nun schnell, doch ehrfurchtsvoll, begann:

»Dies bringt den Unsern Mut! Komm zu den Freunden,
Saturn! Komm fort und sprich den Armen Trost.
Ich kenne ihr Versteck, ich kam von dort.«
Nur dies. Beschwörend brannten ihre Blicke,
Indem sie rückwärts fort ins Dunkel schritt.
Er folgte, und sie wandte sich voran
Durch altes Dickicht, das wie Nebel wich,
Wenn Adler ihn, vom Horste fliegend, teilen.

In andern Reichen flossen währenddessen
Noch schmerzlicher die schweren Leidenstränen,
Und Gram war größer, als des Menschen Wort,
Als Spruch und Feder wiedergeben können.
Titanen, die in Schmach und Fessel lagen,
Verlangten nach der alten Lehnspflicht heim
Und lauschten leidvoll, ob Saturn nicht rufe.
Nur einer aus der Mammuthbrut bewahrte
Noch Überlegenheit und Zucht und Größe.
Hyperion, der Lodernde, saß noch
Auf seiner Feuerkugel, tief umduftet
Vom Weihrauch, den zum Sonnengott empor
Die Menschen schickten, – Unruh doch im Herzen.
Denn wie uns Erdenvolk ein düstres Omen
Verwirrt und schreckt, so schauderte auch er –
Nicht über Hundelaut und Eulenschrei,
Noch über Spuk beim Klang des Totenglöckchens,
Noch über Lampenlied um Mitternacht –
Viel stärker ist das Graun, das Riesen schreckt
Und das Hyperion erbeben machte.
Sein strahlender Palast, von Pyramiden
Durchglühten Golds umwogt und mild beschattet
Von bronznen Obelisken, glomm wie Blut
Durch all die tausend Höfe, Bogen, Hallen,
Und jeder Vorhang morgenroter Wolken
Erglühte bös, und breite Adlerschwingen,
Wie Götter nicht noch Menschen je sie sahn,
Verdunkelten den Ort; und Rossewiehern,
Wie Götter nicht noch Menschen je gehört,
Ertönte, und die würzigen Weihrauchwellen,
Die heilige Hügel aufwärtsdampften, schmeckten
Des Gottes weitem Gaumen garnicht süß,
So beißend scharf vielmehr wie giftiges Erz.
So kam es, daß der Gott, wenn schläfrig müde
Im Westen er nach klaren Tages Schluß
Zu sanfter Ruh in Armen von Musik
Auf hochgehäuften Kissen Zuflucht nahm,
Die Stunden, die ihm Schlummer bringen sollten,
Mit riesigem Schritt von Saal zu Saal durchwachte;
Indeß in tiefen Winkeln weiter Hallen
In dichten Gruppen seine Treuen standen,
Erschreckte, angstverwirrte Flügelgeister, –
Gleich Menschen, die zu atemlosen Haufen
Zusammenrennen, wenn die Erde bebt
Und Turm und Häuser durcheinanderrüttelt.
Jetzt, als Saturn, aus eisiger Starrsucht wach,
Mit Thea Schritt für Schritt durch Wälder nahte,
Kam schräg herab auf Westens goldne Schwelle
Hyperion, das Zwielicht hinter sich.
Wie stets, so flog nun des Palastes Tor
In sanftem Schweigen auf, nur Feierflöten,
Die Zephir bliesen, gaben heilig süß
Und hingehaucht gemessne Melodien.
Und rosengleich in Farbe, Form und Duft,
Das Auge kühlend, stand in Pracht erschlossen,
Dem Gotte Einlaß bietend, dieses Tor
Zu aller hehren Himmelsherrlichkeit.

Er überschritt die Schwelle, doch in Zorn:
Sein Kleid goß Flammen hinter seinen Füßen
Und gab ein Brausen, wie von Feuersbrunst,
Daß all die ätherzarten Stunden flohn,
Erschreckt wie Taubenflug. Und weiter flammte
Von hohem Säulengang zu Saal und Saal,
Durch Bogenhallen voll verhülltem Glanz
Und lange lichte Diamant-Arkaden
Der Gott bis hin zur ungeheuren Kuppel.
Dort stand er feurig still und stampfte auf,
Daß tief vom Fundament zu höchsten Türmen
Sein goldnes Reich erbebte; und bevor
Das Donnerrollen noch geendet hatte,
Brach, göttlicher Beherrschung müd, sein Schmerz
In diesem Ruf: O Träume Tag und Nacht!
O Graungestalten, Bilder ihr von Leid!
Geschäftige Geister durch die kalte Nacht!
Langohrige Gespenster schwarzer Sümpfe!
Was kenn ich euch? Was sah ich euch? Warum
Ist so zerstört mein ewiges Dasein, daß
Ich neu und immer neu die Schrecken sehe?
Saturn sank hin, soll dies auch mir geschehn?
Soll ich den Hafen meiner Ruh verlassen,
Die Wiege meiner Pracht, dies sanfte Reich,
Den stillen Glanz des segensvollen Lichtes,
Krystallne Pavillons und reine Tempel
All meiner Herrscherherrlichkeit? Nun liegt
Mein Zufluchtsort vereinsamt, leer und tot;
Die Helle, Freudigkeit und Symmetrie –
Ich seh sie nicht – nur Dunkel, Tod und Dunkel.
Selbst hier ins Tiefste meiner Schlummerhallen
Sind düstre Visionen eingedrungen,
Um meine Macht zu kränken und zu stürzen. –
Zu stürzen? – »Nein, bei Tellus' salzigem Kleid!
Hervor aus Feuergrenzen meines Reichs
Will furchtbar dräuend rechten Arm ich recken
Und den Rebellen Jupiter vernichten,
Den knabenhaften Donnrer, und Saturn,
Den Greis, von neuem auf den Thron erheben.« –
Er sprach, verstummte; denn noch schlimmres Drohn
Würgt' ihn im Hals, doch wagte sich nicht vor.
Denn wie ein Lärm, je mehr man Ruhe fordert,
Sich durchs Theater weiterpflanzt, so regten
Beim Wort Hyperions sich die bleichen Schatten
Wohl dreifach grauenvoll und dreifach kalt.
Und von der Spiegelfläche, wo er stand,
Stieg Nebel auf wie Schaum von glattem Sumpf.
Da kroch ein wilder Schmerz durch seinen Leib,
Von Fuß zu Kopf, wie muskelstarke Schlange,
Die sich geschmeidig windet, Kopf und Nacken
In Krampf erstarrt. Erlöst entfloh er dann
Zum Tor des Ostens; und sechs volle Stunden
Eh Dämmrung ein Erröten schuldig war,
Blies an verschlafnes Tor sein heißer Atem,
Blies schwere Dünste fort und warf sie weit
Auf Meeres eisige Strömungen hinaus.
Die Feuerkugel, die ihn jeden Tag
Von Ost nach West durch alle Himmel trug,
Flog wirbelnd hinter schwarzen Wolkenschleiern;
Doch darum nicht verschleiert und verborgen,
Denn oft erglommen Kreise und Koluren
Und flochten in das milde Dunkel Blitze
Tief vom Nadir bis aufwärts zum Zenith –
Uralte Hieroglyphen, die die weisen
Sterndeuter jener Erdenzeiten lasen
Und durch Jahrhunderte erobert hatten –
Verloren nun, bis auf die wenigen Zeichen
Auf allen Steinen oder Marmortafeln,
Ihr Sinn nicht faßbar, ihre Weisheit fort. –
Zwei breite Silberschwingen trug die Kugel,
Zwei Flügel ihrer Pracht und Herrlichkeit,
Die bei des Gottes Nahn verzückt erbebten.
Jetzt spreiteten sich vor aus Dämmerdunkel
Die riesigen Federn, eine nach der andern,
Bis alle flugbereit gebreitet lagen.
Noch immer aber schwamm der Ball in Dunkel,
Hyperions Befehl entgegenbebend.
Gern hätte er befohlen, gern den Thron
Bestiegen und den Tag beginnen lassen –
Er durfte nicht – er, der Urgötter einer –
Weh dem, der heiligen Zeitenlauf verrückt!
So hielt das Morgenweben zögernd inne
Und harrte, wie es hier beschrieben steht.
Die Silberschwingen schwammen schwesterlich,
Des Flügelschlags begierig. Hohe Tore
Enthüllten offen weite Nachtbereiche.
Und der Titan, in Weh und Wahnsinn bebend,
Dem Beugen ungewohnt, er beugte nun
Den Sorgen dieser Zeit die starre Seele.
Und weit entlang auf grausen Wolkenrücken,
An schmalem Grenzgebiet von Nacht und Tag,
Streckt er in Gram und matten Glanz sich hin.
Als so er lag, sah Himmel mit den Sternen
Mitleidig nieder, und aus Weltallräumen
Drang Coelus' Stimme leis und ernst zu ihm:
»O hellstes meiner lieben Kinder du,
Den Himmel zeugte, Erde mir gebar,
Sohn von Geheimnissen, selbst denen dunkel,
Die dich geschaffen: seltsam süße Freuden
Und Herzgefühle, die mir Wunder waren,
Mich, Coelus, wunderten, woher sie kamen.
Und Wunder waren dieser Freuden Früchte,
Klar sichtbare und göttliche Symbole,
Wie Offenbarung jenes schönsten Lebens,
Das ungesehn durch ewige Weiten strömt:
Von diesen Neugeschaffnen bist auch du,
Sind jene Göttinnen und deine Brüder!
Doch wehe! Streit ist unter euch, Empörung
Des Sohnes gegen seinen Herrn.