Wer je das grüne Gräberfeld durchschritt,
Der wühlte wohl im Geist in Lehm und Sand,
Bis er von allen, die die Sense schnitt,
Die hohlen Schädel und die Knochen fand,
Und schauderte, wie sehr wohl jeder litt,
Als würgend ihn erfaßt des Todes Hand ...
Ach, qualvoll mochte wohl sein Mitleid sein –
Qualvoller noch war Isabellas Pein.

Ihr Blick durchdrang der Grube dunklen Schlund,
Doch sah er Tod und Wurm und Moder nicht:
Sah wie aus klaren Quells krystallnem Mund
Lorenzos Leib, Lorenzos Angesicht.
Wie eine Lilie, die in Grabes Grund
Die Wurzel schlug, so stand sie ernst und licht;
Dann sank sie hin und grub so fiebernd heiß,
Wie nur der Schmerz sich einzugraben weiß.

Bald lag ein Handschuh aufgewühlt, von ihr
Einst selbst mit bunter Stickerei geschmückt –
Wie küßt sie nun die fast verblaßte Zier!
An ihrer süßen Brust, die nie beglückt
Sich füllen sollte für des Säuglings Gier,
Verbirgt sie ihn, und seine Kälte drückt
Wie Todeshand ihr Herz. Sie sprach kein Wort,
Strich nur das Haar zurück – und suchte fort.

Betroffen stand die alte Magd dabei,
Bis mit der Armen Mitleid sie empfand,
Und sie begriff, wie schwer die Arbeit sei
Für Isabellas ungeübte Hand;
Sie kniete hin und stand der Herrin bei.
Drei Stunden gruben sie so unverwandt;
Da endlich war's geschehn – und ernst und licht
Blieb Isabell und schrie und raste nicht. –

Was öffne ich des Grabes Moderschacht,
Daß schwarz sein schaudervoller Rachen gähnt? –
Ach, ob des alten Liedes süßer Pracht,
Des Liedes, dem die Sage ich entlehnt!
O Leser, der für solcher Liebe Macht
Noch tiefres Wort, noch reinern Klang ersehnt,
Lies die Romanze, lies den alten Sang,
Der machtvoll alle Herzen einst bezwang! –

Wohl war viel stumpfer als des Perseus Schwert
Der Stahl, der jetzt ein Haupt vom Rumpfe schnitt,
Doch war's ein Haupt, so schön und liebenswert,
Daß selbst im Tode nicht sein Zauber litt.
Die Liebe höret nimmer auf! So lehrt
Ein altes Wort. O wie in Liebe stritt
Jung Isabella um Lorenzos Haupt –
In Liebe, die kein Grabeshauch beraubt!

Und Isabella nahm den Kopf mit fort
Und kämmte seines Haars verblaßten Schein
Und pflegte sorglich ihren heiligen Hort:
Um seiner Augen hohle Kämmerlein,
In denen Licht und Liebe jäh verdorrt,
Flocht Locken sie und weinte still hinein
Und wusch den Schatz mit Tränen kühl und klar
Und küßte ihn und kämmte neu sein Haar.

Sie nahm ein Tuch, dem seltne Spezerein
Gar auserlesnen Wohlgeruch verliehn,
Und tauchte es in einen Saft hinein
Von Blumen, die nur in Arabien blühn;
Das sollte nun des Kopfes Bahrtuch sein.
Sie barg ihn gut darin und legte ihn
In einen Topf und pflanzte süßes Kraut,
Basilikum, darauf und weinte laut.

Und sie vergaß das Mond- und Sternenlicht,
Und sie vergaß den blauen Sonnentag,
Und sie vergaß, was Wind und Welle spricht,
Und sie vergaß den bunten Herbst im Hag;
Und wenn der Tag erstarb, sie sah es nicht,
Und sah den neuen Morgen nicht: sie lag
Nur immer weinend bei dem lieben Kraut,
Das bis ins Herz mit Tränen sie betaut.

Und so getränkt wie nie ein Kraut zuvor
Erhob es sich in grüner Üppigkeit
Und duftete wie nie ein Kraut zuvor
Auf Florentiner Beeten weit und breit.
Wann sproß auch je Basilikum empor
Auf einem Boden, so voll Fruchtbarkeit
Wie Menschenleid, wie Herzensnot und Tod!
Wann war's ein Menschenkopf, der Dünger bot!

Verbirg, o Muse, trauernd dein Gesicht
Und raste stumm, wo dumpf Verzweiflung stöhnt
Wie eine Stimme, die aus Grüften bricht
Und hohl in dunklen Tiefen wiedertönt.
Hier laß den Tod sich freuen, der verspricht,
Daß sich in ihm der tiefste Gram versöhnt;
Er setzt ein mildes Licht auf alle Pein:
Im Totenhof den bleichen Marmorstein.

Ihr trauertiefen Töne schluchzt und bebt!
O weint, ihr Saiten meiner Leier, weint,
Daß wild aus euch des Schmerzes Sturm sich hebt
Und mit des Windes Klage sich vereint!
Wann hätte je ein Weib wie sie gelebt,
Dem so das Schicksal alles Glück verneint!
Der Palme gleich, die man des Safts bestahl,
So stirbt sie hin in langsam bittrer Qual.

O stört ihr sanftes Sterben nicht! O quält
Sie nicht noch roh ins nahe Grab hinein! –
Doch ach, die Brüder, deren Herz verstählt
Von Gier und Geiz, sie konnten nicht verzeihn,
Daß ihre Schwester sich dem Gram vermählt,
Statt eines reichen Grundherrn Braut zu sein;
Und auch Verwandte forschten oft und viel,
Warum sie mied der Jugend Tanz und Spiel.

Die Brüder hatten staunend bald entdeckt,
Daß dem Basilikum ihr Weinen galt:
Das blühte wunderprächtig, wie erweckt
Durch Zauberwortes wirkende Gewalt;
Doch welcher Wert lag denn darin versteckt,
Daß Isabell dem Kraut zuliebe kalt
Für alle Freuden war und wahnbestrickt
Selbst den vergaß – den weil man fortgeschickt!

Sie harrten lange auf Gelegenheit
Dem Rätsel heimlich auf den Grund zu sehn,
Doch nie entfernte Isabell sich weit
Und wollte kaum zum Beichtgang sich verstehn.
Und wie's den Vogel treibt zur Brütezeit
Ins teure Nest zurück mit Windeswehn,
So flog sie unruhvoll zum Hort zurück
Und weinte dort bei dem begrabnen Glück.

Und dennoch stahlen sie das Kraut ihr fort,
Durchwühlten es bis auf der Wurzeln Grund:
Ein Totenkopf, Lorenzos Kopf lag dort –
Wie schnell erkannten sie den grausen Fund!
So rächte furchtbar sich der frevle Mord.
Entsetzt entflohen sie zur selben Stund –
Fort von Florenz und fort von Hab und Gut,
Verbannt, verdammt durch feig vergossnes Blut!

Verbirg, o Muse, trauernd dein Gesicht!
O weint, ihr Saiten meiner Leier, weint –
Wie eine Stimme, die aus Gräbern bricht
Und mit des Windes Klage sich vereint!
Ach, Isabell ertrug dies Letzte nicht,
Zu tief schon hat ihr bittres Leid geweint:
Vom Harm verwirrt, neigt einsam sie das Haupt,
Des letzten Trosts, der Tränen selbst beraubt!

Wie blickte Mitleid bittend sie umher
Und sprach die toten Dinge zärtlich an
Und fragte sie, wo ihr Basiltopf wär.
Und kam des Wegs vorbei ein Wandersmann,
Sie hielt ihn an und bat und flehte sehr,
Und wenn er ratlos schwieg – wie klagte dann
In stumpfen Schmerz sie stets das gleiche Wort:
»Was nahmt ihr mein Basilikum mir fort!«

So starb sie einsam hin in müdem Gram,
Nach dem Basiltopf fragend bis zum Tod.
Da war es ganz Florenz, das Anteil nahm
Und solchem Liebesleid sein Mitleid bot –
Bis daß ein Lied von Mund zu Munde kam,
Ein traurig Lied von Isabellas Not;
Und heut noch singt das alte Volkslied dort:
»Was nahmt ihr mein Basilikum mir fort!«

Sankt Agnes Abend

Sankt Agnes Abend – oh, wie fror die Welt!
Kalt saß der Kauz trotz dickem Federkleide,
Der Hase hinkte matt durchs eisige Feld,
Wollpelzige Schafe bebten in der Heide.
In starren Fingern hing der Rosenkranz
Des Beters, dessen Atem dampfend jagte
Wie gottgefälligen Weihrauchs frommer Tanz
Und um der Jungfrau Bild, das strahlend ragte,
Wie Wolke wehte, während er Gebete sagte.

Demütig betet er, der heilige Mann,
Bis er sein Licht ergreift, um aufzustehen
Und bleich und barfuß sachten Schrittes dann
Durch der Kapelle Chorgang fortzugehen.
Die Totenstatuen geben ihm Geleit,
Die hinter schwarzen Fegefeuergittern
Gefangen beten voll Beredsamkeit:
Er geht vorbei an Damen und an Rittern
Und denkt der Qual, in der wohl deren Seelen zittern.

Er wendet nordwärts sich durch enges Tor,
Da plötzlich singt Musik mit goldnen Zungen –
In Tränen lauscht der arme Greis empor,
Doch nein – ihm hat sein Glöckchen schon geklungen:
All seines Lebens Freuden sind verhallt,
Ihn will Sankt Agnes Abend büßend sehen!
Fort eilt er, sitzt in rauher Asche bald,
Um nachtdurchwachend Gnade zu erflehen,
Um Sünders Lohn durch Leid und Reue zu entgehen.

Ein sanft Präludium hatte er erlauscht;
Und das kam so: auf standen Tür und Schranken
Für eiligen Dienst. Bald kam herabgerauscht
Der silbernen Trompeten helles Zanken.
Die ebnen Hallen harrten voller Stolz
Und glühten, tausend Gäste zu empfangen;
Geschnitzte Engel spähten starr vom Holz,
Das rückgewehte Haar umfaßt von Spangen,
Die Flügel kreuzweis unter kindlich runden Wangen.

Dann brach herein die laute Lustbarkeit
Mit Feder, Tiara und mit buntem Glanze,
Zahlreich, wie Schatten zahlreich sind im Leid,
Und so voll Prunk wie höfische Romanze –
Die alle denkt euch fort, und wollt euch still
Und andachtsvoll zu einem Fräulein kehren,
Die heut Sankt Agnes' Huld erflehen will,
Um tiefen süßen Liebestraum zu mehren,
Gut eingedenk der alten Frauen weisen Lehren.

Sie sagten, daß den Jungfraun Agnes' Nacht
Entzückende Visionen oft bereite,
Daß in der honiglichen Mitternacht
Der Liebste huldigend ans Lager gleite,
Falls sie nur recht erfüllten das Geheiß:
Sie müßten ohne Nachtmahl schlafen gehen,
Sich rücklings betten und um keinen Preis
Zur Rechten oder Linken um sich sehen,
Nur mit erhobnem Blick um Wunschgewährung flehen.

Und Magdalen sann diesem Märchen nach,
Empfand nicht der Musik verzücktes Tönen,
Die wie mit Göttermund in Seufzern sprach;
Ihr Mädchenblick; gesenkt, sah mancher Schönen
Prunkschleppe gleiten – doch sie achtet's nicht.
Manch Kavalier, der zarten Gruß ihr sagte,
Trat still zurück – sie aber blickte nicht,
Da ihre Seele nach ganz andrem fragte,
Um Agnes' Traum, den süßesten des Jahres, zagte.

Mit fernverlornem Blick schritt sie daher,
Ihr Atem flog, die Lippen bebten trunken,
Die heilige Frist war nah. Sie seufzte schwer,
Inmitten all des Lärmens traumversunken.
Und Flüstern, Lachen, Spott und Liebesschwur
Und Trommelbraus und Blick voll Dank und Strafe
Schien Traum zu sein: sie dachte wachend nur
An Agnes, ihre ungeschornen Schafe
Und was an Seligkeit sie finden sollt im Schlafe.

Sie sehnte sich, nun bald allein zu sein –
Und blieb doch noch. Indes war über Moore
Jung Porphyro, gequält von Liebespein
Um Magdalen herbeigeeilt. Am Tore,
Im Pfeilerschatten harrt er und beschwört
Die Heiligen, sein Warten zu entgelten
Mit günstigem Augenblick, der ihm gehört:
Nur schaun, nur knien vor ihren seligen Welten!
Und sprechen – fühlen – küssen! – Tat man dies so selten?

Er schleicht hinein. O schlummre nun, Verrat,
Kein Auge spähe! Sonst, sein Herz zu morden,
Sein liebefiebernd Herz, wär wild genaht
Ein Heer von Schwertern, denn barbarische Horden,
Zornheiße Feindesbrut enthielt dies Schloß;
Die Hunde würden selbst mit rauher Kehle
Ihm Flüche heulen, ihm und seinem Troß.
Ein Weib nur trotzte diesem Haßbefehle,
Ein altes Mütterchen, das siech an Leib und Seele.

Ah, Zufallsglück! Das alte Weibchen kam
Am Krückstock hinkend langsam hergeschlichen,
Und da sie ihre Schritte dorthin nahm,
Wo er, der Fackel und den feierlichen
Gesängen fern, im Säulenschatten stand,
Schrak sie zurück mit angstverwirrtem Lallen.
Doch sie erkannte ihn, nahm seine Hand:
»Oh Porphyro! Hinweg aus diesen Hallen,
Die ganze Sippe wird dich wütend überfallen!

Hinweg! Hinweg! Hier ist dir alles feind!
Zwerg Hildebrand verfluchte dich im Fieber,
Und selten war ein Fluch so ernst gemeint.
Und auch Held Moritz säh dich wahrlich lieber
Tot als lebendig! – Weh, oh weh mir! Flieh!«
»Ach, Freundin! Niemand wird uns hier entdecken,
Nimm Platz auf dieser Bank und sag mir, wie –«
»Ihr Heiligen! Man wird dich niederstrecken!
Komm, folge mir! Sonst wird dein Blut den Boden flecken.«

Durch niedre Bogengänge folgte er,
Die hohe Feder grau von Spinngeweben.
Mit Weh und Seufzen schlich die Alte her –
Dann sah er sich von kleinem Raum umgeben,
Der kühl und schweigend voller Mondschein schwamm.
»Sag, wo ist Magdalen?« sprach er; »ich flehe
Bei Agnes' Webstuhl, der so wundersam
Nur heiliger Schar erlaubt, daß sie ihn sehe,
Nur heiliger Schwesternschar, daß sie den Faden drehe.«

»Sankt Agnes! Ah, es ist Sankt Agnes Nacht!
Doch Menschen morden auch an heiligen Tagen.
Du hast wohl über Feen und Elfen Macht
Und kannst in Hexensieben Wasser tragen,
Daß du so kühn bist? Wahrlich, Porphyro,
Du wunderst mich! – Sankt Agnes Abend heute!
Die junge Herrin wartet glaubensfroh,
Daß Agnes ihr zukünftige Freuden deute.
Ach, lachen muß ich über solche jungen Leute!«

Sie kicherte im matten Mondenschein,
Und Porphyro betrachtet sie mit Staunen,
Wie wohl ein Kind ein altes Mütterlein,
Das ihm von Wichteln spricht und von Alraunen.
Bald aber leuchtete sein Auge auf,
Als seiner Dame Absicht sie berichtet,
Sehnsüchtige Tränen stiegen in ihm auf:
O junge Seele, die sich gläubig richtet
Nach all dem Spuk, den kaltes Alter ihr erdichtet!

Da kam ihm ein Gedanke, der wie Blühn
Von roter Rose ihm die Stirn betaute
Und Aufruhr warf ins Herz; der Plan war kühn,
Den er dem armen Weiblein nun vertraute.
»Oh!« rief sie, »wie du schlecht und gottlos bist!
Willst du der Herrin kindlich frommes Walten,
Gebet und Traum mit unverschämter List
Und frevlerischem Tun zum Narren halten?
Geh, geh! Du bist nicht der, für den ich dich gehalten!«

»Bei Gott! Ich schwör's, ihr soll kein Leid geschehn!«
Sprach Porphyro. »O mögen keine Gnaden
Dereinst an meinem Sterbebette stehn,
Käm nur ein Haar auf ihrem Haupt zu Schaden
Und säh ich roh in Leidenschaft sie an.
Sieh, diese Tränen sind ein Wahrheitszeichen!
Doch willst du, Treuste, mir nicht glauben, dann
Ruf ich jetzt selbst dem Feind und seinen Streichen,
Mag diese Meute auch den wilden Wölfen gleichen.«

»Ach! Was erschreckst du eine Seele so,
Die schwach, gelähmt, dem Grabe schon verfallen,
Die nur noch eines kann, mein Porphyro:
Von früh bis spät für dich Gebete lallen.« –
Ihr Klagen rührte ihn, und er begann
Sein stürmend Herz in sanftres Wort zu zwingen,
Sodaß sein Leid ihr Mitgefühl gewann
Und sie versprach, in diesen Liebesdingen
Ihm beizustehen – sollt es ihr auch Unheil bringen.

Sein Wunsch war der: in aller Heimlichkeit
Soll sie in Magdalens Gemach ihn führen,
Versteckt dort will er die geliebte Maid
Nur sehn, nur seiner Dame Nähe spüren,
Nur lauschen, was den Feen sie vertraut,
Die bleicher Zauber ihr ums Lager malte –
Vielleicht, vielleicht gewinnen eine Braut! –
Niemals. Verliebten solche Nacht erstrahlte,
Seit Merlin seinem Dämon höchste Schuld bezahlte.

»So sei es, wie du wünschst,« sprach Angela,
»Ich will dorthin die Festgeschenke bringen,
Wie's alter Brauch; das Lautenspiel lehnt nah
Bei ihrem Nähplatz. Soll der Plan gelingen,
So muß ich eilen – ach, die Zeit vergeht,
Mein alter Kopf ist schwach und angstbeklommen!
Nun warte, Sohn, und kniee im Gebet –
Wohl, wohl – du sollst zur Ehe sie bekommen,
Ich helfe dir – und wär's auch nicht zu unserm Frommen.«

Und eilig, furchtsam humpelte sie fort.
Wie dehnten sich die sehnenden Minuten.
Sie kam zurück mit heisrem Flüsterwort:
»Komm mit!« Ihr Blick schien Späher zu vermuten,
So ängstlich irrte er von Stein zu Stein.
Manch dunklen Gang muß Porphyro durchschreiten,
Dann sah er sich in keuschem Raum allein
Und barg sich gut in Schattendunkelheiten
Und fühlte dieses Zimmers reine Seligkeiten.

Die Alte ging und griff mit schwacher Hand
Im Dunkel nach der Treppenbalustrade,
Als plötzlich wie ein Engel vor ihr stand
Jung Magdalen, die heut in Agnes' Gnade.
Mit hellem Kerzenlicht und Sorgsamkeit
Half sie dem Mütterchen zur Halle nieder.
Nun Porphyro, nun halte dich bereit,
Blick hin zum Bett, schon kehrt die Taube wieder:
Wie ist ihr Blick so mild, so strahlend ihr Gefieder!

Das Licht erlosch, als sie ins Zimmer lief,
Im Mondschein glitt sein kleiner Rauch von dannen.
Sie schloß die Tür, sie atmete so tief,
Nun waren Geister nah und nicht zu bannen.
Kein Laut jetzt – Wehe wär sein Widerhall!
Doch hob ihr Herz die Brust in schweren Wellen,
Als würde zungenlose Nachtigall
Vergeblich ihren Hals zum Singen schwellen
Und herzerstickt hinsterben bei des Tales Quellen.

Dreibogiges Fenster war in diesem Raum,
Üppig umkränzt von Eichenschnitzereien
Mit Blüte, Blatt und Frucht vom Rosenbaum,
Und Scheiben leuchteten in farbigen Reihen
Wie Diamant und bunter Schmetterling.
Und zwischen Heiligen in seligem Sinnen
Und Waffenzier und Kriegstrophäen hing
An Dämmerwand ein Wappenschild darinnen,
Mit Blut befleckt von Königen und Königinnen.

Hier sah der volle Wintermond herein,
Der Magdalen mit rotem Glühen schmückte,
Auf Brust und Hände fiel's wie Rosenschein,
Als sie nun knieend sich herniederbückte;
Ihr silbern Halskreuz war wie Amethyst,
Ihr Haar von mildem Heiligenschein umgeben:
Ein Engel, dem der Himmel offen ist!
So fühlte Porphyro in tiefem Beben.
Sie schien, in Unschuld betend, erdenfern zu schweben.

Wie tiefe Ohnmacht hielt es ihn in Bann,
Als sie vom Perlenkranz ihr Haar entblößte,
Den warmen Schmuck vom Halse nahm und dann
Des Kleides angeschmiegte Bänder löste.
Leis knisternd sinkt das Kleid. Ein wacher Traum
Läßt sie in ihrem Bett Sankt Agnes sehen,
Doch voll zurückzuschauen wagt sie kaum,
Sonst würde all das Zauberwerk vergehen
Und all ersehntes Träumen bliebe ungeschehen.

Bald bebte sie im weichen kühlen Nest
Und lag von wacher Ohnmacht ganz benommen,
Bis sie der mohnbekränzte Schlummer fest
– So Leib wie Seele – in den Arm genommen.
Weit floh die Seele nun ins Dunkel fort
Und ruhte fern von Schmerz und Lust, verschlossen,
So wie ein Meßbuch an unheiligem Ort,
Wie Rosenkelch, wenn Regenfluten gossen,
Wie keusche Knospen oder erste Frühlingssprossen.

Und Porphyro sah hin auf's leere Kleid
Und fühlte seiner Pulse wildes Rennen
Und stand und harrte voller Bangigkeit,
Des Schlummers ruhiges Atmen zu erkennen.
Dann kam er zage aus dem Winkel vor,
Geräuschlos wie wohl eines Mädchens Bangen,
Wenn es in dunkler Wildnis sich verlor;
Zum Lager trat er hin mit heißen Wangen
Und hob den Vorhang – o wie lag sie schlafumfangen!

Als sich der Mond verbarg und silberbleich
Ein Zwielicht spann, schob er an Bettes Seite
Leis einen Tisch, warf halb in Angst ein reich
Gewand darauf, drin Rot, Gold, Schwarz sich reihte.
O jetzt ein schläfernd Morpheus-Amulet,
Da plötzlich schrill die Festtrompeten werben,
Die Kesselpauke und die Klarinett!
Die Saaltür fällt zurück – ein jäh Ersterben,
So wie Krystall, das schrill zersprang, verstummt in Scherben.

Doch hielt azurlidriger Schlaf sie fest
In bleichen, duftigen Lavendelkissen;
Indessen er aus wohlverstecktem Nest
Kandirtes Obst und andre Leckerbissen,
Gelees, die linder sind als süßer Rahm,
Und seltne Frucht aus südlichen Geländen,
Die fern von Fez mit Handelsschiffen kam,
Und Spezerein von Syriens Felsenwänden
Geschwind zum Tische trug mit fieberheißen Händen.

Dies alles häufte er in goldne Pracht
Getriebner Schalen und auf Silberplatten,
Und alles duftete in kühle Nacht
Und gleißte seltsam hell aus tiefem Schatten. –
»Und nun, mein Lieb, mein Engel du, wach auf!
Du bist wie über mir des Himmels Blauen,
Und ich, dein Beter, hoffe zu dir auf.
O laß mich deine blauen Augen schauen,
Sonst wird hier neben dir mein Schmerz in Tränen tauen.«

Und kraftlos sank ins Kissen auf ihr Haar
Sein warmer Arm. Umsonst sein leises Sprechen.
Des Traumes Bann, der Mittnachtzauber, war
Unmöglich wie vereister Strom zu brechen.
Der Teller Glanz erstrahlt im Mondenlicht,
Dem Schmuck und Fransen hundert Spiegel liehen,
Doch hinter dunklen Vorhang leuchtet's nicht,
Nichts kann die Herrin ihrem Traum entziehen,
Der Nacht so tief verstrickten Wunderphantasieen.

Er griff zur Laute. Zarte Melodie
Entlockte er in schmeichelnden Akkorden:
Provencer Lied »La belle dame sans mercy,«
Ein altes Lied, das längst schon stumm geworden.
Er schlug das Spiel in ihrer warmen Näh.
Sie stöhnte klagend, wie von Schmerz betroffen.
Er hörte auf – sie keuchte schnell – und jäh
Standen erschreckt die blauen Augen offen.
Er sank auf seine Kniee, bleich in Angst und Hoffen.

Sie blickte offen, und trotzdem sie wach,
Hat ihren Traum sie immer fortgesponnen.
Der aber war verändert, scheuchte, ach,
Des Schlaftraums tiefe und so reine Wonnen,
Was ihr die Tränen aus den Augen trieb
Und banges Weh aus liebendem Gemüte;
Auf ihn jedoch ihr Blick geheftet blieb,
Auf Porphyro, der betend vor ihr kniete,
Reglos und stumm, als sei sie eines Traumes Blüte.

»Ach Porphyro!« sprach sie, »wie war doch nur
Süß zitternd eben noch in meinen Ohren
Dein lieber Klang, des Herzens süßer Schwur.
Und wie ist jetzt dein Blick so leidverloren,
Wie bist du anders: traurig, bleich und kalt!
Du sollst mir alle Wonnen wiedergeben,
Mit deiner Augen himmlischer Gewalt
Empor aus diesem Höllenweh mich heben.
Denn wenn du stirbst, mein Lieb, weiß ich nicht wo zu leben.«

In Liebe über Sterbliche erhöht
Durch solche Laute, hat er sich erhoben:
Ein herzbewegter Stern, der flimmernd steht
In lichter Ruh saphirner Himmel droben.
In ihren Traum schmolz er hinein, wie Duft
Der Rose sich mit Veilchenduft verbindet,
Süß aufgelöst. Es bläst die Winterluft
Der Liebe Ruf, die Fenster sind erblindet
Durch scharfen Hagelschlag; Sankt Agnes' Mond verschwindet.

's ist dunkel! Windgepeitschter Hagel schlägt.
»Dies ist kein Traum, o Magdalen, du Meine!«
's ist dunkel; Sturmwind stößt und Hagel schlägt.
»Kein Traum ach, ach! Und Weh ist all das Meine!
Porphyro läßt mich hier in Harm und Schmerz.
O welch ein Frevel, dich hierher zu bringen!
In deins verloren ist mein ganzes Herz.
Ich fluche nicht dem grausamen Gelingen:
Verlassne Taube ich mit kranken jungen Schwingen!«

»Mein Magdalen? O Traum, o Himmelsbild!
Darf dein Vasall ich ewig sein – gesegnet?
Ich deiner Schönheit herzgeformter Schild?
Vor dir, Altar, ruht aus, wer dir begegnet!
Dem müden Pilger soll ein Wunder licht
Die krankzerquälte Seele nun erneuen.
Ich fand dein Nest, berauben will ich's nicht –
Nur um dein süßes Selbst, wenn ohn Bereuen
Schön Magdalen vertraun will – keinem Ungetreuen.

Horch! 's ist ein Elfensturm aus Feenland,
Sehr teuflisch polternd, doch für uns voll Gnade:
Steh auf – steh auf! Schon glüht der Morgenbrand;
Die vollen Zecher sehn nicht unsre Pfade!
So laß uns eilig fliehn und froh, du Mein!
Denn keiner hört, kein Fuß vermag zu stehen, –
Betrunken sind sie all von Met und Wein:
Wach auf! Steh auf! Und laß uns furchtlos gehen,
Und hinterm Moor sollst du bei mir die Heimat sehen.«

Sie eilt bei seinen Worten – angstbedrückt,
Denn schlafend rings viel gierige Drachen liegen, –
Hellwach vielleicht, den Todesspeer gezückt.
Sie hasteten hinab die Dämmerstiegen.
Im ganzen Hause ist kein Menschenlaut,
Nur Fackeln flackern wild in Eisenringen;
Und über lose Stofftapeten haut
Der Sturm ein Wogenspiel von Geisterschwingen,
Die tobend durch die hohe zugige Halle dringen.

Die beiden gleiten wie Phantome fort,
Durch weiten Gang zum eisernen Portale,
Berauscht und schnarchend lag der Wächter dort,
In seinen Fingern noch die nasse Schale.
Der Bluthund hebt sich, schüttelt Fell und Strick,
Doch sieht und wittert er den Hausgenossen.
Und Bolz und Riegel gleiten leicht zurück,
Der Schlüssel dreht – das Tor ist aufgeschlossen
Und öffnet sich in ächzenden Scharnierkolossen.

Und sie sind fort. Vor langen Jahren flohn
Die Liebenden hinaus ins Ungewitter.
In jener Nachtzeit träumte der Baron
Von manchem Feind, auch waren seine Ritter
Schwer alpbedrückt von Hexe, Wurm und Wicht
Und Höllenspuk und eklen Grabgestalten.
Die Alte starb mit gräßlichem Gesicht. –
Der Beter schlief nach langem Händefalten
In seiner kalten Asche, stets für fremd gehalten.

Calidor

(Ein Fragment)

Jung Calidor durchquert im Boot den See.
Sein Geist ist wach, ist voll vom schönen Weh,
In das der Abend sich so liebend kleidet,
Weil er nur ungern von der Erde scheidet.
Noch zögert rings ein letztes warmes Licht.
Zum blauen Himmel hebt er das Gesicht
Und lächelt lang hinauf in klare Runde,
Bis er im Herzen fühlt die Sehnsuchtswunde;
Da wendet er den Blick zum sanften Bogen
Der Uferböschung und ins Blätterwogen
Der Bäume, die sich schattend niederneigen
Und sich im See die zarten Blüten zeigen.
Sein froh begeistert Auge folgt dem Schwung
Der flinken Schwalbe durch die Dämmerung,
Wie sie so launisch auf und nieder schwebt,
Bald tief zum Wasser stößt, bald hoch sich hebt,
Jetzt mit der Brust die kühle Nässe streift,
Jetzt unsichtbar in blauen Höhen schweift.

Nun hebt sich seines Bootes scharfer Kiel
Und gleitet leicht durch krauses Wellenspiel
Hinein in breites Wasserlilienbeet:
Wie weiß ein jeder Blütenbecher steht
Und Tau erhoffend auf zum Himmel schaut.
Ganz nahe hier liegt voll von Busch und Kraut
Ein Inselchen: von dort genießt man gut,
Wie schön der See in seinem Ufer ruht,
Das sich zum Fuß der blauen Berge dehnt;
Doch keiner, der mit warmem Herzen sehnt
Und klaren Auges sieht, was die Natur
An Schönheit zeigt auf beider Ufer Flur,
Geht leicht vorbei; sie grüßte Calidor
Heut sanfter noch als alle Zeit zuvor.
Seitwärts die Wipfel, reich in Gold gekleidet,
– Die frohe Sonne schenkt es, eh sie scheidet –
Draus ab und zu der Eichelhäher schießt
Und bunte Schönheit in die goldne gießt.

Ein alter Turm mit sturmzerstörten Mauern,
Zu stolz, um einstige Größe zu betrauern;
Schwarz wacht beim grauen Grab die starre Fichte
Und wirft zu Boden ihre harten Früchte.

Das Fischerkirchlein, dicht vom Epheulaube
Umkränzt bis hoch zum Kreuz; die weiße Taube,
Die auf dem Fenster glättet ihr Gefieder,
So licht, als käme sie vom Himmel nieder.

Grünbuschige Inseln legen linden Schatten
Quer übern See. Durchs Zwielicht lugen Matten
Mit breiten Ampferblättern und Ranunkeln,
Mit wilder Katzen glühem Augenfunkeln,
Mit zarten silberigen Birkenbäumen,
Mit hohen Gräsern, die all dies umsäumen.
Und Abendtau erquickte alles Schöne,
Als Calidor beglückt die Silbertöne
Einer Trompete hörte. Ach, es nahen
Viel Freuden ihm! Des Wächters Augen sahen
Durchs Tal herauf der Schimmel Mähnen wehen;
Bald wird er seine liebsten Freunde sehen!
Er stößt sein Boot voran mit heitrem Sinn,
Nun streicht er einsam übers Wasser hin,
Blind für den Schwan und taub für Philomele –
So sehr voraus eilt drängend seine Seele.

Nun wendet er mit kräftigem Ruderstoß
In letzte Bucht, und düster ist und groß
Das Schloß, noch fern, vor seinem Blick erschienen.
Fast schneller, als die eifrigste der Bienen
Zwei Pfirsiche umsummen kann, erreichten
Des leichten Bootes Rippen jene feuchten
Marmornen Stufen, die ins Wasser führen.
Und aufwärts eilt er, dann durch Flügeltüren,
Durch eichene Hallen und durch Corridore.
Köstliche Töne! Nie klang seinem Ohre
Und seinem Herz ein Vogellied so traut,
Als jetzt der Rossehufe Klapperlaut.
Zwei edle Hengste und ein Zelterpaar
Ward er beim Eintritt in den Hof gewahr:
In lockern Zügeln warfen sie die Nacken
Zurseite, während sie auf Prachtschabracken
Glückliche Bürden trugen durch das Tor.
Welch sanften Kuß und Druck gab Calidor
Den Händen jeder Dame! Wie entzückt
Umspannt er feine Knöchel! Süß entrückt
War seine Seele, während Flüstergrüße
Ihn zögern ließen, ihre zarten Füße
Herab zu lassen auf die harte Erde.
Wie süß dies Schmiegen, als sie sich vom Pferde
Hin über seinen Nacken sinken ließen!
Und ob da leise Sehnsuchtstränen fließen,
Oder ob ihre Locken Tau gefangen:
Er fühlte eine Feuchte auf den Wangen –
Und segnete mit Lippen, die erbeben,
Mit Augen, die sich leuchtend aufwärts heben,
All diese Wonne, die so weich und warm
Und innig sich geschmiegt in seinen Arm.
Auf seiner Schulter hing die Grübchenhand
Schön wie ein Wunder aus dem Feenland,
Wie weiße Cassiablüte, die der Regen
Der Sommernacht erfrischt – o reicher Segen!
Er koste sie mit seiner frohen Wange,
Als ob er alle Seligkeit empfange,
Da schlug Sir Clerimonds freundliches Grüßen
Ans Ohr ihm. Sanft zog er aus ihrer süßen
Knechtschaft den Arm, den neuer Dienst begehrt,
Voll Dank, daß ihm so viele Lust bescheert,
Indes er an die Stirne eine Hand
Herzinnig preßte, die ein Gott gesandt,
Bedrängten gut zu helfen: eine Hand,
Die aus den kalten Klippen dieser Welt
Jung Calidor erheben wird zum Held.

Zwischen den Pagen und den Fackeln stand
Bei seinem Roß ein Ritter, elegant
Und stolz gewachsen; seine Federn wären
Im Wind so hoch wie wilde Eschenbeeren
Oder wie Hermes' Flügelkappe ragt.
Und sicher hätte nie ein Mensch gewagt
Den Panzer, den er trug und der so fein
Geflochten war, für Stahl zu halten, nein,
Man hielt ihn eher für ein Prunkgewand,
In dem wohl gar ein hoher Engel stand,
Der sich verkappt den Gästen zugesellt.
»Sir Gondibert, der weit berühmte Held,«
So stellte Clerimont ihn munter vor.
Der junge Krieger kam zu Calidor
Anmutigen Schritts voll Herzlichkeit heran
Und bot gepanzert eine Hand ihm an,
Bereit zu grüßen den erglühten Knaben;
Der schaut, als dürfe er die Augen laben
An hohem Wunder. Während er voll Glück
Die Damen führte, sah er oft zurück,
Im Licht der Lampen, die vom Dach der Halle
Herniederhingen und die Wehrmetalle
In überirdischem Glanz erstrahlen machten,
Die ritterlichen Brauen zu betrachten,
Die unter feingeschwungenem Visier
Sich wölbten über Augen von Saphir.

Bald sitzen sie in angenehmem Raum.
Die Damen mit den Lippen süß wie Traum
Begrüßten all die grünen Ranken schon,
Die rund um Fenster klimmen und Balkon,
Um ihre purpursternigen Blütenlocken
Zu zeigen und die zarten Bernsteinglocken.
Sir Gondibert tat ab sein stählern Kleid,
Und er genießt nun voll Behaglichkeit
Den leichten Mantel über Brust und Rücken.
Und während Clerimond mit milden Blicken
Sich umschaut, brennt jung Calidor danach,
Von Rittertat zu hören: wie man Schmach
Zurückwies, wie man stark mit tapfrer Hand
Von werter Fraue Schrecken abgewandt;
Und übervoll hiervon gab jeder Hand
Der Damen er so warmen Kuß und blickte
So feurig drein, daß es sie halb entzückte
Und halb erstaunte, bis sich herzbewegt
Ein Lächeln über ihre Mienen legt,
So süß wie sonnenselig Himmelsblauen
Hoch über zauberhafte Inselauen.

Sanft kamen Lüfte aus des Waldes Herzen,
Sanft bliesen seitwärts sie das Licht der Kerzen,
Klar war der Sang der Nachtigallenkehle,
Lieblich der Duft der Lindenblütenseele,
Verlockend wild der ferne Hörnerklang,
Reizend der Mond auf seinem stillen Gang.
Süß auch die Unterhaltung dieser Freunde
Wie guter Geister fröhliche Gemeinde,
Wie sanftes Summen, das wir rundum hören,
Wenn Hesperus erscheint mit Sternenchören.
Süß sei ihr Schlaf – – –

Dedikation an Leigh Hunt

Liebreiz und Glaube sind dahingeschwunden,
Denn ziehn wir jetzt aufs freie Feld hinaus,
Grüßt kein Altar, drauf Kranz und Blumenstrauß
Als frommes Opfer frohen Tod gefunden.

Und keine Mädchen ziehn in ersten Stunden
Des Tags auf Floras weites Land heraus,
Mit Rosen, Veilchen, Korn und Blattgekraus
Dem Mai den Dank der Jugend zu bekunden.

Doch andre Lust – und größre – bleibt zu pflücken
Und wird auf meinen Weg mir Blumen streuen:
Vermag auch heut kein Pan mehr zu entzücken,

So wird doch tiefre Freude mich erneuen,
Wüßt' ich mit dieser Gabe zu beglücken
Und einen Mann wie du bist zu erfreuen.

An …

Wär ich von ritterlichem Wuchs, vielleicht
Wär meinem Weh ein Widerhall erwacht
Und hätte wohl dein Herz in Glut entfacht,
Daß es mir selbst die Waffen überreicht.

Doch ach, ich bin kein Held, dem alles weicht,
Und meine Brust schirmt keine Panzerpracht;
Kein Schäfer bin ich, dem ein Mädchen lacht,
Und dessen Mund erzittert und erbleicht.

Und muß dich dennoch lieben – süß dich nennen,
Viel süßer noch als Hybla's Rosenbecher,
Wenn sie von Tau gefüllt fast überrinnen.

Ah, dieser Tau! Ich will, ich muß ihn kennen!
Erscheine Mond! Mach mich zum seligen Zecher!
Mit Spruch und Zauber muß ich ihn gewinnen!

Wie viele Sänger schritten durch die Zeit

Wie viele Sänger schritten durch die Zeit
Und gaben meiner Seele ein Entzücken,
Denn jede Schönheit suchte ich zu pflücken,
So Erdenklang wie Sang der Ewigkeit!

Und oft, wenn mich der Muse Kuß geweiht,
Schwillt dieses Tönemeer, mich zu beglücken.
Doch sucht kein Klang den andern zu erdrücken,
Da ist kein roher Lärm, kein wilder Streit.

Es ist wie Sang, den uns der Abend bringt:
Das Quellenrieseln und der Glockenklang,
Das Vogellied, der Blätter eiliges Sprechen –

Wie alles dies im Chor zusammenklingt
Und tönend formt des Tages Schlußgesang,
Und keins vermag die Einheit zu durchbrechen.

Ich sah von Hügelhöh ins Land hinein ...

Ich sah von Hügelhöh ins Land hinein.
So stille lag die Luft im Sonnenschein,
Daß volle Knospen, die in sanftem Bogen
Die leichten schwanken Stengel seitwärts zogen,
Noch glänzten in dem bunten Sternenprangen,
Mit dem der Morgen schluchzend sie behangen,
Die Wolken waren weiß und rein wie Schafe,
Die nach der Schur und nach geruhigem Schlafe
Im Bache badeten; sie lagen matt
Im blauen Himmelsfeld; und Blatt um Blatt
Schien nur ein leiser Atem zu bewegen,
Das Schweigen nur schien seufzend sich zu regen;
Denn jeder Schatten, der ins Grüne fiel,
Lag steif und starr und wußte nichts von Spiel.
Die Landschaft ruhte still und weit und frei
Und lud den Blick zu trunkner Schwelgerei:
Des Horizonts krystallnen Glanz zu sehen
Und seinen zarten Linien nachzugehen,
Auch jenem Feldweg, der sich seltsam windet,
Durch Wälder krümmt und fern, ganz fern verschwindet;
Und an bebuschten Streifen zu erkennen,
Wo unter Schatten kühle Wasser rennen.
Ich schaute, und mir war so wohl und klar,
Als fächte sanft des Hermes' Flügelpaar
Die Füße mir. Mein Herz war leicht und frei,
Den Geist entzückten Freuden mancherlei.
Nach buntem Strauß begann ich mich zu bücken,
Mir weiße, blaue, goldne Lust zu pflücken:

Ein Busch Maiglöckchen, daran Bienen hängen,
Die wühlend lief in süße Kelche drängen;
Ein Guß Goldregen soll darüber fließen,
Und langes Gras soll' meinen Strauß umschließen,
Ihn feucht und kühl erhalten und in Schatten
Die Veilchen hüten, daß sie nicht ermatten.

Hier grünt ein Haselstrauch, um den mit schlanken
Schmiegsamen Armen wilde Rosen ranken,
Und dunkles Geißblatt, das zu lichten Höhen
Die schwanke Winde hebt. Daneben stehen
Und wiegen ihre süßen Frühlingsträume
In kleiner Reihe schlanke junge Bäume,
Aus wunderlichen Wurzeln aufgeschossen.
Das alte moosige Flechtwerk wird umgossen
Von klarem, frischem, sprudelfrohem Quell;
Im Vorwärtshasten plaudert er noch schnell
Von seiner Töchter blauer Lieblichkeit –
Von Glockenblumen. Ach, er ahnt die Zeit,
Da wohl gedankenlose Kinderhand
Die zarten pflückt und wirft in Sonnenbrand.

O Ringelblume, goldner, goldner Glanz!
Entzünde deinen Kranz!
Wisch ab den Tau, der dir vom Aug sich stiehlt,
Denn Gott Apoll befiehlt,
In diesen Tagen soll nur eine Weise
Die Harfen rühren: nur zu deinem Preise!
Und wenn er morgen deine Augen küßt,
Sag ihm, daß du in meinen Wonnen bist;
Und streif ich dann in fernem Tal – vielleicht
Daß seine Stimme meine Stirn umstreicht.

Platterbsen stehen flugbereit auf Zehen
Und lassen rot und weiße Flügel wehen;
Ihr spitzer Finger hascht nach allen Dingen,
Sie fest mit winzigen Ringen zu umschlingen.

Sieh hier das Bächlein, niedrig überbrückt
Von schwanken Planken; weile hier entzückt
Und lausche, wie Natur so sanft sich rührt,
Die süßer noch als Taubenruf verführt;
Wie still das Wasser um die Biegung zieht:
Kein Flüstern, das hinauf ins Grüne flieht,
Kein Gruß den Weiden Gras und Halme kommen
Durch wirre Schatten langsam hergeschwommen,
So langsam – könntest du nicht zwei Sonette
Gelesen haben, eh im trägen Bette
Dies Gras dorthintreibt, wo die Strudel kreisen
Und Holz und Halm im Tanzen unterweisen
Und so geschwätzig mit den Kieseln lärmen?
Elritzen stehen dort in ganzen Schwärmen
Und stemmen sich dem kräftigen Strom entgegen,
Genießen so den vollen Sonnensegen
Im kühlen Wasser. Wie sie immer ringen
Um diese süße Lust! Und glitzernd schlingen
Sie flink den Silberleib durch Kieselsand.
Erhebe nur ein wenig deine Hand,
Im selben Augenblick sind alle fort –
Und senkst du sie, sind alle wieder dort.
Sieh, wie die kleinen Wellchen Freude fühlen,
Sich zwischen Kressenlocken abzukühlen.
Sie nehmen Kühlung und sie geben Feuchte
Dem krausen Grün, damit es frischer leuchte,
Gleich guten Menschen, die in Redlichkeit
Zu wechselseitigem Geben gern bereit.
Von niedern Zweigen schwingt sich hin und wieder
Ein Häuflein bunter Distelfinken nieder:
Nur kurze Zeit, nur nippen und geschwind
Die Federn feuchten, die voll Sonne sind,
Dann plötzlich fort, wie's muntre Laune will.
Doch manchmal hält ihr gelbes Schwirren still
Und zeigt die glänzend schwarz und goldnen Schwingen.
Wär ich wie sie bestimmt zu solchen Dingen –
Ach, wär ich sie, ich würde beten mögen,
Daß meine Lust in grünenden Gehegen
Nur süßres störe, nur ein Mädchenkleid,
Das nahe rauscht und voll Behendigkeit
Vom Löwenzahn die Samenfäden fegt –
Als eines Mädchens Fuß, der nah sich regt
Und der im Spiel beim schnellen Vorwärtsgehen
Den Sauerampfer schaukelt mit den Zehen.
Wie würde sie erschreckt zusammenfahren,
Weil man ihr liebes kindliches Gebahren
Entdeckt. Oh, übers Wasser sie zu leiten,
Das halbe Lächeln sehn, das Niedergleiten
Der scheuen Blicke; ihre Hand zu fassen –
Von ihrem Atem mich berühren lassen!
Und wenn sie von mir geht – daß sie sich wende,
Den schönen Blick durch braune Locken sende!

Was weiter? Primeln hier ein voller Strauß!
O schaue, Seele, träume, ruhe aus
Und sinke schlummernd hin; doch immer wecke
Dich sanft das Platzen einer Knospendecke,
Dich irgend eines Falters trunkne Hast,
Der ruhlos weiterfliegt von Rast zu Rast,
Und Luna wecke dich, wenn sie die Schale
Nun aus dem Wogen schimmernder Opale,
Aus milchigen Wolkenmeeren, silbern hebt
Und sacht empor in Himmelsbläue schwebt.
O Göttin du der Dichter, liebe Lust
Der schönen Welt und jeder edlen Brust!
Du Heiligenschein, der alle Wasser schmückt,
Du süßer Kuß, der uns mit Tau beglückt,
Du milde Hand, die schöne Augen schließt
Und schönen Traum in stillen Schlummer gießt,
Du Freundin von Gebet und Schwärmerei,
Von Einsamkeit und Liebegrübelei!
Dich preise ich vor allen andern Dingen,
Die tief beglückend uns zum Dichten zwingen.
Du Paradiesesglanz, du ewiges Licht,
Du bist die Seele, die der Dichter spricht.
Du nahst – und irgend eine dunkle Linie
Wird ihm zum Umriß würdevoller Pinie;
Dein Lächeln, das zur dunklen Erde schwebt,
Gibt Silberfäden, draus er Märchen webt
Und ist solch Märchen köstlich aufgebaut,
So atmen wir den Duft von Sommerkraut
Und gleiten hin auf üppigen Wollustschwingen,
Die uns in himmlische Regionen bringen:
Taufeuchte Rosen streicheln unsre Wangen,
Wir sehen Lorbeer reich in Blüten prangen,
Zu Häupten gleißt Jasmin in voller Laube,
Und lächelnd blüht aus grünem Kleid die Traube,
Ein Bächlein hüpft, mit sanftem Sang zu rühren
Und alles Leid ins Weite zu entführen.
Wir fühlen uns befreit von Not und Welt
Und hoch auf weiße Wolken hingestellt.
So fühlte er wohl, der zuerst erzählt,
Wie Amor seine Psyche sich erwählt:
Was sie gefühlt, als erster Kuß ihr glühte,
Und wie sein Seufzen ihr entgegenblühte,
Und wie sie beide bebten und Verlangen
In Küssen zitterte auf Mund und Wangen;
Die Silberlampe – und der Gott im Schlafe –
Dann Dunkel – Einsamkeit – und schwere Strafe –
Der Flug zum Himmel – Ende aller Leiden –
Und ewige Vereinigung der beiden. –
So fühlte er wohl, der die Zweige bog
Und unsern Blick in weite Waldung zog,
Um Faune und Dryaden zu belauschen,
Wie sie so sorglos durch die Büsche rauschen
Und sich mit süßen wilden Blumen kränzen
Und Freude finden in verzückten Tänzen;
Wie Syrinx flieht in namenlosem Schrecken
Und angstvoll sucht, vor Pan sich zu verstecken.
O armer Pan! Verloren war die Spur
Am schilfigen Strom, und Windesseufzen nur
Erlauschtest du, nur schwermutvollen Hauch,
Der leise hinglitt über Schilf und Strauch. –

Dem war Natur wohl tief ins Herz gedrungen,
Der einst Narzissus' Liebespein besungen.
Er schritt vielleicht durch dunklen Wald und fand
Sich plötzlich an umbuschten Teiches Rand,
Der still und glatt und ungewöhnlich klar
Dem Himmelsblau ein treuer Spiegel war,
Das hie und da durchs dichte Laubdach blickte
Und heitern Gruß in müde Schwermut schickte.
Am Ufer stand ein einsam Blümelein,
Sah sanft und traurig in den Teich hinein,
In dem es seine bleiche Schönheit sah –
So unerreichbar – und so greifbar nah!
Taub war die Blume für des Zephirs Werben,
Nur schauen mochte sie, nur glühn und sterben.
Der Dichter stand und träumte lange dort,
Und seine Seele nahm dies Bild mit fort,
Und bald darauf, da war der Sang geschrieben
Von jung Narziß und seinem kranken Lieben.

In welches Wunderreich war Er gedrungen,
Der uns den süßesten, den ewig jungen,
Den anmutvollen reinen Sang geschenkt,
Der Seligkeiten senkt
Ins Herz des Mondscheinwandrers, ihm enthüllt
Die unsichtbaren Götter, ihn erfüllt
Mit Sphärenklang, der hoch aus Himmeln tönt,
Wo Nacht und Glanz sich friedevoll versöhnt?
O sicher! Dieser wußte nichts von Banden,
Er wandelte in wundersamen Landen,
Der Fesseln ledig schwebte er davon,
Um dich zu suchen, o Endymion!
Ein Dichter war er, ein Verliebter auch,
Der hoch auf Latmos stand, als süßer Hauch
Vom heiligen Myrthental sich aufwärts schwang
Zugleich mit feierlichem, frommem Sang,
Dem Hymnus, den man zu Diana schickte,
Die hell aus dunklen Himmeln niederblickte.
Doch ob sie auch sich huldvoll lächelnd neigte,
Ein Antlitz klar wie Kinderaugen zeigte –
Der Dichter weinte, sie so schön zu sehn,
So einsam durch die Ewigkeiten gehn:
Hell sang die Leier, die sein Hymnus schwellte,
Der Cynthia den Endymion zugesellte.

Du Königin, du lieblichstes Gesicht!
Du köstlich reiner Glanz, du mehr als Licht!
Gleich wie dein Lächeln alles überragt,
So jenes Lied, das deine Schönheit sagt.
O gib mir Worte, die wie Honig fließen,
Ein Wunder deiner Brautnacht zu erschließen:

Wo ferne Schiffe wie im Äther hängen,
Hielt Phoebus seiner Räder mächtiges Drängen
Für kurz zurück und lächelte dich an,
Eh weiter stob sein feuriges Gespann.
Der Abend war so mild und leuchtend klar,
Daß, wer gesund war, auch voll Frohsinn war
Und ausschritt wie Homer beim Hörnerschall,
Wie jung Apollo auf dem Piedestal;
Und Frauen waren schön und warm belebt,
Wie Venus, die entzückt die Wimper hebt.
Die Luft war lind und wehte frisch und rein,
Schlich in verhängte Krankenstuben ein
Und kühlte sanft den Fieberschlaf der Kranken,
Die bald in tiefen festen Schlummer sanken.
Sie wachten auf – und atmeten gesund,
Klar war ihr Auge und erfrischt ihr Mund,
Und Schmerz und Fieberhitze war vergangen;
Und wie sie nun erquickt vom Lager sprangen,
Da sahn sie rings geliebte Freunde stehn,
Die staunend kaum begriffen, was geschehn,
Die sie umarmten und mit inniglichen
Gebärden ihre stille Stirne strichen.