Wie bald, wie bald, daß ihn ihr Herz vergißt!

Daß ihr ein andrer schon des falschen Eides

Das letzte Wort von falscher Lippe küßt,

Sie mit dem Glänze schmückt des Brautgeschmeid

 

Und all ihr Leben, Freudentaumel nur,

Den noch kein flüchtig Leid ihr jemals störte,

Zieht unverfolgt von ihrem falschen Schwur

Und frech am Gott vorüber, der ihn hörte. –

 

Das wars, o Schicksal, was der Mensch getan,

Daß mit des Wahnsinns bangen Finsternissen

Du ihm verschüttet hast die Lebensbahn,

Aus seiner Seele seinen Gott gerissen!

 

Drum flucht er nun empor mit wildem Spott,

Gequält von seinem Schmerz, an jener Stelle;

Wo er so selig einst gekniet vor Gott,

Drum irrt er, wie gebannt, um die Kapelle.

Der Raubschütz

 

Nach einer Sage

 

Der alte Müller Jakob sitzt

Allein beim Glase Wein.

Schwarzmitternacht, nur manchmal blitzt

Ein Wetterstrahl herein.

Das Mühlrad saust, es braust der Wind;

Doch schlafen ruhig Weib und Kind.

 

Der Alte tut manch raschen Zug,

Er denkt an Zeit und Tod.

Wie draußen jagt des Sturmes Flug,

So jagen Lust und Not,

Die längst begrabnen, neuerwacht,

Ihm durch die Brust in dieser Nacht.

 

Die Tür geht auf, er fährt empor:

Wer kommt zu solcher Stund?

Ein Weidmann mit dem Feuerrohr,

Mit seinem Stöberhund,

Hahnfeder, Gemsbart auf dem Hut,

Das grüne Wams befleckt mit Blut.

 

Der Müller starrt, zurückgebeugt,

Dem Jäger ins Gesicht,

Sein Haar entsetzt zu Berge fleugt,

Sein Blut zum Herzen kriecht:

Der Raubschütz ists, der wilde Kurd,

Der jüngst im Wald erschossen wurd.

 

Der finstre Jäger an die Wand

Auf Jakobs Büchse winkt;

Der preßt sein Glas in zager Hand,

Daß es zu Scherben springt;

Gehorchend nimmt er sein Gewehr

Und schleicht dem Grausen hinterher.

 

Sie streifen in den Wald hinaus,

Nach süßem Wüdesraub;

Stets lauter wird der Winde Braus,

Der Pfade dürres Laub.

Der Jäger ruft voll heißer Gier:

»Komm, Bruder, jagen, jagen wir!«

 

Sie ziehn fort fort im finstern Wald

Durch Strupp und Strom gar frisch;

Das Wild schrickt auf, die Büchse knallt,

Der Stöbrer im Gebüsch

Rauscht mit arbeitendem Geruch,

Der Jäger ruft: »Such, Hundel, such!«

 

Doch an des Walds geheimstem Ort,

Auf seinem liebsten Stand,

Wo jüngst die Kugel ihn durchbohrt

Aus meuchlerischer Hand,

Da bleibt er stehn und donnert: »Schau!

Hier schoß er mich wie eine Sau!«

 

Es ächzt der Wald im Sturm verzagt,

Vom Monde jetzt erhellt;

Der kühn gewordne Müller fragt:

Was ists in jener Welt?

Da murmelt trüben Angesichts

Der Jägersmann: »Es ist halt nichts!«

Warnung im Traume

 

In üppig lauter Residenz

Verschwelgt mit reicher Habe

Ein Jüngling seinen Lebenslenz;

Die Eltern ruhn im Grabe.

 

Die Mutter lag am Sterbepfühl

Mit matten Herzensschlägen,

Sie legte blaß und todeskühl

Die Händ ihm auf zum Segen.

 

Und sie verschwendet noch im Schmerz

Der Kräfte letzten Glimmer,

Daß nun das Kind ihr treues Herz

Verlassen soll auf immer.

 

Der Mutterliebe ewge Macht

Hält sie dem Sohn vereinet,

Wie mildes Mondlicht in der Nacht

Des Wandrers Pfad bescheinet.

 

Umschwebt sie auch im Geisterflug

Still segnend den Bedrohten,

Gewaltig ist der Sinnenzug,

Und kraftlos sind die Toten.

 

Sie sah, wie 's letzte Röslein sich

Von seiner Wange stehle,

Und wie die Unschuld ihm verblich,

Die Rose seiner Seele.

 

Sie sah den Sohn die Sinnengier

Stets fesselnder umgarnen;

Ein Trost nur war geblieben ihr:

In Träumen ihn zu warnen.

 

Nach einem wildverbrausten Tag,

Verbuhlet und vertrunken,

Der Jüngling auf dem Bette lag,

Dem Schlafe heimgesunken.

 

Da träumt ihm, daß er abends irrt

Durch volkbelebte Straßen,

Wo manche Dirne lockend kirrt

Zu lüsternem Umfassen.

 

Schon wandelt der Laternenmann

Von Pfahl zu Pfahl und zündet

Dem Laster seine Sterne an,

Das hier sich sucht und findet.

 

Der Jüngling sieht ein lockend Weib

An ihm vorübergleiten,

Um deren üppig schlanken Leib

Sich Licht und Dunkel streiten.

 

Das Licht ihm wenig nur erhellt,

Die Lust nach dem zu wecken,

Was ihm das Dunkel vorenthält

Mit reizend schlauem Necken.

 

Er will den Reizen sein zu Gast,

Sie laden ihn so dringend,

Er eilt ihr nach, der Schritte Hast

Je mehr und mehr beschwingend.

 

Doch wie er nach der Dirne setz,

Er kann sie nicht erreichen,

Er sieht die Dunkle weiter stets

Und lockender entweichen.

 

Sie gleichet einem Nebelbild

Mit leisem, fernem Winken;

Sein Blick dem Sonnstrahl heiß und wild,

Den Nebel aufzutrinken.

 

Schon haben sie im raschen Zug

Die wache Stadt verlassen,

Und schon durchkreuzt ihr schneller Flug

Der Vorstadt öde Straßen.

 

Nur hier und dort ein Licht noch brennt

Bei Toten oder Kranken;

Und fort und fort die Dirne rennt,

Er nach mit giergem Zanken:

 

»Was rennst du, Tolle, so geschwind?

Wo steht dein süßes Lager?«

Da pfeift ums Ohr ein kalter Wind

Dem ungestümen Frager.

 

»Halt an, halt an die tolle Flucht!

Ich will dich fürstlich zahlen!«

Also der Jüngling fleht und flucht,

Schwerkrank an Wollustqualen.

 

Nun ist kein Haus zu schauen mehr;

Mit argbetroffnen Blicken

Sieht er nur Gräber rings umher

Und ernste Kreuze nicken.

 

Da wendt sie sich im Mondenlicht,

Zu seiner Qualgenesung:

Mit grauverwischtem Angesicht

Umarmt ihn – die Verwesung. –

 

Doch fuhr er kaum vom Schlummer auf,

Hat er den Traum versungen,

Und hat der wüste Lebenslauf

Ihn wiederum verschlungen.

 

Bald ward des Traumes kalte Braut

Am schweigenden Altare

Dem Jüngling wirklich angetraut,

An seiner Totenbahre.

 

Klara Hebert

 

Ein Romanzenkranz

 

Cisteron

Welche Freude fühlt der Wandrer,

Zieht er so im Frühlingsstrahle

Durch die schönen, liedervollen,

Wonnigen Provencertale!

 

Heißer glüht der Kuß der Sonne

Auf den blumenreichen Matten;

Süßre Labung rauscht die Quelle,

Kühler säuseln hier die Schatten.

 

Voller tönt des Donners Stimme,

Und die Sterne blinken heller;

Rascher blüht die Frucht und reifet,

Und die Liebe zündet schneller.

 

Unbesiegbar und unendlich

Ist der Liebe banges Sehnen,

Und es nagen in die Herzen

Tiefer ihre Spur die Tränen.

 

Aber führt der Weg den Wandrer

An den Ort, den ich besinge,

Kann er nicht dem Schauder wehren,

Daß er ihm das Herz durchdringe.

 

Am Gestade der Durance

Sieht er eines Städtchens Mauern,

Grauberäuchert, hin und wieder

Seine stillen Häuser trauern.

 

Grausenhafte Felsenschlünde

Sieht der Wandrer dicht daneben,

Selten auf granitnem Blocke

Einen Strauch im Winde beben.

 

In dem nächtlichen Reviere

Scheint der Tod sich zu ergehen

Und den Leben nachzusinnen,

Die sein Odem wird verwehen.

 

Von den Klippen, wie verzweifelnd,

Stürzt der Wildbach in die Tiefe,

Und er brauset in den Schluchten,

Ob er bang nach Hülfe riefe.

 

Furchtsam ruht am Fuß des Berges

Städtchen Cisteron geschmieget,

Wie zu des Gebieters Füßen

Weinend eine Sklavin lieget.

 

Auf dem Berge ragt Gemäuer,

Und in längst verblichnem Glanze

Herrschten hier von ihrem Schlosse

Einst die Grafen der Provence.

 

Wie so traurig hier dem Wandrer

Die verfallnen Türme winken:

Alles Edle hier auf Erden,

Alles muß am Ende sinken!

 

An den Türmen, steil und plötzlich,

Hebt sich eine Felsenmasse,

Eine Herberg für die Wolken,

Auszuruhn auf ihrer Straße.

 

Und zuhöchst am Felsenhaupte

Steht ein Häuschen, einsam, wüste,

Wo der Heide mit dem Opfer

Seine Götter einst begrüßte.

 

Doch in unsern schlimmen Tagen

Ward der Tempel zum Gefängnis,

Wo die Tyrannei ihr Opfer

Quält in heimlicher Bedrängnis.

 

Ludewig, du böser König!

Richelieu, du arger Priester!

Wagt der König nicht den Frevel,

Schon vollbringt ihn der Minister.

 

Zu beklagen ist die Menschheit,

Will ein Priester ihr gebieten;

Statt den Himmel ihr zu geben,

Raubt er ihr die Erdenblüten.

Der nächtliche Gang

 

Tiefe Nacht; – der stille Vollmond

Hebt sich jenseits von den Auen,

Und die Wellen der Durance

Sind ein Silberstrom zu schauen.

 

Flüchtig eilen sie vorüber

An den mondbeglänzten Riffen,

Und von rätselhafter Wehmut

Fühlt der Wandrer sich ergriffen;

 

Denn er hört im ruhelosen,

Immergleichen Wellenschlage

Ewig an die Sterne tönen

Seines Herzens bange Frage;

 

Ein Verrauschen, ein Verschwinden

Alles Leben! – doch von wannen? –

Doch wohin? – die Sterne schweigen,

Und die Welle rauscht von dannen.

 

Cisteron, das Städtchen, schlummert,

Nur im Schlosse lassen Worte

Dumpf und eilig sich vernehmen,

Und es dröhnt die Eisenpforte.

 

Männer steigen still und langsam

Dort hinauf zum Felsenhause:

Waffenknechte sind es, führen

Den Gefangnen in die Klause.

 

Johann Kasimir von Polen!

Heiß durchrollt von Königsblute,

Edler Sproß vom Stamme Wasa,

Ach, wie mag dir sein zumute l

 

Heldenjüngling, der du kämpftest

Ruhmbekränzt in manchen Schlachten,

In verräterischer Fremde

Mußt du als Gefangner schmachtenl

 

Spricht man so im feinen Frankreich

Hohn des Gastes heilgem Rechte,

Daß den freundgesinnten Fürsten

Zwingen die Tyrannenknechte?!

 

In des Mondes hellem Scheine

Glänzen ihre Mordgewehre;

Aber nicht des Polenfürsten

Stolz und schnell verwischte Zähre.

 

Auf dem steilen Stufenpfade,

Eingehauen dem Granite,

Heben sich in scheuer Windung

Nach dem Gipfel ihre Schritte.

 

Wagt es wer, im schwanken Mondlicht

Da den Pfad hinaufzuwallen,

Bebend sieht er seinen Schatten

In den grausen Abgrund fallen.

 

Sinnend bleibt Johannes stehen,

Und er hört im Niederlauschen

Immer leiser dort die Schluchten,

Leiser die Durance rauschen.

 

Horch! ein Lüftchen aus den Auen,

Wo die Nachtigallen singen,

Kommt dem Armen nachgeflogen,

Ihm noch einen Laut zu bringen.

 

Weither kam das gute Lüftchen,

Wie ein Kind, das frohbehende

Einem Bettler, wenn er scheidet,

Nacheilt mit der milden Spende.

 

Und sie klimmen immer höher,

Nur noch ihre Tritte schallen;

Still ist nun der Wasser Rauschen,

Still das Lied der Nachtigallen.

 

Todesruhe deckt die Höhen,

Die verlaßnen Felsenklippen;

Kein Gesträuch und keine Blume

Auf des Abgrunds bleichen Lippen.

Der selige Abend

 

Schnell versammelt um die Felsen

Haben Wolken sich und Winde,

Um den neuen Gast zu grüßen,

Seines Kummers Spielgesinde.

 

Ausgeloschen ist das Mondlicht

Und der Sterne helles Flimmern,

Durch die enge Fensterspalte

Hört der Gast die Lüfte wimmern.

 

Traurig sinnend blickt Johannes

In die dunkle Ferne nieder,

Und es flattern seine Locken

Windgeschaukelt hin und wider;

 

Flattern um die blasse Stirne

Wie das Laub der Trauerweiden

Um die bleiche Marmortafel

Über den begrabnen Freuden.

 

Er gedenket eines Abends,

Eines seligen vor allen,

Als in Martigues er gelandet

Mit den Freunden und Vasallen.

 

Ruhig lag die sturmerprobte

Genuesische Galeere,

Lustig flogen ihre Wimpel,

Und der Tag versank im Meere:

 

Scheidend warf er seine Strahlen

In der Wellen bunt Gedränge,

Wie ein König, goldverstreuend,

Scheidet von der frohen Menge.

 

Nach dem Sturme lag die See nun

Schön in ihrer stillen Größe;

Nur noch manchmal an das Ufer

Tönten bange Wellenstöße:

 

Also zuckt nach starkem Weinen

Noch das Herz mit bangem Schlage,

Ist auch schon das Auge heiter

Und verstummt des Mundes Klage.

 

Lieblich war der Lüfte Säuseln

Nach dem rauhen Sturmestosen;

Auf der Meeresruhe schwebten

Die Gesänge der Matrosen. –

 

Dicht am Strande, schmuck und wirtlich,

Winkt der Gasthof mit dem Schilde

Dreier Lilien, einzukehren

Zu dem schönen Engelbilde:

 

Klara Hebert, weit gepriesen

Rings im Lande ob der Blüte

Ihrer Schönheit, weit im Lande

Ob des Herzens Wundergüte.

 

Laut mit ungestümer Freude

Tritt der Seemann in das Zimmer,

Dringend heischt er nach dem Becher;

Doch sein Mut wird stiller immer.

 

Ihm kredenzt der Wirtin Tochter

Freundlich mit den zarten Händen,

Und er läßt den Becher stehen,

Kann sein Auge nimmer wenden.

 

Nun sie seinem Blick entschwunden,

Trinkt er aus mit raschem Zuge;

Daß sie noch einmal ihn fülle,

Klopft er sachte mit dem Kruge.

 

Seine Seele ward ergriffen

Schmerzlich von der Liebe Ahnen,

Die für immer er verloren

Auf den sturmbewegten Bahnen.

 

Und er eilt hinaus zum Strande,

Fort treibt ihn sein wild Verlangen,

Daß die Stürme ihm entschlagen

Dieses ungewohnte Bangen. –

 

Mit dem glänzenden Gefolge

War der Prinz nun angekommen;

Ihn empfing die Wirtin rauschend,

Ihre Tochter still beklommen.

 

Schüchtern vor dem fremden Fürsten

Steht sie, harrend der Befehle,

Kaum zu ihm hinanzublicken

Wagt ihr Auge, voller Seele.

 

Tiefen Ernst und süße Schwermut

Sprechen seine schönen Züge,

Und des Auges Blitz verkündet

Hell des Mutes hohe Flüge.

 

Froh erschrecken ihre Blicke,

Und sie können nicht verweilen,

Müssen mit dem schönen Bilde

Schnell zurück zum Herzen eilen.

 

Überwältigt von der Liebe

Selig dringendem Erwarten,

Treten beide unwillkürlich,

Stumm und bebend, in den Garten.

 

Also wandeln sie noch lange

Mit verschwiegenem Gefühle;

Gastlich bieten hier die Bäume

Süße Frucht und Schattenkühle.

 

Nachtigallen, immer lauter,

Singen auf den grünen Zweigen,

Gleich als wollten sie verraten,

Was die beiden sich verschweigen.

 

Freudig grüßen schon die Sterne

Sie auf ihrem schönsten Gange;

Endlich wird die Liebe Sprache,

Und sie flüstern viel und lange.

 

Klärchen hört die Zauberworte,

Daß sie ihm auf weiter Erde

Die alleinzige Geliebte

Sei und immer bleiben werde.

 

In der Jungfrau Busen plötzlich

Ist der Himmel aufgegangen,

Seines Lenzes Purpurblüten

Treibt das Herz ihr auf die Wangen.

Blumengruß

 

Jener Abend war entschwunden;

Doch mit jedem Morgenlichte

Fand Johannes im Gefängnis

Frische Blumen, süße Früchte.

 

Sind es Früchte nicht von Bäumen,

Die er sah auf seinen Wegen?

Hauchten diese Blumen nie noch

Ihre Düfte ihm entgegen? –

 

Gleich als hätte heimlich jemand

Abgeschmeichelt jeder Stelle

Eine freundlichere Miene,

Heitert sich die Kerkerzelle.

 

Dieses ewig wache Sorgen,

Ob ein Geist es heimlich übe,

Allgewärtig, ungesehen,

Kann es jemand als die Liebe? –

 

Jüngling, mit den edlen Freunden,

Die getreu dir auch im Leide,

Ist noch eine treue Seele

Dir gefolgt, in fremdem Kleide.

 

Ihre Sehnsucht will die Jungfrau

Deinem Blick verborgen halten,

In die Pflicht des Pagen hüllen

Ihrer Liebe stilles Walten.

 

Und es deckt die Rosenwangen

Gelbe angetünchte Farbe,

Und es flüchtet ihre Stirne

Unter die gemalte Narbe.

 

Kaum erwacht der Tag im Osten

Und der Schwalben frühes Rufen,

Eilt auch schon das gute Klärchen

Nieder die granitnen Stufen.

 

Über Felsen, Tal und Wiesen

Wandert sie wohl eine Meile

Nach dem Garten ihrer Mutter

Fort in rastlos froher Eile.

 

Was an schönen frischen Blumen

In den Beeten ist zu finden,

Pflücket sie mit klugem Finger'

Ihm den Morgengruß zu winden.

 

Und sie blicket, Früchte suchend,

Nach den Bäumen in der Runde;

Sinnend hält sie manchmal inne,

Eingedenk der süßen Stunde.

 

Und die Wonne jener Stunde

Und das mitleidvolle Bangen

Um den Teuren mengen ihre

Tränen auf des Mädchens Wangen. –

 

Nun erwacht der Prinz vom Traume,

Der ihn ließ sein Klärchen schauen,

Der ihn wandeln, frei und selig,

Ließ in heimatlichen Auen.

 

Des Erwachten Blicke schweifen

Finster an den Kerkerwänden,

Doch sie werden plötzlich heiter,

Treffen sie die Morgenspenden.

 

Still und schüchtern in der Ferne

Steht der Page, wills kaum wagen

Daß sie nicht Verräter würden,

Seine Augen aufzuschlagen.

 

Klara sieht es freudebebend,

Wie der Liebe stumme Gaben

Ihm das Angesicht erheitern

Und die kranke Seele laben.

Die Gewitternacht

 

Mit dem Grafen Konopacki,

Seinem Freunde treubewähret,

Spricht Johannes angelegen,

Als der Abend wiederkehret.

 

Eben hat der Graf des Trostes

Mildberedtes Wort geendet

Und des Prinzen düstre Seele

Froher Hoffnung zugewendet.

 

Leise lächelt dem die Freude

Auf den kummerbleichen Wangen,

Und er hält die Hand des Freundes

Mit des Dankes Druck umfangen. –

 

Draußen sind die Warfenknechte

Rundgelagert in der Halle,

Und es dröhnt der Marmorboden

Vom Pokal und Würfelfalle.

 

Weiche Provenzalenlieder

Tönen aus den rauhen Kehlen,

Und sie schweben durch die Runde

Schwankend, wie verirrte Seelen.

 

Doch den einen von den Wachen

Seine Kameraden schelten,

Denn er schweigt bei ihrem Jubel,

Hebt auch seinen Becher selten.

 

Klärchens Vetter, Heinrich ist es,

Den des Mädchens Flehn bewogen,

Daß der Krieger auf des Kerkers

Prevotalwacht ist gezogen. –

 

Schweigend blicken jetzt die Freunde

Durch des Kerkers Fenstergitter,

Nächtlich kommt heraufgezogen

Dort vom Westen ein Gewitter;

 

Und die freien Wetterwolken

Ziehen rasch vorbei und schneiden

Finstre, höhnische Gesichter

In den Kerker auf die beiden.

 

Brausend fliegt des Todes Jagdhund

Sturm bergan in wilder Eile,

Seinen Herrn zu suchen, irrt er

Durch die Felsen mit Geheule.

 

Immer wird der Himmel dunkler,

Und schon ist die Nacht vollkommen;

Wie von einer finstern Ahnung

Wird der Freunde Herz beklommen.

 

Donnernd hallt des Todes Weidruf

Ringsum in Gebirg und Talen,

Plötzlich zündet er die Nacht an

Mit den hingeschoßnen Strahlen.

 

Immer lauter schreit der Donner

Durch die grausen Finsternisse;

Aus gebrochnen Wolken stürzen

Rauschend sich die Regengüsse.

 

Hart am Kerker Blitze zucken

Sehn die beiden mit Entsetzen:

An den Felsen scheint der Tod hier

Seinen Flammenpfeil zu wetzen. –

 

Doch wer sind die zwei Gestalten,

Die, umraset von den Wettern,

Es in solcher Stunde wagen,

Zum Gefängnis aufzuklettern?

 

Richelieus geheimes, sichres

Werkzeug in verruchten Taten:

Chantereine, der Hauptmann ist es

Von des Schlosses Wachtsoldaten.

 

Dieser weiß zu des Gebieters

Schlau verderblichem Befehle

Immer noch ein Gift zu fügen

Aus der eignen bösen Seele.

 

Und mit ihm der Knechte kühnster,

Dem er alles mag vertrauen,

Der ihm durch die Nacht der Sünde

Folgt wie durch Gewittergrauen.

 

Rastend halten sie jetzt inne

Auf bequemer Felsenfläche,

Daß des Greuels nahen Ausgang

Noch das finstre Paar bespreche.

 

Wildfrohlockend ruft der Hauptmann:

»Heute muß das Werk vollbracht sein

Und zur Freude des Ministers

Dies des Polen letzte Nacht sein!

 

Reich an Hasse ist der Priester,

Dessen mag manch Grab ihn loben;

Doch des Hasses herbste Fülle

Kocht sein Herz für den da oben.

 

Denn der hat sich kühn vermessen,

Einst in hoher Fürsten Kreise

Dem Gefürchteten zu nahen

Auf verächtlich kalte Weise.

 

Und er wäre längst verblichen;

Doch der König selbst, der schwache,

Hat Gewalt verboten, fürchtend

Österreichs und Polens Rache.

 

Heute will mit eigner Faust ich

Nach der rechten Stunde haschen

Und mit dem, was wir vollbringen,

Selbst den Teufel überraschen.

 

Doch daß unsrer Tat Geheimnis

Kein Verräterohr belausche,

Liegt der Wache ganze Rotte

Eingezecht im tiefsten Rausche.

 

Hurtig schleudern in den Kerker

Wir die lohen Schwefelbrände,

Daß der Fürst im schweren Qualme

Sein erlauchtes Leben ende!

 

Und sein guter, treuer Landsmann,

Der da schläft an seiner Seiten,

Wird den Freund wohl mit Vergnügen

In die andre Welt begleiten.

 

Lustig vorwärts, Kamerade!

Vorwärts, Bruder, ohne Zagen!

Morgen heißt es: in den Kerker

Hat der Donner eingeschlagen.

 

Ja! dem Himmel aufgebürdet

Sei die Mordtat unsrer Hände;

Und der wütet heut so närrisch,

Daß ers selber glaubt am Ende!«

 

Hastig schreiten sie nun aufwärts,

Kommen zu den Kerkertoren;

Doch es ging von dem Gespräche

Nicht ein Wörtchen auch verloren.

 

Denn des Prinzen treuer Page,

Dem ein Unheil mochte ahnen,

Folgte ihnen Schritt für Schritte

Nach auf ihren schlimmen Bahnen.

 

Sachte sind sie nun getreten

In das Haus, die Schwefelbrände

Aus dem Dunkel still zu holen,

Und entzünden sie behende.

 

Klärchen weckt den Vetter schleunig,

Der in leichtem Schlummer nicket,

Hält die Hand ihm, daß er schweige,

Zitternd auf den Mund gedrücket.

 

Chantereine ist schnell und leise

Schon zum Fenster angeklommen,

Hat nun aus der Hand des Knechtes

Schon den Brand hinaufgenommen;

 

Plötzlich mit dem Feuerrohre

Bricht der Page vor, entschlossen:

In den bodenlosen Abgrund

Stürzt der Bösewicht erschossen.

 

Wütend, mit gezücktem Dolche,

Faßt den Pagen nun der Scherge;

Doch, von Heinrichs Schwert getroffen,

Taumelt er hinab die Berge.

Der alte Marko

 

»Klara, lebst du?« ruft Johannes

Bang mit lautem Herzenspochen;

Klara liegt am Kerkerlager,

Eine Lilie sturmgebrochen.

 

Stumm, mit trostberaubter Miene,

Steht des Fürsten Arzt daneben,

Ohne Rast mit Blick und Händen

Spürend nach dem teuren Leben.

 

Abgewaschen ihrem Antlitz

Ist die jungfräuliche Lüge,

Und in bleicher Todesschönheit

Zeigen sich die holden Züge.

 

Lose sind die wirren Haare,

Blutig sind die zarten Hände,

Die im Sturme sich geklammert

An die rauhen Felsenwände.

 

In die weiche Brust gedrungen

Ist der Dolch des Mordgesellen,

Und der treue, warme Purpur

Quillt hervor in raschen Wellen.

 

Und ein stilles, starres Lächeln

Ruht so hold auf ihrem Munde,

Gleich als fühle sie mit Wonne

Bluten ihre tiefe Wunde.

 

Wer die Liebe hat im Herzen

Mit dem vollen heißen Triebe,

Fühlt wohl auch die süße Sehnsucht,

Hinzusterben für die Liebe;

 

Hinzuschütten alles Leben

Mit dem einen süßen Worte:

»Dir!« – wie stürzt das Blut so freudig

Durch die aufgerißne Pforte! –

 

Doch der alte treue Marko

Waltet ohne Rast noch immer;

Sieht vielleicht sein scharfes Auge

Noch wo dämmern einen Schimmer?

 

Krauter, die der fernste Süden,

Die der höchste Nord geboren,

Seiner Kunst geheimste Kräfte

Werden jetzt von ihm beschworen.

 

Wonnebebend und verzweifelnd,

Reicht Johannes ihr die Labe;

Seine Seele zittert zwischen

Klaras Lieb und ihrem Grabe. –

 

Endlich hebt sich ihre Wimper:

O du Seligster von allen!

Freudeschluchzend zum Gebete

Mußt du auf die Kniee fallen!

 

Und der alte treue Marko

Blickt empor zu Gott und betet:

»Meine Kunst ist deine Gnade,

Die vom Tode sie gerettet!«

 

Klara hebt die matten Augen

Auf zu dem in Freudezähren,

Dem zuliebe bald auf immer

Sie geschlossen blieben wären.

 

Und lebendig wird das Lächeln,

Das vom Tode war befangen;

Ein jungfräuliches Erröten

Dämmert auf den bleichen Wangen.

Die Botschaft

 

Nach Saint-Germain zum Verkaufe

Trägt ein Häuflein Bauersleute,

Was der Herbst mit vollen Händen

Ihm auf Flur und Garten streute.

 

Neben schwer beladnem Wagen

Läßt der Mann die Geißel knallen;

In der Bäurin feinem Korbe

Wird das schmucke Obst gefallen.

 

Mit Geschichten, frohen Possen,

Und nun wieder mit Gesängen,

Suchen sie sich wegzustehlen

Über ihres Weges Längen.

 

Hinter ihnen Pferdgetrappel,

Und sie stehen, und sie schweigen,

Und neugierig nach den Reitern

Äug und Ohr sie rückwärts neigen.

 

In noch nie gesehner Eile,

Brausend gleich empörten Wogen,

In noch nie gesehnen Trachten

Kommt die Schar herangeflogen.

 

Wer? wohin? woher des Weges?

Rufen die erstaunten Bauern;

Doch mit Staub die Rosseshufe

Ihnen schnell den Mund vermauern.

 

Es ist Christoph Gonsiewski,

Von Smolensk der Wojewode,

Der mit seinen Reitgefährten

Manches Roß gejagt zu Tode.

 

Nimmer länger soll Johannes

Schmachten in den Kerkermauern

Wladyslaw, sein treuer Bruder,

Fühlt herzinniges Bedauern.

 

Wladyslaw, der Polenkönig,

König auch im Schwedenlande,

Ist empört in tiefster Seele

Über Frankreichs freche Schande.

 

Und er ließ zu seinen Boten

Zürnend seine Stimme tosen,

Und das Wort, das er gesendet

An den König der Franzosen,

 

Ist ein Blitz in sie gefahren,

Der sie nun fortreißt geschwinde,

Unaufhaltsam nach dem Orte,

Wo er, freigelassen, zünde. –

 

In dem Schlosse zu Saint-Germain

Schnauben schon die müden Renner;

Vor den argbetroffnen König

Treten die sarmat'schen Männer.

 

Schweiß entrollt den kühnen Stirnen,

Und ihr Auge glüht im Zorne,

Drohend klirren ihre Säbel,

Ihre blutgetränkten Sporne.

 

Und zum König nun beginnet

Gonsiewski so zu reden:

»Wladyslaw hat uns gesendet,

Herr der Polen und der Schweden:

 

Habt Ihr nicht noch diese Stunde

Seinen Bruder freigesprochen,

Soll an Euch und Eurem Lande

Blutig sein die Schmach gerochen!

 

Daß der Prinz das Land durchspähte,

Euch an Spanien zu verraten,

Ist nur eine schnöde Lüge

Eures tückischen Prälaten;

 

Eine Lüge ausgebrütet

Von der Kirche grimmstem Geier;

Denn in Eurer faulen Krone

Nistet dieses Ungeheuer! –

 

Ostreich, Spanien und Italien

Werden sich an Polen halten,

Eure Macht und Johanns Kerker

Schnell mit einem Hiebe spalten!«

 

Zornesbleich und furchtergriffen,

Tiefbeschämet, starrt zur Erde

König Ludwig und gebietet,

Daß der Prinz befreiet werde.

Die Heimkehr

 

Zu Paris am Königsschlosse,

Das der Prinz nunmehr bezogen,

Harrt der Wagen lange Reihe,

Drängen sich des Volkes Wogen.

 

Auf der kunstgeschmückten Treppe

Stehn die königlichen Garden,

Dem Andrang des Volkes wehrend

Mit dem Stoß der Hellebarden.

 

Johann Kasimir, gebleichet

Von des Kummers langem Drucke,

Stieg herab, seit lange wieder

Heut im vollen Fürstenschmucke.

 

Auf dem Haupt die samtne Mütze;

Um den Busch des Reihers brannten,

In vielfache Schnur gewunden,

Große helle Diamanten.

 

An dem samtnen Oberkleide

Weite Ärmel niederhangen,

Drauf das goldne Fell des Widders

Und die Demantkette prangen.

 

Der kostbare Persergürtel

Trägt des Säbels Eisenbogen

Mit rubinbesetztem Griffe,

Den der Jüngling oft gezogen.

 

Ihn umrauschen die Begleiter:

Sully, Angoulême, nebst andern,

Sagen ihm viel süße Worte,

Wünschen ihm ein glücklich Wandern.

 

Doch der Zug, die Treppe nieder,

Muß auf jeder Stufe stocken,

Unaufhaltsam strömt das Volk zu,

Mit gutmütigem Frohlocken.

 

In der Treppe tiefster Ecke,

Hinter des Hatschieren Rücken,

Hat ein Mädchen sich geschmieget,

Auf den Zug hervorzublicken.

 

Eingebettelt in die Stelle

Hat sie sich mit bangem Flehen,

Daß sie dürfe nur noch einmal

Unbemerkt den Prinzen sehen.

 

Also hat in scheuer Demut

Klara Hebert sich verborgen;

Nicht mehr braucht ja ihre Liebe

Für den Teuren mehr zu sorgen.

 

Nicht gewahrt der rauhe Wachmann

Ihres Herzens lautes Pochen,

Und wie manche heiße Träne

Aus den Augen ihr gebrochen.

 

Plötzlich hält Johannes inne,

Forschend blickt er ins Gedränge;

Doch nicht sieht er, die er suchet

In des Volkes bunter Menge.

 

Und der Liebe bange Zweifel

Ihm die Seele jetzt erfassen;

»Klara!« ruft er laut und schmerzlich,

»Willst du mich im Glück verlassen?« –

 

Wie sie so ihn höret rufen,

Stürzt sie hin mit lautem Weinen,

Und ohnmächtig liegt das Mädchen

Auf der Treppe Marmorsteinen.

 

Festgedrückt an seinen Busen,

Hält Johannes sie umfangen,

Mit unendlich süßer Wehmut

Küßt er ihre bleichen Wangen.

 

Lange noch auf ihrem Antlitz

Ruht sein seliges Betrachten,

Und es zittert seine Stimme:

»Lebewohl!« der Auferwachten.

 

Zu Graf Angoulême nun spricht er:

»Eurem Schutz sei sie befohlen:

Ehret sie, wie es der Freundin

Ziemen mag Johanns von Polen!

 

Meines Lebens kühne Rettung

Dank ich diesen zarten Händen;

Und daß ich zur lieben Heimat

Wieder mag die Schritte wenden!«

 

Rasch besteigt er seinen Wagen;

Und den Prinzen segnet jeder.

Jetzt verliert sich in der Ferne

Schon das Rollen auch der Räder.

Die Sehnsucht

 

Haben wir auch schön geträumet

Von des Glückes Zauberlanden,

Wo sich ewge Freudenkränze

Um die trunknen Schläfe wanden;

 

Und wir wachen auf am Morgen,

Kehren zu des Lebens Mühen

Ohne Klagen wir zurücke;

Träume müssen ja verblühen.

 

Also waltet in dem Gasthof

Klara nach der alten Weise;

Nur ein seliges Erinnern

An den Traum umschwebt sie leise.

 

Mit gewohnter holder Miene

Grüßet sie die frohen Zecher;

Doch am freundlichsten vor allen

Füllet einem sie den Becher.

 

Oft auch sah man, wie die Jungfrau

Und der Krieger lange sprachen;

Heinrich ist es, der gestanden

Bei des Prinzen Kerkerwachen.

 

Heinrich weiß gar viel zu rühmen

Von dem schönen Fürstenjungen,

Wie dem Stolzen nie das Unglück

Einen Klagelaut erzwungen.

 

Eines aber hoch zu preisen

Seine Worte nie vergaßen:

Wie der Prinz den bösen Hauptmann

Chantereine einst angelassen.

 

Dieser trat mit plumpem Trotze

Vor den Stillen, scheinbar Zahmen,

Ihm den Säbel abzufordern

Frech in König Ludwigs Namen.

 

Doch wie donnerte der Jüngling:

»Ich bin Johann, Prinz von Polen!

Lüstet ihn nach meinem Schwerte,

Mags dein König selber holen!«

 

Feig verzagend vor dem Kühnen

Sucht der Hauptmann seine Rotte

Zu Gewalttat aufzustacheln

Mit Befehl und scharfem Spotte.

 

Ha! wie hat der Polenjüngling

Jetzt sein tapfres Schwert geschwungen!

Ha! wie ist er auf den Hauptmann,

Auf die Knechte eingedrungen!

 

Und die Rotte feiler Schergen

Taumelte zurück, erschrocken,

Wie der Sturmwind auseinander

Jagt der Spreu geringe Flocken. –

 

Schwellend hat bei solchen Reden

Klaras Busen sich erhoben;

Süßer Klang ists für die Jungfrau,

Hört sie den Geliebten loben. – –

 

War nun Klara gegen jeden

Froh und freundlich tagesüber;

Wenn sie endlich kann allein sein,

Ist sie abends um so trüber.

 

Ist ihr auch das Glück der Liebe

Wie ein Traum vorübergangen,

Werden doch in stiller Sehnsucht

Täglich blässer ihre Wangen.

 

Oft in heitern, schönen Nächten,

Wenn der Mond, die Sterne scheinen,

Wandelt Klara, sein gedenkend,

An dem Strand mit leisem Weinen;

 

Horchet in die Meeresweiten,

In die stummen, regungslosen:

Keine fernen Ruderschläge? –

Keine Lieder der Matrosen? –

 

Wirft das Meer in trüben Nächten

Seine Wellen ans Gestade,

Wandelt Klara still und einsam

Ihres Grams geheime Pfade.

 

Aber nicht vom stillen Meere,

Nicht vom Meere sturmgeschlagen,

Harret sie auch manche Jahre,

Wird der Teure her getragen.

Der Ring

 

Jubelnd ist der Tag erschienen,

Schwingt den Goldpokal der Sonne,

Gießt auf Berg und Tal berauschend

Nieder seine Strahlenwonne.

 

In den Lüften aufzutauchen

Darf kein Wölkchen sich getrauen,

Auf das Glück der treuen Liebe

Will der ganze Himmel schauen.

 

Nur die Lerchen, Freude singend,

Steigen auf im Morgenglanze,

Trunken von den Strahlengüssen

Jauchzt die Welle der Durance. –

 

In dem Garten, wo vor Jahren

Gingen in der Schattenkühle

Klara Hebert und Johannes

Mit verschwiegenem Gefühle;

 

Wo die lauten Nachtigallen

Süß verräterische Lieder

Sangen auf den grünen Zweigen:

Wandeln sie auch heute wieder.

 

Und in seliger Verschlingung

Kehren sie zum trauten Orte,

Wo vor Jahren ihre Liebe

Fand die ersten, leisen Worte.

 

Klara blüht in neuer Schöne,

Rosen, Fremdlinge seit lange,

Kehrten schüchtern heute wieder

Auf die freudenhelle Wange.

 

Nach dem hohen Felsenhause,

Das nun wieder wüst und einsam,

Wandeln Klara, ihre Mutter

Und Johannes froh gemeinsam.

 

Selbst die rauhen, öden Klippen

Hält die Freude jetzt umschlungen;

Nur wie leichte Nebel schleichen

Durchs Gestein Erinnerungen.

 

Als sie treten in das düstre

Und verhängnisvolle Zimmer,

Treffen die erstaunten Frauen

Kruzifix und Kerzenschimmer.

 

Und dem Priester, der sie grüßet,

Harrt am Munde schon der Segen;

Auch der alte treue Marko

Eilt der Jungfrau froh entgegen. –

 

Klara trug das goldne Ringlein

Auf der stillen Herzenswunde,

Das ihr scheidend einst gegeben

Johann in der bangen Stunde.

 

Den Smaragd am Ringe damals

Sah das Volk gar hell erglänzen,

Mit prophetischem Gemahnen

An das Grün von Myrtenkränzen.

 

Die Marionetten

 

Nachtstück

Erster Gesang

Der Gang zum Eremiten

 

Grau düstre Felsen sah ich trotzig ragen

Aus eines Tales stillen Finsternissen,

Als wollten kühn den Himmel sie verjagen,

Dem sie den Schleier vom Gesicht gerissen.

Abgründe, ihre Riesengräber, lauern

In sicherer Geduld zu ihren Füßen.

Kein Vogelsang, kein Bach, kein Waldesschauern;

Kein Klageton entfährt dem finstern Tale;

Nur stummes, unermeßlich wildes Trauern.

Einsam verkümmert steht der Strauch, der kahle,

Hat Regen nur und Sturm und Frost erlebt,

Stirbt ungeliebt vom süßen Sonnenstrahle.

An seinen Ästen, windgefächelt, bebt

Die Wolle eines Lamms in stummer Klage,

Und des zerrißnen Blut am Boden klebt.

Dort fliegt mit leisem, sattem Flügelschlage

Ein Geier seinem Felsenhorste zu.

Auf grüner Trift, erquickt vom Sommertage,

Schuldloses Lamm, wie fröhlich irrtest du

Mit deiner Weide friedlichen Genossen,

Indes auf dich aus heitrer Lüfte Ruh

Vormordend Geierblicke niederschossen!

Der Geier, stürzend sich in seinen Blick,

Kommt plötzlich auf das Lamm herabgestoßen

Und reißt es fort aus seinem Jugendglück.

Hoch über Wälder, Tale, Felsenriffe

Fliegt er damit in seine Nacht zurück.

Es zittert, wimmert; doch mit festrem Griffe

Umklammert ers, ob sich am Angstgeschrei

Die scharfe Gier des Mörders schärfer schliffe. –

Nun drang ich tiefer, an dem Strauch vorbei,

Und wilder immer ward des Tales Grund,

Die dunkle Wiege der Melancholei.

Da bricht aus dornumstarrtem Felsenmund

Ein Quell hervor, die bange Ruh zu stören,

Und braust hinunter in den offnen Schlund.

Unheimlich ist und grausenvoll zu hören

Das hohle Tosen in den Steinverliesen,

Wo murmelnd Nacht und Tod sich Treue schwören.

Wie, trauernd nach verlernen Paradiesen,

Des Freundes Haupt ans Herz des Freundes fällt,

Umarmen sich die ernsten Felsenriesen.

Und weiter drang ich, – dämmerlich erhellt

War mir die Schlucht; es fiel ein leiser Regen;

Der Himmel Blitze durch die Felsen schnellt',

Und fernher klangs von dumpfen Donnerschlägen.

Gar seltsam bleich erschien mir das Gesicht

Des Eremiten, der mir trat entgegen.

Es wankt um ihn ein zweifelhaftes Licht;

Der Sturm ist laut und plötzlich aufgefahren,

Wie, wer verschlafen, schnell vom Lager bricht.

Er faßt den Alten an den grauen Haaren;

Der aber schreitet durch des Sturmes Macht,

Uneingedenk der Wetter und Gefahren.

Bald ist er mir begraben von der Nacht,

Bald wieder glüht er auf im Wetterschein,

Als hätt ihn hell der Windstoß angefacht.

Nun schritt er näher und gewahrte mein

Und hieß mich froh mit gastlich mildem Worte

In seinen Wildnissen willkommen sein.

Und durch des Klippentals geheimste Orte,

Durch des Gewitters wachsendes Gebrause,

Führt' er mich fort zu einer schmalen Pforte

Und grüßte mich in seiner öden Klause.

Zweiter Gesang

 

Lorenzo

 

Der Sturm verstummte, die Gewitter schwiegen,

Das volle Mondlicht hatte sich ergossen,

Beruhigend sich an das Tal zu schmiegen.

Ich saß mit meinem wirtlichen Genossen

Beim Abendmahl; da hob er seinen Wein,

Mich feierlich einladend, anzustoßen.

Ein Frauenbild, erhellt von Lampenschein,

Hing an der Wand, umhüllt von schwarzem Flor:

Drauf wies er hin und sprach: »Ich denke dein!«

Und plötzlich stürzten Tränen ihm hervor.

Auf seinen Zügen lag ein tiefes Leid,

Wie er im teuren Bilde sich verlor.

Ich tat aufs Wohl der Toten ihm Bescheid,

Und als ich anstieß mit dem trüben Zecher,

Da hatte heimlich mir die Ewigkeit

Von ihrem Ernst geträufelt in den Becher.

Der Eremit begann mit scheuem Munde

Von einer schwarzen Tat und ihrem Rächer

Zu geben mir die schaudervolle Kunde.

Und wie er ins vergangne Leben schied,

Riß er die Zeit von jeder Herzenswunde. –

– Du, Gott des Schmerzes, rüste du mein Lied

Und wappne mich auf den verwegnen Gang

Durchs ungeheuer nächtliche Gebiet.

Gib mir ein wildes Herz, daß mein Gesang

Auf seiner Bahn vor Schreck nicht sterben dürfe;

Gib mir ein Herz, das lauten Wetterklang

Wie süße Nachtigallenlieder schlürfe!

Und wenn ins Tal mit grimmigem Frohlocken

Die Stürme werfen ihre Donnerwürfe,

Daß Wald und Fels herunterbricht erschrocken:

Dem Herzen sei's schwermütiges Behagen,

Wie Niedersäuseln welker Blütenflocken! –

»Graf Robert sehnte sich nach stillen Tagen.

Er hatte viel sich durch die Welt getrieben,

Des Lebens manchen heißen Kampf geschlagen.

Im Herbst der Tage schwanden ihm die Lieben;

Da wird die Freudenflur so still, so leer!

Wohl dir, ist dann ein Kind dir noch geblieben;

Dir fallen leiser dann und minder schwer

Des Alters unvermeidlich bittre Lose,

Dir weht es milder von den Gräbern her!

Roberto klagt an manchen Hügels Moose,

Trübhadernd mit den räuberischen Jahren:

Nun hing sein Herz an seiner letzten Rose.

Geschieden von der Welt bewegten Scharen

Hat sich sein Herz, das nur den Frieden sucht,

Des Glückes letzte Spur sich zu bewahren.

Er zog mit seinem Kind in diese Schlucht;

Maria tat in ihrer Morgenblüte

Der Einsamkeit entsagungsvolle Flucht.

An Schönheit wunderbar, an tiefer Güte,

War selige Genüg ihr stilles Leben,

Daß sie den Abend ihres Vaters hüte.

Auf jenen Felsen, die am höchsten streben,

Stand ihm sein Ahnenschloß, seit lange wüste,

Wehrlos dem Sturz der Zeiten hingegeben;

Von wannen einst in kriegrischem Gelüste

Der Ritter brausen ließ die blutgen Fahnen,

Wo man den Freund mit Wein und Sang begrüßte.

Dahin, von seinen sturmbewegten Bahnen,

Trieb ihn die Sehnsucht, nach den Tannenhainen,

Zur längst verglühten Asche seiner Ahnen.

›Dort will ich meine letzte Träne weinen

Dem treuen Weib; dort wird dem Tode mild

Des Kindes Lieb ins finstre Antlitz scheinen!‹

So malte sich sein Herz des Schicksals Bild,

Als mit Marien er die alten Mauern

Bezog in diesem einsamen Gefild.« –

Nun schwieg der Eremit und sank mit Schauern

Zurück in der Erinnrung dunkle Nächte;

Bis wieder er begann mit tiefem Trauern:

»Ich war ein Jüngling, würdigem Geschlechte

Entsprossen, mit dem tapfern alten Grafen

Zurückgekehrt aus rühmlichem Gefechte,

Als mich die Blicke seiner Tochter trafen

Und mich durchdrangen mit so heißen Wunden,

Die nur mit meinem letzten Hauch entschlafen.

Hab ich auch Liebe nicht bei ihr gefunden,

Blieb doch seit jenem süßen Augenblick

Der Wunsch, je zu genesen, überwunden.

Roberto, gönnend mir ein froh Geschick,

Erhoffte von der leisen Macht der Tage,

Daß sich ihr Herz noch neige meinem Glück,

Und daß ich nicht dem Waffenfreund versage,

Zu folgen ihm auf seiner Väter Schloß.

Ich folgte trauernd, aber ohne Klage.

Wenn ich die Näh der Himmlischen genoß,

Der Wimper keine Bettlerin entschlich,

Was ich an Tränen einsam auch vergoß.

Ein schnelles Jahr voll bittrer Wonn entwich,

Umsonst hat sie mein stummer Schmerz beschworen;

Mir sprach kein Hauch, kein Blick: ich liebe dich!

Das Los hatt einen andern ihr erkoren,

Der wie ein Sturm ihr junges Herz bezwang,

An den sie Herz und all ihr Glück verloren. –

Einst saßen wir am steilen Felsenhang

Vor dem Ruinenschloß und überließen

Nachsinnend uns dem Sonnenuntergang.

Dort sah ich ganz die Rose sich erschließen:

Marias offnes Auge, tief und klar,

Schien Seelen in den Abend auszugießen;

Die leisen Winde küßten ihr das Haar,

Auf ihren Busen kamen, sich zu wiegen,

Die Purpurstrahlen hell und wunderbar;

Der Himmel schien am Halse ihr zu liegen.

Ich aber wünscht, es möchte meine Seele

In solchem Anblick sterben und versiegen.

Und ich begann, daß ich mein Leid verhehle,

Zu singen mit Robert, dem Mann der Waffen,

Ein altes Reiterlied aus voller Kehle.

Da stört' uns plötzlich lautes Hundeklaffen;

Zwei Doggen kamen schnell heraufgesprungen,

Als wollten sie dem Wind ein Wild entraffen,

Und hinterdrein, von Fels zu Fels geschwungen,

Mit stolzem Wuchs, weidmännisch angetan,

Die Faust ums schlanke Feuerrohr geschlungen,

Kam rasch und kühn ein Mann den Berg heran.

Und mich erfaßt' ein sonderbar Gefühl,

Als ich ihn sah mit leichtem Gruße nahn:

Die Stirne brütend und gewitterschwül,

Die Augen zwei gefangne Blitze brennen;

Doch lag es um die Lippen ihm so kühl,

Ein Rätsel, unerfreulich zu erkennen.

Die Blässe sprach: dies Herz hat keinen Frieden;

Unheimlich schön war die Gestalt zu nennen.

Ob auch Marias Blicke ihn vermieden,

Ich sah des Vaters Hand sie zitternd fassen;

Auf immer war die Ruh von ihr geschieden,

Ich sah ihr wechselnd Glühen und Erblassen;

Und ich empfand in meines Herzens Grunde

Zu jenem Fremden ahnungsvolles Hassen.

Ich will vollenden dir die trübe Kunde;

Doch vor Marias teurem Bilde nicht.

Komm, folge mir in dieser stillen Stunde!«

So sprach der Eremit und nahm ein Licht,

Und ernst verließen wir das öde Haus;

Er sah mir recht bekümmert ins Gesicht

Und wies mir in die dunkle Nacht hinaus.

Dritter Gesang

 

Antonio

 

Der Klausner trug die leuchtende Laterne.

Fort war der Mond; aus finstern Wolken glommen

Nur matt und scheu hervor die seltnen Sterne.

Mich aber hatte plötzlich überkommen

Die große Wehmut der Vergangenheit.

Ich tat dem Alten schweigend und beklommen

Durch seinen dunklen Garten das Geleit.

Ich dachte traurig an so manches Grab,

Und allen Toten war mein Herz geweiht.

Auch die Natur, die nächtlich stille, gab

Gedankenvoller Wehmut sich zu eigen;

Nach dem Gewitter tropft' es noch herab

Wie weinendes Erinnern von den Zweigen.

So mochten wir wohl eine Stunde ziehn

Durch Fels und Wald mit ungebrochnem Schweigen.

Wir sahn die Wolken kommen und entfliehn,

Den Mond verhüllen bald und wiedergeben.

Drauf wies der Alte sinnig deutend hin,

Und endlich sprach er: »Dort am Fels erheben

Die Mauern sich vom alten Grafenschloß;

Dort wollen wir den Rest der Nacht verleben!«

Und schneller schritt mein leitender Genoß

Den Bergpfad mir voran im Mondenscheine,

Der wie versöhnend die Ruin umfloß.

»Hier«, – fuhr der Alte fort – »an diesem Steine,

Hier saß Maria, ich vergeß es nimmer,

Die schöne Jungfrau noch, die himmlisch reine,

Umspielt vom linden West, vom Abendschimmer.

Hier stand vor ihr der falsche Bösewicht,

Der lächelnd sie zerbrach in kalte Trümmer.

O Maienluft! o helles Abendlicht!

Warum habt ihr das arme Kind verraten,

Da ihr geschmeichelt um ihr Angesicht,

Daß ihre tiefsten Blicke auf sich taten,

Daß ihre Reize all, von euch betrogen,

Unselig siegreich auf die Wange traten!

Wie heiß Lorenzos Blicke sie umflogen!

Und, schwelgend in der Blüte vollem Prangen,

Den holden Reichtum trunkenhaft erwogen!

Wie zauberisch Lorenzos Lippen klangen!

Bald süß und weich die weltgeschliffnen Worte,

Bald kühn und kräftig auf den Hörer drangen,

Womit er leicht ein junges Herz durchbohrte!

Den Vater auch bezwang der Rede Kraft

Und brach zu seiner Gunst die letzte Pforte.

Mir ward Robertos Schloß zur Kerkerhaft;

Ich stieg zu Roß in selber Nacht und sprengte

Von dannen schnell mit meiner Leidenschaft.

Doch ob ich auch mich in die Schlachten mengte,

Ich konnte nicht die Glut im Herzen mildern,

Die heimlich und unlöschbar mich versengte.

Lang kämpft ich mit des Zweifels schwanken Bildern,

Bis aus der Heimat mir ein Bote kam,

Die traurige Gewißheit mir zu schildern:

Wie der Verführer frech und ohne Scham

Gar bald die Eide brach, die er geschworen:

Lorenzo floh; Maria starb vor Gram.

Wie bitter schwer Roberto sie verloren,

Und wie in ihm der Liebe letzter Funken

An seines Kindes kalter Leich erfroren;

Und wie sein Blick, ins tote Kind versunken,

Schmerzlich ergründet, was man ihm geraubt,

Und sich mit wilder Rache voll getrunken.

Die Nacht des Wahnsinns schlug sich um sein Haupt;

Sie trieb ihn fort und fort nach allen Winden

Rastlos, wie durch den Wald der Jäger schnaubt.

Doch sah er stets die blutge Hoffnung schwinden;

Durch Land und Meer trieb ihn der Rache Qual,

Er konnte nicht die Spur Lorenzos finden.

Da fuhr ihm plötzlich, wie ein Wetterstrahl,

Prophetisch durch der Seele Finsternis

Die Sehnsucht nach dem fernen Felsental;

Und was ihn erst in alle Fernen riß,

Nun zwang es ihn zurück in diese Räume,

Als wäre hier sein Opfer ihm gewiß.

Hier träumt' er immer wilder seine Träume,

Die rings umher getreue Freunde hatten:

Ruinen, Gräber, finstre Tannenbäume.

Wie auf der Wüste, dürr und ohne Schatten,

Wenn sie den Tag um dunkle Nacht vertauscht,

Der Wandrer sinkt in durstendem Ermatten,

Einschläft und träumt, daß ihm die Quelle rauscht;

Vom Sand empor dann fährt der Frohbetörte,

Und in die Nacht, die dunkle, stille, lauscht:

So wars Robert, wenns ihn vom Schlaf empörte,

Als ob er aus Lorenzos Busen noch

Die heißersehnte Quelle rieseln hörte.

Wenn dann das schwarze Traumbild sich verkroch,

Wie glühend quält' es ihn, zu hören nur

Des eignen Herzens einsames Gepoch!

Oft wenn er so empor vom Lager fuhr,

Erweckt' er seine alten treuen Knechte

Und schwor mit ihnen seinen Racheschwur.

Auch trieb er oft mit ihnen lange Nächte

Ein närrisch Puppenspiel, worein er trug

Wahrheit und Traum in grausigem Geflechte.

Die Puppen mußten spielen Zug für Zug

Viel längstvergangne traurige Geschichten,

Nachtappen seinem wilden Geistesflug;

Doch immer war das Spiel ein Klagen, Richten:

Unheimlich kindisch war des Alten Drang,

Auch nur im Bild Lorenzo zu vernichten.

So lebte Robert manche Jahre lang;

Von allen Wandrern, die das Tal betreten,

Tat keiner nach dem Schlosse mehr den Gang.

Doch kam ein Abend: Maienlüfte wehten,

Es ruhte auf dem alten Schloßgestein

Der Strahl, wie einst, mit rötlichem Verspäten.

Roberto saß betrübt im Abendschein,

Und sinnend sank das Haupt ihm, das ergraute,

Und hüllte ins Vergangne ganz sich ein.

Wie er nun klar sein Kind Maria schaute,

Und wie sein starrer Blick leibhaft vor sich

Das Bild Lorenzos in die Dämmrung baute:

Da schallten Tritte und – sein Traum entwich –

Ein junger Mann nun plötzlich vor ihm stand,

Der wunderbar genau Lorenzo glich.

Es war Lorenzos Sohn. Aus fernem Land

War er gefolgt dem dunklen Trieb zu reisen,

Bis sich sein Pfad in diese Täler wand

Und ihn mit Lockungen, mit holden, leisen,

Verführte schlangenhaft in diese Schluchten,

Nach des Verhängnisses geheimen Kreisen.

›Halloh! nun endlich hab ich dich, Verfluchten!‹

So rief Robert, sprang auf und hielt ihn fest;

›Gelüstet dich nach meinem Kind, Verruchten?

Stahlst du nicht frevelnd mir den letzten Rest?

Lorenzo, hab für dich kein Opfer mehr!

Maria ist von deinem Kuß verwest!‹

Und riesenkräftig schleift er ihn einher.

Was ihm an Kraft geschwunden mit den Jahren,

Beschwor die Wut zu schneller Wiederkehr.

Mit Flammenaugen, weißen Flatterhaaren,

Ist er mit ihm zu jenes Turmes Türe,

Ein Rachedämon, brausend hingefahren.

Umsonst beteuerten Antonios Schwüre,

Es sei Lorenzos vorwurfsloser Sohn,

Um den er seine Eisenkette schnüre;

Und seiner Knechte Wort klang ihm wie Hohn,

Daß welk und grau ja längst Lorenzo sei,

Da dreißig Jahre schon nach ihm entflohn.

Dem Wahnsinn war das Alte nicht vorbei:

Lorenzos Züge waren mit den Zeiten

Gealtert nicht in seiner Phantasei.

Und in des Turmes finstern Einsamkeiten,

War nun Antonios schrecklich Los, zu schmachten,

Zu hören stets die Todesstunde schreiten.

Roberto säumte noch ihn hinzuschlachten:

›Bis seinen Lauf der bleiche Mond vollendet,

Soll dich die feste Kerkerwand umnachten.

Die Frist sei dir Verbrecher noch gespendet,

Auf daß auch dich dein Vater sterben sehe!‹

Und in die Ferne ward ein Brief gesendet.

Lorenzo ahnte nicht des Schicksals Nähe.

Schon war verschlummert seine Jugendsünde,

Sein Herz erwarmet in beglückter Ehe:

Da kam das Schreckensblatt von seinem Kinde;

Da brach er auf und flog mit Sturmeseile,

Daß er Antonio noch lebendig finde,

Daß er des Wahnsinns blutgen Irrtum heile

Und das schuldlose Opfer schnell erlöse;

Wo nicht, den Tod mit seinem Sohne teile.

Wohl mahnte laut sein Herz ihn an das Böse

Der Jugendschuld, als er dem Schloß genaht,

Mit des Gewissens hämmerndem Getöse;

Wohl trieb er seinen Witz nach klugem Rat,

Wie er den Sohn entreiße der Gefahr

Und selber nicht bezahle seine Tat.

Ihm folgte schützend eine Waffenschar

Zum Schlosse, das ihm schon entgegendrohte,

Rauh, wie der Rache türmender Altar.

Durch Nebel taucht' empor das blutigrote

Antlitz des Mondes am bewegten Himmel,

Der schreckensvollen Nacht ein ernster Bote.

Der Wolken trübweissagendes Gewimmel

Flog unstet übers Tal, die Winde trugen

Herüber fernen Donners dumpf Getümmel:

Als an das Grafenschloß die Wandrer schlugen

Und bald darauf das Tor, das langentwöhnte,

Einlaß gewährend knarrt in seinen Fugen.

Ihr scheuer Tritt im öden Burghof tönte,

Wo alles einsam, still und finster lag,

Durchs hohe Gras allein der Windhauch stöhnte.

Die Waffenknechte lauschten stumm und zag;

Lorenzo hört des Busens alten Wächter

Stets lauter mit erinnrungsvollem Schlag,

Und ihn ergriff, wie die gedungnen Fechter,

Ein Grauen: plötzlich aus des Schlosses Tiefen

Schnitt durch die Nacht ein höhnisches Gelächter

Dann todesstill; – dann wirre Stimmen riefen.

Schon sah Lorenzo, dem der Mut zerbrach,

Die Nacht vom Blute seines Kindes triefen.

Und zaudernd schritten sie dem Laute nach,

Und über Treppen, dunkle Hallengänge,

Betraten sie ein dämmerndes Gemach.

Hier sahn sie das phantastische Gepränge

Der wunderlichen Marionettenbühne;

Hier lernten sie verstehn die krausen Klänge.

Soeben eifert der wahnwitzig kühne

Poet, daß er auch strafe die Betörung

An seinem Helden und das Schicksal sühne:

Und mit den Worten innigster Empörung

Empfing den Todesstreich Lorenzos Puppe.

Jetzt fuhr der Alte auf, entzückt der Störung:

›Ihr Herren, wie behagt euch diese Gruppe?

Soll wiederholet werden euch zu Ehren

Von meinem tüchtigsten Schauspielertruppe!

Ich kenn euch wohl und euer heiß Begehren:

Doch wollet nur indes Gedulden tragen

Und lustig erst den Willkommsbecher leeren!‹

Der Vorhang fiel; doch wollte nicht behagen

Der Becher, den Robertos Knechte reichten,

Bis wieder ward der Vorhang aufgeschlagen.

Bei einer Dämmerlampe trübem Leuchten

Begannen ihren Tanz die Marionetten;

Doch schrecklich, daß die Gäste dran erbleichten,

Denn plötzlich schauten sie, geschleift an Ketten,

Verhöhnt von Roberts tragischem Sermon,

Mit plumpem Tritt – Antonios Leiche treten.

Lorenzo starb vor Schreck an seinem Sohn;

Die Knechte hüllten schreiend ihr Gesicht,

Und mit Entsetzen stürzten sie davon.« –

So weit des Klausners nächtlicher Bericht.

Und ich erwacht an eines Baches Rand,

Als durch die Felsen drang das Morgenlicht,

Nachsinnend, wo der Eremit verschwand;

Ob Wahrheit, was nun meine Sinne mied,

Ob eines bösen Traumes wilder Tand? –

Und als ich aus dem Klippentale schied,

Sah wieder ich des Lammes Wolle beben

Am Strauche, den die Sonne ewig flieht,

Im Hintergrund den stillen Geier schweben.

 

Vermischte Gedichte

 

Neue Folge

Lass mich ziehn!

Ich bin kein Freund von Sterbensehen;

Wenn deine Liebe soll vergehen,

So sterbe sie allein; ich will

Mit meiner sein allein und still.

 

Gedächtnis weiß getreu von Jahren

Die Liebeszeichen zu bewahren;

Wenn eins dir nach dem andern weicht,

Seh ich, wie Tod dein Herz beschleicht.

 

Du merkst es nicht, viel ist geblieben;

O Gott! es war ein reiches Lieben;

Viel hat der Tod zu knicken doch,

Bis alles aus; er knickt es noch.

 

Du merkst es nicht; mein sind die Schmerzen;

Doch leichter wird es deinem Herzen,

Da du von mir dich scheidest los,

Denn Lieben ist ein banges Los.

 

Wie Tod sich mag mit Liebe messen,

Bei dir, die ich nicht kann vergessen,

Will ichs nicht schaun, wenn ichs auch seh

Im Schmerze, daß allein ich steh.

 

Gut ists, vors Aug die Hände schlagen,

Ist nicht ein Anblick zu ertragen;

O könnte so das Herz dem Licht

Entfliehn beim Anblick, der es bricht!

 

Ich glaub es nicht, daß deiner Seele,

Der schönsten, ewge Liebe fehle;

Doch traur ich, bis die Gruft mich deckt,

Daß meine Lieb sie nicht geweckt.

Zweifel und Ruhe

 

Der Mensch auf halbem Weg entschlief

Im Schatten eines alten Baumes,

In Banden eines süßen Traumes,

Schlief manche Wanderstunde, tief.

Das Laub des Baumes rauschte mild

Und bat den Schlaf: o bleibe lang!

Zum Traume sprach der Vögel Sang:

O male fort dein buntes Bild;

Daß uns der Schläfer nicht erwache,

Er weile unter diesem Dache!

 

Da kam der Zweifel, ihn zu wecken;

Er klopft ihm auf die Schulter sacht

Und spricht: steh auf, bevor es Nacht,

Zum Ziele sind noch weite Strecken.

Ich bin dein Freund, ein rauher zwar,

Doch treu, und warne vor Gefahr.

 

Er führt ihn fort durch stille Heiden,

Wo Lust und Zier des Lebens scheiden,

Natur blüht abseit seinem Herzen,

Ihn fassen unversöhnte Schmerzen.

Wie sonst vom stillen Heideland

Der Wandrer Vögel scheucht empor,

So rauscht ihm an des Zweifels Hand

Von Fragen auf ein wilder Chor,

Die schreiend fort zur Ferne dringen,

Doch Antwort nicht zurück ihm bringen.

Dann wird es öder, stiller immer,

Dämmrung versagt den letzten Schimmer;

Der Wandrer schreitet trüb und sacht

Mit seinem Führer durch die Nacht.

 

Doch wenn ihm auf dem Gang nicht graut,

Und wenn er kräftig horcht und schaut

In seines Herzens tiefsten Grund,

So wird ihm hier der Himmel kund.

Da unten strömt der ewge Quell,

Da klingt es hold, da strahlt es hell,

Er schaut den Brunnen und das Meer

Und fragt nicht mehr: wohin? woher?

Mein Herz

 

Schlaflose Nacht, der Regen rauscht,

Sehr wach ist mir das Herz und lauscht

Zurück bald nach vergangnen Zeiten,

Bald horcht es, wie die künftgen schreiten.

 

O Herz, dein Lauschen ist nicht gut;

Sei ewig, Herz, und hochgemut!

Da hinten ruft so manche Klage,

Und vorwärts zittert manche Frage.

 

Wohlan! was sterblich war, sei tot!

Naht Sturm! wohlan! – wie einst das Boot

Mit Christus Stürme nicht zerschellten,

So ruht in dir der Herr der Welten.

Lenz

 

Die Bäume blühn,

Die Vöglein singen,

Die Wiesen bringen

Ihr erstes Grün.

 

Schier tuts mir leid,

Zu treten die Erden

Und ihr zu gefährden

Ihr neues Kleid.

 

Sie hat nicht acht,

Ob Knospenspringen

Und Frühlingssingen

Mich traurig macht.

Das Kreuz

 

Ich seh ein Kreuz dort ohne Heiland ragen,

Als hätte dieses kalte Herbsteswetter,

Das stürmend von den Bäumen weht die Blätter,

Das Gottesbild vom Stamme fortgetragen.

 

Soll ich dafür den Gram, in tausend Zügen

Rings ausgebreitet, in ein Bildnis kleiden?

Soll die Natur ich und ihr Todesleiden

Dort an des Kreuzes leere Stätte fügen?

Nüchterner Blick

 

Im Grund begraben wird hier, dort gefunden

Vergangner Pflanzen steingewordne Spur,

Gebein von Tierart, die vorlängst entschwunden,

Die abgelegten Kleider der Natur.

Und wollt ihr dann in staunenden Gedanken

Die Gliedermassen euch zusammenfügen,

Sinds Riesen, überragend alle Schranken,

Ihr schaut Urwelt in großen Schreckenszügen.

Der Riese wandelt – und es bebt der Grund;

Er zürnt – sein Sturmesodem glüht und qualmt,

Von seinem Tritt wird jeder Feind zermalmt;

Wie freut ihr euch, daß tot der große Fund!

So dünkt euch schier des Mittelalters Glaube

Ein Ungetüm, das einst von Land zu Land

Verheerend zog und von der Erde schwand;

Ihr wünscht dem Tode Glück zu seinem Raube.

Doch stehn, von allen Stürmen unerschüttert,

Die Münster da, der klugen Zeit ein Grauen,

Wie hohe Felsenkrippen anzuschauen,

Wo jenes Ungeheuer ward gefüttert.

Einem Autographensammler

 

Fährtenkundig, kennt der schlaue

Jäger aus der Spur im Schnee

Von dem Hirsche, Wolf und Reh

Die verräterische Klaue.

 

Ja! das Pedeskript des Wildes

Gibt ihm auf dem weißen Grund

Auch des Tieres Größe kund

Im Kontur des Klauenbildes.

 

Aus dem Schnitt der Fährtenränder

Weiß der Weidmann scharf genau,

Wer gewandelt durch die Au:

Spießer oder Sechzehnender.

 

Meinst du, Autographenheger,

Daß dein Blick in dieser Schrift

Spuren meines Geistes trifft,

Wie das Wild beschleicht der Jäger?

Der Räuber im Bakony

 

Der Eichenwald im Winde rauscht,

Im Schatten still der Räuber lauscht,

Ob nicht ein Wagen auf der Bahn

Fern rollt heran.

 

Der Räuber ist ein Schweinehirt,

Die Herde grunzend wühlt und irrt

Im Wald herum, der Räuber steht

Am Baum und späht.

 

Er hält den Stock mit scharfem Beil

In brauner Faust, den Todeskeil;

Worauf der Hirt im Wurfe schnellt

Sein Beil, das fällt.

 

Wählt aus der Herd er sich ein Stück,

So fliegt die Hacke ins Genick,

Und lautlos sinkt der Eichelmast

Entseelter Gast.

 

Und ists ein Mensch mit Geld und Gut,

So meint der Hirt: es ist sein Blut

Nicht anders, auch nur rot und warm,

Und ich bin arm.

Das Dilemma

 

Er streckt dir sein Dilemma stracks entgegen;

Ists eine Gabel, logisch mich zu spießen?

Sinds Arme zwei, die Wahrheit einzuschließen? –

So zweifelst du, verschüchtert und verlegen.

 

Mich aber mahnt der Zweizack dieses Weisen

An eine Fahrt auf mondbestrahlten Bahnen;

Ein Fuhrwerk wars, wie bei den Altgermanen

Ein schlichter König pflegt' umherzureisen.

 

Sacht ging es fort auf heugewohntem Wagen,

Der Bauer ließ die Ochsen langsam schreiten;

Die Nacht ist schön, und durch die Seele gleiten

Die Bilder mit idyllischem Behagen.

 

Ha! zwischen des Gespannes Hörnern leuchtet

Das Horn des Mondes, scheinbar eingefangen,

Wie zwischen des Dilemmas beiden Stangen

Ein Himmelslicht dir eingeschlossen deuchtet.

Einem Freunde

 

Spät hab ich dich gefunden

Und muß das Los beklagen,

Das nicht in Jugendtagen

Mein Herz an deins gebunden.

 

Verklungen sind die Feste,

Die Jugendträume ferne;

Wie hält ich sie so gerne

Mit dir geteilt, das Beste!

 

Und könnt uns nicht vereinen

Der Lenz in seinen Blüten,

So wills der Herbst vergüten

In seinen welken Hainen.

 

Der Luft entblätternd Wehen,

Der Himmel, kühler, trüber,

Macht, daß wir nicht vorüber

Am warmen Herzen gehen.

Auf eine holländische Landschaft

 

Müde schleichen hier die Bäche,

Nicht ein Lüftchen hörst du wallen,

Die entfärbten Blätter fallen

Still zu Grund, vor Alterschwäche.

 

Krähen, kaum die Schwingen regend,

Streichen langsam; dort am Hügel

Läßt die Windmühl ruhn die Flügel;

Ach, wie schläfrig ist die Gegend!

 

Lenz und Sommer sind verflogen;

Dort das Hüttlein, ob es trutze,

Blickt nicht aus, die Strohkapuze

Tief ins Aug herabgezogen.

 

Schlummernd, oder träge sinnend,

Ruht der Hirt bei seinen Schafen.

Die Natur, Herbstnebel spinnend,

Scheint am Rocken eingeschlafen.

Die Korybanten

 

Betäubendes Erzgerassel,

Und sprühendes Feuergeprassel,

Hoch kommen die Dämpfe geschnoben

Vom rollenden Opferherde

Der alten Göttin Erde,

Und ihre Priester – sie toben.

 

Wie einst sich selber entmannten

Berauschte Korybanten

In rasenden Lustgetümmeln,

So toben, mit Wut geschlagen,

Erdpriester in unsern Tagen,

Bis sie sich geistig verstümmeln.

 

Als Rhea gebar den Kroniden

Für Hellas zum Heil und Frieden,

Erhoben ein Rauschen und Klingen

Des Kronos kecke Betäuber,

Daß der Götter Vater und Räuber

Das Zeuskind nicht möge verschlingen.

 

Drum geht im greulichen Lärme

Entbrannter Kuretenschwärme

Der Mut mir nimmer verloren;

Es wird bei diesem Geschmetter

Für uns der olympische Retter,

Der neue Gott geboren.

 

 

Drittes Buch

 

Gestalten

Der ewige Jude

Ich irrt allein in einem öden Tale,

Von Klippenkalk umstarrt, von dunklen Föhren;

Es war kein Laut im Hochgebirg zu hören,

Stumm rang die Nacht mit letztem Sonnenstrahle.

 

Für ernste Wandrer ließ die Urwelt liegen

In diesem Tal versteinert ihre Träume;

Dort sah ich einen Geier durch die Bäume

Wie einen stillen Todsgedanken fliegen.

 

Nun kam ein Regen; daß der Himmel weine,

Erkennt das Herz an kahlen Felsenriffen,

Wo es vom Regen traurig wird ergriffen,

Daß er nicht wecken kann die toten Steine.

 

So ruft umsonst ein Strom von heißen Tränen

Den Trümmern ausgetobter Leidenschaften:

Wach auf, blüh auf aus deinen Todeshaften,

O Liebe! süßes Quälen! Hoffen! Sehnen!

 

Das Erz nur kann ich aus den Schlacken zwingen,

Mit Lebensgluten es dem Tod entlocken

Und gießen zu lebendgen Liedesglocken,

Die, Wehmut weckend, durch die Welt erklingen.

 

»Dahin, dahin des Lebens helle Stunden!

Mir nachtets, Tal, wie dir! ich wollt, ich wäre

Versunken, ein mein Licht versank, im Meere!«

Ich riefs und ließ aufbluten meine Wunden.

 

Und heftger regnets; von erwachten Winden

Ward Wolk an Wolke brausend zugetragen;

Wie zu des Herzens jüngsten Tränen, Klagen

Sich alter Schmerzen ferne Quellen finden. –

 

Stets dunkler wards im Tale, lauter immer,

Sturzbäche durch die Felsengassen sprangen,

Es wimmerten die Winde, schluchtverfangen,

Und Donner schlug; – den Geier sah ich nimmer.

 

Wo war der Geier? wo der Todsgedanke?

Der Geier muß in einer Ritze ducken,

Solang die Klagen das Gebirg durchzucken;

Sein Leben fühlt und liebt im Schmerz der Kranke.

 

Nur Einem ist, ob schweigend oder stürmend,

Die Welt stets einerlei und stets zuwider,

Denn rastlos muß er wandern auf und nieder,

Jahrtausendhoch die Todeswünsche türmend. – –

 

Schon sucht ich in den Bergeseinsamkeiten

Ein Lager mir, da kam ein Rauch geflogen,

Als wär er gastlich nach mir ausgezogen,

Zur waldversteckten Hütte mich zu leiten.

 

Ich späht umher, bald sah ich Kerzenschimmer

Durch dunkle Tannen, hörte Menschenworte;

Bevor ich einschritt in die offne Pforte,

Blickt ich durchs Fenster in das niedre Zimmer.

 

Ein Greis, bemüht, die braunen Rückenhaare

Zu einem Gemsbart weidgerecht zu schlichten,

Saß schweigend und wie sinnend auf Geschichten

Und Jägerstreiche seiner rüstgen Jahre.

 

Hoch stand sein Sohn, vom Ruß die Büchse putzend

Mit Schultern, die den Hirsch bergüber trügen,

Mit scharfen und entschlußgewohnten Zügen,

Wie sie der Raubschütz hat, dem Tode trutzend.

 

Die Hausfrau stand am Herd, die Mahlzeit kochend,

Rief durch die Tür herein, daß sie bald fertig,

Denn ihre Kinder saßen schon gewärtig,

Mit froher Ungeduld am Tische pochend.

 

Und ich empfand, als ich das Bild betrachtet:

Ein Herz, das Lieb und Sorge dicht umhegen,

Ist glücklich; und ein Herz auf stolzen Wegen,

Auf Irrfahrt großer Wünsche – herb verschmachtet.

 

Der Hütte Not manch bunter Schmuck verhüllte;

Viel Heilgenbilder, Braut- und Taufgeschenke

Verzierten blank die Wände rings und Schränke,

Trinkgläser auch, vielleicht noch nie gefüllte.

 

Schön ist die Armut, wenn sie, keusch verhangen,

Im rohen Sturm als eine Jungfrau schreitet,

Die Hüllen sorglich um die Blößen breitet,

Den Feind besiegend mit verschämten Wangen. –

 

Eintrat ich in die Stube, froh willkommen,

Dem Wildrer gab ich ehrlich meine Rechte,

Ihn nicht zu liefern an des Forstes Mächte,

Und ward zu Herberg herzlich aufgenommen.

 

Die Wirte suchten ihren Gast zu ehren

Mit derber Kost, mit derben Jägerstücken,

Wie sie die Wächter und das Wild berücken,

Von Gemsen, wie sie fielen, Luchsen, Bären.

 

Der Schütze wies und pries mir seine Stutze,

Mit welchen schon sein Vater einst, der Alte,

Als frischer Jung in diesen Bergen knallte;

Mir wies die Frau, was sie besaß an Putze.

 

Sie ließ mir, kindlich, bunten Flitter schauen;

Doch mehr als Ringlein, Perlenschnur und Spangen,

Hielt eine Münze meinen Blick gefangen

Und traf mein Herz mit wunderlichem Grauen.

 

Die Münze bleiern sah so traurig blinkend,

Fast wie ein brechend Auge, das Gepräge

War Christus mit dem Kreuz am Leidenswege,

Nach Ruhe schmachtend und zusammensinkend.

 

Nie war ein Bild, gemalt vom heilgen Schmerze,

In all den reichen kunstgeschmückten Hallen

So klagend an die Seele mir gefallen,

Wie dieses Bild, geprägt im grauen Erze.

 

Nun schien der Mond herein; die Kinder schliefen,

Der Alte murmelte den Abendsegen,

Dann ward es still; vorbei war Sturm und Regen

Nur draußen hört ich noch die Tannen triefen.

 

Und als ich starrt aufs mondbestrahlte Bildnis,

Ward mir, ob sichs in meiner Hand belebe,

Als ob sein Geist mit mir von hinnen schwebe,

Ich war hinausentrückt zur Felsenwildnis.

 

Und Alpenlerchen hört ich jubelnd schmettern,

Und Adler sah ich steigen in die Lüfte,

Die scheue Gemse springen über Klüfte,

Den Jäger nach im Morgenrote klettern.

 

Die Büchse knallt, die Gemse stürzt vom Felsen,

Sie hört nicht mehr das Echo donnernd wandern

Von Berg zu Berg; doch hören es die andern

Und lauschen schreckhaft mit gespannten Hälsen.

 

Des toten Tieres zitternde Genossen

Stehn still, solang die Widerhalle dauern,

Sie hören Schüsse rings von allen Mauern,

Wohin sie flüchten sollen, unentschlossen;

 

Jetzt eilen sie windschnell davon und schwinden

Im Felsgeklüft; ob sie nur Angst durchzittert?

Daß man die Weide ihnen so verbittert,

Ob sie des Menschen Unrecht nicht empfinden?

 

Der Bock, den dieser Schuß herabgerissen

Vom Felsenhang, wo ihn sein Leben freute,

Hängt von des Jägers Schulter nun als Beute,

Hält in den Zähnen noch den Kräuterbissen.

 

Wie jetzt der Raubschütz auf geheimen Wegen

Mit seinem Raube will davon sich machen,

Hört ers Gerüll von schweren Tritten krachen,

Ihm kommt ein riesenhafter Greis entgegen.

 

Der Alte blickt aus dichten Augenbrauen,

Die Föhrenbüscheln, glutversengten, gleichen;

Der Urkalk rings scheint mit dem starren, bleichen

Antlitz des Manns aus einem Stück gehauen.

 

Er ruft dem Jäger: »Halt!« mit einer Stimme,

Daß lauter als zuvor die Berge schallen,

Daß fliehend vom Geklipp die Gemsen fallen,

Und seine Keule schwingt der Greis im Grimme.

 

Doch steht er fest im engen Schluchtenpfade

Und harrt mit hocherhobner Todeswaffe,

Daß der bestürzte Jäger auf sich raffe

Und seine ausgeschoßne Büchse lade.

 

Indes in seiner Rechten droht die Keule,

Reißt seine Linke von der Brust die Hülle,

»Schieß her!« ruft sein toddürstendes Gebrülle,

»Sonst stirb!« ruft sein todlechzendes Geheule.

 

Erstaunen und Entsetzen überschleiern

Des Jägers Blicke; doch die Büchse faßt er

Und schüttet Pulver, drückt darauf das Pflaster,

Und in den Lauf treibt er die Kugel bleiern.

 

Er zielt und schießt aufs Herz dem wilden Recken;

Doch wie geprallt an eine Felsenscheibe,

So klatscht die Kugel ab von seinem Leibe,

Den Jägersmann zu Boden wirft der Schrecken.

 

An ihm vorüber rauscht der grause Alte,

Den's weiter treibt, umsonst den Tod zu suchen;

Der Schütze hört noch lang sein fernes Fluchen,

Bis ihm der letzte Laut im Wind verhallte.

 

Der ewge Jude rief: »Nur ich von allen

Kann unglückselig nie die Ruhe finden!

O könnt ich sterben mit den Morgenwinden

Und wie mein Wehruf im Gebirg verhallen!

 

Ich bin mein Schatten, der mich überdauert!

Mein Widerhall, am Felsen festgenagelt!

Ein Halm, auf den es ewig niederhagelt!

Ein flüchtger Lichtstrahl, in den Stein gemauert!

 

Weh mir! ich kann des Bilds mich nicht entschlagen,

Wie er um kurze Rast so flehend blickte,

Der Todesmüde, Schmach- und Schmerzgeknickte,

Muß ewig ihn von meiner Hütte jagen!« – –

 

Und als es stille war im Felsenschlunde,

Erhob sich scheu und schlich zur grausen Stelle,

Wo seine Kugel traf, der Weidgeselle

Und nahm sein plattgequetschtes Blei vom Grunde.

 

Und zitternd kam er auf mich zugeschritten

Und reichte mir das Blei, ich nahms mit Grauen:

Zur Münze wars geprägt, auf der zu schauen

Des ewgen Juden Herzqual eingeschnitten.

 

Die Münze bleiern sah so traurig blinkend,

Fast wie ein brechend Auge, das Gepräge

War Christus mit dem Kreuz am Leidenswege,

Nach Ruhe schmachtend und zusammensinkend. –

 

Da weckten meine wirtlichen Genossen

Mit lautem Ruf zurück mich in das Zimmer,

Als ich erwacht, hielt meine Hand noch immer

Das Zauberbild, vom Mondenlicht umflossen.

Heloise

 

Im Klostergarten steht ein steinern Bild,

Ein Kruzifix so ernst, versöhnungsmild.

Oft in der Nacht, der ungestörten, späten,

Geht Schwester Heloise hin, zu beten.

Auch heute kniet sie dort am Marmorstamme

Und fleht um Kühlung ihrer Herzensflamme:

»O Gott! nachdem du hast für uns gelitten,

Geklagt, geweint, empfangen Todeswunden,

Wird unglückliche Liebe noch gefunden?

Hat sie nicht ausgeweint und ausgestritten?

Hilf! rette mich aus diesen Finsternissen

Der Zweifel, die mein blutend Herz umnachten!

Nach Ihm, nach Ihm nur muß ich ewig schmachten,

O Gott! hier liegt mein Herz vor dir zerrissen!

Umsonst, daß ich empfing den frommen Schleier,

Daß ich zum strengen Orden mich bekannte,

Noch immer seh ich meinen süßen Freier,

Wie er beim letzten Lebewohl sich wandte.

Du selbst hast ihn zum Gatten mir erkoren;

Oft, wenn ich Wort' und Küsse mit ihm tauschte,

War mir, ob Himmelsbeifall uns umrauschte;

Kannst du mich trösten, daß ich ihn verloren?

Du kannst es nicht, muß zitternd ich bekennen,

Ich sterbe hin in meiner Leidenschaft,

Es muß mein Herz mit seiner letzten Kraft,

Dir abgewandt, in dieser Glut verbrennen.

Und wenn ich das Verlerne und Versäumte,

Als hätt ich es, in süßen Nächten träumte,

Vergib, mein Gott! daß ich in meinen Schrecken,

Wenn kalt die Schwestern mich zur Hora wecken,

Nach Truggestalten strecke meine Hände,

Vergötternd mich zu meinen Träumen wende.

Verzeih, wenn ich oft knieend am Altare

Zu knieen mein' an meiner Freudenbahre,

Und daß in mir verlornes Mutterglück

Aufschreit: gib mir den Bräutigam zurück!

Im Mondlicht seh ich hier dein Antlitz schimmern,

Die Winde seufzen durch den Blütenstrauch;

Ich kam zu beten, doch im Windeshauch

Hör ich mein unempfangnes Kindlein wimmern.

Ich bin so arm, verlassen und beraubt,

Nichts kann ich mehr zum Opfer und Geschenke

Dir bringen, Gott! als daß mein müdes Haupt

Ich hier zu deinem heilgen Kreuze senke,

Daß ich die Wange kühl' an deinem Steine,

Wenn ich die Nacht um Abälard verweine.«

Der Schmetterling

 

Es irrt durch schwanke Wasserhügel

Im weiten, windbewegten Meer

Ein Schmetterling mit mattem Flügel

Und todesängstlich hin und her.

 

Ihn triebs vom trauten Blütenstrande

Zur Meeresfremde fern hinaus;

Vom scherzend holden Frühlingstande

Ins ernste, kalte Flutgebraus.

 

Auf glattgestreckte, sanfte Wogen

Hatt ihm das Meergras trügerisch

Viel schönre Wiesen hingelogen,

Wie westgeschaukelt, blumenfrisch.

 

Ihm war am Strand das leise Flüstern

Von West und Blüte nicht genug,

Es trieb hinaus ihn, wählig lüstern,

Zu wagen einen weitern Flug.

 

Kaum aber war vom Strand geflogen

Des Frühlings ungeduldges Kind:

Kam sausend hinter ihm gezogen

Und riß ihn fort der böse Wind;

 

Stets weiter fort von seines Lebens

Zu früh verlornem Heimatglück;

Der schwache Flattrer ringt vergebens

Nach dem verschmähten Strand zurück.

 

Von ihrem Schiffe Wandersleute

Mit wehmutsvollem Lächeln sehn

Die zierlich leichte Wellenbeute,

Den armen Schmetterling vergehn.

 

O Faust, o Faust, du Mann des Fluches!

Der arme Schmetterling bist du!

Inmitten Sturms und Wogenbruches

Wankst du dem Untergange zu.

 

Du wagtest, eh der Tod dich grüßte,

Vorflatternd dich ins Geistermeer;

Du gehst verloren in der Wüste,

Von wannen keine Wiederkehr.

 

Wohl schauen dich die Geisterscharen,

Erbarmen lächelnd deinem Leid;

Doch müssen sie vorüberfahren,

Fortsteuernd durch die Ewigkeit.

Auf meinen ausgebälgten Geier

 

1.

Du stehst so still und ernst, mein ausgebälgter Geier,

Ich bringe dir ein Lied mit meiner ernsten Leier.

 

Zwar hörst du nichts davon, dir geht mein Gruß verloren;

Doch Dichter sind gewohnt, zu singen toten Ohren.

 

Es lebt ja noch der Geist, der einst dir gab die Schwingen,

Den traf der Jäger nicht, er hört mein Lied erklingen.

 

Und wenn kein Menschenohr auch meinem Sange lauschte,

So hört mich doch der Geist, der mir das Herz berauschte.

 

Ich wollt, ich wäre jetzt in fernen Felsenklüften,

Und du hoch über mir, still kreisend in den Lüften;

 

Ich ließe froh mein Aug mit deinem Fluge schweifen,

Und wie du niederfährst, die Beute zu ergreifen;

 

Wie du, atmender Blitz, zu Boden niederzückest

Und mit den Krallen scharf ein warmes Leben pflückest;

 

Wie du das volle Herz ansetzest als ein Zecher,

Daß mit dem Leben trinkt der Tod aus einem Becher.

 

Traun! milder ist der Tod, trotz Blut und Jammerstimme

Wo heiße Lebenslust sich paart mit seinem Grimme,

 

Als wo kein Leben ist beim letzten Hauch zu sehen,

Wo still der Tod uns dünkt ein einsames Vergehen.

 

Ihr Weinenden am Sarg, an seinem dichten Schleier,

O kommt ins Felsental mit mir und meinem Geier!

 

O kommt, Unsterblichkeit will die Natur euch lehren,

Mit diesem Blute will sie trösten eure Zähren.

 

Im Kreischen dieses Aars, mags auch die Sinne stören,

Ist für die Seele doch ein süßer Klang zu hören.

 

Hier findet Trost ein Mann, ward ihm ein Glück zunichte,

Und näher tritt er hier dem Rätsel der Geschichte.

 

Der Geist, der heiß nach Blut hieß diesen Geier schmachten,

Es ist der starke Geist zugleich der Völkerschlachten;

 

Ein rasches Pochen ists, ein ungeduldigs Drängen

Der Seele, ihren Leib, den Kerker, aufzusprengen.

 

Den großen Kaiser hat einst dieser Geist durchdrungen,

Er hat ihm hoch sein Schwert zur Völkermahd geschwungen;

 

Dem Jäger, der als Wild die Menschheit trieb im Zorne

Durchs Dickicht seines Heers und Bajonettendorne;

 

Der, wie das Schicksal, fest beim Wehgeheul der Schmerzen,

Saatkörner seines Ruhms, warf Kugeln in die Herzen;

 

Und der auf Helena, wenn rings die Meerflut schäumte,

Beim Sturme sich zurück in seine Schlachten träumte. –

 

Mehr als ein blutger Tod macht es mein Herz erbeben,

Wenn unsichtbarer Hauch verweht ein Menschenleben;

 

Wenn übers Angesicht des Spiel vom letzten Schmerze

Hinzittert wie der Rauch der ausgelöschten Kerze.

 

Doch furchtbar ist der Tod, ein Grauen nicht zu zwingen,

Wenn eine Seuche kommt, die Völker zu verschlingen.

 

Der Kaiser liegt im Grab, die Menschen wollen Frieden,

Da ward nach lautem Schreck ein stiller herbeschieden.

 

Viel tausend Leben hat die Seuche fortgenommen,

Als hätte die Natur Verzweiflung überkommen,

 

Als wäre die Natur gejagt von einem Fluche,

Daß mit geheimem Gift den Selbstmord sie versuche.

 

Ein Geier ist der Krieg, Herzblut ist sein Verlangen

Die Seuche, still und glatt, ist vom Geschlecht der Schlangen.

 

Wo diese Schlange schleicht, fliegt ihr voran das Grauen,

Weil wir die Schlange nicht und ihren Rachen schauen.

 

Doch wie der wilde Aar, mit seinen scharfen Fängen,

Will auch die Schlange nur das Leben vorwärts drängen.

 

2.

Du toter Geier stehst noch immer wild und edel,

Und neben dich gestellt hab ich den bleichen Schädel.

 

Ich lasse dir nach ihm den Schnabel niederhangen,

Als hättest du gespeist das Fleisch von seinen Wangen.

 

Es mag an diesem Bild sich gern mein Blick entzünden,

Sehnsüchtig träumen sich nach Himalayagründen.

 

Den Ganges will ich dort abholen an der Quelle

Und ziehn mit ihm hinab, sein lauschender Geselle.

 

Der Ganges rauscht vorbei an einem Totenacker,

Und Geier fliegen schnell heran, die Leichenhacker.

 

Hier Gentlemen, Hindu und Moslemim beisammen,

Die lustig nach Hurdwar zur lauten Messe kamen.

 

Die Schlange Cholera mit mörderischer Tücke

Verschlang sie rasch und spie sie schwarz und kalt zurücke.

 

An manchem Herzen jetzt die Geier zehrend haften

Wie noch vor einem Tag die heißen Leidenschaften.

 

Die Raben tummeln sich am Rest des Geiermahls,

Und gierig springen dran Wildhunde und Schakals

 

Und Störche ziehn heran, gefiederte Giganten,

Vom strenggemeßnen Schritt geheißen Adjutanten.

 

Wie sie auf ihren Fraß zuschreiten leis und sacht,

Unhörbar: ist allein, was hier mich grauen macht;

 

Und wie bedächtig sie den Schnabel klappernd wetzen;

Nur die Methode weckt mir grieselndes Entsetzen.

 

Dort Leichen führt hinab der Ganges, dumpf erbrausend,

Viel Geier sitzen drauf und schwimmen mit, fortschmausend;

 

Und andre folgen satt, mit müßigem Geflatter

Dem Leichenzuge nach, wild schwärmende Bestatter.

 

Hier bin ich rings umbraust von heißem Lebenstriebe,

Natur! hier rauscht dein Kuß der heftgen Mutterliebe.

 

Hier muß das Grauen selbst der Seuche sich verlindern,

Seh ich, Natur, wie du hier schwelgst in deinen Kindern!

 

Fort wird das Bild des Tods vom Lebenssturm getragen,

Der Siegesruf verschlingt mir alle Todesklagen.

 

Und mit den Geiern dort, die um die Leichen schwanken

Laß fliegen ich am Strom Unsterblichkeitsgedanken.

Der gute Gesell

 

Des Menschengeschlechts uralter Gefährte,

Der nie von seiner Seite gewichen

Seit dem Verluste des Paradieses,

Wo er mitleidig sich angeschlossen;

Der nie wird weichen von seiner Seite,

Solang auf Erden ein Mensch noch atmet;

Der unbekannte, der namenlose

Wohltäter der armen sterblichen Menschen,

Er sei gepriesen von meinem Liede,

Der alte treue gute Gesell. –

Als der Mensch gebrochen mit seinem Gotte,

Und als der elektrische Schlag der Sünde

Durch die ganze lange Kette der Herzen

Vom ersten Ahne zum fernsten Enkel

Erschütternd schlug das Geschick des Todes

Und die weithin tönende Klage;

Als die ersten Tränen auf Erden flossen,

Der Morgentau des schmerzlichen Tages;

Als hinter dem ersten Menschenpaare

Sich donnernd geschlossen des Edens Pforte:

Da folgte den weinenden Fortgewiesnen

Der gute Gesell, nachtragend heimlich

Auf dorniger Bahn ein Freudenbündel,

Das er noch eilig zusammengerafft

Im Eden, für ihre traurige Flucht. –

 

Kein strenger Richter, kein scharfer Denker,

Kein Weiser ist der gute Gesell;

Doch ist er ein Cicerone der Schöpfung,

Ein wortgewandter mit warmem Herzen.

Er führt uns an die Werke des Meisters,

Und weiß er nicht viel vom tiefen Geheimnis,

Vom Sinn und Geiste des ewigen Meisters,

So weiß er von den herrlichen Bildern

Doch süß zu schwatzen, mit funkelndem Auge,

Daß friedlich und wohl uns wird im Herzen.

 

Kein Weiser ist der gute Gesell,

Doch ein zauberkundiger Menschenfreund.

Die Armut schmerzt und der bittre Mangel:

Inmitten der irdischen Güter stehn,

Wie sie blühn und vergehn, und selbst vergehn

Und sie nie gekannt und genossen haben:

Das schmerzt am Ende, wenn noch so leise. –

Da kommt der gute Gesell in die Hütte,

Wo der arme Mann mit Weib und Kindern

Beim Abendmahl sichs behagen läßt,

Den Kienspan zündend und seinem Häuflein

Die Lust am kärglichen Mahl beleuchtend.

Der Zauberer kommt und schüttet heimlich

In die Schüssel allen Wohlschmack der Erde;

Und der arme Mann ist froh und betrachtet

Sein Weib, einst schön gepriesen und reizend,

Nun welk von Sorgen und Mutterliebe;

Doch sieht er es nicht, die blassen Wangen

Hat ihr geschmückt der gute Gesell

Mit unverwelklicher Herzensjugend. –

Der einsame Wandrer im fremden Gebirg,

Der ohne Heimat und Reisepfennig

Entgegenzweifelt der Nachtherberge:

Mit einmal fühlt er den Mut gehoben

Und schreitet rüstig durchs dämmernde Tal,

Und fester greift er den Wanderstab,

Denn der unsichtbare gute Gesell

Geht mit und lüpft ihm die schwere Bürde

Und raunt ihm ein lustiges Hoffnungsliedlein;

Er hat die Vögelein aufgestiftet

Und das hüpfende Bächlein angemuntert,

Ihm auch zu singen ein Hoffnungsliedlein.

Und findet das Lied auch nie Erfüllung,

So hats doch wohlgetan zur Stunde;

Der gute Gesell nimmts nicht so genau. –

Dort liegt an Ketten im finstern Kerker,

Den Tod erwartend, ein Verbrecher;

Jetzt naht dem Unglückseligen leise

Der gute Gesell und schenkt erbarmend

Ihm einen festen, gesunden Schlaf;

Noch steckt er ihm zu den guten Bissen,

Nachsichtig heimlich, hinter dem Rücken

Des bösen Gewissens, der Todesfurcht. –

 

Er weiß die trüben Erinnerungen,

Die bangen Zweifel, verlorne Sehnsucht

Allmählich der Seele zu entwenden,

Wie die Mutter dem Kind ein schneidend Gerät,

Womit es spielen möchte, verriegelt.

Undankbar hab ich ihn fortgewiesen,

Wenn er mich heilsam bestehlen wollte,

Wenn er mich freundlich wollte beschenken.

Dann ward er schüchtern und scheu zuletzt,

Und immer seltner kam er und seltner.

Verscheuchter Gefährte meiner Jugend,

O komm zurück und verzeih den Undank,

Du lieber, milder, guter Gesell! –

 

Wer ist er denn, der gute Gesell?

Woher des Weges? wie heißt sein Name?

Wir spüren ihn alle, doch nennt ihn keiner.

Es ist die Hoffnung vielleicht sein Kind,

Es ist der Glaube vielleicht sein Bruder

Und seine Mutter gewiß die Liebe.

Er ist ein heimlicher, namenloser

Wohltäter der armen sterblichen Menschen.

Zwei Polen

 

Hippotyt

 

Schon sieben Jahre treibst du

Dies wunderliche Wandern

Von einem Ufersaume

Der Welt dahin zum andern?

So lang aus diesem Schiffe

Trat nie dein scheuer Fuß,

Der lieben, trauten Erde

Zu bringen einen Gruß?

Und wenn das Schiff die Winde

In Landesnäh getragen,

Wenn du die blauen Berge

Sahst in die Lüfte ragen,

So bist du kalt geblieben

In deinem Bretterhaus?

So rief kein lautrer Herzschlag

In deiner Brust: hinaus!?

Und sahst du auf den öden,

Den unwirtbaren Wogen,

Wie plötzlich kam ein Vogel

Vom Lande hergeflogen,

Der bald zur Heimat wieder

An dir vorüberglitt,

Nahm der nicht deine Sehnsucht

In seine Wälder mit?

Wenn du in weiter Ferne

Mit seegeschärften Sinnen

Sahst aus den Fluten tauchen

Die grünen Waldeszinnen

Und unwillkürlich spürend

Den Landgeruch gespürt,

Hat sich in deinem Herzen

Die Waldlust nicht gerührt?

 

Boleslaw

 

Ich habe sieben Jahre

Mich auf der See getrieben,

Werd auf der See mich treiben

Vielleicht noch einmal sieben.

Solang mir nicht vom Ufer

Entgegentönt die Kunde,

Daß sich erhob die Menschheit,

Zu heilen jene Wunde,

Die mit dem Falle Warschaus

In tränenwerten Tagen

So tief dem heilgen Herzen

Der Freiheit ward geschlagen:

So lange wird vergebens

Gebirg und Wald mir winken

Und auf das Schiff ein Vogel,

Ihr müder Bote, sinken.

Den lieben Bergespfaden,

Der süßen Waldesruh

Und manchem Freundesherde

Kehr ich den Rücken zu

Und knicke tot im Herzen

Den Wunsch nach Wiederkehr

Und wende meine Blicke

Zurück ins freie Meer.

Hier leb ich mit den Wellen

Und mit den freien Winden

Und seh dahin die Tage,

Die hoffnungslosen, schwinden;

Hier leb ich mit den Brüdern

Erinnrungsvolle Stunden,

Dort die im heilgen Kampfe

Beglückten Tod gefunden.

 

Hippolyt

 

O tiefe Meeresstille!

O grenzenloser Frieden!

Auf weiter Wasserheide

Wie einsam, abgeschieden!

Das Meer in seiner Stille

Ist zwiefach unermessen;

Hier haben uns die Winde

Verlassen und vergessen.

 

Boleslaw

 

Der finstre, stumme Himmel

Ist wie mein Vaterland,

Dem jeder Strahl der Freude

Vom Angesichte schwand;

Der stille Meeresboden,

Wo keine Welle wacht,

Ist wie die stille Wahlstatt

Nach unsrer letzten Schlacht.

 

Hippolyt

 

Das stumme, finstre Antlitz

Des Himmels niederstarrt

Und mit verhaltnem Grolle

Der Zeit des Sturmes harrt.