Doch wer sind die zwei Gestalten,

Die, umraset von den Wettern,

Es in solcher Stunde wagen,

Zum Gefängnis aufzuklettern?

 

Richelieus geheimes, sichres

Werkzeug in verruchten Taten:

Chantereine, der Hauptmann ist es

Von des Schlosses Wachtsoldaten.

 

Dieser weiß zu des Gebieters

Schlau verderblichem Befehle

Immer noch ein Gift zu fügen

Aus der eignen bösen Seele.

 

Und mit ihm der Knechte kühnster,

Dem er alles mag vertrauen,

Der ihm durch die Nacht der Sünde

Folgt wie durch Gewittergrauen.

 

Rastend halten sie jetzt inne

Auf bequemer Felsenfläche,

Daß des Greuels nahen Ausgang

Noch das finstre Paar bespreche.

 

Wildfrohlockend ruft der Hauptmann:

»Heute muß das Werk vollbracht sein

Und zur Freude des Ministers

Dies des Polen letzte Nacht sein!

 

Reich an Hasse ist der Priester,

Dessen mag manch Grab ihn loben;

Doch des Hasses herbste Fülle

Kocht sein Herz für den da oben.

 

Denn der hat sich kühn vermessen,

Einst in hoher Fürsten Kreise

Dem Gefürchteten zu nahen

Auf verächtlich kalte Weise.

 

Und er wäre längst verblichen;

Doch der König selbst, der schwache,

Hat Gewalt verboten, fürchtend

Österreichs und Polens Rache.

 

Heute will mit eigner Faust ich

Nach der rechten Stunde haschen

Und mit dem, was wir vollbringen,

Selbst den Teufel überraschen.

 

Doch daß unsrer Tat Geheimnis

Kein Verräterohr belausche,

Liegt der Wache ganze Rotte

Eingezecht im tiefsten Rausche.

 

Hurtig schleudern in den Kerker

Wir die lohen Schwefelbrände,

Daß der Fürst im schweren Qualme

Sein erlauchtes Leben ende!

 

Und sein guter, treuer Landsmann,

Der da schläft an seiner Seiten,

Wird den Freund wohl mit Vergnügen

In die andre Welt begleiten.

 

Lustig vorwärts, Kamerade!

Vorwärts, Bruder, ohne Zagen!

Morgen heißt es: in den Kerker

Hat der Donner eingeschlagen.

 

Ja! dem Himmel aufgebürdet

Sei die Mordtat unsrer Hände;

Und der wütet heut so närrisch,

Daß ers selber glaubt am Ende!«

 

Hastig schreiten sie nun aufwärts,

Kommen zu den Kerkertoren;

Doch es ging von dem Gespräche

Nicht ein Wörtchen auch verloren.

 

Denn des Prinzen treuer Page,

Dem ein Unheil mochte ahnen,

Folgte ihnen Schritt für Schritte

Nach auf ihren schlimmen Bahnen.

 

Sachte sind sie nun getreten

In das Haus, die Schwefelbrände

Aus dem Dunkel still zu holen,

Und entzünden sie behende.

 

Klärchen weckt den Vetter schleunig,

Der in leichtem Schlummer nicket,

Hält die Hand ihm, daß er schweige,

Zitternd auf den Mund gedrücket.

 

Chantereine ist schnell und leise

Schon zum Fenster angeklommen,

Hat nun aus der Hand des Knechtes

Schon den Brand hinaufgenommen;

 

Plötzlich mit dem Feuerrohre

Bricht der Page vor, entschlossen:

In den bodenlosen Abgrund

Stürzt der Bösewicht erschossen.

 

Wütend, mit gezücktem Dolche,

Faßt den Pagen nun der Scherge;

Doch, von Heinrichs Schwert getroffen,

Taumelt er hinab die Berge.

Der alte Marko

 

»Klara, lebst du?« ruft Johannes

Bang mit lautem Herzenspochen;

Klara liegt am Kerkerlager,

Eine Lilie sturmgebrochen.

 

Stumm, mit trostberaubter Miene,

Steht des Fürsten Arzt daneben,

Ohne Rast mit Blick und Händen

Spürend nach dem teuren Leben.

 

Abgewaschen ihrem Antlitz

Ist die jungfräuliche Lüge,

Und in bleicher Todesschönheit

Zeigen sich die holden Züge.

 

Lose sind die wirren Haare,

Blutig sind die zarten Hände,

Die im Sturme sich geklammert

An die rauhen Felsenwände.

 

In die weiche Brust gedrungen

Ist der Dolch des Mordgesellen,

Und der treue, warme Purpur

Quillt hervor in raschen Wellen.

 

Und ein stilles, starres Lächeln

Ruht so hold auf ihrem Munde,

Gleich als fühle sie mit Wonne

Bluten ihre tiefe Wunde.

 

Wer die Liebe hat im Herzen

Mit dem vollen heißen Triebe,

Fühlt wohl auch die süße Sehnsucht,

Hinzusterben für die Liebe;

 

Hinzuschütten alles Leben

Mit dem einen süßen Worte:

»Dir!« – wie stürzt das Blut so freudig

Durch die aufgerißne Pforte! –

 

Doch der alte treue Marko

Waltet ohne Rast noch immer;

Sieht vielleicht sein scharfes Auge

Noch wo dämmern einen Schimmer?

 

Krauter, die der fernste Süden,

Die der höchste Nord geboren,

Seiner Kunst geheimste Kräfte

Werden jetzt von ihm beschworen.

 

Wonnebebend und verzweifelnd,

Reicht Johannes ihr die Labe;

Seine Seele zittert zwischen

Klaras Lieb und ihrem Grabe. –

 

Endlich hebt sich ihre Wimper:

O du Seligster von allen!

Freudeschluchzend zum Gebete

Mußt du auf die Kniee fallen!

 

Und der alte treue Marko

Blickt empor zu Gott und betet:

»Meine Kunst ist deine Gnade,

Die vom Tode sie gerettet!«

 

Klara hebt die matten Augen

Auf zu dem in Freudezähren,

Dem zuliebe bald auf immer

Sie geschlossen blieben wären.

 

Und lebendig wird das Lächeln,

Das vom Tode war befangen;

Ein jungfräuliches Erröten

Dämmert auf den bleichen Wangen.

Die Botschaft

 

Nach Saint-Germain zum Verkaufe

Trägt ein Häuflein Bauersleute,

Was der Herbst mit vollen Händen

Ihm auf Flur und Garten streute.

 

Neben schwer beladnem Wagen

Läßt der Mann die Geißel knallen;

In der Bäurin feinem Korbe

Wird das schmucke Obst gefallen.

 

Mit Geschichten, frohen Possen,

Und nun wieder mit Gesängen,

Suchen sie sich wegzustehlen

Über ihres Weges Längen.

 

Hinter ihnen Pferdgetrappel,

Und sie stehen, und sie schweigen,

Und neugierig nach den Reitern

Äug und Ohr sie rückwärts neigen.

 

In noch nie gesehner Eile,

Brausend gleich empörten Wogen,

In noch nie gesehnen Trachten

Kommt die Schar herangeflogen.

 

Wer? wohin? woher des Weges?

Rufen die erstaunten Bauern;

Doch mit Staub die Rosseshufe

Ihnen schnell den Mund vermauern.

 

Es ist Christoph Gonsiewski,

Von Smolensk der Wojewode,

Der mit seinen Reitgefährten

Manches Roß gejagt zu Tode.

 

Nimmer länger soll Johannes

Schmachten in den Kerkermauern

Wladyslaw, sein treuer Bruder,

Fühlt herzinniges Bedauern.

 

Wladyslaw, der Polenkönig,

König auch im Schwedenlande,

Ist empört in tiefster Seele

Über Frankreichs freche Schande.

 

Und er ließ zu seinen Boten

Zürnend seine Stimme tosen,

Und das Wort, das er gesendet

An den König der Franzosen,

 

Ist ein Blitz in sie gefahren,

Der sie nun fortreißt geschwinde,

Unaufhaltsam nach dem Orte,

Wo er, freigelassen, zünde. –

 

In dem Schlosse zu Saint-Germain

Schnauben schon die müden Renner;

Vor den argbetroffnen König

Treten die sarmat'schen Männer.

 

Schweiß entrollt den kühnen Stirnen,

Und ihr Auge glüht im Zorne,

Drohend klirren ihre Säbel,

Ihre blutgetränkten Sporne.

 

Und zum König nun beginnet

Gonsiewski so zu reden:

»Wladyslaw hat uns gesendet,

Herr der Polen und der Schweden:

 

Habt Ihr nicht noch diese Stunde

Seinen Bruder freigesprochen,

Soll an Euch und Eurem Lande

Blutig sein die Schmach gerochen!

 

Daß der Prinz das Land durchspähte,

Euch an Spanien zu verraten,

Ist nur eine schnöde Lüge

Eures tückischen Prälaten;

 

Eine Lüge ausgebrütet

Von der Kirche grimmstem Geier;

Denn in Eurer faulen Krone

Nistet dieses Ungeheuer! –

 

Ostreich, Spanien und Italien

Werden sich an Polen halten,

Eure Macht und Johanns Kerker

Schnell mit einem Hiebe spalten!«

 

Zornesbleich und furchtergriffen,

Tiefbeschämet, starrt zur Erde

König Ludwig und gebietet,

Daß der Prinz befreiet werde.

Die Heimkehr

 

Zu Paris am Königsschlosse,

Das der Prinz nunmehr bezogen,

Harrt der Wagen lange Reihe,

Drängen sich des Volkes Wogen.

 

Auf der kunstgeschmückten Treppe

Stehn die königlichen Garden,

Dem Andrang des Volkes wehrend

Mit dem Stoß der Hellebarden.

 

Johann Kasimir, gebleichet

Von des Kummers langem Drucke,

Stieg herab, seit lange wieder

Heut im vollen Fürstenschmucke.

 

Auf dem Haupt die samtne Mütze;

Um den Busch des Reihers brannten,

In vielfache Schnur gewunden,

Große helle Diamanten.

 

An dem samtnen Oberkleide

Weite Ärmel niederhangen,

Drauf das goldne Fell des Widders

Und die Demantkette prangen.

 

Der kostbare Persergürtel

Trägt des Säbels Eisenbogen

Mit rubinbesetztem Griffe,

Den der Jüngling oft gezogen.

 

Ihn umrauschen die Begleiter:

Sully, Angoulême, nebst andern,

Sagen ihm viel süße Worte,

Wünschen ihm ein glücklich Wandern.

 

Doch der Zug, die Treppe nieder,

Muß auf jeder Stufe stocken,

Unaufhaltsam strömt das Volk zu,

Mit gutmütigem Frohlocken.

 

In der Treppe tiefster Ecke,

Hinter des Hatschieren Rücken,

Hat ein Mädchen sich geschmieget,

Auf den Zug hervorzublicken.

 

Eingebettelt in die Stelle

Hat sie sich mit bangem Flehen,

Daß sie dürfe nur noch einmal

Unbemerkt den Prinzen sehen.

 

Also hat in scheuer Demut

Klara Hebert sich verborgen;

Nicht mehr braucht ja ihre Liebe

Für den Teuren mehr zu sorgen.

 

Nicht gewahrt der rauhe Wachmann

Ihres Herzens lautes Pochen,

Und wie manche heiße Träne

Aus den Augen ihr gebrochen.

 

Plötzlich hält Johannes inne,

Forschend blickt er ins Gedränge;

Doch nicht sieht er, die er suchet

In des Volkes bunter Menge.

 

Und der Liebe bange Zweifel

Ihm die Seele jetzt erfassen;

»Klara!« ruft er laut und schmerzlich,

»Willst du mich im Glück verlassen?« –

 

Wie sie so ihn höret rufen,

Stürzt sie hin mit lautem Weinen,

Und ohnmächtig liegt das Mädchen

Auf der Treppe Marmorsteinen.

 

Festgedrückt an seinen Busen,

Hält Johannes sie umfangen,

Mit unendlich süßer Wehmut

Küßt er ihre bleichen Wangen.

 

Lange noch auf ihrem Antlitz

Ruht sein seliges Betrachten,

Und es zittert seine Stimme:

»Lebewohl!« der Auferwachten.

 

Zu Graf Angoulême nun spricht er:

»Eurem Schutz sei sie befohlen:

Ehret sie, wie es der Freundin

Ziemen mag Johanns von Polen!

 

Meines Lebens kühne Rettung

Dank ich diesen zarten Händen;

Und daß ich zur lieben Heimat

Wieder mag die Schritte wenden!«

 

Rasch besteigt er seinen Wagen;

Und den Prinzen segnet jeder.

Jetzt verliert sich in der Ferne

Schon das Rollen auch der Räder.

Die Sehnsucht

 

Haben wir auch schön geträumet

Von des Glückes Zauberlanden,

Wo sich ewge Freudenkränze

Um die trunknen Schläfe wanden;

 

Und wir wachen auf am Morgen,

Kehren zu des Lebens Mühen

Ohne Klagen wir zurücke;

Träume müssen ja verblühen.

 

Also waltet in dem Gasthof

Klara nach der alten Weise;

Nur ein seliges Erinnern

An den Traum umschwebt sie leise.

 

Mit gewohnter holder Miene

Grüßet sie die frohen Zecher;

Doch am freundlichsten vor allen

Füllet einem sie den Becher.

 

Oft auch sah man, wie die Jungfrau

Und der Krieger lange sprachen;

Heinrich ist es, der gestanden

Bei des Prinzen Kerkerwachen.

 

Heinrich weiß gar viel zu rühmen

Von dem schönen Fürstenjungen,

Wie dem Stolzen nie das Unglück

Einen Klagelaut erzwungen.

 

Eines aber hoch zu preisen

Seine Worte nie vergaßen:

Wie der Prinz den bösen Hauptmann

Chantereine einst angelassen.

 

Dieser trat mit plumpem Trotze

Vor den Stillen, scheinbar Zahmen,

Ihm den Säbel abzufordern

Frech in König Ludwigs Namen.

 

Doch wie donnerte der Jüngling:

»Ich bin Johann, Prinz von Polen!

Lüstet ihn nach meinem Schwerte,

Mags dein König selber holen!«

 

Feig verzagend vor dem Kühnen

Sucht der Hauptmann seine Rotte

Zu Gewalttat aufzustacheln

Mit Befehl und scharfem Spotte.

 

Ha! wie hat der Polenjüngling

Jetzt sein tapfres Schwert geschwungen!

Ha! wie ist er auf den Hauptmann,

Auf die Knechte eingedrungen!

 

Und die Rotte feiler Schergen

Taumelte zurück, erschrocken,

Wie der Sturmwind auseinander

Jagt der Spreu geringe Flocken. –

 

Schwellend hat bei solchen Reden

Klaras Busen sich erhoben;

Süßer Klang ists für die Jungfrau,

Hört sie den Geliebten loben. – –

 

War nun Klara gegen jeden

Froh und freundlich tagesüber;

Wenn sie endlich kann allein sein,

Ist sie abends um so trüber.

 

Ist ihr auch das Glück der Liebe

Wie ein Traum vorübergangen,

Werden doch in stiller Sehnsucht

Täglich blässer ihre Wangen.

 

Oft in heitern, schönen Nächten,

Wenn der Mond, die Sterne scheinen,

Wandelt Klara, sein gedenkend,

An dem Strand mit leisem Weinen;

 

Horchet in die Meeresweiten,

In die stummen, regungslosen:

Keine fernen Ruderschläge? –

Keine Lieder der Matrosen? –

 

Wirft das Meer in trüben Nächten

Seine Wellen ans Gestade,

Wandelt Klara still und einsam

Ihres Grams geheime Pfade.

 

Aber nicht vom stillen Meere,

Nicht vom Meere sturmgeschlagen,

Harret sie auch manche Jahre,

Wird der Teure her getragen.

Der Ring

 

Jubelnd ist der Tag erschienen,

Schwingt den Goldpokal der Sonne,

Gießt auf Berg und Tal berauschend

Nieder seine Strahlenwonne.

 

In den Lüften aufzutauchen

Darf kein Wölkchen sich getrauen,

Auf das Glück der treuen Liebe

Will der ganze Himmel schauen.

 

Nur die Lerchen, Freude singend,

Steigen auf im Morgenglanze,

Trunken von den Strahlengüssen

Jauchzt die Welle der Durance. –

 

In dem Garten, wo vor Jahren

Gingen in der Schattenkühle

Klara Hebert und Johannes

Mit verschwiegenem Gefühle;

 

Wo die lauten Nachtigallen

Süß verräterische Lieder

Sangen auf den grünen Zweigen:

Wandeln sie auch heute wieder.

 

Und in seliger Verschlingung

Kehren sie zum trauten Orte,

Wo vor Jahren ihre Liebe

Fand die ersten, leisen Worte.

 

Klara blüht in neuer Schöne,

Rosen, Fremdlinge seit lange,

Kehrten schüchtern heute wieder

Auf die freudenhelle Wange.

 

Nach dem hohen Felsenhause,

Das nun wieder wüst und einsam,

Wandeln Klara, ihre Mutter

Und Johannes froh gemeinsam.

 

Selbst die rauhen, öden Klippen

Hält die Freude jetzt umschlungen;

Nur wie leichte Nebel schleichen

Durchs Gestein Erinnerungen.

 

Als sie treten in das düstre

Und verhängnisvolle Zimmer,

Treffen die erstaunten Frauen

Kruzifix und Kerzenschimmer.

 

Und dem Priester, der sie grüßet,

Harrt am Munde schon der Segen;

Auch der alte treue Marko

Eilt der Jungfrau froh entgegen. –

 

Klara trug das goldne Ringlein

Auf der stillen Herzenswunde,

Das ihr scheidend einst gegeben

Johann in der bangen Stunde.

 

Den Smaragd am Ringe damals

Sah das Volk gar hell erglänzen,

Mit prophetischem Gemahnen

An das Grün von Myrtenkränzen.

 

Die Marionetten

 

Nachtstück

Erster Gesang

Der Gang zum Eremiten

 

Grau düstre Felsen sah ich trotzig ragen

Aus eines Tales stillen Finsternissen,

Als wollten kühn den Himmel sie verjagen,

Dem sie den Schleier vom Gesicht gerissen.

Abgründe, ihre Riesengräber, lauern

In sicherer Geduld zu ihren Füßen.

Kein Vogelsang, kein Bach, kein Waldesschauern;

Kein Klageton entfährt dem finstern Tale;

Nur stummes, unermeßlich wildes Trauern.

Einsam verkümmert steht der Strauch, der kahle,

Hat Regen nur und Sturm und Frost erlebt,

Stirbt ungeliebt vom süßen Sonnenstrahle.

An seinen Ästen, windgefächelt, bebt

Die Wolle eines Lamms in stummer Klage,

Und des zerrißnen Blut am Boden klebt.

Dort fliegt mit leisem, sattem Flügelschlage

Ein Geier seinem Felsenhorste zu.

Auf grüner Trift, erquickt vom Sommertage,

Schuldloses Lamm, wie fröhlich irrtest du

Mit deiner Weide friedlichen Genossen,

Indes auf dich aus heitrer Lüfte Ruh

Vormordend Geierblicke niederschossen!

Der Geier, stürzend sich in seinen Blick,

Kommt plötzlich auf das Lamm herabgestoßen

Und reißt es fort aus seinem Jugendglück.

Hoch über Wälder, Tale, Felsenriffe

Fliegt er damit in seine Nacht zurück.

Es zittert, wimmert; doch mit festrem Griffe

Umklammert ers, ob sich am Angstgeschrei

Die scharfe Gier des Mörders schärfer schliffe. –

Nun drang ich tiefer, an dem Strauch vorbei,

Und wilder immer ward des Tales Grund,

Die dunkle Wiege der Melancholei.

Da bricht aus dornumstarrtem Felsenmund

Ein Quell hervor, die bange Ruh zu stören,

Und braust hinunter in den offnen Schlund.

Unheimlich ist und grausenvoll zu hören

Das hohle Tosen in den Steinverliesen,

Wo murmelnd Nacht und Tod sich Treue schwören.

Wie, trauernd nach verlernen Paradiesen,

Des Freundes Haupt ans Herz des Freundes fällt,

Umarmen sich die ernsten Felsenriesen.

Und weiter drang ich, – dämmerlich erhellt

War mir die Schlucht; es fiel ein leiser Regen;

Der Himmel Blitze durch die Felsen schnellt',

Und fernher klangs von dumpfen Donnerschlägen.

Gar seltsam bleich erschien mir das Gesicht

Des Eremiten, der mir trat entgegen.

Es wankt um ihn ein zweifelhaftes Licht;

Der Sturm ist laut und plötzlich aufgefahren,

Wie, wer verschlafen, schnell vom Lager bricht.

Er faßt den Alten an den grauen Haaren;

Der aber schreitet durch des Sturmes Macht,

Uneingedenk der Wetter und Gefahren.

Bald ist er mir begraben von der Nacht,

Bald wieder glüht er auf im Wetterschein,

Als hätt ihn hell der Windstoß angefacht.

Nun schritt er näher und gewahrte mein

Und hieß mich froh mit gastlich mildem Worte

In seinen Wildnissen willkommen sein.

Und durch des Klippentals geheimste Orte,

Durch des Gewitters wachsendes Gebrause,

Führt' er mich fort zu einer schmalen Pforte

Und grüßte mich in seiner öden Klause.

Zweiter Gesang

 

Lorenzo

 

Der Sturm verstummte, die Gewitter schwiegen,

Das volle Mondlicht hatte sich ergossen,

Beruhigend sich an das Tal zu schmiegen.

Ich saß mit meinem wirtlichen Genossen

Beim Abendmahl; da hob er seinen Wein,

Mich feierlich einladend, anzustoßen.

Ein Frauenbild, erhellt von Lampenschein,

Hing an der Wand, umhüllt von schwarzem Flor:

Drauf wies er hin und sprach: »Ich denke dein!«

Und plötzlich stürzten Tränen ihm hervor.

Auf seinen Zügen lag ein tiefes Leid,

Wie er im teuren Bilde sich verlor.

Ich tat aufs Wohl der Toten ihm Bescheid,

Und als ich anstieß mit dem trüben Zecher,

Da hatte heimlich mir die Ewigkeit

Von ihrem Ernst geträufelt in den Becher.

Der Eremit begann mit scheuem Munde

Von einer schwarzen Tat und ihrem Rächer

Zu geben mir die schaudervolle Kunde.

Und wie er ins vergangne Leben schied,

Riß er die Zeit von jeder Herzenswunde. –

– Du, Gott des Schmerzes, rüste du mein Lied

Und wappne mich auf den verwegnen Gang

Durchs ungeheuer nächtliche Gebiet.

Gib mir ein wildes Herz, daß mein Gesang

Auf seiner Bahn vor Schreck nicht sterben dürfe;

Gib mir ein Herz, das lauten Wetterklang

Wie süße Nachtigallenlieder schlürfe!

Und wenn ins Tal mit grimmigem Frohlocken

Die Stürme werfen ihre Donnerwürfe,

Daß Wald und Fels herunterbricht erschrocken:

Dem Herzen sei's schwermütiges Behagen,

Wie Niedersäuseln welker Blütenflocken! –

»Graf Robert sehnte sich nach stillen Tagen.

Er hatte viel sich durch die Welt getrieben,

Des Lebens manchen heißen Kampf geschlagen.

Im Herbst der Tage schwanden ihm die Lieben;

Da wird die Freudenflur so still, so leer!

Wohl dir, ist dann ein Kind dir noch geblieben;

Dir fallen leiser dann und minder schwer

Des Alters unvermeidlich bittre Lose,

Dir weht es milder von den Gräbern her!

Roberto klagt an manchen Hügels Moose,

Trübhadernd mit den räuberischen Jahren:

Nun hing sein Herz an seiner letzten Rose.

Geschieden von der Welt bewegten Scharen

Hat sich sein Herz, das nur den Frieden sucht,

Des Glückes letzte Spur sich zu bewahren.

Er zog mit seinem Kind in diese Schlucht;

Maria tat in ihrer Morgenblüte

Der Einsamkeit entsagungsvolle Flucht.

An Schönheit wunderbar, an tiefer Güte,

War selige Genüg ihr stilles Leben,

Daß sie den Abend ihres Vaters hüte.

Auf jenen Felsen, die am höchsten streben,

Stand ihm sein Ahnenschloß, seit lange wüste,

Wehrlos dem Sturz der Zeiten hingegeben;

Von wannen einst in kriegrischem Gelüste

Der Ritter brausen ließ die blutgen Fahnen,

Wo man den Freund mit Wein und Sang begrüßte.

Dahin, von seinen sturmbewegten Bahnen,

Trieb ihn die Sehnsucht, nach den Tannenhainen,

Zur längst verglühten Asche seiner Ahnen.

›Dort will ich meine letzte Träne weinen

Dem treuen Weib; dort wird dem Tode mild

Des Kindes Lieb ins finstre Antlitz scheinen!‹

So malte sich sein Herz des Schicksals Bild,

Als mit Marien er die alten Mauern

Bezog in diesem einsamen Gefild.« –

Nun schwieg der Eremit und sank mit Schauern

Zurück in der Erinnrung dunkle Nächte;

Bis wieder er begann mit tiefem Trauern:

»Ich war ein Jüngling, würdigem Geschlechte

Entsprossen, mit dem tapfern alten Grafen

Zurückgekehrt aus rühmlichem Gefechte,

Als mich die Blicke seiner Tochter trafen

Und mich durchdrangen mit so heißen Wunden,

Die nur mit meinem letzten Hauch entschlafen.

Hab ich auch Liebe nicht bei ihr gefunden,

Blieb doch seit jenem süßen Augenblick

Der Wunsch, je zu genesen, überwunden.

Roberto, gönnend mir ein froh Geschick,

Erhoffte von der leisen Macht der Tage,

Daß sich ihr Herz noch neige meinem Glück,

Und daß ich nicht dem Waffenfreund versage,

Zu folgen ihm auf seiner Väter Schloß.

Ich folgte trauernd, aber ohne Klage.

Wenn ich die Näh der Himmlischen genoß,

Der Wimper keine Bettlerin entschlich,

Was ich an Tränen einsam auch vergoß.

Ein schnelles Jahr voll bittrer Wonn entwich,

Umsonst hat sie mein stummer Schmerz beschworen;

Mir sprach kein Hauch, kein Blick: ich liebe dich!

Das Los hatt einen andern ihr erkoren,

Der wie ein Sturm ihr junges Herz bezwang,

An den sie Herz und all ihr Glück verloren. –

Einst saßen wir am steilen Felsenhang

Vor dem Ruinenschloß und überließen

Nachsinnend uns dem Sonnenuntergang.

Dort sah ich ganz die Rose sich erschließen:

Marias offnes Auge, tief und klar,

Schien Seelen in den Abend auszugießen;

Die leisen Winde küßten ihr das Haar,

Auf ihren Busen kamen, sich zu wiegen,

Die Purpurstrahlen hell und wunderbar;

Der Himmel schien am Halse ihr zu liegen.

Ich aber wünscht, es möchte meine Seele

In solchem Anblick sterben und versiegen.

Und ich begann, daß ich mein Leid verhehle,

Zu singen mit Robert, dem Mann der Waffen,

Ein altes Reiterlied aus voller Kehle.

Da stört' uns plötzlich lautes Hundeklaffen;

Zwei Doggen kamen schnell heraufgesprungen,

Als wollten sie dem Wind ein Wild entraffen,

Und hinterdrein, von Fels zu Fels geschwungen,

Mit stolzem Wuchs, weidmännisch angetan,

Die Faust ums schlanke Feuerrohr geschlungen,

Kam rasch und kühn ein Mann den Berg heran.

Und mich erfaßt' ein sonderbar Gefühl,

Als ich ihn sah mit leichtem Gruße nahn:

Die Stirne brütend und gewitterschwül,

Die Augen zwei gefangne Blitze brennen;

Doch lag es um die Lippen ihm so kühl,

Ein Rätsel, unerfreulich zu erkennen.

Die Blässe sprach: dies Herz hat keinen Frieden;

Unheimlich schön war die Gestalt zu nennen.

Ob auch Marias Blicke ihn vermieden,

Ich sah des Vaters Hand sie zitternd fassen;

Auf immer war die Ruh von ihr geschieden,

Ich sah ihr wechselnd Glühen und Erblassen;

Und ich empfand in meines Herzens Grunde

Zu jenem Fremden ahnungsvolles Hassen.

Ich will vollenden dir die trübe Kunde;

Doch vor Marias teurem Bilde nicht.

Komm, folge mir in dieser stillen Stunde!«

So sprach der Eremit und nahm ein Licht,

Und ernst verließen wir das öde Haus;

Er sah mir recht bekümmert ins Gesicht

Und wies mir in die dunkle Nacht hinaus.

Dritter Gesang

 

Antonio

 

Der Klausner trug die leuchtende Laterne.

Fort war der Mond; aus finstern Wolken glommen

Nur matt und scheu hervor die seltnen Sterne.

Mich aber hatte plötzlich überkommen

Die große Wehmut der Vergangenheit.

Ich tat dem Alten schweigend und beklommen

Durch seinen dunklen Garten das Geleit.

Ich dachte traurig an so manches Grab,

Und allen Toten war mein Herz geweiht.

Auch die Natur, die nächtlich stille, gab

Gedankenvoller Wehmut sich zu eigen;

Nach dem Gewitter tropft' es noch herab

Wie weinendes Erinnern von den Zweigen.

So mochten wir wohl eine Stunde ziehn

Durch Fels und Wald mit ungebrochnem Schweigen.

Wir sahn die Wolken kommen und entfliehn,

Den Mond verhüllen bald und wiedergeben.

Drauf wies der Alte sinnig deutend hin,

Und endlich sprach er: »Dort am Fels erheben

Die Mauern sich vom alten Grafenschloß;

Dort wollen wir den Rest der Nacht verleben!«

Und schneller schritt mein leitender Genoß

Den Bergpfad mir voran im Mondenscheine,

Der wie versöhnend die Ruin umfloß.

»Hier«, – fuhr der Alte fort – »an diesem Steine,

Hier saß Maria, ich vergeß es nimmer,

Die schöne Jungfrau noch, die himmlisch reine,

Umspielt vom linden West, vom Abendschimmer.

Hier stand vor ihr der falsche Bösewicht,

Der lächelnd sie zerbrach in kalte Trümmer.

O Maienluft! o helles Abendlicht!

Warum habt ihr das arme Kind verraten,

Da ihr geschmeichelt um ihr Angesicht,

Daß ihre tiefsten Blicke auf sich taten,

Daß ihre Reize all, von euch betrogen,

Unselig siegreich auf die Wange traten!

Wie heiß Lorenzos Blicke sie umflogen!

Und, schwelgend in der Blüte vollem Prangen,

Den holden Reichtum trunkenhaft erwogen!

Wie zauberisch Lorenzos Lippen klangen!

Bald süß und weich die weltgeschliffnen Worte,

Bald kühn und kräftig auf den Hörer drangen,

Womit er leicht ein junges Herz durchbohrte!

Den Vater auch bezwang der Rede Kraft

Und brach zu seiner Gunst die letzte Pforte.

Mir ward Robertos Schloß zur Kerkerhaft;

Ich stieg zu Roß in selber Nacht und sprengte

Von dannen schnell mit meiner Leidenschaft.

Doch ob ich auch mich in die Schlachten mengte,

Ich konnte nicht die Glut im Herzen mildern,

Die heimlich und unlöschbar mich versengte.

Lang kämpft ich mit des Zweifels schwanken Bildern,

Bis aus der Heimat mir ein Bote kam,

Die traurige Gewißheit mir zu schildern:

Wie der Verführer frech und ohne Scham

Gar bald die Eide brach, die er geschworen:

Lorenzo floh; Maria starb vor Gram.

Wie bitter schwer Roberto sie verloren,

Und wie in ihm der Liebe letzter Funken

An seines Kindes kalter Leich erfroren;

Und wie sein Blick, ins tote Kind versunken,

Schmerzlich ergründet, was man ihm geraubt,

Und sich mit wilder Rache voll getrunken.

Die Nacht des Wahnsinns schlug sich um sein Haupt;

Sie trieb ihn fort und fort nach allen Winden

Rastlos, wie durch den Wald der Jäger schnaubt.

Doch sah er stets die blutge Hoffnung schwinden;

Durch Land und Meer trieb ihn der Rache Qual,

Er konnte nicht die Spur Lorenzos finden.

Da fuhr ihm plötzlich, wie ein Wetterstrahl,

Prophetisch durch der Seele Finsternis

Die Sehnsucht nach dem fernen Felsental;

Und was ihn erst in alle Fernen riß,

Nun zwang es ihn zurück in diese Räume,

Als wäre hier sein Opfer ihm gewiß.

Hier träumt' er immer wilder seine Träume,

Die rings umher getreue Freunde hatten:

Ruinen, Gräber, finstre Tannenbäume.

Wie auf der Wüste, dürr und ohne Schatten,

Wenn sie den Tag um dunkle Nacht vertauscht,

Der Wandrer sinkt in durstendem Ermatten,

Einschläft und träumt, daß ihm die Quelle rauscht;

Vom Sand empor dann fährt der Frohbetörte,

Und in die Nacht, die dunkle, stille, lauscht:

So wars Robert, wenns ihn vom Schlaf empörte,

Als ob er aus Lorenzos Busen noch

Die heißersehnte Quelle rieseln hörte.

Wenn dann das schwarze Traumbild sich verkroch,

Wie glühend quält' es ihn, zu hören nur

Des eignen Herzens einsames Gepoch!

Oft wenn er so empor vom Lager fuhr,

Erweckt' er seine alten treuen Knechte

Und schwor mit ihnen seinen Racheschwur.

Auch trieb er oft mit ihnen lange Nächte

Ein närrisch Puppenspiel, worein er trug

Wahrheit und Traum in grausigem Geflechte.

Die Puppen mußten spielen Zug für Zug

Viel längstvergangne traurige Geschichten,

Nachtappen seinem wilden Geistesflug;

Doch immer war das Spiel ein Klagen, Richten:

Unheimlich kindisch war des Alten Drang,

Auch nur im Bild Lorenzo zu vernichten.

So lebte Robert manche Jahre lang;

Von allen Wandrern, die das Tal betreten,

Tat keiner nach dem Schlosse mehr den Gang.

Doch kam ein Abend: Maienlüfte wehten,

Es ruhte auf dem alten Schloßgestein

Der Strahl, wie einst, mit rötlichem Verspäten.

Roberto saß betrübt im Abendschein,

Und sinnend sank das Haupt ihm, das ergraute,

Und hüllte ins Vergangne ganz sich ein.

Wie er nun klar sein Kind Maria schaute,

Und wie sein starrer Blick leibhaft vor sich

Das Bild Lorenzos in die Dämmrung baute:

Da schallten Tritte und – sein Traum entwich –

Ein junger Mann nun plötzlich vor ihm stand,

Der wunderbar genau Lorenzo glich.

Es war Lorenzos Sohn. Aus fernem Land

War er gefolgt dem dunklen Trieb zu reisen,

Bis sich sein Pfad in diese Täler wand

Und ihn mit Lockungen, mit holden, leisen,

Verführte schlangenhaft in diese Schluchten,

Nach des Verhängnisses geheimen Kreisen.

›Halloh! nun endlich hab ich dich, Verfluchten!‹

So rief Robert, sprang auf und hielt ihn fest;

›Gelüstet dich nach meinem Kind, Verruchten?

Stahlst du nicht frevelnd mir den letzten Rest?

Lorenzo, hab für dich kein Opfer mehr!

Maria ist von deinem Kuß verwest!‹

Und riesenkräftig schleift er ihn einher.

Was ihm an Kraft geschwunden mit den Jahren,

Beschwor die Wut zu schneller Wiederkehr.

Mit Flammenaugen, weißen Flatterhaaren,

Ist er mit ihm zu jenes Turmes Türe,

Ein Rachedämon, brausend hingefahren.

Umsonst beteuerten Antonios Schwüre,

Es sei Lorenzos vorwurfsloser Sohn,

Um den er seine Eisenkette schnüre;

Und seiner Knechte Wort klang ihm wie Hohn,

Daß welk und grau ja längst Lorenzo sei,

Da dreißig Jahre schon nach ihm entflohn.

Dem Wahnsinn war das Alte nicht vorbei:

Lorenzos Züge waren mit den Zeiten

Gealtert nicht in seiner Phantasei.

Und in des Turmes finstern Einsamkeiten,

War nun Antonios schrecklich Los, zu schmachten,

Zu hören stets die Todesstunde schreiten.

Roberto säumte noch ihn hinzuschlachten:

›Bis seinen Lauf der bleiche Mond vollendet,

Soll dich die feste Kerkerwand umnachten.

Die Frist sei dir Verbrecher noch gespendet,

Auf daß auch dich dein Vater sterben sehe!‹

Und in die Ferne ward ein Brief gesendet.

Lorenzo ahnte nicht des Schicksals Nähe.

Schon war verschlummert seine Jugendsünde,

Sein Herz erwarmet in beglückter Ehe:

Da kam das Schreckensblatt von seinem Kinde;

Da brach er auf und flog mit Sturmeseile,

Daß er Antonio noch lebendig finde,

Daß er des Wahnsinns blutgen Irrtum heile

Und das schuldlose Opfer schnell erlöse;

Wo nicht, den Tod mit seinem Sohne teile.

Wohl mahnte laut sein Herz ihn an das Böse

Der Jugendschuld, als er dem Schloß genaht,

Mit des Gewissens hämmerndem Getöse;

Wohl trieb er seinen Witz nach klugem Rat,

Wie er den Sohn entreiße der Gefahr

Und selber nicht bezahle seine Tat.

Ihm folgte schützend eine Waffenschar

Zum Schlosse, das ihm schon entgegendrohte,

Rauh, wie der Rache türmender Altar.

Durch Nebel taucht' empor das blutigrote

Antlitz des Mondes am bewegten Himmel,

Der schreckensvollen Nacht ein ernster Bote.

Der Wolken trübweissagendes Gewimmel

Flog unstet übers Tal, die Winde trugen

Herüber fernen Donners dumpf Getümmel:

Als an das Grafenschloß die Wandrer schlugen

Und bald darauf das Tor, das langentwöhnte,

Einlaß gewährend knarrt in seinen Fugen.

Ihr scheuer Tritt im öden Burghof tönte,

Wo alles einsam, still und finster lag,

Durchs hohe Gras allein der Windhauch stöhnte.

Die Waffenknechte lauschten stumm und zag;

Lorenzo hört des Busens alten Wächter

Stets lauter mit erinnrungsvollem Schlag,

Und ihn ergriff, wie die gedungnen Fechter,

Ein Grauen: plötzlich aus des Schlosses Tiefen

Schnitt durch die Nacht ein höhnisches Gelächter

Dann todesstill; – dann wirre Stimmen riefen.

Schon sah Lorenzo, dem der Mut zerbrach,

Die Nacht vom Blute seines Kindes triefen.

Und zaudernd schritten sie dem Laute nach,

Und über Treppen, dunkle Hallengänge,

Betraten sie ein dämmerndes Gemach.

Hier sahn sie das phantastische Gepränge

Der wunderlichen Marionettenbühne;

Hier lernten sie verstehn die krausen Klänge.

Soeben eifert der wahnwitzig kühne

Poet, daß er auch strafe die Betörung

An seinem Helden und das Schicksal sühne:

Und mit den Worten innigster Empörung

Empfing den Todesstreich Lorenzos Puppe.

Jetzt fuhr der Alte auf, entzückt der Störung:

›Ihr Herren, wie behagt euch diese Gruppe?

Soll wiederholet werden euch zu Ehren

Von meinem tüchtigsten Schauspielertruppe!

Ich kenn euch wohl und euer heiß Begehren:

Doch wollet nur indes Gedulden tragen

Und lustig erst den Willkommsbecher leeren!‹

Der Vorhang fiel; doch wollte nicht behagen

Der Becher, den Robertos Knechte reichten,

Bis wieder ward der Vorhang aufgeschlagen.

Bei einer Dämmerlampe trübem Leuchten

Begannen ihren Tanz die Marionetten;

Doch schrecklich, daß die Gäste dran erbleichten,

Denn plötzlich schauten sie, geschleift an Ketten,

Verhöhnt von Roberts tragischem Sermon,

Mit plumpem Tritt – Antonios Leiche treten.

Lorenzo starb vor Schreck an seinem Sohn;

Die Knechte hüllten schreiend ihr Gesicht,

Und mit Entsetzen stürzten sie davon.« –

So weit des Klausners nächtlicher Bericht.

Und ich erwacht an eines Baches Rand,

Als durch die Felsen drang das Morgenlicht,

Nachsinnend, wo der Eremit verschwand;

Ob Wahrheit, was nun meine Sinne mied,

Ob eines bösen Traumes wilder Tand? –

Und als ich aus dem Klippentale schied,

Sah wieder ich des Lammes Wolle beben

Am Strauche, den die Sonne ewig flieht,

Im Hintergrund den stillen Geier schweben.

 

Vermischte Gedichte

 

Neue Folge

Lass mich ziehn!

Ich bin kein Freund von Sterbensehen;

Wenn deine Liebe soll vergehen,

So sterbe sie allein; ich will

Mit meiner sein allein und still.

 

Gedächtnis weiß getreu von Jahren

Die Liebeszeichen zu bewahren;

Wenn eins dir nach dem andern weicht,

Seh ich, wie Tod dein Herz beschleicht.

 

Du merkst es nicht, viel ist geblieben;

O Gott! es war ein reiches Lieben;

Viel hat der Tod zu knicken doch,

Bis alles aus; er knickt es noch.

 

Du merkst es nicht; mein sind die Schmerzen;

Doch leichter wird es deinem Herzen,

Da du von mir dich scheidest los,

Denn Lieben ist ein banges Los.

 

Wie Tod sich mag mit Liebe messen,

Bei dir, die ich nicht kann vergessen,

Will ichs nicht schaun, wenn ichs auch seh

Im Schmerze, daß allein ich steh.

 

Gut ists, vors Aug die Hände schlagen,

Ist nicht ein Anblick zu ertragen;

O könnte so das Herz dem Licht

Entfliehn beim Anblick, der es bricht!

 

Ich glaub es nicht, daß deiner Seele,

Der schönsten, ewge Liebe fehle;

Doch traur ich, bis die Gruft mich deckt,

Daß meine Lieb sie nicht geweckt.

Zweifel und Ruhe

 

Der Mensch auf halbem Weg entschlief

Im Schatten eines alten Baumes,

In Banden eines süßen Traumes,

Schlief manche Wanderstunde, tief.

Das Laub des Baumes rauschte mild

Und bat den Schlaf: o bleibe lang!

Zum Traume sprach der Vögel Sang:

O male fort dein buntes Bild;

Daß uns der Schläfer nicht erwache,

Er weile unter diesem Dache!

 

Da kam der Zweifel, ihn zu wecken;

Er klopft ihm auf die Schulter sacht

Und spricht: steh auf, bevor es Nacht,

Zum Ziele sind noch weite Strecken.

Ich bin dein Freund, ein rauher zwar,

Doch treu, und warne vor Gefahr.

 

Er führt ihn fort durch stille Heiden,

Wo Lust und Zier des Lebens scheiden,

Natur blüht abseit seinem Herzen,

Ihn fassen unversöhnte Schmerzen.

Wie sonst vom stillen Heideland

Der Wandrer Vögel scheucht empor,

So rauscht ihm an des Zweifels Hand

Von Fragen auf ein wilder Chor,

Die schreiend fort zur Ferne dringen,

Doch Antwort nicht zurück ihm bringen.

Dann wird es öder, stiller immer,

Dämmrung versagt den letzten Schimmer;

Der Wandrer schreitet trüb und sacht

Mit seinem Führer durch die Nacht.

 

Doch wenn ihm auf dem Gang nicht graut,

Und wenn er kräftig horcht und schaut

In seines Herzens tiefsten Grund,

So wird ihm hier der Himmel kund.

Da unten strömt der ewge Quell,

Da klingt es hold, da strahlt es hell,

Er schaut den Brunnen und das Meer

Und fragt nicht mehr: wohin? woher?

Mein Herz

 

Schlaflose Nacht, der Regen rauscht,

Sehr wach ist mir das Herz und lauscht

Zurück bald nach vergangnen Zeiten,

Bald horcht es, wie die künftgen schreiten.

 

O Herz, dein Lauschen ist nicht gut;

Sei ewig, Herz, und hochgemut!

Da hinten ruft so manche Klage,

Und vorwärts zittert manche Frage.

 

Wohlan! was sterblich war, sei tot!

Naht Sturm! wohlan! – wie einst das Boot

Mit Christus Stürme nicht zerschellten,

So ruht in dir der Herr der Welten.

Lenz

 

Die Bäume blühn,

Die Vöglein singen,

Die Wiesen bringen

Ihr erstes Grün.

 

Schier tuts mir leid,

Zu treten die Erden

Und ihr zu gefährden

Ihr neues Kleid.

 

Sie hat nicht acht,

Ob Knospenspringen

Und Frühlingssingen

Mich traurig macht.

Das Kreuz

 

Ich seh ein Kreuz dort ohne Heiland ragen,

Als hätte dieses kalte Herbsteswetter,

Das stürmend von den Bäumen weht die Blätter,

Das Gottesbild vom Stamme fortgetragen.

 

Soll ich dafür den Gram, in tausend Zügen

Rings ausgebreitet, in ein Bildnis kleiden?

Soll die Natur ich und ihr Todesleiden

Dort an des Kreuzes leere Stätte fügen?

Nüchterner Blick

 

Im Grund begraben wird hier, dort gefunden

Vergangner Pflanzen steingewordne Spur,

Gebein von Tierart, die vorlängst entschwunden,

Die abgelegten Kleider der Natur.

Und wollt ihr dann in staunenden Gedanken

Die Gliedermassen euch zusammenfügen,

Sinds Riesen, überragend alle Schranken,

Ihr schaut Urwelt in großen Schreckenszügen.

Der Riese wandelt – und es bebt der Grund;

Er zürnt – sein Sturmesodem glüht und qualmt,

Von seinem Tritt wird jeder Feind zermalmt;

Wie freut ihr euch, daß tot der große Fund!

So dünkt euch schier des Mittelalters Glaube

Ein Ungetüm, das einst von Land zu Land

Verheerend zog und von der Erde schwand;

Ihr wünscht dem Tode Glück zu seinem Raube.

Doch stehn, von allen Stürmen unerschüttert,

Die Münster da, der klugen Zeit ein Grauen,

Wie hohe Felsenkrippen anzuschauen,

Wo jenes Ungeheuer ward gefüttert.

Einem Autographensammler

 

Fährtenkundig, kennt der schlaue

Jäger aus der Spur im Schnee

Von dem Hirsche, Wolf und Reh

Die verräterische Klaue.

 

Ja! das Pedeskript des Wildes

Gibt ihm auf dem weißen Grund

Auch des Tieres Größe kund

Im Kontur des Klauenbildes.

 

Aus dem Schnitt der Fährtenränder

Weiß der Weidmann scharf genau,

Wer gewandelt durch die Au:

Spießer oder Sechzehnender.

 

Meinst du, Autographenheger,

Daß dein Blick in dieser Schrift

Spuren meines Geistes trifft,

Wie das Wild beschleicht der Jäger?

Der Räuber im Bakony

 

Der Eichenwald im Winde rauscht,

Im Schatten still der Räuber lauscht,

Ob nicht ein Wagen auf der Bahn

Fern rollt heran.

 

Der Räuber ist ein Schweinehirt,

Die Herde grunzend wühlt und irrt

Im Wald herum, der Räuber steht

Am Baum und späht.

 

Er hält den Stock mit scharfem Beil

In brauner Faust, den Todeskeil;

Worauf der Hirt im Wurfe schnellt

Sein Beil, das fällt.

 

Wählt aus der Herd er sich ein Stück,

So fliegt die Hacke ins Genick,

Und lautlos sinkt der Eichelmast

Entseelter Gast.

 

Und ists ein Mensch mit Geld und Gut,

So meint der Hirt: es ist sein Blut

Nicht anders, auch nur rot und warm,

Und ich bin arm.

Das Dilemma

 

Er streckt dir sein Dilemma stracks entgegen;

Ists eine Gabel, logisch mich zu spießen?

Sinds Arme zwei, die Wahrheit einzuschließen? –

So zweifelst du, verschüchtert und verlegen.

 

Mich aber mahnt der Zweizack dieses Weisen

An eine Fahrt auf mondbestrahlten Bahnen;

Ein Fuhrwerk wars, wie bei den Altgermanen

Ein schlichter König pflegt' umherzureisen.

 

Sacht ging es fort auf heugewohntem Wagen,

Der Bauer ließ die Ochsen langsam schreiten;

Die Nacht ist schön, und durch die Seele gleiten

Die Bilder mit idyllischem Behagen.

 

Ha! zwischen des Gespannes Hörnern leuchtet

Das Horn des Mondes, scheinbar eingefangen,

Wie zwischen des Dilemmas beiden Stangen

Ein Himmelslicht dir eingeschlossen deuchtet.

Einem Freunde

 

Spät hab ich dich gefunden

Und muß das Los beklagen,

Das nicht in Jugendtagen

Mein Herz an deins gebunden.

 

Verklungen sind die Feste,

Die Jugendträume ferne;

Wie hält ich sie so gerne

Mit dir geteilt, das Beste!

 

Und könnt uns nicht vereinen

Der Lenz in seinen Blüten,

So wills der Herbst vergüten

In seinen welken Hainen.

 

Der Luft entblätternd Wehen,

Der Himmel, kühler, trüber,

Macht, daß wir nicht vorüber

Am warmen Herzen gehen.

Auf eine holländische Landschaft

 

Müde schleichen hier die Bäche,

Nicht ein Lüftchen hörst du wallen,

Die entfärbten Blätter fallen

Still zu Grund, vor Alterschwäche.

 

Krähen, kaum die Schwingen regend,

Streichen langsam; dort am Hügel

Läßt die Windmühl ruhn die Flügel;

Ach, wie schläfrig ist die Gegend!

 

Lenz und Sommer sind verflogen;

Dort das Hüttlein, ob es trutze,

Blickt nicht aus, die Strohkapuze

Tief ins Aug herabgezogen.

 

Schlummernd, oder träge sinnend,

Ruht der Hirt bei seinen Schafen.

Die Natur, Herbstnebel spinnend,

Scheint am Rocken eingeschlafen.

Die Korybanten

 

Betäubendes Erzgerassel,

Und sprühendes Feuergeprassel,

Hoch kommen die Dämpfe geschnoben

Vom rollenden Opferherde

Der alten Göttin Erde,

Und ihre Priester – sie toben.

 

Wie einst sich selber entmannten

Berauschte Korybanten

In rasenden Lustgetümmeln,

So toben, mit Wut geschlagen,

Erdpriester in unsern Tagen,

Bis sie sich geistig verstümmeln.

 

Als Rhea gebar den Kroniden

Für Hellas zum Heil und Frieden,

Erhoben ein Rauschen und Klingen

Des Kronos kecke Betäuber,

Daß der Götter Vater und Räuber

Das Zeuskind nicht möge verschlingen.

 

Drum geht im greulichen Lärme

Entbrannter Kuretenschwärme

Der Mut mir nimmer verloren;

Es wird bei diesem Geschmetter

Für uns der olympische Retter,

Der neue Gott geboren.

 

 

Drittes Buch

 

Gestalten

Der ewige Jude

Ich irrt allein in einem öden Tale,

Von Klippenkalk umstarrt, von dunklen Föhren;

Es war kein Laut im Hochgebirg zu hören,

Stumm rang die Nacht mit letztem Sonnenstrahle.

 

Für ernste Wandrer ließ die Urwelt liegen

In diesem Tal versteinert ihre Träume;

Dort sah ich einen Geier durch die Bäume

Wie einen stillen Todsgedanken fliegen.

 

Nun kam ein Regen; daß der Himmel weine,

Erkennt das Herz an kahlen Felsenriffen,

Wo es vom Regen traurig wird ergriffen,

Daß er nicht wecken kann die toten Steine.

 

So ruft umsonst ein Strom von heißen Tränen

Den Trümmern ausgetobter Leidenschaften:

Wach auf, blüh auf aus deinen Todeshaften,

O Liebe! süßes Quälen! Hoffen! Sehnen!

 

Das Erz nur kann ich aus den Schlacken zwingen,

Mit Lebensgluten es dem Tod entlocken

Und gießen zu lebendgen Liedesglocken,

Die, Wehmut weckend, durch die Welt erklingen.

 

»Dahin, dahin des Lebens helle Stunden!

Mir nachtets, Tal, wie dir! ich wollt, ich wäre

Versunken, ein mein Licht versank, im Meere!«

Ich riefs und ließ aufbluten meine Wunden.

 

Und heftger regnets; von erwachten Winden

Ward Wolk an Wolke brausend zugetragen;

Wie zu des Herzens jüngsten Tränen, Klagen

Sich alter Schmerzen ferne Quellen finden. –

 

Stets dunkler wards im Tale, lauter immer,

Sturzbäche durch die Felsengassen sprangen,

Es wimmerten die Winde, schluchtverfangen,

Und Donner schlug; – den Geier sah ich nimmer.

 

Wo war der Geier? wo der Todsgedanke?

Der Geier muß in einer Ritze ducken,

Solang die Klagen das Gebirg durchzucken;

Sein Leben fühlt und liebt im Schmerz der Kranke.

 

Nur Einem ist, ob schweigend oder stürmend,

Die Welt stets einerlei und stets zuwider,

Denn rastlos muß er wandern auf und nieder,

Jahrtausendhoch die Todeswünsche türmend. – –

 

Schon sucht ich in den Bergeseinsamkeiten

Ein Lager mir, da kam ein Rauch geflogen,

Als wär er gastlich nach mir ausgezogen,

Zur waldversteckten Hütte mich zu leiten.

 

Ich späht umher, bald sah ich Kerzenschimmer

Durch dunkle Tannen, hörte Menschenworte;

Bevor ich einschritt in die offne Pforte,

Blickt ich durchs Fenster in das niedre Zimmer.

 

Ein Greis, bemüht, die braunen Rückenhaare

Zu einem Gemsbart weidgerecht zu schlichten,

Saß schweigend und wie sinnend auf Geschichten

Und Jägerstreiche seiner rüstgen Jahre.

 

Hoch stand sein Sohn, vom Ruß die Büchse putzend

Mit Schultern, die den Hirsch bergüber trügen,

Mit scharfen und entschlußgewohnten Zügen,

Wie sie der Raubschütz hat, dem Tode trutzend.

 

Die Hausfrau stand am Herd, die Mahlzeit kochend,

Rief durch die Tür herein, daß sie bald fertig,

Denn ihre Kinder saßen schon gewärtig,

Mit froher Ungeduld am Tische pochend.

 

Und ich empfand, als ich das Bild betrachtet:

Ein Herz, das Lieb und Sorge dicht umhegen,

Ist glücklich; und ein Herz auf stolzen Wegen,

Auf Irrfahrt großer Wünsche – herb verschmachtet.

 

Der Hütte Not manch bunter Schmuck verhüllte;

Viel Heilgenbilder, Braut- und Taufgeschenke

Verzierten blank die Wände rings und Schränke,

Trinkgläser auch, vielleicht noch nie gefüllte.

 

Schön ist die Armut, wenn sie, keusch verhangen,

Im rohen Sturm als eine Jungfrau schreitet,

Die Hüllen sorglich um die Blößen breitet,

Den Feind besiegend mit verschämten Wangen. –

 

Eintrat ich in die Stube, froh willkommen,

Dem Wildrer gab ich ehrlich meine Rechte,

Ihn nicht zu liefern an des Forstes Mächte,

Und ward zu Herberg herzlich aufgenommen.

 

Die Wirte suchten ihren Gast zu ehren

Mit derber Kost, mit derben Jägerstücken,

Wie sie die Wächter und das Wild berücken,

Von Gemsen, wie sie fielen, Luchsen, Bären.

 

Der Schütze wies und pries mir seine Stutze,

Mit welchen schon sein Vater einst, der Alte,

Als frischer Jung in diesen Bergen knallte;

Mir wies die Frau, was sie besaß an Putze.

 

Sie ließ mir, kindlich, bunten Flitter schauen;

Doch mehr als Ringlein, Perlenschnur und Spangen,

Hielt eine Münze meinen Blick gefangen

Und traf mein Herz mit wunderlichem Grauen.

 

Die Münze bleiern sah so traurig blinkend,

Fast wie ein brechend Auge, das Gepräge

War Christus mit dem Kreuz am Leidenswege,

Nach Ruhe schmachtend und zusammensinkend.

 

Nie war ein Bild, gemalt vom heilgen Schmerze,

In all den reichen kunstgeschmückten Hallen

So klagend an die Seele mir gefallen,

Wie dieses Bild, geprägt im grauen Erze.

 

Nun schien der Mond herein; die Kinder schliefen,

Der Alte murmelte den Abendsegen,

Dann ward es still; vorbei war Sturm und Regen

Nur draußen hört ich noch die Tannen triefen.

 

Und als ich starrt aufs mondbestrahlte Bildnis,

Ward mir, ob sichs in meiner Hand belebe,

Als ob sein Geist mit mir von hinnen schwebe,

Ich war hinausentrückt zur Felsenwildnis.

 

Und Alpenlerchen hört ich jubelnd schmettern,

Und Adler sah ich steigen in die Lüfte,

Die scheue Gemse springen über Klüfte,

Den Jäger nach im Morgenrote klettern.

 

Die Büchse knallt, die Gemse stürzt vom Felsen,

Sie hört nicht mehr das Echo donnernd wandern

Von Berg zu Berg; doch hören es die andern

Und lauschen schreckhaft mit gespannten Hälsen.

 

Des toten Tieres zitternde Genossen

Stehn still, solang die Widerhalle dauern,

Sie hören Schüsse rings von allen Mauern,

Wohin sie flüchten sollen, unentschlossen;

 

Jetzt eilen sie windschnell davon und schwinden

Im Felsgeklüft; ob sie nur Angst durchzittert?

Daß man die Weide ihnen so verbittert,

Ob sie des Menschen Unrecht nicht empfinden?

 

Der Bock, den dieser Schuß herabgerissen

Vom Felsenhang, wo ihn sein Leben freute,

Hängt von des Jägers Schulter nun als Beute,

Hält in den Zähnen noch den Kräuterbissen.

 

Wie jetzt der Raubschütz auf geheimen Wegen

Mit seinem Raube will davon sich machen,

Hört ers Gerüll von schweren Tritten krachen,

Ihm kommt ein riesenhafter Greis entgegen.

 

Der Alte blickt aus dichten Augenbrauen,

Die Föhrenbüscheln, glutversengten, gleichen;

Der Urkalk rings scheint mit dem starren, bleichen

Antlitz des Manns aus einem Stück gehauen.

 

Er ruft dem Jäger: »Halt!« mit einer Stimme,

Daß lauter als zuvor die Berge schallen,

Daß fliehend vom Geklipp die Gemsen fallen,

Und seine Keule schwingt der Greis im Grimme.

 

Doch steht er fest im engen Schluchtenpfade

Und harrt mit hocherhobner Todeswaffe,

Daß der bestürzte Jäger auf sich raffe

Und seine ausgeschoßne Büchse lade.

 

Indes in seiner Rechten droht die Keule,

Reißt seine Linke von der Brust die Hülle,

»Schieß her!« ruft sein toddürstendes Gebrülle,

»Sonst stirb!« ruft sein todlechzendes Geheule.

 

Erstaunen und Entsetzen überschleiern

Des Jägers Blicke; doch die Büchse faßt er

Und schüttet Pulver, drückt darauf das Pflaster,

Und in den Lauf treibt er die Kugel bleiern.

 

Er zielt und schießt aufs Herz dem wilden Recken;

Doch wie geprallt an eine Felsenscheibe,

So klatscht die Kugel ab von seinem Leibe,

Den Jägersmann zu Boden wirft der Schrecken.

 

An ihm vorüber rauscht der grause Alte,

Den's weiter treibt, umsonst den Tod zu suchen;

Der Schütze hört noch lang sein fernes Fluchen,

Bis ihm der letzte Laut im Wind verhallte.

 

Der ewge Jude rief: »Nur ich von allen

Kann unglückselig nie die Ruhe finden!

O könnt ich sterben mit den Morgenwinden

Und wie mein Wehruf im Gebirg verhallen!

 

Ich bin mein Schatten, der mich überdauert!

Mein Widerhall, am Felsen festgenagelt!

Ein Halm, auf den es ewig niederhagelt!

Ein flüchtger Lichtstrahl, in den Stein gemauert!

 

Weh mir! ich kann des Bilds mich nicht entschlagen,

Wie er um kurze Rast so flehend blickte,

Der Todesmüde, Schmach- und Schmerzgeknickte,

Muß ewig ihn von meiner Hütte jagen!« – –

 

Und als es stille war im Felsenschlunde,

Erhob sich scheu und schlich zur grausen Stelle,

Wo seine Kugel traf, der Weidgeselle

Und nahm sein plattgequetschtes Blei vom Grunde.

 

Und zitternd kam er auf mich zugeschritten

Und reichte mir das Blei, ich nahms mit Grauen:

Zur Münze wars geprägt, auf der zu schauen

Des ewgen Juden Herzqual eingeschnitten.

 

Die Münze bleiern sah so traurig blinkend,

Fast wie ein brechend Auge, das Gepräge

War Christus mit dem Kreuz am Leidenswege,

Nach Ruhe schmachtend und zusammensinkend. –

 

Da weckten meine wirtlichen Genossen

Mit lautem Ruf zurück mich in das Zimmer,

Als ich erwacht, hielt meine Hand noch immer

Das Zauberbild, vom Mondenlicht umflossen.

Heloise

 

Im Klostergarten steht ein steinern Bild,

Ein Kruzifix so ernst, versöhnungsmild.

Oft in der Nacht, der ungestörten, späten,

Geht Schwester Heloise hin, zu beten.

Auch heute kniet sie dort am Marmorstamme

Und fleht um Kühlung ihrer Herzensflamme:

»O Gott! nachdem du hast für uns gelitten,

Geklagt, geweint, empfangen Todeswunden,

Wird unglückliche Liebe noch gefunden?

Hat sie nicht ausgeweint und ausgestritten?

Hilf! rette mich aus diesen Finsternissen

Der Zweifel, die mein blutend Herz umnachten!

Nach Ihm, nach Ihm nur muß ich ewig schmachten,

O Gott! hier liegt mein Herz vor dir zerrissen!

Umsonst, daß ich empfing den frommen Schleier,

Daß ich zum strengen Orden mich bekannte,

Noch immer seh ich meinen süßen Freier,

Wie er beim letzten Lebewohl sich wandte.

Du selbst hast ihn zum Gatten mir erkoren;

Oft, wenn ich Wort' und Küsse mit ihm tauschte,

War mir, ob Himmelsbeifall uns umrauschte;

Kannst du mich trösten, daß ich ihn verloren?

Du kannst es nicht, muß zitternd ich bekennen,

Ich sterbe hin in meiner Leidenschaft,

Es muß mein Herz mit seiner letzten Kraft,

Dir abgewandt, in dieser Glut verbrennen.

Und wenn ich das Verlerne und Versäumte,

Als hätt ich es, in süßen Nächten träumte,

Vergib, mein Gott! daß ich in meinen Schrecken,

Wenn kalt die Schwestern mich zur Hora wecken,

Nach Truggestalten strecke meine Hände,

Vergötternd mich zu meinen Träumen wende.

Verzeih, wenn ich oft knieend am Altare

Zu knieen mein' an meiner Freudenbahre,

Und daß in mir verlornes Mutterglück

Aufschreit: gib mir den Bräutigam zurück!

Im Mondlicht seh ich hier dein Antlitz schimmern,

Die Winde seufzen durch den Blütenstrauch;

Ich kam zu beten, doch im Windeshauch

Hör ich mein unempfangnes Kindlein wimmern.

Ich bin so arm, verlassen und beraubt,

Nichts kann ich mehr zum Opfer und Geschenke

Dir bringen, Gott! als daß mein müdes Haupt

Ich hier zu deinem heilgen Kreuze senke,

Daß ich die Wange kühl' an deinem Steine,

Wenn ich die Nacht um Abälard verweine.«

Der Schmetterling

 

Es irrt durch schwanke Wasserhügel

Im weiten, windbewegten Meer

Ein Schmetterling mit mattem Flügel

Und todesängstlich hin und her.

 

Ihn triebs vom trauten Blütenstrande

Zur Meeresfremde fern hinaus;

Vom scherzend holden Frühlingstande

Ins ernste, kalte Flutgebraus.

 

Auf glattgestreckte, sanfte Wogen

Hatt ihm das Meergras trügerisch

Viel schönre Wiesen hingelogen,

Wie westgeschaukelt, blumenfrisch.

 

Ihm war am Strand das leise Flüstern

Von West und Blüte nicht genug,

Es trieb hinaus ihn, wählig lüstern,

Zu wagen einen weitern Flug.

 

Kaum aber war vom Strand geflogen

Des Frühlings ungeduldges Kind:

Kam sausend hinter ihm gezogen

Und riß ihn fort der böse Wind;

 

Stets weiter fort von seines Lebens

Zu früh verlornem Heimatglück;

Der schwache Flattrer ringt vergebens

Nach dem verschmähten Strand zurück.

 

Von ihrem Schiffe Wandersleute

Mit wehmutsvollem Lächeln sehn

Die zierlich leichte Wellenbeute,

Den armen Schmetterling vergehn.

 

O Faust, o Faust, du Mann des Fluches!

Der arme Schmetterling bist du!

Inmitten Sturms und Wogenbruches

Wankst du dem Untergange zu.

 

Du wagtest, eh der Tod dich grüßte,

Vorflatternd dich ins Geistermeer;

Du gehst verloren in der Wüste,

Von wannen keine Wiederkehr.

 

Wohl schauen dich die Geisterscharen,

Erbarmen lächelnd deinem Leid;

Doch müssen sie vorüberfahren,

Fortsteuernd durch die Ewigkeit.

Auf meinen ausgebälgten Geier

 

1.

Du stehst so still und ernst, mein ausgebälgter Geier,

Ich bringe dir ein Lied mit meiner ernsten Leier.

 

Zwar hörst du nichts davon, dir geht mein Gruß verloren;

Doch Dichter sind gewohnt, zu singen toten Ohren.

 

Es lebt ja noch der Geist, der einst dir gab die Schwingen,

Den traf der Jäger nicht, er hört mein Lied erklingen.

 

Und wenn kein Menschenohr auch meinem Sange lauschte,

So hört mich doch der Geist, der mir das Herz berauschte.

 

Ich wollt, ich wäre jetzt in fernen Felsenklüften,

Und du hoch über mir, still kreisend in den Lüften;

 

Ich ließe froh mein Aug mit deinem Fluge schweifen,

Und wie du niederfährst, die Beute zu ergreifen;

 

Wie du, atmender Blitz, zu Boden niederzückest

Und mit den Krallen scharf ein warmes Leben pflückest;

 

Wie du das volle Herz ansetzest als ein Zecher,

Daß mit dem Leben trinkt der Tod aus einem Becher.

 

Traun! milder ist der Tod, trotz Blut und Jammerstimme

Wo heiße Lebenslust sich paart mit seinem Grimme,

 

Als wo kein Leben ist beim letzten Hauch zu sehen,

Wo still der Tod uns dünkt ein einsames Vergehen.

 

Ihr Weinenden am Sarg, an seinem dichten Schleier,

O kommt ins Felsental mit mir und meinem Geier!

 

O kommt, Unsterblichkeit will die Natur euch lehren,

Mit diesem Blute will sie trösten eure Zähren.

 

Im Kreischen dieses Aars, mags auch die Sinne stören,

Ist für die Seele doch ein süßer Klang zu hören.

 

Hier findet Trost ein Mann, ward ihm ein Glück zunichte,

Und näher tritt er hier dem Rätsel der Geschichte.

 

Der Geist, der heiß nach Blut hieß diesen Geier schmachten,

Es ist der starke Geist zugleich der Völkerschlachten;

 

Ein rasches Pochen ists, ein ungeduldigs Drängen

Der Seele, ihren Leib, den Kerker, aufzusprengen.

 

Den großen Kaiser hat einst dieser Geist durchdrungen,

Er hat ihm hoch sein Schwert zur Völkermahd geschwungen;

 

Dem Jäger, der als Wild die Menschheit trieb im Zorne

Durchs Dickicht seines Heers und Bajonettendorne;

 

Der, wie das Schicksal, fest beim Wehgeheul der Schmerzen,

Saatkörner seines Ruhms, warf Kugeln in die Herzen;

 

Und der auf Helena, wenn rings die Meerflut schäumte,

Beim Sturme sich zurück in seine Schlachten träumte. –

 

Mehr als ein blutger Tod macht es mein Herz erbeben,

Wenn unsichtbarer Hauch verweht ein Menschenleben;

 

Wenn übers Angesicht des Spiel vom letzten Schmerze

Hinzittert wie der Rauch der ausgelöschten Kerze.

 

Doch furchtbar ist der Tod, ein Grauen nicht zu zwingen,

Wenn eine Seuche kommt, die Völker zu verschlingen.

 

Der Kaiser liegt im Grab, die Menschen wollen Frieden,

Da ward nach lautem Schreck ein stiller herbeschieden.

 

Viel tausend Leben hat die Seuche fortgenommen,

Als hätte die Natur Verzweiflung überkommen,

 

Als wäre die Natur gejagt von einem Fluche,

Daß mit geheimem Gift den Selbstmord sie versuche.

 

Ein Geier ist der Krieg, Herzblut ist sein Verlangen

Die Seuche, still und glatt, ist vom Geschlecht der Schlangen.

 

Wo diese Schlange schleicht, fliegt ihr voran das Grauen,

Weil wir die Schlange nicht und ihren Rachen schauen.

 

Doch wie der wilde Aar, mit seinen scharfen Fängen,

Will auch die Schlange nur das Leben vorwärts drängen.

 

2.

Du toter Geier stehst noch immer wild und edel,

Und neben dich gestellt hab ich den bleichen Schädel.

 

Ich lasse dir nach ihm den Schnabel niederhangen,

Als hättest du gespeist das Fleisch von seinen Wangen.

 

Es mag an diesem Bild sich gern mein Blick entzünden,

Sehnsüchtig träumen sich nach Himalayagründen.

 

Den Ganges will ich dort abholen an der Quelle

Und ziehn mit ihm hinab, sein lauschender Geselle.

 

Der Ganges rauscht vorbei an einem Totenacker,

Und Geier fliegen schnell heran, die Leichenhacker.

 

Hier Gentlemen, Hindu und Moslemim beisammen,

Die lustig nach Hurdwar zur lauten Messe kamen.

 

Die Schlange Cholera mit mörderischer Tücke

Verschlang sie rasch und spie sie schwarz und kalt zurücke.

 

An manchem Herzen jetzt die Geier zehrend haften

Wie noch vor einem Tag die heißen Leidenschaften.

 

Die Raben tummeln sich am Rest des Geiermahls,

Und gierig springen dran Wildhunde und Schakals

 

Und Störche ziehn heran, gefiederte Giganten,

Vom strenggemeßnen Schritt geheißen Adjutanten.

 

Wie sie auf ihren Fraß zuschreiten leis und sacht,

Unhörbar: ist allein, was hier mich grauen macht;

 

Und wie bedächtig sie den Schnabel klappernd wetzen;

Nur die Methode weckt mir grieselndes Entsetzen.

 

Dort Leichen führt hinab der Ganges, dumpf erbrausend,

Viel Geier sitzen drauf und schwimmen mit, fortschmausend;

 

Und andre folgen satt, mit müßigem Geflatter

Dem Leichenzuge nach, wild schwärmende Bestatter.

 

Hier bin ich rings umbraust von heißem Lebenstriebe,

Natur! hier rauscht dein Kuß der heftgen Mutterliebe.

 

Hier muß das Grauen selbst der Seuche sich verlindern,

Seh ich, Natur, wie du hier schwelgst in deinen Kindern!

 

Fort wird das Bild des Tods vom Lebenssturm getragen,

Der Siegesruf verschlingt mir alle Todesklagen.

 

Und mit den Geiern dort, die um die Leichen schwanken

Laß fliegen ich am Strom Unsterblichkeitsgedanken.

Der gute Gesell

 

Des Menschengeschlechts uralter Gefährte,

Der nie von seiner Seite gewichen

Seit dem Verluste des Paradieses,

Wo er mitleidig sich angeschlossen;

Der nie wird weichen von seiner Seite,

Solang auf Erden ein Mensch noch atmet;

Der unbekannte, der namenlose

Wohltäter der armen sterblichen Menschen,

Er sei gepriesen von meinem Liede,

Der alte treue gute Gesell. –

Als der Mensch gebrochen mit seinem Gotte,

Und als der elektrische Schlag der Sünde

Durch die ganze lange Kette der Herzen

Vom ersten Ahne zum fernsten Enkel

Erschütternd schlug das Geschick des Todes

Und die weithin tönende Klage;

Als die ersten Tränen auf Erden flossen,

Der Morgentau des schmerzlichen Tages;

Als hinter dem ersten Menschenpaare

Sich donnernd geschlossen des Edens Pforte:

Da folgte den weinenden Fortgewiesnen

Der gute Gesell, nachtragend heimlich

Auf dorniger Bahn ein Freudenbündel,

Das er noch eilig zusammengerafft

Im Eden, für ihre traurige Flucht. –

 

Kein strenger Richter, kein scharfer Denker,

Kein Weiser ist der gute Gesell;

Doch ist er ein Cicerone der Schöpfung,

Ein wortgewandter mit warmem Herzen.

Er führt uns an die Werke des Meisters,

Und weiß er nicht viel vom tiefen Geheimnis,

Vom Sinn und Geiste des ewigen Meisters,

So weiß er von den herrlichen Bildern

Doch süß zu schwatzen, mit funkelndem Auge,

Daß friedlich und wohl uns wird im Herzen.

 

Kein Weiser ist der gute Gesell,

Doch ein zauberkundiger Menschenfreund.

Die Armut schmerzt und der bittre Mangel:

Inmitten der irdischen Güter stehn,

Wie sie blühn und vergehn, und selbst vergehn

Und sie nie gekannt und genossen haben:

Das schmerzt am Ende, wenn noch so leise. –

Da kommt der gute Gesell in die Hütte,

Wo der arme Mann mit Weib und Kindern

Beim Abendmahl sichs behagen läßt,

Den Kienspan zündend und seinem Häuflein

Die Lust am kärglichen Mahl beleuchtend.

Der Zauberer kommt und schüttet heimlich

In die Schüssel allen Wohlschmack der Erde;

Und der arme Mann ist froh und betrachtet

Sein Weib, einst schön gepriesen und reizend,

Nun welk von Sorgen und Mutterliebe;

Doch sieht er es nicht, die blassen Wangen

Hat ihr geschmückt der gute Gesell

Mit unverwelklicher Herzensjugend. –

Der einsame Wandrer im fremden Gebirg,

Der ohne Heimat und Reisepfennig

Entgegenzweifelt der Nachtherberge:

Mit einmal fühlt er den Mut gehoben

Und schreitet rüstig durchs dämmernde Tal,

Und fester greift er den Wanderstab,

Denn der unsichtbare gute Gesell

Geht mit und lüpft ihm die schwere Bürde

Und raunt ihm ein lustiges Hoffnungsliedlein;

Er hat die Vögelein aufgestiftet

Und das hüpfende Bächlein angemuntert,

Ihm auch zu singen ein Hoffnungsliedlein.

Und findet das Lied auch nie Erfüllung,

So hats doch wohlgetan zur Stunde;

Der gute Gesell nimmts nicht so genau. –

Dort liegt an Ketten im finstern Kerker,

Den Tod erwartend, ein Verbrecher;

Jetzt naht dem Unglückseligen leise

Der gute Gesell und schenkt erbarmend

Ihm einen festen, gesunden Schlaf;

Noch steckt er ihm zu den guten Bissen,

Nachsichtig heimlich, hinter dem Rücken

Des bösen Gewissens, der Todesfurcht. –

 

Er weiß die trüben Erinnerungen,

Die bangen Zweifel, verlorne Sehnsucht

Allmählich der Seele zu entwenden,

Wie die Mutter dem Kind ein schneidend Gerät,

Womit es spielen möchte, verriegelt.

Undankbar hab ich ihn fortgewiesen,

Wenn er mich heilsam bestehlen wollte,

Wenn er mich freundlich wollte beschenken.

Dann ward er schüchtern und scheu zuletzt,

Und immer seltner kam er und seltner.

Verscheuchter Gefährte meiner Jugend,

O komm zurück und verzeih den Undank,

Du lieber, milder, guter Gesell! –

 

Wer ist er denn, der gute Gesell?

Woher des Weges? wie heißt sein Name?

Wir spüren ihn alle, doch nennt ihn keiner.

Es ist die Hoffnung vielleicht sein Kind,

Es ist der Glaube vielleicht sein Bruder

Und seine Mutter gewiß die Liebe.

Er ist ein heimlicher, namenloser

Wohltäter der armen sterblichen Menschen.

Zwei Polen

 

Hippotyt

 

Schon sieben Jahre treibst du

Dies wunderliche Wandern

Von einem Ufersaume

Der Welt dahin zum andern?

So lang aus diesem Schiffe

Trat nie dein scheuer Fuß,

Der lieben, trauten Erde

Zu bringen einen Gruß?

Und wenn das Schiff die Winde

In Landesnäh getragen,

Wenn du die blauen Berge

Sahst in die Lüfte ragen,

So bist du kalt geblieben

In deinem Bretterhaus?

So rief kein lautrer Herzschlag

In deiner Brust: hinaus!?

Und sahst du auf den öden,

Den unwirtbaren Wogen,

Wie plötzlich kam ein Vogel

Vom Lande hergeflogen,

Der bald zur Heimat wieder

An dir vorüberglitt,

Nahm der nicht deine Sehnsucht

In seine Wälder mit?

Wenn du in weiter Ferne

Mit seegeschärften Sinnen

Sahst aus den Fluten tauchen

Die grünen Waldeszinnen

Und unwillkürlich spürend

Den Landgeruch gespürt,

Hat sich in deinem Herzen

Die Waldlust nicht gerührt?

 

Boleslaw

 

Ich habe sieben Jahre

Mich auf der See getrieben,

Werd auf der See mich treiben

Vielleicht noch einmal sieben.

Solang mir nicht vom Ufer

Entgegentönt die Kunde,

Daß sich erhob die Menschheit,

Zu heilen jene Wunde,

Die mit dem Falle Warschaus

In tränenwerten Tagen

So tief dem heilgen Herzen

Der Freiheit ward geschlagen:

So lange wird vergebens

Gebirg und Wald mir winken

Und auf das Schiff ein Vogel,

Ihr müder Bote, sinken.

Den lieben Bergespfaden,

Der süßen Waldesruh

Und manchem Freundesherde

Kehr ich den Rücken zu

Und knicke tot im Herzen

Den Wunsch nach Wiederkehr

Und wende meine Blicke

Zurück ins freie Meer.

Hier leb ich mit den Wellen

Und mit den freien Winden

Und seh dahin die Tage,

Die hoffnungslosen, schwinden;

Hier leb ich mit den Brüdern

Erinnrungsvolle Stunden,

Dort die im heilgen Kampfe

Beglückten Tod gefunden.

 

Hippolyt

 

O tiefe Meeresstille!

O grenzenloser Frieden!

Auf weiter Wasserheide

Wie einsam, abgeschieden!

Das Meer in seiner Stille

Ist zwiefach unermessen;

Hier haben uns die Winde

Verlassen und vergessen.

 

Boleslaw

 

Der finstre, stumme Himmel

Ist wie mein Vaterland,

Dem jeder Strahl der Freude

Vom Angesichte schwand;

Der stille Meeresboden,

Wo keine Welle wacht,

Ist wie die stille Wahlstatt

Nach unsrer letzten Schlacht.

 

Hippolyt

 

Das stumme, finstre Antlitz

Des Himmels niederstarrt

Und mit verhaltnem Grolle

Der Zeit des Sturmes harrt. –

Der auf dem Dornenpfühle

Tatloser Schmerzen ruht,

Du wunderlicher Träumer,

Wie wäre dir zumut,

Wenn plötzlich übers Meer sich

Zu dir herüberschwänge

Ein Vöglein aus der Heimat

Und wach den Träumer sänge?

Wenn es ein Lied dir sänge,

Wie sie sich drüben schlagen,

Und wie die Waffenbrüder

Nach dir im Kampfe fragen?

Du aber bist gebannet,

Gefesselt ist dein Wille

Und mit dem Schiff gewurzelt

Hier in der Meeresstille!

 

Boleslaw

 

Das Vöglein wird nicht kommen

Und singen, wie sie schlagen,

Und wie die Waffenbrüder

Nach mir im Kampfe fragen;

Doch käm es, müßt ich weinen,

Daß ich daheim nicht wär,

Und würde ungeduldig

Mich stürzen in das Meer.

Mein Geist, entfesselt, eilte

Zur lang ersehnten Schlacht,

Ein Leitstern meinen Brüdern

In dichter Pulvernacht;

Und wollt ein Feind im Dunkel

Entfliehn der Schlacht, der heißen,

Würd ich des Rauches Mantel

Ihm von den Schultern reißen,

Die Kugeln meiner Brüder

Würd ich im Fluge lenken,

Daß sie sich tief und sicher

In Feindesherzen senken.

 

Hippolyt

 

Schon regen sich die Lüfte,

Und Sturmeswolken ziehn;

Vielleicht ist Polens Freiheit

Auf immer nicht dahin.

 

Boleslaw

 

Die Winde gehn und kommen,

Die Woge ebbt und flutet,

Doch ewig ohne Hülfe

Die tiefe Wunde blutet!

Der traurige Mönch

 

Nach einer Sage

 

In Schweden steht ein grauer Turm,

Herbergend Eulen, Aare;

Gespielt mit Regen, Blitz und Sturm

Hat er neunhundert Jahre;

Was je von Menschen hauste drin,

Mit Lust und Leid, ist längst dahin.

 

Der Regen strömt, ein Reiter naht,

Er spornt dem Roß die Flanken;

Verloren hat er seinen Pfad

In Dämmrung und Gedanken;

Es windet heulend sich im Wind

Der Wald, wie ein gepeitschtes Kind.

 

Verrufen ist der Turm im Land,

Daß nachts, bei hellem Lichte,

Ein Geist dort spukt in Mönchsgewand,

Mit traurigem Gesichte;

Und wer dem Mönch ins Aug gesehn,

Wird traurig und will sterben gehn.

 

Doch ohne Schreck und Grauen tritt

Ins Turmgewölb der Reiter,

Er führt herein den Rappen mit

Und scherzt zum Rößlein heiter:

»Gelt du, wir nehmens lieber auf

Mit Geistern als mit Wind und Trauf?«

 

Den Sattel und den nassen Zaum

Entschnallt er seinem Pferde,

Er breitet sich im öden Raum

Den Mantel auf die Erde

Und segnet noch den Aschenrest

Der Hände, die gebaut so fest.

 

Und wie er schläft und wie er träumt

Zur mitternächtgen Stunde,

Weckt ihn sein Pferd, es schnaubt und bäumt,

Hell ist die Turmesrunde,

Die Wand wie angezündet glimmt;

Der Mann sein Herz zusammennimmt.

 

Weit auf das Roß die Nüstern reißt,

Es bleckt vor Angst die Zähne,

Der Rappe zitternd sieht den Geist

Und sträubt empor die Mähne;

Nun schaut den Geist der Reiter auch

Und kreuzet sich nach altem Brauch.

 

Der Mönch hat sich vor ihn gestellt,

So klagend still, so schaurig,

Als weine stumm aus ihm die Welt,

So traurig, o wie traurig!

Der Wandrer schaut ihn unverwandt

Und wird von Mitleid übermannt.

 

Der große und geheime Schmerz,

Der die Natur durchzittert,

Den ahnen mag ein blutend Herz,

Den die Verzweiflung wittert,

Doch nicht erreicht – der Schmerz erscheint

Im Aug des Mönchs, der Reiter weint.

 

Er ruft: »O sage, was dich kränkt?

Was dich so tief beweget?«

Doch wie der Mönch das Antlitz senkt,

Die bleichen Lippen reget,

Das Ungeheure sagen will:

Ruft er entsetzt: »Sei still! sei still!« –

 

Der Mönch verschwand, der Morgen graut,

Der Wandrer zieht von hinnen;

Und fürder spricht er keinen Laut,

Den Tod nur muß er sinnen;

Der Rappe rührt kein Futter an,

Um Roß und Reiter ists getan.

 

Und als die Sonn am Abend sinkt:

Die Herzen bänger schlagen,

Der Mönch aus jedem Strauche winkt,

Und alle Blätter klagen,

Die ganze Luft ist wund und weh –

Der Rappe schlendert in den See.

Weib und Kind

 

Ein schwüler Sommerabend wars, ein trüber,

Ich ging fußwandernd im Gebirg allein,

Und ich bedachte mir im Dämmerschein,

Was mir noch kommen soll, was schon vorüber.

 

Kein Windhauch zog, die ernsten Tale ruhten,

Und wunderbar war mir das Fernste nah;

Der Tannwald stand ein fester Bürge da,

Daß sich noch alles wenden wird zum Guten.

 

Mir kam ein armes Bauernweib entgegen:

»Gelobt sei Jesus Christus!« sprach sie mir;

»In Ewigkeit!« so dankt ich freundlich ihr;

Es ist der beste Gruß auf dunklen Wegen.

 

Ihr folgt' ein kleines Mägdlein, halb erschrocken,

Als sie mich sah und ich die Hand ihr bot;

Sie mühte sich, mit einem Bissen Brot

Ein zögernd Kälblein mit sich heim zu locken.

 

»Kumm, Kalberl, kumm!« so rief das Kind dem Tiere;

Das klang so innig, lieblich und vertraut,

Daß ich der Unschuld heimatlichen Laut

Aus meinem Herzen nimmermehr verliere.

 

Lang blickt ich ihnen nach, bis sie verschwunden.

Und daß ein Leben schön und glücklich nur,

Wenn es sich schmiegt an Gott und die Natur,

Hab ich auf jenem Berge tief empfunden.

Der Steirertanz

 

Robert

 

Laß, Freund, uns übernachten

In jenem Jägerhause,

Das uns entgegenklinget

Mit Geigen und Gesängen.

Heut ließ die Sonne sprühen

Die sommerscharfen Pfeile,

Es war ein heißes Wandern

Auf steilen Bergespfaden;

Wir wollen uns erfrischen.

Und sind des Leibes Mühen

Am raschen Wanderstabe

Belohnt mit wackerm Imbiß

Und manchem Becher Weines,

Erquicken wir die Seele

Mit heiteren Gesprächen.

 

Heinrich

 

Es war ein herrlich Wandern;

Den Abgrund überspringend,

Die Felswand überkletternd,

Fand ich in seiner hohen

Geheimnisvollen Heimat

Manch schönes Alpenblümlein,

So einsam, bis zur Stunde

Gekannt nur von den Lüften,

Besucht nur von den Wolken,

Erblickt von Sternenaugen.

 

Robert

 

Es war ein herrlich Wandern;

Vom Klippenast des Kalkes,

Vom schwarzen Beet des Abgrunds

Hab ich gepflückt Gedanken,

Niewelke Blumen Gottes,

Die werden freudig duften

Mir durch mein ganzes Leben.

 

(Sie treten ins Haus)

 

Jäger

 

Seid schön gegrüßt, Ihr Herren,

Glückselig guten Abend!

 

Robert

 

Wollt Ihr zwei müde Wandrer

Herbergen für die Nacht?

 

Jäger

 

Willkommen mir von Herzen!

Nur ists in meiner Hütte

Ein wenig toll und voll,

Wir haben heute Hochzeit;

Ihr müßt Euch schon begnügen,

Ein Plätzchen wo zu nehmen,

Das nicht die Lust besetzt hat,

's wird freilich knapp genug sein.

 

Heinrich

 

Hier wollen wir uns lagern,

Den Tanz zu überschauen.

Sieh dort den Jägerburschen,

Den schlanken, schönen, flinken;

Auf seinem grünen Hute

Gemsbart und Hahnenfeder;

Aus seinem festen Auge

Blitzt ihm ein Siegesstrahl;

Die Gemse, die sein Blick faßt

In ihrer Felsenheimat,

Wird nicht mehr lange weiden

Die frischen Alpenkräuter;

Die Dirne, die sein Blick faßt,

Wird nicht mehr lange wandeln

Auf ihrer grünen Alpe

Mit leichtem, freien Herzen.

 

Robert

 

Das ist der beste Schütze

Im steirischen Gebirge.

Ich wollte, Freund, es schlügen

Entschlüsse mir und Taten

So scharf getreu zusammen,

Wie diesem wackern Jäger

Sein Blick und seine Kugel.

 

Heinrich

 

Er ist der beste Schütze

Und ist der feinste Tänzer

Von diesen Burschen allen.

Wie er die schöne Dirne

So leicht und sanft und sicher

Im frohen Kreise tummelt!

Uns läßt das lustge Paar

Hintanzen vor den Augen,

Harmonischer Bewegung,

Ein freundlich Bild des Lebens.

Er reicht dem lieben Mädchen

Hoch über ihrem Haupte

Den Finger, und sie dreht sich

Um seine Faust im Kreise,

Die Anmut um die Stärke.

Er tanzt gerade vorwärts

In edler Manneshaltung

Und läßt das liebe Mädchen

Leicht wechselnd aus der Rechten

In seine Linke gleiten

Und nimmt die Flinkbewegte

Herum in seinem Rücken,

Läßt sich von ihr umtanzen,

Als wollt er sich umzirken

Rings um und um mit Liebe

Und ihr im Tanze sagen:

Du schließest mir den Kreis

Von allen meinen Freuden!

 

Robert

 

Nun fassen sich die Frohen

Zugleich an beiden Händen

Und drehen sich geschmeidig,

Sich durch die Arme schlüpfend,

Und blicken sich dabei

Glückselig in die Augen,

Als wollten sie sich sagen:

So wollen wir verbunden,

Uns meinander schmiegend,

Hintanzen leicht und fröhlich

Durchs wechselvolle Leben!

 

Heinrich

 

Hörst du den Jäger jauchzen?

Zu enge sind der Seele

Die Ufer ihres Leibes,

Und jubelnd überbrausen

Die Fluten des Entzückens.

 

Robert

 

Siehst du die Erd ihn stampfen?

Im Freudenübermute

Gibt er der Erde schallend

Den Fußtritt der Verachtung;

»Du kriegst nur unsre Asche!«

Ruft ihr sein helles Jauchzen,

Und flammend blickt sein Auge

Der Liebsten in das Auge,

Unsterblichkeitsgewiß:

»Wir haben uns auf ewig!« –

Die Blicke dieser beiden

Sind mir gewisse Bürgschaft

Für mein unsterblich Leben.

Was sich geliebt auf Erden,

Muß dort sich wiederfinden.

 

Heinrich

 

Das glaub ich nimmermehr,

So gern ich auch, o Freund

Und treuer Berggenosse,

Mit dir durchstreifen möchte

In einem andern Leben

Die himmlischen Gebirge

Und dort sie alle finden,

Die hier mein Herz verloren;

Doch kann ich es nicht glauben.

Wie diese Musikanten

Auf Geig und Zither spielen

Den lustgen Steirertanz,

Den ersten Teil des Walzers

Im zweiten wiederholend,

Nur wechselnd in der Tonart:

Meinst du, der alte Geiger,

Dem die Gestirne tanzen

Zur starken Weltenfiedel,

Wird unser Erdenleben,

Wenns einmal abgespielt ist,

Noch einmal runterspielen,

Nur höher, in der Quinte? –

 

Robert

 

Ich meine das mit nichten.

Wohl bin ich nur ein Ton

Im schönen Liede Gottes;

Doch wie das schöne Lied

Wird nimmermehr verklingen,

So wird der Ton im Liede

Auch nimmer gehn verloren,

Nicht brechen sich am Grabe:

Und was im Erdenleben

Mit ihm zusammenklang,

Wird einst mit ihm erklingen

Zu freudigen Akkorden

Im Strom des ewgen Liedes.

Die drei Zigeuner

 

Drei Zigeuner fand ich einmal

Liegen an einer Weide,

Als mein Fuhrwerk mit müder Qual

Schlich durch sandige Heide.

 

Hielt der eine für sich allein

In den Händen die Fiedel,

Spielte, umglüht vom Abendschein,

Sich ein feuriges Liedel.

 

Hielt der zweite die Pfeif im Mund,

Blickte nach seinem Rauche,

Froh, als ob er vom Erdenrund

Nichts zum Glücke mehr brauche.

 

Und der dritte behaglich schlief,

Und sein Zimbal am Baum hing,

Über die Saiten der Windhauch lief,

Über sein Herz ein Traum ging.

 

An den Kleidern trugen die drei

Löcher und bunte Flicken,

Aber sie boten trotzig frei

Spott den Erdengeschicken.

 

Dreifach haben sie mir gezeigt,

Wenn das Leben uns nachtet,

Wie mans verraucht, verschläft, vergeigt

Und es dreimal verachtet.

 

Nach den Zigeunern lang noch schaun

Mußt ich im Weiterfahren,

Nach den Gesichtern dunkelbraun,

Den schwarzlockigen Haaren.

Die nächtliche Fahrt

 

Zu öd und traurig selbst den Heidewinden

Sind diese winterlichen Einsamkeiten,

Nur Schnee und Schnee ringsaus in alle Weiten,

Nur stiller, keuscher, kalter Tod zu finden.

 

Hier ists umsonst, nach frohem Ton zu lauschen,

Singvögel sind geflohn von diesem Grabe,

Der Schnabel in die Federn hüllt der Rabe,

Und eingefroren ist der Bäche Rauschen.

 

Sieht man den Wald so tief in Tod versunken,

Will mans nicht glauben, daß er jemals wieder

Aufgrünt im Lenz, daß je hier seine Lieder

Ein Vogel singt, vom Frühlingshauche trunken.

 

Es glänzt der Eichenwald in Eisesklammern;

Jetzt Wölfe heulen am verschneiten Grunde,

Wie Bettler, hungerwach, in nächtger Stunde

Am Grabe eines milden Königs jammern.

 

Dort fährt ein Schlitten auf der blanken Wüste,

Der Kutscher treibt die ausgestreckten Pferde,

Als ob mit seinem Fuhrwerk er die Erde

Vor Sonnenaufgang noch umrennen müßte.

 

Drei Hengste sinds, rasch wie des Nordens Lüfte,

Ein jeder trägt das werte Probezeichen

Der Schnelligkeit im rüstigen Entweichen,

Die Narbe des Wolfsbisses an der Hüfte.

 

Ein Glöcklein trägt das Mittelroß der Gabel,

Zum Glöcklein tanzend fliehn vorbei die Bäume

Am Schlitten, trüb, wie schnellvergeßne Träume,

Der Wald entflieht wie eine bleiche Fabel.

 

Die schnellen Renner sind mit Eis behangen,

Das klirrend an den schwarzen Mähnen zittert,

Der Rosse Rücken ist mit Reif umgittert:

Der Tod will sie mit kaltem Netze fangen.

 

Gekauert sitzt, gehüllt vom Bärenkragen,

Der Wojewod im Schlittenkorbgeflechte

Still hinter seinem pelzverhüllten Knechte,

Der manchmal pfeift, die Pferde anzujagen.

 

Dem Schlitten folgt in klarer Mondeshelle

Ein zweiter nach, mit gleichgeschwinden Rennern,

Befrachtet auch mit zwei verhüllten Männern,

Und auf der Heide klingelt seine Schelle.

 

Die Nacht ist grimmig kalt; o Wandrer meide

Den Schlaf; hörst du das Glöcklein nicht mehr schlagen,

So wirds vom Rosse dir vorangetragen,

Dein wandernd Sterbeglöcklein auf der Heide.

 

Der Bäume Leben floh zum Grund hinunter;

Gib, Wandrer, acht, daß nicht auch deine Seele

Zu ihrem Grunde sich hinunterstehle,

Wenn du einnickest; Wandrer, halt dich munter!

 

Bist du ein Jäger, denke an ein Wildern;

Hast du ein Lieb, denk an ihr süßes Lager;

Wenn Haß dich wurmt, der scharfe Herzensnager,

So halt dich wach und warm mit Rachebildern! –

 

Ha! Wölfe! seht, ein ganzes Rudel Tode!

Sie folgen, eine nachgeschleifte Kette,

Die Todesangst, der Hunger rennen Wette,

Und ohne Furcht bleibt nur der Wojewode.

 

Es kracht der Schnee, schnell sind die grauen Horden,

Doch schneller sind, gottlob! die braven Hengste,

Die Rappen sind im Drang der Todesängste

Plötzlich wie junge Raben flügg geworden.

 

So fliehn sie weite Strecken, angstgetrieben;

Die Männer schießen schreckend die Gewehre

Vom Schlittenborde nach dem grausen Heere,

Bis nach und nach es ist zurückgeblieben.

 

Nun halten sie; die Pferde dampfend schwitzen

Und schnauben aus den Nüstern sich das Bangen;

Drei treten in die Schenke und verlangen

'nen Becher Wein, doch bleibt der Woiwod sitzen.

 

Da springt der Wirt, ein Jude, an den Schlitten

Und macht dem Gaste tiefe Reverenzen:

»Darf ich, Herr Wojewod, Euch nicht kredenzen

Wein, Brot und einen feinen Bratenschnitten?«

 

Und mit Gelächter ruft der Kutscher drinnen:

»Dem schmeckt kein Braten und kein Gläschen Roter,

Der ißt nicht, trinkt nicht, friert nicht, ist ein Toter,

An dem, Hebräer, wirst du nichts gewinnen!

 

Im Zweikampf ist der gute Herr geblieben,

Sein Erzfeind, Russe, hat ihn totgeschossen;

Ich fahre meinen schweigenden Genossen

Heim in die Gruft vorausgegangner Lieben.

 

Bald aber hätt ich ihm die Treu zerrissen,

Denn wären uns die Wölfe näher kommen,

So hätt ich ihn nicht weiter mitgenommen,

Ich hätt ihn, uns zu retten, hingeschmissen.

 

Ich meine immer noch sein Blut zu schauen,

Wies rauchend in den weißen Schnee gequollen,

Wie sichs nicht bergen konnte in den Schollen;

Das Bluteis darf im Frühling erst zertauen!«

 

Sie fahren weiter mit verhängtem Zügel

Fort über Brücken, Zäune, Teich' und Bäche,

Denn alles hat der Schnee gefüllt zur Fläche

Und gleichgefegt der Wind mit seinem Flügel.

 

Nur manchmal blickt der Kutscher nach dem Toten;

Noch sitzt er da, das Haupt vorunterneigend,

Wie er gesessen, unbekümmert, schweigend,

Als hinterher die grimmen Wölfe drohten.

 

Das Mordblei, das den Wojewoden fällte

Und stecken blieb in seinem Eingeweide;

Der Schnee, der rings bedeckt Podoliens Heide;

Sein Herz – sind alle drei von gleicher Kälte.

 

Der Wind erwacht und rasselt an der Föhre,

Das Glöcklein schallt, es dunkelt vor den Rossen,

Am Himmel zieht der bleiche Mond verdrossen

Den Wolkenmantel zu, als ob er fröre. –

 

Das mahnt uns an die Träume eines Zaren,

Der gerne möcht in winternächtgen Stunden,

Das Ruhmesglöcklein an sein Roß gebunden,

Das tote Polen durch die Heide fahren.

Vision

 

Vom Himmel strahlt der Mond so klar,

Greif aus, o Rappe, greif!

Im Winde fliegt des Reiters Haar,

Des Rosses Mahn und Schweif.

 

Auf seinem Hut der Reiter trägt

Gemsbart und Federnputz,

Ein schmerzliches Gelächter schlägt

Er auf und schwingt den Stutz.

 

Der Reiter sprengt um Mitternacht

Durchs Land Tirol, allein;

Der Waldstrom braust und stürzt mit Macht,

Der Reiter holt ihn ein.

 

Die Schneegans dort hoch oben ruft

Ihr schnatternd Wanderlied,

Schnell zieht der Vogel in der Luft,

Der Reiter schneller flieht.

 

Schnell ist der Wolkenschatten Flucht,

Der Reiter schneller noch,

Kaum braust er in der tiefen Schlucht,

Schon auch am Gipfel hoch.

 

Wo das Gebein der Helden liegt,

Gibt er dem Roß die Sporn,

An den vergeßnen Gräbern fliegt

Er wild vorbei im Zorn.

 

Am Wege dort ein Kruzifix,

Des Unglücks Herberg, ragt,

Seitwärts gewandten finstern Blicks

Vorbei der Reiter jagt.

 

So reitet er durchs Land Tirol

Und ruft so bang, so schwer:

»Mein schönes Land, leb wohl! leb wohl!

Du siehst mich nimmermehr!«

 

Das letzte Heldengrab zerreißt,

Der Reiter stürzt hinein,

Grab zu. Verschwunden ist der Geist

Von Achtzehnhundertneun.

 

 

Viertes Buch

 

Reiseblätter

 

Der Urwald

Es ist ein Land voll träumerischem Trug,

Auf das die Freiheit im Vorüberflug

Bezaubernd ihren Schatten fallen läßt,

Und das ihn hält in tausend Bildern fest;

Wohin das Unglück flüchtet ferneher

Und das Verbrechen zittert übers Meer;

Das Land, bei dessen lockendem Verheißen

Die Hoffnung oft vom Sterbelager sprang

Und ihr Panier durch alle Stürme schwang,

Um es am fremden Strande zu zerreißen

Und dort den zwiefach bittern Tod zu haben;

Die Heimat hätte weicher sie begraben! –

In jenem Lande bin ich einst geritten

Den Weg, der einen finstern Wald durchschnitten;

Die Sonne war geneigt im Untergang,

Nur leise strich der Wind, kein Vogel sang.

Da stieg ich ab, mein Roß am Quell zu tränken,

Mich in den Blick der Wildnis zu versenken.

Vermildernd schien das helle Abendrot

Auf dieses Urwalds grauenvolle Stätte,

Wo ungestört das Leben mit dem Tod

Jahrtausendlang gekämpft die ernste Wette.

Umsonst das Leben hier zu grünen sucht,

Erdrücket von des Todes Überwucht,

Denn endlich hat der Tod, der starke Zwinger,

Die Faust geballt, das Leben eingeschlossen,

Es sucht umsonst, hier, dort hervorzusprossen

Durch Moderstämme, dürre Todesfinger.

Wohin, o Tod, wirst du das Pflanzenleben

In deiner starken Faust und meines heben?

Wirst du sie öffnen? wird sie ewig schließen?

So frug ich bange zweifelnd und empfand

Im Wind das Fächeln schon der Todeshand

Und fühlt es kühler schon im Herzen fließen.

Und lange lag ich auf des Waldes Grund,

Das Haupt gedrückt ins alte, tiefe Laub,

Und starrte, trauriger Gedanken Raub,

Dem Weltgeheimnis in den finstern Schlund.

Wo sind die Blüten, die den Wald umschlangen,

Wo sind die Vögel, die hier lustig sangen?

Nun ist der Wald verlassen und verdorrt,

Längst sind die Blüten und die Vögel fort.

So sind vielleicht gar bald auch mir verblüht

Die schönen Ahndungsblumen im Gemüt;

Und ist der Wuchs des Lebens mir verdorrt,

Sind auch die Vögel, meine Lieder, fort;

Dann bin ich still und tot, wie dieser Baum,

Der Seele Frühling war, wie seiner – Traum.

Als einst der Baum, der nun in Staub verwittert,

So sehnsuchtsvoll empor zum Lichte drang

Und seine Arme ihm entgegen rang,

Als nach dem Himmel jedes Blatt gezittert,

Und als er seinen süßen Frühlingsduft

Beseelend strömte weithin in die Luft –

Schien nicht sein schönes Leben wert der Dauer,

Und starb es hin, ists minder wert der Trauer,

Als mein Gedanke, der sich ewig wähnt?

Als meine Sehnsucht, die nach Gott sich sehnt? –

So lag ich auf dem Grunde schwer beklommen,

Dem Tode nah, wie nie zuvor, gekommen;

Bis ich die dürren Blätter rauschen hörte

Und mich der Huftritt meines Rosses störte;

Es schritt heran zu mir, als wollt es mahnen

Mich an die Dämmerung und unsre Bahnen;

Ich aber rief: »Ists auch der Mühe wert,

Noch einmal zu beschreiten dich, mein Pferd?«

Es blickt' mich an mit stiller Lebenslust,

Die wärmend mir gedrungen in die Brust,

Und ruhebringend wie mit Zaubermacht.

Und auf den tief einsamen Waldeswegen

Ritt ich getrost der nächsten Nacht entgegen,

Und der geheimnisvollen Todesnacht.

An einem Baum

 

Du Baum, so morsch und lebensarm,

So ausgehöhlt, sei mir gegrüßt;

Wie doch dein froher Bienenschwarm

Die Todeswunde dir versüßt!

 

Sie wandern fort im raschen Zug,

Sie kehren summend wieder heim

Und bringen dir im Freudenflug

Von fernen Blumen Honigseim.

 

O Baum, du mahnst mein Herz so schwer

An einen lieben alten Mann;

Gott gebe, kehr ich übers Meer,

Daß ich ihn noch umarmen kann!

 

Baum, wie du morsch und abgedorrt,

Doch Honig birgt dein altes Reis,

So birgt der Weisheit süßen Hort

In seiner Brust der morsche Greis.

 

Und seine muntre Bienenschar,

Gedanken fliegen aus und ein

Und bringen Honig süß und klar,

Die reiche Beut aus Wies und Hain;

 

Oft locket sie von hinnen weit,

Zu Blumen, die kein Herbst uns raubt,

Der Frühlingshauch der Ewigkeit;

Dann senkt er still sein edles Haupt.

Verschiedene Deutung

 

1.

Sieh, wie des Niagara Wellen

Im Donnerfall zu Staub zerschellen,

Und wie sie, sprühend nun zerflogen,

Empfangen goldne Sonnenstrahlen

Und auf den Abgrund lieblich malen

Den farbenreichen Regenbogen.

O Freund, auch wir sind trübe Wellen,

Und unser Ich, es muß zerschellen,

Nur stäubend in die Luft zergangen,

Wird es das Irislicht empfangen.

 

2.

»Trüb, farblos waren diese Fluten,

Solang sie noch im Strome wallten;

Sie mußten vielfach sich zerspalten,

Daß sie aufblühn in Farbengluten.

Nun fliegt ein jeder Tropfen einsam,

Ein armes Ich, doch strahlen sie

Im hellen Himmelslicht gemeinsam

Des Bogens Farbenharmonie. «

Niagara

 

Klar und wie die Jugend heiter,

Und wie murmelnd süßen Traum,

Zieht der Niagara weiter

An des Urwalds grünem Saum;

 

Zieht dahin im sanften Flusse,

Daß er noch des Waldes Pracht

Widerstrahlt mit froher Muße

Und die Sterne stiller Nacht.

 

Also sanft die Wellen gleiten,

Daß der Wandrer ungestört

Und erstaunt die meilenweiten

Katarakte rauschen hört.

 

Wo des Niagara Bahnen

Näher ziehn dem Katarakt,

Hat den Strom ein wildes Ahnen

Plötzlich seines Falls gepackt.

 

Erd und Himmels unbekümmert

Eilt er jetzt im tollen Zug,

Hat ihr schönes Bild zertrümmert,

Das er erst so freundlich trug.

 

Die Stromschnellen stürzen, schießen,

Donnern fort im wilden Drang,

Wie von Sehnsucht hingerissen

Nach dem großen Untergang.

 

Den der Wandrer fern vernommen,

Niagaras tiefen Fall

Hört er nicht, herangekommen,

Weil zu laut der Wogenschall.

 

Und so mag vergebens lauschen,

Wer dem Sturze näher geht;

Doch die Zukunft hörte rauschen

In der Ferne der Prophet.

Das Blockhaus

 

Müdgeritten auf langer Tagesreise

Durch die hohen Wälder der Republik,

Führte zu einem Gastwirt mein Geschick;

Der empfing mich kalt, auf freundliche Weise,

Sprach gelassen, mit ungekrümmtem Rücken:

»Guten Abend!« und bot mir seine Hand,

Gleichsam guten Empfangs ein leblos Pfand,

Denn er rührte sie nicht, die meine zu drücken.

Lesen konnt ich in seinen festen Zügen

Seinen lang und treu bewahrten Entschluß:

Auch mit keinem Fingerdrucke zu lügen;

Sicher und wohl ward mir bei seinem Gruß.

Wenig eilte der Mann, mich zu bedienen,

Doch nicht fand ich die Kost so dürr und mager

Wie sein Wort, ich sollte bei ihm ein Lager

Finden weicher und wärmer als seine Mienen.

Winter wars, ich starrte vom Urwaldfroste;

Als ich eintrat in die geheizte Stube,

Sprang mit Fragen heran des Farmers Bube,

Was von meinem Gepäck dies, jenes koste?

Emsig am Tisch sah ich die Weiber schalten;

Und es wurde die Mahlzeit rasch gehalten.

Später schwatzten die männlichen Hausgenossen

Am Kamin, die scharfe Zigarr im Munde,

Von Geschäft und Betrieb, bis eine Stunde

Mir in traulicher Langweil hingeflossen.

Hörbar vor allen sprach des Hauses Vater,

Als ein vielerfahrner Lenker und Rater,

Wechselnd raucht' er und sprach, und aller Augen

Hingen an seinen Lippen, der Alte schien

Aus dem Zigarrenstumpf Erfindung zu saugen;

Schweigend ließ ich die Reden vorüberziehn.

Endlich gewann der Schlaf den stillen Sieg,

Und sie gingen zu Bett; ich blieb allein,

Trank noch eine Flasche vom lieben Rhein,

Als das englische Talergelispel schwieg.

Und zur weit gewanderten deutschen Flasche

Holt ich den Uhland aus meiner Satteltasche.

Ferne der Heimat, tiefst im fremden Wald,

Las ich mir laut den herrlichen ›Held Harald‹.

Eichenstämme warf ich ins lustige Feuer,

Mir die Stube zu hellen und zu wärmen,

Denn die Elfen Haralds sind nicht geheuer,

Lockend hörte ich sie schon im Walde schwärmen.

Aber mit einmal war die Freude geschwunden,

Und mir wollte der Rheinwein nicht mehr munden.

›Uhland! wie stehts mit der Freiheit daheim?‹ die Frage

Sandt ich über Wälder und Meer ihm zu.

Plötzlich erwachte der Sturm aus stiller Ruh,

Und im Walde hört ich die Antwortklage:

Krachend stürzten draußen die nacktgeschälten

Eichen nieder zu Boden, die frühentseelten,

Und im Sturme, immer lauter und bänger,

Hört ich grollen der Freiheit herrlichen Sänger:

»Wie sich der Sturm bricht heulend am festen Gebäude,

Bricht sich Völkerschmerz an Despotenfreude,

Sucht umsonst zu rütteln die festverstockte,

Die aus Freiheitsbäumen zusammengeblockte!«

Traurig war mir da und finster zumut,

Scheiter und Scheiter warf ich in die Glut;

Mir erschien die bewegte Menscbengeschichte

In des Kummers zweifelflackerndem Lichte.

»Diese Stämme verbrennen hier am Herde,

Auf ein kurzes Stündlein mich warm zu halten,

Der ich bald doch werde müssen erkalten,

Der ich selber zu Asche sinken werde.

Gibt es vielleicht gar keine Einsamkeit?

Bin ich selber nur ein verbrennend Scheit?

Und wie ich mich wärme am Eichenstamme,

Wärmt sich vielleicht ein unsichtbarer Gast

Heimlich an meiner zehrenden Lebensflamme,

Schürend und fachend meine Gedankenhast?«

Also führt ich mit mir ein wirres Plaudern;

(Hoffnungsloser Kummer ist ein Phantast,)

Und ich blickte mich um – und mußte schaudern.

Meeresstille

 

Sturm mit seinen Donnerschlägen

Kann mir nicht wie du

So das tiefste Herz bewegen,

Tiefe Meeresruh!

 

Du allein nur konntest lehren

Uns den schönen Wahn

Seliger Musik der Sphären,

Stiller Ozean!

 

Nächtlich Meer, nun ist dein Schweigen

So tief ungestört,

Daß die Seele wohl ihr eigen

Träumen klingen hört;

 

Daß im Schutz geschloßnen Mundes

Doch mein Herz erschrickt,

Das Geheimnis heilgen Bundes

Fester an sich drückt.

Sturmesmythe

 

Stumm und regungslos in sich verschlossen

Ruht die tiefe See dahingegossen,

Sendet ihren Gruß dem Strande nicht;

Ihre Wellenpulse sind versunken,

Ungespüret glühn die Abendfunken,

Wie auf einem Totenangesicht.

 

Nicht ein Blatt am Strande wagt zu rauschen,

Wie betroffen stehn die Bäume, lauschen,

Ob kein Lüftchen, keine Welle wacht?

Und die Sonne ist hinabgeschieden,

Hüllend breitet um den Todesfrieden

Schleier nun auf Schleier stille Nacht.

 

Plötzlich auf am Horizonte tauchen

Dunkle Wolken, die herüberhauchen

Schwer, in stürmischer Beklommenheit;

Eilig kommen sie heraufgefahren,

Haben sich in angstverworrnen Scharen

Um die stumme Schläferin gereiht.

 

Und sie neigen sich herab und fragen:

›Lebst du noch?‹ in lauten Donnerklagen,

Und sie weinen aus ihr banges Weh.

Zitternd leuchten sie mit scheuem Grauen

Auf das stille Bett herab und schauen,

Ob die alte Mutter tot, die See?

 

Nein, sie lebt! sie lebt! der Töchter Kummer

Hat sie aufgestört aus ihrem Schlummer,

Und sie springt vom Lager hoch empor:

Mutter – Kinder – brausend sich umschlingen

Und sie tanzen freudenwild und singen

Ihrer Lieb ein Lied im Sturmeschor.

Wandrer und Wind

 

Herbstwind, o sei willkommen!

Fünf Tage lag das Meer

So still, so bang beklommen,

Kein Lüftchen zog daher.

 

O Wind, nach deinem Rauschen

Sehnt ich mich auf der See,

Wie einst mein Jägerlauschen

Im Wald nach Hirsch und Reh,

 

Wie geht es meinen Wäldern

Am frischen Neckarfluß?

Den heimatlichen Feldern?

Bringst du mir keinen Gruß?

 

›Entlaubt hab ich die Wälder

Im raschen Wanderzug,

Nahm durch die Stoppelfelder

Den ungehemmten Flug.

 

Nun ich durch Feld und Auen

Mein Wanderliedlein pfiff,

Komm ich nach euch zu schauen

Im Emigrantenschiff.

 

Weil alter Liebesbande

Das Schifflein müd und matt,

Jag ichs vom Mutterstrande

Dahin, ein welkes Blatt!‹

Das Wiedersehen

 

Du heimatliches Tal,

Mir wird so wohl und wehe,

Daß ich dich nun einmal,

Ersehntes! wiedersehe.

 

Weinberg, sei mir gegrüßt!

Noch grünen deine Reben,

Womit du oft versüßt

Ein herbes Menschenleben;

 

Viel Herbste schwanden dir,

Die deine Trauben reiften,

Und die vom Herzen mir

So manche Hoffnung streiften.

 

Noch kenn ich jeden Baum,

Wo ich vor so viel Jahren

Gehegt den Jugendtraum,

Der scheu dahingefahren.

 

Noch kenn ich jedes Haus;

Doch andre Menschen schreiten

Geschäftig ein und aus,

Als wie zu meinen Zeiten.

 

Ich frage dort und hier

Nach einem Freund mit Zagen

Und Furcht, ich könnte schier

Nach einem Toten fragen.

 

Es ist nur noch der Ort,

Wo wir gefreut uns haben,

Die Lieben all sind fort,

Verreiset und begraben.

 

Drum bleib ich hier nicht lang,

Mich fühlend zu verlassen,

Und tu auch keinen Gang

Bei Tag mehr durch die Straßen.

 

Erst wenn es worden Nacht

Und schläft des Tags Gebrause,

Schleich ich heran mich sacht

Zu manchem Freundeshause.

 

Die süße Träumerei

Such ich dann festzuhalten,

Als ob doch alles sei

Geblieben hier beim alten.

 

Zum Fenster dann empor

Blick ich und lausch und grüße,

Ob mich, den ich verlor,

Der Freund erblicken müsse;

 

Ich lausch und scheide nicht,

Bis ich zu schauen meine

Sein liebes Angesicht

Im wirren Mondenscheine.

Die Sennin

 

Schöne Sennin, noch einmal

Singe deinen Ruf ins Tal,

Daß die frohe Felsensprache

Deinem hellen Ruf erwache.

 

Horch, o Mädchen, wie dein Sang

In die Brust den Bergen drang,

Wie dein Wort die Felsenseelen

Freudig fort und fort erzählen!

 

Aber einst, wie alles flieht,

Scheidest du mit deinem Lied,

Wenn dich Liebe fortbewogen

Oder dich der Tod entzogen.

 

Und verlassen werden stehn,

Traurig stumm herübersehn

Dort die grauen Felsenzinnen

Und auf deine Lieder sinnen.

See und Wasserfall

 

Die Felsen schroff und wild,

Der See, die Waldumnachtung

Sind dir ein stilles Bild

Tiefsinniger Betrachtung.

 

Und dort, mit Donnerhall

Hineilend zwischen Steinen,

Läßt dir der Wasserfall

Die kühne Tat erscheinen.

 

Du sollst, gleich jenem Teich,

Betrachtend dich verschließen;

Dann kühn, dem Bache gleich,

Zur Tat hinunterschießen.

Herbstgefühl

 

Der Buchenwald ist herbstlich schon gerötet,

So wie ein Kranker, der sich neigt zum Sterben,

Wenn flüchtig noch sich seine Wangen färben,

Doch Rosen sinds, wobei kein Lied mehr flötet.

 

Das Bächlein zieht und rieselt, kaum zu hören,

Das Tal hinab, und seine Wellen gleiten,

Wie durch das Sterbgemach die Freunde schreiten,

Den letzten Traum des Lebens nicht zu stören.

 

Ein trüber Wandrer findet hier Genossen,

Es ist Natur, der auch die Freuden schwanden,

Mit seiner ganzen Schwermut einverstanden,

Es ist in ihre Klagen eingeschlossen.

Ein Herbstabend

 

Es weht der Wind so kühl, entlaubend rings die Äste,

Er ruft zum Wald hinein: Gut Nacht, ihr Erdengäste!

 

Am Hügel strahlt der Mond, die grauen Wolken jagen

Schnell übers Tal hinaus, wo alle Wälder klagen.

 

Das Bächlein schleicht hinab, von abgestorbnen Hainen

Trägt es die Blätter fort mit halbersticktem Weinen.

 

Nie hört ich einen Quell so leise traurig klingend,

Die Weid am Ufer steht, die weichen Äste ringend.

 

Und eines toten Freunds gedenkend lausch ich nieder

Zum Quell, der murmelt stets: wir sehen uns nicht wieder!

 

Horch! plötzlich in der Luft ein schnatterndes Geplauder:

Wildgänse auf der Flucht vor winterlichem Schauder.

 

Sie jagen hinter sich den Herbst mit raschen Flügeln,

Sie lassen scheu zurück das Sterben auf den Hügeln.

 

Wo sind sie? ha! wie schnell sie dort vorüberstreichen

Am hellen Mond und jetzt unsichtbar schon entweichen;

 

Ihr ahnungsvoller Laut läßt sich noch immer hören,

Dem Wandrer in der Brust die Wehmut aufzustören.

 

Südwärts die Vögel ziehn mit eiligem Geschwätze;

Doch auch den Süden deckt der Tod mit seinem Netze.

 

Natur das Ewge schaut in unruhvollen Träumen,

Fährt auf und will entfliehn den todverfallnen Räumen.

 

Der abgerißne Ruf, womit Zugvögel schweben,

Ist Aufschrei wirren Traums von einem ewgen Leben.

 

Ich höre sie nicht mehr, schon sind sie weit von hinnen;

Die Zweifel in der Brust den Nachtgesang beginnen:

 

Ists Erdenleben Schein? – ist es die umgekehrte

Fata Morgana nur, des Ewgen Spiegelfährte?

 

Warum denn aber wird dem Erdenleben bange,

Wenn es ein Schein nur ist, vor seinem Untergange?

 

Ist solche Bängnis nur von dem, was wird bestehen,

Ein Widerglanz, daß auch sein Bild nicht will vergehen?

 

Dies Bangen auch nur Schein? – so schwärmen die Gedanken,

Wie dort durchs öde Tal die Herbstesnebel schwanken.

 

Liebesklänge

 

Am Rhein

Wir reisten zusammen mit andern

Zu Schiff hinunter den Rhein,

Es war ein seliges Wandern;

Doch waren wir selten allein.

 

Sie traten heran, zu lauschen,

Du ließest nur hier und dort

Mir fallen unter das Rauschen

Des Stroms ein heimliches Wort.

 

Ich sprach: Bald trennt uns die Reise!

Ob hier wir uns wiedersehn?

»Dort vielleicht einst!« sagtest du leise,

Ich konnte dich kaum verstehn.

 

Wir flogen vorüber am Strande,

Der Dampf durchbrauste den Schlot,

Wie ein zorniger Neger die Bande

Wildschnaubend zu sprengen droht.

 

Und sie begannen zu preisen,

Wie schnell man sich heute bewegt,

Und wie das rührige Eisen

Man über die Straßen legt;

 

Als wollten zu Grabe sie tragen

Des Elends türmenden Wust

Und wieder das Eden erjagen,

Den uralt bittern Verlust.

 

Es hat doch den rechten Fergen

Das Schifflein lange noch nicht,

Solange noch Liebe verbergen

Sich muß wie ein Sündergesicht,

 

Noch lange nicht hat, ihr Gesellen,

Das Eisen den rechten Guß,

Wenn sich die Liebe bestellen

Noch hinter die Gräber muß!

 

So dacht ich und blickte verdrossen

Hinab in die rollende Flut;

Dich umringten deine Genossen

Und scherzten; die hatten es gut.

 

Die Nacht war dunkelnd gekommen,

Da stiegen am Strande wir aus,

Ich folgte dir stumm und beklommen

Von ferne bis an dem Haus.

 

Und als du, noch einmal nickend,

Verschwunden im schließenden Tor,

Stand ich eine Weile noch, blickend

Nach deinem Fenster empor.

 

Ich schied von deinem Quartiere

Und ging hinüber in meins,

Das lag im fernen Reviere

Am andern Ufer des Rheins.

 

Ich betrat mein trauriges Zimmer

Und starrte unverwandt

Hinüber zum Kerzenschimmer,

Den mir dein Fenster gesandt.

 

Die Lichter drüben am Strande

Erloschen nach und nach,

Doch wie zu traulichem Pfände

Blieb deines immer noch wach.

 

Wie ich im einsamen Leide

Hinstarrte über die Flut:

Als wären gestorben wir beide,

Ward mir mit einmal zumut;

 

Als trennten uns weite Welten,

Ward mir mit einem Mal,

Den Erdengram zu vergelten

Mit ewiger Sehnsucht Qual;

 

Als blinkte dein Lichtlein so ferne

In meine Finsternis

Von einem entlegenen Sterne,

Der dich mir auf immer entriß.

 

Mir spielten, wie Tränendiebe,

Nachtwinde ums Augenlid,

Wie der Geist unglücklicher Liebe,

Der über die Erde zieht.

An *

 

Ach wärst du mein, es war ein schönes Leben!

So aber ists Entsagen nur und Trauern,

Nur ein verlornes Grollen und Bedauern;

Ich kann es meinem Schicksal nicht vergeben.

 

Undank tut wohl und jedes Leid der Erde;

Ja! meine Freund' in Särgen, Leich an Leiche,

Sind ein gelinder Gram, wenn ichs vergleiche

Dem Schmerz, daß ich dich nie besitzen werde.

Der schwere Abend

 

Die dunklen Wolken hingen

Herab so bang und schwer,

Wir beide traurig gingen

Im Garten hin und her.

 

So heiß und stumm, so trübe

Und sternlos war die Nacht,

So ganz wie unsre Liebe

Zu Tränen nur gemacht.

 

Und als ich mußte scheiden

Und gute Nacht dir bot,

Wünscht ich bekümmert beiden

Im Herzen uns den Tod.

Traurige Wege

 

Bin mit dir im Wald gegangen;

Ach, wie war der Wald so froh!

Alles grün, die Vögel sangen,

Und das scheue Wild entfloh.

 

Wo die Liebe frei und offen

Rings von allen Zweigen schallt,

Ging die Liebe ohne Hoffen

Traurig durch den grünen Wald. –

 

Bin mit dir am Fluß gefahren;

Ach, wie war die Nacht so mild!

Auf der Flut, der sanften, klaren,

Wiegte sich des Mondes Bild.

 

Lustig scherzten die Gesellen;

Unsre Liebe schwieg und sann,

Wie mit jedem Schlag der Wellen

Zeit und Glück vorüberrann. –

 

Graue Wolken niederhingen,

Durch die Kreuze strich der West,

Als wir einst am Kirchhof gingen;

Ach wie schliefen sie so fest!

 

An den Kreuzen, an den Steinen

Fand die Liebe keinen Halt;

Sahen uns die Toten weinen,

Als wir dort vorbeigewallt?

Einsamkeit

 

Wild verwachsne dunkle Fichten,

Leise klagt die Quelle fort;

Herz, das ist der rechte Ort

Für dein schmerzliches Verzichten!

 

Grauer Vogel in den Zweigen!

Einsam deine Klage singt,

Und auf deine Frage bringt

Antwort nicht des Waldes Schweigen.

 

Wenns auch immer schweigen bliebe,

Klage, klage fort; es weht,

Der dich höret und versteht,

Stille hier der Geist der Liebe.

 

Nicht verloren hier im Moose,

Herz, dein heimlich Weinen geht,

Deine Liebe Gott versteht,

Deine tiefe, hoffnungslose!

Wunsch

 

Urwald, in deinem Brausen

Und ernsten Dämmerschein

Mit der Geliebten hausen

Möcht ich allein – allein!

 

Von deinen schlanksten Bäumen

Baut ich ein Hüttlein traut

Mir aus zu Himmelsräumen;

O komm, du schöne Braut!

 

Ich legte Moosgebreite

Weich unter ihren Schritt,

Und meine Liebe streute

Ich unter ihren Tritt.

 

Für sie das Wild erjagen,

Aus tiefster Schlucht empört!

Für sie den Feind erschlagen,

Der unsern Frieden stört!

 

Ich würd in Mondesnächten,

Beim stillen Sternentanz,

Von wilden Liedern flechten

Um meine Braut den Kranz;

 

Und in den Abendgluten

Am Fels hier oben stehn,

Mit ihr die Donnerfluten

Zum Abgrund stürzen sehn;

 

Und weit hinunter blicken

Ließ' sie mein starker Arm;

Wie würd ich sie dann drücken

Ans Herz so fest und warm!

Neid der Sehnsucht

 

Die Bäche rauschen

Der Frühlingssonne,

Hell singen die Vögel,

Es lauschen die Blüten,

Und sprachlos ringen

Sich Wonnedüfte

Aus ihrem Busen;

Und ich muß trauern,

Denn nimmer strahlt mir

Dein Aug, o Geliebte! –

Nicht über den Wellen

Des Ozeanes,

Nicht über den Sternen

Und nicht im Lande

Der Phantasien

Ist meine Heimat;

Ich finde sie nur

In deinem Auge!

Was je mir freudig

Beseelte das Leben,

Was nach dem Tode

Mir weckte die Sehnsucht,

Entschwundner Kindheit

Fröhliche Tage

Und meiner Jugend

Himmlische Träume,

Von meinen Toten

Trauliche Grüße

Und meiner Gottheit

Stärkenden Anblick,

Das alles find ich

In deinem Auge,

O meine Geliebte!

Nun bist du ferne,

Und bitter beneiden

Muß jeden Stein ich

Und jede Blume,

Beneiden die kalten

Menschen und Sterne,

An die du vergeudest

Die süßen Blicke.

Meine Furcht

 

O stürzt, ihr Wolkenbrüche,

Zum Abgrund nur hinab!

O reißt, ihr Sturmesflüche,

Die Wälder in ihr Grab!

O flammt, ihr Blitzesgluten,

O rase, Donnerklang!

Ihr könnt mich nicht entmuten,

Mir wird vor euch nicht bang.

Wenn ihr aufs Herz mir zielet,

Euch acht' ich Kinder nur,

Daß ihr Vernichten spielet,

Entsprangt ihr der Natur!

Wohl spott ich Sturmesgrimme

Und wildem Donnerscherz;

Und doch vor einer Stimme

Erzittert mir das Herz;

Die schnell das Herz mir bräche,

Die Stimme fürcht ich sehr,

Wenn die Geliebte spräche:

Ich liebe dich nicht mehr!

Wunsch

 

Fort möcht ich reisen

Weit, weit in die See,

O meine Geliebte,

Mit dir allein!

 

Die Dränger und Lauscher

Und kalten Störer,

Sie hielt' uns ferne

Der wallende Abgrund,

Das drohende Meer,

Wir wären so sicher

Und selig allein.

Und käme der Sturm,

Ich würde dich halten

An meiner Brust.

Wenn donnernde Wogen

Zum Himmel schlügen,

Doch höher schlüge

Mein trunkenes Herz;

Und meine Liebe,

Die ewige, starke,

Sie würde frohlockend

Dich halten im Sturm.

Du würdest zitternd

Mir blicken ins Auge

Und würdest erblicken,

Was nimmer scheitert

In allen Stürmen,

Und würdest lächeln

Und nicht mehr zittern.

Sieh, nun ermüdet

Der tobende Aufruhr,

In Schlummer sinken

Die Wellen und Winde,

Und über den Wassern

Ist tiefe Stille.

Da ruhst du sinnend

An meiner Brust.

So tiefe Stille:

Mein lauschendes Herz

Hört Antwort pochen

Dein lauschendes Herz.

Wir sind allein,

Doch flüsterst du leise,

Um nicht zu stören

Das sinnende Meer.

Nur sanft erzittern

Die Lippen dir,

Die schwellenden Blätter

Der süßen Rose,

Ich sauge dein Wort,

Den klingenden Duft

Der süßen Rose.

Im Osten hebt sich

Der klare Mond,

Und Gott bedecket

Den Himmel mit Sternen,

Und ich bedecke,

Selig wie er,

Dein liebes Antlitz,

Den schönern Himmel,

Mit feurigen Küssen.

An den Wind

 

Ich wandre fort ins ferne Land;

Noch einmal blickt ich um, bewegt,

Und sah, wie sie den Mund geregt,

Und wie gewinket ihre Hand.

 

Wohl rief sie noch ein freundlich Wort

Mir nach auf meinen trüben Gang,

Doch hört ich nicht den liebsten Klang,

Weil ihn der Wind getragen fort.

 

Daß ich mein Glück verlassen muß,

Du rauher, kalter Windeshauch,

Ists nicht genug, daß du mir auch

Entreißest ihren letzten Gruß?

An die Entfernte

 

1.

Diese Rose pflück ich hier,

In der fremden Ferne;

Liebes Mädchen, dir, ach dir

Brächt ich sie so gerne!

 

Doch bis ich zu dir mag ziehn

Viele weite Meilen,

Ist die Rose längst dahin,

Denn die Rosen eilen.

 

Nie soll weiter sich ins Land

Lieb von Liebe wagen,

Als sich blühend in der Hand

Läßt die Rose tragen;

 

Oder als die Nachtigall

Halme bringt zum Neste,

Oder als ihr süßer Schall

Wandert mit dem Weste.

 

2.

 

Rosen fliehen nicht allein

Und die Lenzgesänge,

Auch dein Wangenrosenschein,

Deine süßen Klänge.

 

O, daß ich, ein Tor, ein Tor,

Meinen Himmel räumte!

Daß ich einen Blick verlor,

Einen Hauch versäumte!

 

Rosen wecken Sehnsucht hier,

Dort die Nachtigallen,

Mädchen, und ich möchte dir

In die Arme fallen!

Meine Rose

 

Dem holden Lenzgeschmeide,

Der Rose, meiner Freude,

Die schon gebeugt und blasser

Vom heißen Strahl der Sonnen,

Reich' ich den Becher Wasser

Aus tiefem Bronnen.

Du Rose meines Herzens!

Vom stillen Strahl des Schmerzens

Bist du gebeugt und blasser;

Ich möchte dir zu Füßen,

Wie dieser Blume Wasser,

Still meine Seele gießen!

Könnt ich dann auch nicht sehen

Dich auferstehen.

An*

 

O wag es nicht, mit mir zu scherzen,

Zum Scherze schloß ich keinen Bund;

O spiele nicht mit meinem Herzen,

Weißt du noch nicht, wie sehr es wund?

 

Weil ich so tief für dich entbrannte,

Weil ich mich dir gezeigt so weich,

Dem Herz die süße Heimat nannte

Und deinen Blick mein Himmelreich:

 

O rüttle nicht den Stolz vom Schlummer,

Der süßer Heimat sich entreißt,

Dem Himmel, mit verschwiegnem Kummer,

Auf immerdar den Rücken weist.

Kommen und Scheiden

 

So oft sie kam, erschien mir die Gestalt

So lieblich, wie das erste Grün im Wald.

 

Und was sie sprach, drang mir zum Herzen ein

Süß, wie des Frühlings erstes Lied im Hain.

 

Und als Lebwohl sie winkte mit der Hand,

Wars, ob der letzte Jugendtraum mir schwand.

Liebesfrühling

 

Ich sah den Lenz einmal

Erwacht im schönsten Tal;

Ich sah der Liebe Licht

Im schönsten Angesicht.

 

Und wandl ich nun allein

Im Frühling durch den Hain,

Erscheint aus jedem Strauch

Ihr Angesicht mir auch.

 

Und seh ich sie am Ort,

Wo längst der Frühling fort,

So sprießt ein Lenz und schallt

Um ihre süße Gestalt.

Frage nicht

 

Wie sehr ich dein, soll ich dir sagen?

Ich weiß es nicht und will nicht fragen;

Mein Herz behalte seine Kunde,

Wie tief es dein im Grunde.

 

O still! ich möchte sonst erschrecken,

Könnt ich die Stelle nicht entdecken,

Die unzerstört für Gott verbliebe

Beim Tode deiner Liebe.

 

Sonette

 

Frage

Bist du noch nie beim Morgenschein erwacht

Mit schwerem Herzen, traurig und beklommen,

Und wußtest nicht, wie du auch nachgedacht,

Woher ins Herz der Gram dir war gekommen?

 

Du fühltest nur: ein Traum wars in der Nacht;

Des Traumes Bilder waren dir verschwommen,

Doch hat nachwirkend ihre dunkle Macht

Dich, daß du weinen mußtest, übernommen.

 

Hast du dich einst der Erdennacht entschwungen,

Und werden, wie du meinst, am hellen Tage

Verloren sein des Traums Erinnerungen:

 

Wer weiß, ob nicht so deine Schuld hienieden

Nachwirken wird als eine dunkle Klage

Und dort der Seele stören ihren Frieden?

Jugend und Liebe

 

Die Jugend folgt, ein Rosenblatt, den Winden;

Wenn, jung getrennt, sich wiedersehn die Alten,

Sie meinen doch, in ihren ernsten Falten

Den Strahl der süßen Jugend noch zu finden.

 

Des Dauerns Wahn, wer läßt ihn gerne schwinden?

Mag auch ein Herz, das uns geliebt, erkalten,

Wir suchen immer noch den Traum zu halten,

Nur stiller sei geworden sein Empfinden.

 

Die Jugend folgt, ein Rosenblatt, den Lüften;

Noch leichter als die Jugend flieht die Liebe,

Die nur des Blattes wonnereiches Düften.

 

Und dennoch an den herben Tod des Schönen,

Im treuen Wahn, als ob es ihm noch bliebe,

Kann sich das Herz auch sterbend nicht gewöhnen.

Der Salzburger Kirchhof

 

O schöner Ort, den Toten auserkoren

Zur Ruhestätte für die müden Glieder!

Hier singt der Frühling Auferstehungslieder,

Vom treuen Sonnenblick zurückbeschworen.

 

Wenn alle Schmerzen auch ein Herz durchbohren,

Dem man sein Liebstes senkt zur Grube nieder,

Doch glaubt es leichter hier: wir sehn uns wieder,

Es sind die Toten uns nicht ganz verloren.

 

Der fremde Wandrer, kommend aus der Ferne,

Dem hier kein Glück vermodert, weilt doch gerne

Hier, wo die Schönheit Hüterin der Toten.

 

Sie schlafen tief und sanft in ihren Armen,

Worin zu neuem Leben sie erwarmen;

Die Blumen winkens, ihre stillen Boten.

Nachhall

 

Ein Wandrer läßt sein helles Lied erklingen:

Nun schweigt er still und schwindet in den Föhren;

Ich möchte länger noch ihn singen hören,

Doch tröst ich mich: er kann nicht ewig singen.

 

Der Wandrer schweigt, doch jene Felsen bringen

Mir seinen Widerhall in dunklen Chören,

Als wollten sie sein Lied zurückbeschwören,

Nun ist es still – den Quell nur hör ich springen.

 

Der Wandrer schwieg und schied; ich sprach gelassen:

Fahr wohl! Warum denn fühl ich jetzt ein Trauern,

Daß länger nicht sein Nachhall mochte dauern?

 

Mehr als des Menschen Tod will michs erfassen,

Wenn ihn bereits nach wenig Tagesneigen

Hier, dort noch einer nennt – bis alle schweigen.

Die Asketen

 

O spottet nicht der traurigen Asketen,

Daß sie den Leib mit scharfen Leiden plagen,

Die süßen Erdenfreuden sich versagen,

Die flüchtigen, nur allzuschnell verwehten!

 

Nebst solchen, die das Futter gierig mähten,

Seit des verlornen Paradieses Tagen,

Hat eine Schar von Herzen stets geschlagen,

Die, abgewandt, die Weide hier verschmähten.

 

Ein schüchternes Gefühl: ›Wir sind gefallen!‹

Hält sie vom lauten Freudenmarkt zurück,

Heißt sie den Pfad einsamer Dornen wallen.

 

Es wächst ihr Ernst, wenn sie vorüberstreifen

An einem unverdienten Erdenglück;

Die Scham verbietet, keck darnach zu greifen.

Der Seelenkranke

 

Ich trag im Herzen eine tiefe Wunde

Und will sie stumm bis an mein Ende tragen;

Ich fühl ihr rastlos immer tiefres Nagen,

Und wie das Leben bricht von Stund zu Stunde.

 

Nur eine weiß ich, der ich meine Kunde

Vertrauen möchte und ihr alles sagen;

Könnt ich an ihrem Halse schluchzen, klagen!

Die eine aber liegt verscharrt im Grunde.

 

O Mutter, komm, laß dich mein Flehn bewegen!

Wenn deine Liebe noch im Tode wacht,

Und wenn du darfst, wie einst, dein Kind noch pflegen,

 

So laß mich bald aus diesem Leben scheiden.

Ich sehne mich nach einer stillen Nacht,

O hilf dem Schmerz, dein müdes Kind entkleiden.

1. Stimme des Windes

 

In Schlummer ist der dunkle Wald gesunken,

Zu träge ist die Luft, ein Blatt zu neigen,

Den Blütenduft zu tragen, und es schweigen

Im Laub die Vögel und im Teich die Unken.

 

Leuchtkäfer nur, wie stille Traumesfunken

Den Schlaf durchgaukelnd, schimmern in den Zweigen,

Und süßer Träume ungestörtem Reigen

Ergibt sich meine Seele, schweigenstrunken.

 

Horch! überraschend saust es in den Bäumen

Und ruft mich ab von meinen lieben Träumen,

Ich höre plötzlich ernste Stimme sprechen;

 

Die aufgeschreckte Seele lauscht dem Winde

Wie Worten ihres Vaters, der dem Kinde

Zuruft, vom Spiele heimwärts aufzubrechen.

2. Stimme des Regens

 

Die Lüfte rasten auf der weiten Heide,

Die Disteln sind so regungslos zu schauen,

So starr, als wären sie aus Stein gehauen,

Bis sie der Wandrer streift mit seinem Kleide.

 

Und Erd und Himmel haben keine Scheide,

In eins gefallen sind die nebelgrauen,

Zwei Freunden gleich, die sich ihr Leid vertrauen,

Und Mein und Dein vergessen traurig beide.

 

Nun plötzlich wankt die Distel hin und wider,

Und heftig rauschend bricht der Regen nieder,

Wie laute Antwort auf ein stummes Fragen.

 

Der Wandrer hört den Regen niederbrausen,

Er hört die windgepeitschte Distel sausen,

Und eine Wehmut fühlt er, nicht zu sagen.

3.