Seht, da schwebt mit trautem Nicken,

Ein süß neckendes Geheimnis,

Eine holde Maske her.

Ach, wer bist du? sage, wer? –

Lind und weich von heller Seide

Ist dein schlanker Leib umfangen,

Und vom amarantnen Kleide

Leicht und luftig überhangen,

Und du strahlst im Glanz des Goldes,

Polenmädchen! wunderholdes!

Schalkhaft kühn dein Käppchen sitzt,

Trotzend auf so schöne Stelle;

Wie der Demantstern dir blitzt

Aus der Nacht der Lockenwelle!

Wie die Perlen dich umschmiegen,

Die dir froh am Halse liegen!

Deine Reize still zu ehren,

Haben sie sich dort vereinet;

Hat ein Gott dir Freudenzähren

An den schönen Hals geweinet? –

Doch betracht ich dich genauer,

Weiß ich nicht, wie mir geschieht,

Rührst du mir das Herz zur Trauer,

Und die heitre Deutung flieht.

Mädchen, willst du in Symbolen:

Weißem Nacken, Perlenschnüren,

Uns das Trauerlos der Polen

Mahnend vor die Seele führen?

Zeigen uns im schönen Bilde

Tränenvolle Schneegefilde?

Ja, du kamst in dieses Haus,

Leise strafend uns zu tragen

In den schmerzvergeßnen Braus

Polens Glück aus alten Tagen,

Daß wir seinen Fall bedenken

Und in Wehmut uns versenken. –

Abgewendet nun mit Schweigen,

Schwindest du im dichten Reigen,

Wie Polonias Herrlichkeit

Schwand im wilden Tanz der Zeit! –

 

Masken kommen, immer neue,

Hier ein Ritter mit der Dame,

Spricht von seinem Liebesgrame

Und gelobt ihr seine Treue.

 

Dort im härenen Gewande,

Mit Sandal und Muschelhut,

Wie entrückt in ferne Lande,

Über Berg' und Meeresflut –

Steht ein Pilger: seine Träume

Säuseln ihm wie Palmenbäume,

Zaubern ihn zum heilgen Grabe,

Seines Glaubens liebster Habe. –

Seid willkommen mir, Matrosen!

Nehmt mich auf in eurem Schiffe!

Frisch hinaus ins Meerestosen,

Durch die flutbeschäumten Riffe!

Ha! schon seh ich Möwen ziehn,

Wetterwolken seh ich jagen,

Und die Stürme hör ich schlagen;

Süße Heimat, fahre hin!

Nach der Freiheit Paradiesen

Nehmen wir den raschen Zug,

Wo in heilgen Waldverliesen

Kein Tyrann sich Throne schlug.

Weihend mich mit stillem Beten,

Will den Urwald ich betreten,

Wandern will ich durch die Hallen,

Wo die Schauer Gottes wallen;

Wo in wunderbarer Pracht

Himmelwärts die Bäume dringen,

Brausend um die keusche Nacht

Ihre Riesenarme schlingen.

Dort will ich für meinen Kummer

Finden den ersehnten Schlummer;

Will vom Schicksal Kunde werben,

Daß es mir mag anvertrauen

In der Wälder tiefem Grauen,

Warum Polen mußte sterben.

Und der Antwort will ich lauschen

In der Vögel Melodeien,

In des Raubtiers wildem Schreien

Und im Niagararauschen.

Der Polenflüchtling

 

Im quellenarmen Wüstenland

Arabischer Nomaden

Irrt, ohne Ziel und Vaterland,

Auf windverwehten Pfaden

Ein Polenheld und grollet still,

Daß noch sein Herz nicht brechen will.

 

Die Sonn auf ihn heruntersprüht

Die heißen Mittagsbrände,

Von ihrem Flammenkusse glüht

Das Schwert an seiner Lende.

Will wecken ihm den tapfern Stahl

Zur Racheglut der Sonnenstrahl?

 

Sein Leib neigt sich dem Boden zu

Mit dürstendem Ermatten;

Der sänke gern zu kühler Ruh

In seinen eignen Schatten,

Der tränke gern vor dürrer Glut

Schier seine eigne Tränenflut.

 

Doch solche Qual sein Herz nicht merkt,

Weils trägt ein tiefers Kränken.

Er schreitet fort, von Schmerz gestärkt,

Vom Schlachtenangedenken.

Manchmal sein Mund Kosziusko! ruft,

Und träumend haut er in die Luft.

 

Als nun der Abend Kühlung bringt,

Steht er an grüner Stelle;

Ein süßes Lied des Mitleids singt

Entgegen ihm die Quelle,

Und säuselnd weht das Gras ihn an:

O schlummre hier, du armer Mann!

 

Er sinkt, er schläft. Der fremde Baum

Einflüstert ihn gelinde

In einen schönen Heldentraum;

Die Wellen und die Winde

Umrauschen ihn wie Schlachtengang,

Umrauschen ihn wie Siegsgesang.

 

Dort kommt im Osten voll und klar

Herauf des Mondes Schimmern;

Von einer Beduinenschar

Die blanken Säbel flimmern

Weithin im öden Mondrevier,

Der Wildnis nächtlich helle Zier.

 

Stets lauter tönt der Hufentanz

Von windverwandten Fliehern,

Die heißgejagt im Mondenglanz

Dem Quell entgegenwiehern.

Die Reiter rufen in die Nacht;

Doch nicht der Polenheld erwacht.

 

Sie lassen, frisch und froh gelaunt,

Die Ross' im Quelle trinken,

Und plötzlich schauen sie erstaunt

Ein Schwert im Grase blinken,

Und zitternd spielt das kühle Licht

Auf einem bleichen Angesicht.

 

Sie lagern um den Fremden stumm,

Ihn aufzuwecken bange;

Sie sehn der Narben Heiligtum

Auf blasser Stirn und Wange;

Dem Wüstensohn zu Herzen geht

Des Unglücks stille Majestät.

 

Dem schlafversunknen Helden naht,

Mit Schritten gastlich leise,

Ein alter, finsterer Nomad,

Und Labetrunk und Speise,

Das Beste, das er ihm erlas,

Stellt er ihm heimlich vor ins Gras,

 

Nimmt wieder seine Stelle dann. –

Noch starrt die stumme Runde

Den Bleichen an, ob auch verrann

Der Nacht schon manche Stunde;

Bis aus dem Schlummer fährt empor

Der Mann, ders Vaterland verlor.

 

Da grüßen sie den Fremden mild

Und singen ihm zu Ehre

Gesänge tief und schlachtenwild

Hinaus zur Wüstenleere.

Blutrache, nach der Väter Brauch,

Ist ihres Liedes heißer Hauch.

 

Wie faßt und schwingt sein Schwert der Held,

Der noch vom Traum berückte!

– Er steht auf Ostrolenkas Feld; –

Wie lauschet der Entzückte,

Vom stürmischen Gesang umweht!

Wie heiß sein Blick nach Feinden späht!

 

Doch nun der Pole schärfer lauscht,

Sinds fremde, fremde Töne;

Was ihn im Waffenglanz umrauscht,

Arabiens freie Söhne,

Auf die der Mond der Wüste scheint:

Da wirft er sich zur Erd – und weint.

 

Oden

 

Abendbilder!

1.

Friedlicher Abend senkt sich aufs Gefilde;

Sanft entschlummert Natur, um ihre Züge

Schwebt der Dämmerung zarte Verhüllung, und sie

Lächelt, die holde;

 

Lächelt, ein schlummernd Kind in Vaters Armen,

Der voll Liebe zu ihr sich neigt; sein göttlich

Auge weilt auf ihr, und es weht sein Odem

Über ihr Antlitz.

2.

 

Stille wirds im Walde; die lieben kleinen

Sänger prüfen schaukelnd den Ast, der durch die

Nacht dem neuen Fluge sie trägt, den neuen

Liedern entgegen.

 

Bald versinkt die Sonne; des Waldes Riesen

Heben höher sich in die Lüfte, um noch

Mit des Abends flüchtigen Rosen sich ihr

Haupt zu bekränzen.

 

Schon verstummt die Matte; den satten Rindern

Selten nur enthallt das Geglock am Halse,

Und es pflückt der wählende Zahn nur lässig

Dunklere Gräser.

 

Und dort blickt der schuldlose Hirt der Sonne

Sinnend nach; dem Sinnenden jetzt entfallen

Flöt und Stab, es falten die Hände sich zum

Stillen Gebete.

Zuruf an meinen Geist

 

Auf schwingt der Aar sich über dem Schlachtgefild,

Senkt bald herab sein Aug auf die Leichen, bald,

Zerreißend kühn den Wolkenvorhang,

Blickt er hinauf in die goldne Sonne.

 

So schwing empor dich, Geist, und verweile jetzt

Beim Tode, jetzt durchdringe die Wolke, die

Den Sonnenstrahl der Auferstehung

Fallen nicht läßt in die offnen Gräber!

Sehnsucht nach Vergessen

 

Lethe! brich die Fesseln des Ufers, gieße

Aus der Schattenwelt mir herüber deine

Welle, daß den Wunden der bangen Seel ich

Trinke Genesung.

 

Frühling kommt mit Duft und Gesang und Liebe,

Will wie sonst mir sinken ans Herz; doch schlägt ihm

Nicht das Herz entgegen wie sonst. – O Lethe!

Sende die Welle!

Am Bette eines Kindes

 

Wiege sie sanft, o Schlaf, die holde Kleine.

Durch die zarte Verhüllung deines Schleiers

Lächelt sie; so lächelt die Rose still durch

Abendgedüfte.

 

Wiege sie sanft und lege deinem Bruder

Sie, dem ernsteren, leise in die Arme,

Ihm, durch dessen dichteren Schleier uns kein

Lächern mehr schimmert!

 

Denn mit gezücktem Dolche harrt der Kummer

An der seligen Kindheit Pforte meines

Lieblings, wo der Friede sie scheidend küßt und

Schwindet auf immer.

An der Bahre der Geliebten

 

Blaß und auf immer stumm, auf immer! liegst du

Hingestreckt, o Geliebte, auf der Bahre!

Deine Reize lockten den Tod, er kam, er

Hält dich umarmet!

 

Einst in der Kühlung leiser Abendwinde

Saßen wir am Gemurmel eines Baches,

Und ich sprach aus zitternder Seele dir: »Ich

Liebe dich ewig!«

 

Aber du neigtest sinnend nach den Wellen,

Nach den flüchtigen, tief dein schönes Antlitz,

Wie ergriffen von dem Geflüster dunkler

Stimmen der Zukunft.

 

Schmerzlich berührt von deinem Schweigen, frug ich,

Ob vernommen das Wort du meiner Seele,

Und du nicktest hold; doch es dünkte mir dein

Nicken zuwenig. –

 

Glühende Tränen stürzen mir vom Auge,

Und sie pochen an deine kalte Stirne,

Ach, von der geflohen dahin das stille

Sinnen der Liebe.

 

Meine gebrochne Stimme ruft dir bange

Nach: »Ich liebe dich ewig!« O wie selig

Wär ich nun, antwortete meinem Schmerz dein

Leisestes Nicken!

Am Grabe Höltys

 

Hölty! dein Freund, der Frühling, ist gekommen!

Klagend irrt er im Haine, dich zu finden;

Doch umsonst! sein klagender Ruf verhallt in

Einsamen Schatten!

 

Nimmer entgegen tönen ihm die Lieder

Deiner zärtlichen schönen Seele, nimmer

Freust des ersten Veilchens du dich, des ersten

Taubengegirres!

 

Ach, an den Hügel sinkt er deines Grabes

Und umarmet ihn sehnsuchtsvoll: »Mein Sänger

Tot!« So klagt sein flüsternder Hauch dahin durch

Säuselnde Blumen.

Primula veris

 

1.

Liebliche Blume,

Bist du so früh schon

Wiedergekommen?

Sei mir gegrüßet,

Primula veris!

 

Leiser denn alle

Blumen der Wiese

Hast du geschlummert,

Liebliche Blume,

Primula veris!

 

Dir nur vernehmbar

Lockte das erste

Sanfte Geflüster

Weckenden Frühlings,

Primula veris!

 

Mir auch im Herzen

Blühte vor Zeiten,

Schöner denn alle

Blumen der Liebe,

Primula veris!

 

2.

Liebliche Blume,

Primula veris!

Holde, dich nenn ich

Blume des Glaubens.

 

Gläubig dem ersten

Winke des Himmels

Eilst du entgegen,

Öffnest die Brust ihm.

 

Frühling ist kommen.

Mögen ihn Fröste,

Trübende Nebel

Wieder verhüllen;

 

Blume, du glaubst es,

Daß der ersehnte

Göttliche Frühling

Endlich gekommen,

 

Öffnest die Brust ihm;

Aber es dringen

Lauernde Fröste

Tödlich ins Herz dir.

 

Mag es verwelken!

Ging doch der Blume

Gläubige Seele

Nimmer verloren.

 

Reiseblätter

 

Wanderung im Gebirge

Erinnerung

 

Du warst mir ein gar trauter, lieber

Geselle, komm, du schöner Tag,

Zieh noch einmal an mir vorüber,

Daß ich mich deiner freuen mag!

 

Aufbruch

 

Des Himmels frohes Antlitz brannte

Schon von des Tages erstem Kuß,

Und durch das Morgensternlein sandte

Die Nacht mir ihren Scheidegruß:

 

Da griff ich nach dem Wanderstabe,

Sprach meinem Wirte: »Gott vergelt

Die Ruhestatt, die milde Labe!«

Zog lustig weiter in die Welt.

 

Die Lerche

 

Froh summte nach der süßen Beute

Die Biene hin am Wiesensteg;

Die Lerche aus den Lüften streute

Mir ihre Lieder auf den Weg.

 

Der Eichwald

 

Ich trat in einen heilig düstern

Eichwald, da hört ich leis und lind

Ein Bächlein unter Blumen flüstern,

Wie das Gebet von einem Kind;

 

Und mich ergriff ein süßes Grauen,

Es rauscht' der Wind geheimnisvoll,

Als möcht er mir was anvertrauen,

Das noch mein Herz nicht wissen soll;

 

Als möcht er heimlich mir entdecken,

Was Gottes Liebe sinnt und will:

Doch schien er plötzlich zu erschrecken

Vor Gottes Näh – und wurde still.

 

Der Hirte

 

Schon zog vom Wald ich ferne wieder

Auf einer steilen Alpenwand;

Doch blickt ich oft zu ihm hinnieder,

Bis mir sein letzter Wipfel schwand.

 

Da irrten Kuh am Wiesenhange;

Der Hirte unterm Kieferdach

Hing still bei ihrem Glockenklange

Dem Bilde seines Liebchens nach.

 

Einsamkeit

 

Schon seh ich Hirt und Herde nimmer,

Ein Lüftchen nur ist mein Geleit;

Der steile Pfad wird steiler immer,

Es wächst die wilde Einsamkeit.

 

Dort stürzt aus dunkler Felsenpforte

Der Quell mit einem bangen Schrei,

Enteilt dem grauenvollen Orte,

Hinab zum freundlich grünen Mai.

 

Verschwunden ist das letzte Leben,

Hier grünt kein Blatt, kein Vogel ruft,

Und selbst der Pfad scheint hier zu beben,

So zwischen Wand und Todeskluft.

 

Komm, Gottesleugner, Gott zu fühlen;

Dein Frevel wird auf diesem Rand

Den Todesabgrund tiefer wühlen,

Dir steiler türmen diese Wand! –

 

Die Ferne

 

Des Berges Gipfel war erschwungen,

Der trotzig in die Tiefe schaut;

Natur, von deinem Reiz durchdrungen,

Wie schlug mein Herz so frei, so laut!

 

Behaglich streckte dort das Land sich

In Ebnen aus, weit, endlos weit,

Mit Türmen, Wald und Flur, und wand sich

Der Ströme Zier ums bunte Kleid;

 

Hier stieg es plötzlich und entschlossen

Empor, stets kühner himmelan,

Mit Eis und Schnee das Haupt umgossen,

Vertrat den Wolken ihre Bahn.

 

Bald hing mein Auge freudetrunken

Hier an den Felsen, schroff und wild;

Bald war die Seele still versunken

Dort in der Ferne Rätselbild.

 

Die dunkle Ferne sandte leise

Die Sehnsucht, ihre Schwester, mir,

Und rasch verfolgt ich meine Reise

Den Berg hinab, zu ihr, zu ihr:

 

Wie manchen Zauber mag es geben,

Den die Natur auch dort ersann;

Wie mancher Biedre mag dort leben,

Dem ich die Hand noch drücken kann!

 

Das Gewitter

 

Noch immer lag ein tiefes Schweigen

Rings auf den Höhn; doch plötzlich fuhr

Der Wind nun auf zum wilden Reigen,

Die sausende Gewitterspur.

 

Am Himmel eilt mit dumpfem Klange

Herauf der finstre Wolkenzug:

So nimmt der Zorn im heißen Drange

Den nächtlichen Gedankenflug.

 

Der Himmel donnert seinen Hader;

Auf semer dunklen Stirne glüht

Der Blitz hervor, die Zornesader,

Die Schrecken auf die Erde sprüht.

 

Der Regen stürzt in lauten Güssen;

Mit Bäumen, die der Sturm zerbrach,

Erbraust der Strom zu meinen Füßen; –

Doch schweigt der Donner allgemach.

 

Der Sturm läßt seine Flügel sinken,

Der Regen säuselt milde Ruh;

Da sah ich froh ein Hüttlein winken

Und eilte seiner Pforte zu.

 

Der Schlaf

 

Ein Greis trat lächelnd mir entgegen,

Bot mir die Hand gedankenvoll

Und hob sie dann empor zum Segen,

Der sanft vom Himmel niederquoll;

 

Und ich empfand es tief im Herzen,

Daß Zorn der Donner Gottes nicht;

Daß aus der Weste leichten Scherzen

Wie aus Gewittern Liebe spricht.

 

Und einen Labebecher trank ich

Und schlich, wohin die Ruh mich rief,

Hinaus zur Scheune; müde sank ich

Hier in des Heues Duft – und schlief.

 

Was mich erfreut auf meinen Wegen,

Das träumt ich nun im Schlafe nach;

Und träumend hört ich, wie der Regen

Sanft niederträufelt' auf das Dach.

 

Süß träumt es sich in einer Scheune,

Wenn drauf der Regen leise klopft;

So mag sichs ruhn im Totenschreine,

Auf den die Freundeszähre tropft.

 

Der Abend

 

Die Wolken waren fortgezogen,

Die Sonne strahlt' im Untergang

Und am Gebirg der Regenbogen,

Als ich von meinem Lager sprang.

 

Da griff ich nach dem Wanderstabe,

Sprach meinem Wirt ein herzlich Wort

Für Ruhestatt und milde Labe

Und zog in stiller Dämmrung fort.

Die Heidelberger Ruine

 

Freundlich grünen diese Hügel,

Heimlich rauscht es durch den Hain,

Spielen Laub und Mondenschein,

Weht des Todes leiser Flügel.

 

Wo nun Gras und Staude beben,

Hat in froher Kraft geblüht,

Ist zu Asche bald verglüht

Manches reiche Menschenleben.

 

Mag der Hügel noch so grünen;

Was dort die Ruine spricht

Mit verstörtem Angesicht,

Kann er nimmer doch versühnen.

 

Mit gleichgültiger Gebärde

Spielt die Blum in Farb und Duft,

Wo an einer Menschengruft

Ihren Jubel treibt die Erde.

 

Kann mein Herz vor Groll nicht hüten:

Ob sie holde Düfte wehn

Und mit stillem Zauber sehn:

Kalt und roh sind diese Blüten.

 

Über ihrer Schwestern Leichen,

Die der rauhe Nord erschlug,

Nehmen sie den Freudenzug;

Gibt der Lenz sein Siegeszeichen.

 

Der Natur bewegte Kräfte

Eilen fort im Kampfgewühl;

Fremd ist weiches Mitgefühl

Ihrem rüstigen Geschäfte. –

 

Unten braust der Fluß im Tale,

Und der Häuser bunte Reihn,

Buntes Leben schließend ein,

Schimmern hell im Mondenstrahle.

 

Auf den Frohen, der genießet

Und die Freude hält im Arm;

Auf den Trüben, der in Harm

Welkt und Tränen viel vergießet;

 

Auf der Taten kühnen Fechter –

Winkt hinab voll Bitterkeit

Die Ruine dort, der Zeit

Steinern stilles Hohngelächter.

 

Doch hier klagt noch eine Seele.

Sei gegrüßt in deinem Strauch!

Sende mir den bangen Hauch,

Wunderbare Philomele!

 

Wohl verstehst du die Ruine,

Und du klagst es tief und laut,

Daß durch all die Blüten schaut

Eine kalte Todesmiene;

 

Folgst dem Lenz auf seinen Zügen;

Und zu warnen unser Herz

Vor der Täuschung bittrem Schmerz,

Straft ihn deine Stimme Lügen.

 

Doch – nun schweigst du, wie zu lauschen,

Ob in dieser Maiennacht

Heimlich nicht noch andres wacht

Als der Lüfte sanftes Rauschen.

 

Die der Tod hinweggenommen,

Die hier einst so glücklich war,

Der geschiednen Seelen Schar,

Nachtigall, du hörst sie kommen;

 

Von den öden Schattenheiden

Rief des Frühlings mächtig Wort

Sie zurück zum schönen Ort

Ihrer frühverlaßnen Freuden.

 

An den vollen Blütenzweigen

Zieht dahin der Geisterschwall,

Wo du lauschest, Nachtigall,

Halten sie den stillen Reigen;

 

Und sie streifen und sie drängen

– Dir nur träumerisch bewußt –

Deine weiche, warme Brust,

Rühren sie zu süßen Klängen.

 

Selber können sie nicht künden,

Seit der Leib im Leichentuch,

Ihren nächtlichen Besuch

Diesen treugeliebten Gründen.

 

Nun sie wieder müssen eilen

In das öde Schattenreich,

Rufest du so dringend weich

Ihnen nach, sie möchten weilen. –

 

Blüten seh ich niederschauern;

Die mein Klagen roh und kalt

Gegen die Gestorbnen schalt,

Jetzo muß ich sie bedauern;

 

Denn mich dünkt, ihr frohes Drängen

Ist der Sehnsucht Weiterziehn,

Mit den Blüten, die dahin,

Um so bälder sich zu mengen.

 

Hat die leichten Blütenflocken

Hingeweht der Abendwind?

Ist des Frühlings zartes Kind

An dem Geisterzug erschrocken?

Die schöne Sennin

 

1.

Du Alpenkind, wie mild und klar

Strahlt mir dein blaues Augenpaar!

Wohl ist in diesen Himmelsnähen

Ein stilles Wunder einst geschehen.

In deiner Lämmer frohem Kreise

Hinknietest du, zu beten leise,

In heller Frühlingsmorgenstunde;

Mit Kindesblicken, innigfrommen,

War all dein Herz zu Gott geklommen:

Da sandte, freundlich dir begegnend

Und deine fromme Seele segnend,

Ins holde Auge dir zurück

Der Himmel einen warmen Blick,

Der sich vertieft in seinen Schimmer,

Geblieben ist und scheidet nimmer.

O Sennin, sterblich! scheidet nimmer? –

2.

 

Als du warst, ein holdes Kind,

Wonniglich geschlafen ein,

Trug die Mutter leis und lind

Dich in jenen Blütenhain.

 

Dort auf ihrem Schlummerbaum

Sangen Vöglein Abendsang,

Der in deinen Kindestraum

Sanft und lieblich schläfernd klang.

 

Und der Frühling nahte sich,

Grüßte dich mit lindem Hauch,

Freundlich segnend küßt' er dich,

Neigend seinen Rosenstrauch.

 

Seinen goldnen Abendschein

Goß er dir aufs weiche Haar,

Auf die Lilienwangen dein

Legt' er leis ein Rosenpaar.

 

Und der Mutter Augenlicht

Froh an deinem Schlummer hing,

Sah, wie dir am Angesicht

Still das Rosenpaar zerging.

 

Und des Frühlings Abendglanz

Wuchs am Haupt dir lang und voll,

Der im goldnen Lockentanz

Auf den Busen niederquoll.

 

Sennin, o wie reizend blüht

Deine Wange rosenrot,

Drauf noch immer freudig glüht

Jener süße Rosentod!

Auf ein Fass zu Öhringen

 

Ich stand, der höchste, grünste Baum,

Vor Zeiten froh im Waldesraum.

Mir galt der Sonne erster Kuß,

Ich brachte, war sie schon geschieden,

Dem Wanderer zum Abendfrieden

Von ihr noch einen Purpurgruß.

Da sah mich ernst der Küfer ragen,

Der kam und hat mich schnell erschlagen.

Ade! Ade! du grüner Hain!

Du Sonnenstrahl und Mondenschein!

Du Vogelsang und Wetterklang,

Der freudig mir zur Wurzel drang!

Die Waldeslust ist nun herum,

Ich wandre nach Elysium.

Ihr Bruderbäume, folgt mir nach

In dieses himmlische Gemach;

O nehmt das Los der Auserkornen

Von all den tausend Waldgebornen,

Das schöne Los, das große Los:

Tief in des Grundes kühlem Schoß

Ein Faß zu sein, ein Faß zu sein,

Nicht so ein stillverlaßner Schrein;

Ein Faß, dem lieben Wein ergeben,

Der Erde heilges Herzblut hüllend,

Ein Trunk das ganze lange Leben,

Den Zecher durch und durch erfüllend!

Komm, komm, bewegter Erdengast,

Und halte hier vergnügte Rast.

Mach dir das Herz im Weine flott,

Schenk ein! trink aus! merkst du den Gott?

Braust dir der Geist durchs Innre hin,

Von dem ich selber trunken bin?

Er ist so feurig, süß und stark:

O schlürf ihn ein ins tiefste Mark! –

Nun Wandrer, wandre selig heiter

Von Faß zu Faß forttrinkend weiter!

Schon tauchen dir im Rosenlichte

Herauf gar liebliche Gesichte:

Manch teures längst verlornes Gut,

Die Träum aus deinen Jugendjahren,

Sie kommen dir auf Weinesflut

Jetzt frisch und froh herangefahren.

Schenk ein! – du fühlst die alten Triebe

Zu kühner Tat hinaus! hinaus!

Du gibst den Kuß der ersten Liebe;

Schenk ein! du stehst im Vaterhaus.

Wohl dir! wohl dir! schon bist du trunken,

Und Gram und Sorgen all versunken;

Wir schützen dich, hier packt dich nicht

Ihr freches, quälendes Gezücht,

Wir stehen Faß an Faß zusammen,

Wir lassen unsre Waffen flammen;

Und heimlich hinter unsern Bäuchen

Muß dir die Zeit vorüberschleichen.

Schenk ein, schenk ein, nur immer zu!

Und hat der Gott dich ganz durchflossen,

Laß tragen dich von flinken Rossen

Nach dem Hesperien Friedrichsruh.

Dort schwanke unter grünen Bäumen

Mit deiner Last von Himmelsträumen,

Und lausche dort den Harmonien,

Die durch den Zaubergarten fliehen.

Ein voller stürmischer Akkord

Nimmt dich an seinen Geisterbord,

Irrt weit mit dir von hinnen, weit,

Hinaus ins Meer der Trunkenheit!

Der Postillion

 

Lieblich war die Maiennacht,

Silberwölklein flogen,

Ob der holden Frühlingspracht

Freudig hingezogen.

 

Schlummernd lagen Wies und Hain,

Jeder Pfad verlassen;

Niemand als der Mondenschein

Wachte auf der Straßen.

 

Leise nur das Lüftchen sprach,

Und es zog gelinder

Durch das stille Schlafgemach

All der Frühlingskinder.

 

Heimlich nur das Bächlein schlich,

Denn der Blüten Träume

Dufteten gar wonniglich

Durch die stillen Räume.

 

Rauher war mein Postillion,

Ließ die Geißel knallen,

Über Berg und Tal davon

Frisch sein Horn erschallen.

 

Und von flinken Rossen vier

Scholl der Hufe Schlagen,

Die durchs blühende Revier

Trabten mit Behagen.

 

Wald und Flur im schnellen Zug

Kaum gegrüßt – gemieden;

Und vorbei, wie Traumesflug,

Schwand der Dörfer Frieden.

 

Mitten in dem Maienglück

Lag ein Kirchhof innen,

Der den raschen Wanderblick

Hielt zu ernstem Sinnen.

 

Hingelehnt an Bergesrand

War die bleiche Mauer,

Und das Kreuzbild Gottes stand

Hoch, in stummer Trauer.

 

Schwager ritt auf seiner Bahn

Stiller jetzt und trüber;

Und die Rosse hielt es an,

Sah zum Kreuz hinüber:

 

»Halten muß hier Roß und Rad,

Mags euch nicht gefährden:

Drüben liegt mein Kamerad

In der kühlen Erden!

 

Ein gar herzlieber Gesell!

Herr, 's ist ewig schade!

Keiner blies das Horn so hell

Wie mein Kamerade!

 

Hier ich immer halten muß,

Dem dort unterm Rasen

Zum getreuen Brudergruß

Sein Leiblied zu blasen!«

 

Und dem Kirchhof sandt er zu

Frohe Wandersänge,

Daß es in die Grabesruh

Seinem Bruder dränge.

 

Und des Hornes heller Ton

Klang vom Berge wieder,

Ob der tote Postillion

Stimmt' in seine Lieder. –

 

Weiter gings durch Feld und Hag

Mit verhängtem Zügel;

Lang mir noch im Ohre lag

Jener Klang vom Hügel.

Die Rose der Erinnerung

 

Als treulos ich das teure Land verließ,

Wo mir, wie nirgend sonst, die Freude blühte,

Mich selbst verstoßend aus dem Paradies

Voll Freundesliebe, holder Frauengüte;

 

Und als ich stand zum ernsten Scheidegruß

An meiner Freuden maiengrünem Saume,

Als mir im Auge quoll der Tränenguß

Wie warmer Regen nach dem Frühlingstraume:

 

Da bog sich mir zum Lebewohl herab

Der reichsten einer von den Blütenzweigen,

Der freundlich mir noch eine Rose gab;

Mein Herz verstand sein liebevolles Schweigen.

 

›Nicht in den Staub, o Freund, hier weine hin,

Hier auf die weichen Blätter dieser Rose!‹

Das war der stummen Gabe milder Sinn;

Und schmerzlich rasch folgt ich dem Wanderlose

 

In fremde Welten fuhr mich der Pilot,

Vom teuren Lande trennen mich nun Meere;

Und wie mir einst das Lebewohl gebot,

Netz ich die Blume mit getreuer Zähre.

 

Der Rose inniglicher Duft entschwand,

Es ging die frische Farbenglut verbleichen;

Sie ruht so blaß und starr in meiner Hand,

Des Unverwelklichen ein welkes Zeichen.

 

Des Unverwelklichen? – sie rauscht so bang,

Will meine Hand die Rose wieder wecken;

Als wär es ein prophetisch trüber Klang,

Hör ich den Laut mit heimlichem Erschrecken.

 

O Rose der Erinnerung geweiht!

Mir dünket deiner welken Blätter Rauschen

Ein leises Schreiten der Vergänglichkeit,

Hörbar geworden plötzlich meinem Lauschen!

Der Indianerzug

 

1.

Wehklage hallt am Susquehannaufer,

Der Wandrer fühlt sie tief sein Herz durchschneiden;

Wer sind die lauten, wildbewegten Rufer?

Indianer sinds, die von der Heimat scheiden.

 

Doch plötzlich ihre lauten Klagen stocken.

Der Häuptling naht mit heftig raschem Tritte,

Ein Greis von finstern Augen, bleichen Locken,

Und also tönt sein Wort in ihrer Mitte:

 

»Stets weiter drängen uns, als ihre Herde,

Stets weiter, weiter die verfluchten Weißen,

Die kommen sind, uns von der Muttererde

Und von den alten Göttern fortzureißen.

 

Mir ist es klar, ich sehs im Licht der Flamme,

Die mir das Herz verbrennt mit wildem Nagen:

Sie brachten uns das Heil am Kreuzesstamme,

Den Mut zur Rache an das Kreuz zu schlagen.

 

Den Wald, wo wir den Kindesschlaf genossen,

Verlassen wir; der uns sein Wild geboten;

Wo liebend wir ein teures Weib umschlossen;

Den Wald, wo wir begraben unsre Toten.

 

Naht ihr den Gräbern euch von euren Ahnen,

Sei still von euch die Hügelschar beschlichen,

Die Toten nicht zu wecken und zu mahnen,

Daß wir von ihrem Glauben sind gewichen.

 

Der Hohn wird kommen, früher oder später,

Der gier'ge Pflug wird in die Gräber dringen;

Dann muß die heilge Asche unsrer Väter

Des tiefverhaßten Feindes Saaten düngen!« –

 

Nun feiern sie der Toten Angedenken;

Die Sonn im Westen wandelt ihre Neige,

Die Gräber noch bestrahlend, und sie senken

Viel Tränen drauf und grüne Tannenzweige.

 

Da bricht die Wehmut plötzlich ihre Hemmung,

Sie strömet laut und lauter in die Lüfte,

Schon braust des Schmerzes volle Überschwemmung

In wilden Klagen um die stillen Grüfte.

 

Nun wenden sich zur Wandrung die Vertriebnen,

Oft grüßend noch zurück mit finsterm Sehnen

Die teuren Hügel der Zurückgebliebnen,

Bestreuend ihre Bahn mit Flüchen, Tränen.

 

Wie sie vorüberwandern an den Bäumen,

Umarmend viele an die Stämme fallen,

Zum Scheidegruß den trauten Waldesräumen

Läßt jeder einmal noch die Flinte knallen. –

 

Der Flintenruf, der Ruf gerührter Kehlen

Ist an den Hügeln allgemach verrauschet,

Wo nur dem Klagehauch der Totenseelen

Die Dämmerung, die stille, tiefe, lauschet.

 

2.

Viel Meilen schon sind sie dahingezogen;

Der Susquehanna treibt an ihrer Seite

Mit heimatlichem Rauschen seine Wogen,

Der treue Freund gab ihnen sein Geleite.

 

Den heißen Trieb, vom Feinde, dem verhaßten,

Fort, fort zu fliehn mit wilden Fluchesklängen,

Kann nur der müde Schlaf zu kurzem Rasten

Aus ihren Gliedern allgemach verdrängen.

 

Ihr Feuer brennt im Dunkel hoher Eichen;

Da ruhn die Gäste rings der Waldeswüste,

Da legt der Mann sich hin, dem Schlaf zu weichen,

Die Mutter ihren Säugling an die Brüste.

 

Schon sinkt das Feuer, und die sommerschwülen

Nachtlüfte sich im Eichenlaub verfangen

Und frei durchs lange Haar der Weiber wühlen,

Die schlafend ihren Säugling überhangen.

 

Der graue Führer nur verbannt den Schlummer

Und einer noch der Ältesten vom Stamme;

Die sprechen lange noch von ihrem Kummer,

Von Zeit zu Zeit nachschürend an der Flamme.

 

Sie schaun durchs dünnere Gedräng der Bäume

Zurück nach dem verlornen Mutterlande,

Und zürnend schaun sie dort die Himmelsräume

Rotglühend hell von einem Waldesbrande.

 

Und also spricht der Häuptling zum Gefährten:

»Siehst du sie morden dort in unsre Wälder?

Getrost in unsres Unglücks frische Fährten

Ziehn sie den Pflug für ihre Segensfelder.

 

Sie haben frech die Nacht vom Schlaf empöret,

Daß sie sich mit dem Flammenkleide schürzet:

Hoch brennt der Wald, vom Lager aufgestöret,

Das Wild verzweifelnd aus den Gluten stürzet.

 

Gewecket von des Wildes Wehgeheule

Und von dem falschen Tageslicht betrogen,

Kommt schwirrend rings heran mit trunkner Eile

Der Vögel Schwarm in seinen Tod geflogen.

 

Gewiß, gewiß, mit ihren Saaten wuchern

Die Wünsche auch, die sie darunter streuen

Von ihren unversöhnlichen Verfluchern;

Es wird sie noch an spätem Tag gereuen!«

 

Noch starren die Betrübten, Tieferbosten

Hinüber nach des Brandes rotem Scheine,

Als der zerfließt im Morgenrot von Osten

Und schon die Wipfel glühn im Eichenhaine.

Die drei Indianer

 

Mächtig zürnt der Himmel im Gewitter,

Schmettert manche Rieseneich in Splitter,

Übertönt des Niagara Stimme,

Und mit seiner Blitze Flammenruten

Peitscht er schneller die beschäumten Fluten,

Daß sie stürzen mit empörtem Grimme.

 

Indianer stehn am lauten Strande,

Lauschen nach dem wilden Wogenbrande,

Nach des Waldes bangem Sterbgestöhne;

Greis der eine, mit ergrautem Haare,

Aufrecht überragend seine Jahre,

Die zwei andern seine starken Söhne.

 

Seine Söhne jetzt der Greis betrachtet,

Und sein Blick sich dunkler jetzt umnachtet

Als die Wolken, die den Himmel schwärzen,

Und sein Aug versendet wildre Blitze

Als das Wetter durch die Wolkenritze,

Und er spricht aus tiefempörtem Herzen:

 

»Fluch den Weißen! ihren letzten Spuren!

Jeder Welle Fluch, worauf sie fuhren,

Die einst Bettler unsern Strand erklettert!

Fluch dem Windhauch, dienstbar ihrem Schiffe!

Hundert Flüche jedem Felsenriffe,

Das sie nicht hat in den Grund geschmettert!

 

Täglich übers Meer in wilder Eile

Fliegen ihre Schiffe, giftge Pfeile,

Treffen unsre Küste mit Verderben.

Nichts hat uns die Räuberbrut gelassen,

Als im Herzen tödlich bittres Hassen:

Kommt, ihr Kinder, kommt, wir wollen sterben!«

 

Also sprach der Alte, und sie schneiden

Ihren Nachen von den Uferweiden,

Drauf sie nach des Stromes Mitte ringen;

Und nun werfen sie weithin die Ruder,

Armverschlungen Vater, Sohn und Bruder

Stimmen an, ihr Sterbelied zu singen.

 

Laut ununterbrochne Donner krachen,

Blitze flattern um den Todesnachen,

Ihn umtaumeln Möwen sturmesmunter;

Und die Männer kommen festentschlossen

Singend schon dem Falle zugeschossen,

Stürzen jetzt den Katarakt hinunter.

 

Vermischte Gedichte

 

Die Tränen

Tränen, euch, ihr trauten, lieben,

Bring ich diesen Dankgesang!

Seid ja auch nicht ausgeblieben,

Wenn mein Herz im Liede klang;

 

Schlichet die bekannten Gleise

Still herab, als wolltet ihr

Meinen Schmerz behorchen leise,

Und das Lied quoll sanfter mir.

 

Wenn der Dolch im Busen wühlte,

Tief vom Unglück eingebohrt,

Kam der Trost von euch und spülte

Linde die Verzweiflung fort.

 

O flieht keinen Wildumdrohten

Von Orkan und Wetterschein!

Naht ihm, naht ihm, Friedensboten,

Laßt den Armen nicht allein!

 

Ist die Nacht vorbei, so fehle

Ihm doch eure Treue nicht,

Und die Traufe seiner Seele

Netze mild sein Angesicht

 

Mit der Wehmut süßen Tropfen,

Daß sein Herz, wars auch gequält,

Nie verlerne doch zu klopfen

Dieser schönen Gotteswelt. –

 

Nicht nur, wo der Herzensnager

Gram wühlt, habt ihr euern Lauf,

Auch wo Lust ihr Reiselager

Schlägt in einem Busen auf:

 

Ha, wie wogt das Festgetümmel

In dem engen Kämmerlein,

Wenn der ganze reiche Himmel

Überfüllend will hinein!

 

Und die Tränen seh ich blinken

Auf der Wang im Freudenglast,

Und sie zittern, und sie winken

Alle Welt herein zu Gast. –

 

Als ich einst am Sterbebette

Eines lieben Freundes stand

Und der Tod die Freudenkette

Kalt uns aus den Händen wand;

 

Weint ich ihm die letzte Ölung,

Und – schon lag er still und bleich:

Doch in seines Auges Höhlung

War noch eine Träne weich;

 

War so heilig anzuschauen,

Wies die Sehnsucht himmelan,

Wie der Engel, den die Frauen

Einst am Grabe Jesu sahn.

In der Krankheit

 

1.

Nacht umschweigt mein Krankenlager;

An der morschen Diele nur

Reget sich der kleine Nager,

Und es pickt die Pendeluhr,

Die eintönig mich bedeutet,

Wie das Leben weiter schreitet.

 

Über trübe, heitre Stellen

Schreitets unaufhaltsam hin,

Wie des Stromes rasche Wellen

Blum und Dorn vorüberziehn.

Immer senkt die Bahn sich jäher,

Kommt der Schritt dem Tode näher.

 

Mir auch senkt sie sich, und schaurig

Weht es aus der Niederung;

Und, noch Jüngling, hör ich traurig,

Wie aus banger Dämmerung

Meines Herzens matten Schlägen

Rauscht die Todesflut entgegen.

2.

 

Einsamkeit! mein stilles Weinen

Rinnt so heiß in deinen Schoß;

Doch du schweigst und hast nicht einen

Seufzer für mein trübes Los!

Legen schon die Jugendjahre

Abgeblüht mich auf die Bahre,

Wird kein Auge feuchten sich?

Wird kein Busen bänger schlagen,

Wenn sie mich zu Grabe tragen?

Liebt kein Herz auf Erden mich? –

Heißer strömt es von der Wange:

Keines, keines! fühl ich bange.

An die Melancholie

 

Du geleitest mich durchs Leben,

Sinnende Melancholie!

Mag mein Stern sich strahlend heben,

Mag er sinken – weichest nie!

 

Führst mich oft in Felsenklüfte,

Wo der Adler einsam haust,

Tannen starren in die Lüfte

Und der Waldstrom donnernd braust.

 

Meiner Toten dann gedenk ich,

Wild hervor die Träne bricht,

Und an deinen Busen senk ich

Mein umnachtet Angesicht.

Einem Freunde ins Stammbuch

 

Rüstig wandelst du fort die Alpenpfade der Edlen,

Wo die reinere Luft Busen und Stirne dir kühlt;

Pflückest vom Feisengeklipp, vom schmalen Rande des Abgrunds

Duftende Blumen und schlingst sie zum harmonischen Kranz,

Ihn zu tragen, ein Opfer, zum Hochaltare der Menschheit,

Ach, um welchen es stets stiller und einsamer wird.

Traurig flüstern auf ihm die Kränze der wenigen Edlen,

Totenkränze nunmehr schöner verblichener Zeit.

Aber du wandle hinan getrost, und wäre dein Leben

Auch nur Feier des Tods schöner verblichener Zeit.

Kommt auf deinen Pfaden dir einst der Donner entgegen,

Dräuend im nächtlichen Flug, fahren Orkane dich an:

Freund, dann flattre dies Blatt vor deinen Blicken im Sturme,

Und es rausche dir zu: ›Denke des liebenden Freunds!‹

Vergänglichkeit

 

Vom Berge schaut hinaus ins tiefe Schweigen

Der mondbeseelten schönen Sommernacht

Die Burgruine; und in Tannenzweigen

Hinseufzt ein Lüftchen, das allein bewacht

Die trümmervolle Einsamkeit,

Den bangen Laut: ›Vergänglichkeit‹

 

›Vergänglichkeit!‹ mahnt mich im stillen Tale

Die ernste Schar bekreuzter Hügel dort,

Wo dauernder der Schmerz in Totenmale

Als in verlaßne Herzen sich gebohrt;

Bei Sterbetages Wiederkehr

Befeuchtet sich kein Auge mehr.

 

Der wechselnden Gefühle Traumgestalten

Durchrauschen äffend unser Herz; es sucht

Vergebens seinen Himmel festzuhalten,

Und fortgerissen in die rasche Flucht

Wird auch der Jammer; und der Hauch

Der sanften Wehmut schwindet auch.

 

Horch ich hinab in meines Busens Tiefen,

›Vergänglichkeit!‹ klagts hier auch meinem Ohr,

Wo längst der Kindheit Freudenkläng entschliefen,

Der Liebe Zauberlied sich still verlor;

Wo bald in jenen Seufzer bang

Hinstirbt der letzte frohe Klang.

Zögerung

 

Beschritten schon von seinem Reiter,

Rafft auf der Weide noch das Roß

Die letzten Halme, will nicht weiter,

Bis ihm der Sporen scharfer Stoß

Gewaltig in die Seiten dringt

Und es im Sturm von dannen zwingt.

 

Und fühlt der Mensch mit bleichem Beben

Den Tod ihm sitzen am Genick,

So klammert sich sein Fuß ans Leben,

Er bettelt um den Augenblick,

Bis rauh der Tod die Geißel schwingt

Und ihn mit Macht von dannen zwingt.

An eine Dame in Trauer

 

Vom Grabe deines treuen Mannes

Ist noch die Schaufel feucht;

O Weib, o nichts von einem Weibe!

Dein Aug ist nicht mehr feucht?

 

Hinab! zuchtloses Blut der Wangen!

Ins Herz, du Schandeborn!

Kann dich des Gatten Tod nicht jagen,

So jage dich mein Zorn.

 

Das Tränenschild, den Flor herunter,

Mit dem du dich behängt!

In dieser Kneipe wird die Träne,

Die Edle, nicht geschenkt.

Einem Knaben

 

Was trauerst du, mein schöner Junge?

Du Armer, sprich, was weinst du so?

Daß treulos dir im raschen Schwünge

Dein liebes Vögelein entfloh?

 

Du blickest bald in deiner Trauer

Hinüber dort nach jenem Baum,

Bald wieder nach dem leeren Bauer

Blickst du in deinem Kindestraum.

 

Du legst so schlaff die kleinen Hände

An deines Lieblings ödes Haus

Und prüfest rings die Sprossenwände

Und fragst: »Wie kam er nur hinaus?«

 

An jenem Baume hörst du singen

Den Fernen, den dein Herz verlor,

Und unaufhaltsam eilig dringen

Die heißen Tränen dir hervor.

 

Gib acht, gib acht, o lieber Knabe,

Daß du nicht dastehst trauernd einst

Und um die beste, schönste Habe

Des Menschenlebens bitter weinst!

 

Daß du die Hand, die sturmerprobte,

Nicht legst, ein Mann, an deine Brust,

Darin so mancher Schmerz dir tobte.

Dir säuselte so manche Lust;

 

Daß du die Hand mit wildem Krampfe

Nicht drückest deinem Busen ein,

Aus dem die Unschuld dir im Kampfe

Entflohn, das scheue Vögelein.

 

Dann hörst du flüstern ihre leisen

Gesänge aus der Ferne her;

Neigst hin dich nach den süßen Weisen;

Das Vöglein aber kehrt nicht mehr! –

Abschied

 

Lied eines Auswandernden

 

Sei mir zum letztenmal gegrüßt,

Mein Vaterland, das, feige dumm,

Die Ferse dem Despoten küßt

Und seinem Wink gehorchet stumm.

 

Wohl schlief das Kind in deinem Arm;

Du gabst, was Knaben freuen kann;

Der Jüngling fand ein Liebchen warm;

Doch keine Freiheit fand der Mann.

 

Im Hochland streckt der Jäger sich

Zu Boden schnell, wenn Wildesschar

Heran sich stürzet fürchterlich;

Dann schnaubt vorüber die Gefahr:

 

Mein Vaterland, so sinkst du hin,

Rauscht deines Herrschers Tritt heran,

Und lässest ihn vorüberziehn

Und hältst den bangen Atem an. –

 

Fleug, Schiff, wie Wolken durch die Luft,

Hin, wo die Götterflamme brennt!

Meer, spüle mir hinweg die Kluft,

Die von der Freiheit noch mich trennt!

 

Du neue Welt, du freie Welt,

An deren blütenreichem Strand

Die Flut der Tyrannei zerschellt,

Ich grüße dich, mein Vaterland!

Am Grabe eines Ministers

 

Du fuhrst im goldnen Glückeswagen

Dahin den raschen Trott,

Von keuchenden Lüsten fortgetragen,

Und dünktest dir ein Gott!

 

Wie flogen des Pöbels Rabenschwärme

Dir aus dem Weg so bang,

Da sie hörten der Geißel wild Gelärme,

Der Räder Donnerklang!

 

Ein weinender Bettler, stand am Wege

Das arme Vaterland

Und flehte dich an um milde Pflege

Mit aufgehobner Hand;

 

Doch wie auch klagte die bittre Klage,

Wie auch die Träne rann:

Du triebst mit gellendem Geißelschlage

Vorüber dein Gespann! –

 

»Halt!« schlug nun eine grause Stimme

An dein entsetztes Ohr,

Es stürzt', ein Räuber, mit Hohn und Grimme

Der Tod vom Wald hervor

 

Und hieb die Stränge mit scharfem Schwerte

Vom Wagen, riß mit Macht

Dich fort, trotz Flehen und Angstgebärde,

In seine finstre Nacht.

 

Das Vaterland mit Lachen und Singen

Hält Wacht an deinem Grab,

Scheucht Tränen und Seufzer und Händeringen

Fort mit dem Bettelstab!

Der Indifferentist

 

Ob du, ein Sokrates, den Schierlingsbecher

Aufs Wohl des Vaterlandes lächelnd trinkst;

Ob du, ein schnöder, teuflischer Verbrecher,

Vom Henkerbeil getroffen, fluchend sinkst;

 

Ob dein Genie sein Werk den raschen Zeiten

Geschleudert, ein Gebirg, in ihre Bahn,

Daß sie an seinem Fuß vorüberschreiten

Und grauend seine Gipfel starren an;

 

Ob nichts dein langes Leben war hinieden

Als fürs Gewürm des Grabes eine Mast;

Ob du, der Menschheit Fesseln anzuschmieden,

Ein toller Held, die bange Welt durchrast:

 

Ist just so wichtig als: ob nur im Kreise

Einförmig stets das Aufgußtierchen schwimmt,

Ob es vielleicht nach rechts die große Reise,

Vielleicht nach links im Tropfen unternimmt.

In das Stammbuch einer Künstlerin

 

Erinnerung an einen Spaziergang

 

Nach langem Wege durch die Sommerschwüle

Rauscht' uns ein Wald entgegen seinen Gruß,

Uns übergoß die Luft mit süßer Kühle,

Die Blätternacht mit ihrem Labekuß.

Und wie wir aus den heißen, hellen Triften,

Wo mühend sich der Mensch dem Leben weiht,

Ins Waldgeheimnis weiter uns vertieften

Und in den Schatten Gottes Einsamkeit; –

So flohen deine heiteren Gespräche

Fort von des Lebens wüstem, steilem Hang

Waldein und wanden sich als klare Bäche

Durchs Labyrinth der Kunst mit leisem Klang.

Auf ihren Wellen bebten die Gestalten

Von all den Blumen, die ihr Lauf berührt;

Ich aber sah, nachhängend ihrem Walten,

Die froherstaunte Seele mir entführt.

Unmögliches

 

Bevor mein Blick den Zauber noch getrunken,

Der, wie die Farbenpracht am Demant glüht,

Dich tausendfach, doch immer neu, umblüht,

Horcht ich dem Freund, in Ahnungen versunken.

Wir sehn des Berges Haupt in Purpur prangen,

Wenn schon die Sonne sank und Dämmerung

Den Hain umflort: so strahlt Erinnerung

An dich, Geliebte, von des Freundes Wangen.

Begeistert taucht' er in des Busens Tiefen

Den Pinsel, und er malte warm und mild

Dem selgen Horcher dein entzückend Bild,

Gefühle weckend, die seit lange schliefen.

Doch wie's dem Dichter nimmer will gelingen,

Des Busens Drang ins enge Wort zu zwingen.

Hinüber uns in seine Welt zu singen;

So hat der Freund vergebens dich gemalt,

Sie nicht erreicht, die göttliche Gestalt,

Und deiner Seele stille Allgewalt.

Einem Ehrsüchtigen

 

Laß das Ringen nach der Ehre;

Lieber all dein heißes Streben

In den eignen Busen kehre,

Und du lebst ein schöners Leben.

Frage

 

O Menschenherz, was ist dein Glück?

Ein rätselhaft geborner

Und, kaum gegrüßt, verlorner,

Unwiederholter Augenblick!

Mein Stern

 

Um meine wunde Brust geschlagen

Den Mantel der Melancholei,

Flog ich, vom Lebenssturm getragen,

An dir, du Herrliche, vorbei.

 

Vom Himmel deiner Augen stiegen

Wie Engel Tränen niederwärts

An deinen holdgerührten Zügen

Und priesen mir dein gutes Herz.

 

Und alle Welten um mich schwanden,

Mein Leben starrt' in seinem Lauf,

Im süßempörten Busen standen

Die alten Götter wieder auf.

 

Da riß der Sturm von dir mich wieder

Hinaus in seine wüste Nacht;

Doch strahlt nun Frieden auf mich nieder

Ein Stern mit ewig heller Pracht.

 

Denn wie, vom Tode schon umfangen,

Der Jüngling nach der holden Braut

Die Arme streckt mit Glutverlangen

Und sterbend ihr ins Auge schaut:

 

So griff nach deinem holden Bilde

Die Seele, schaut es ewig an,

Sieht nichts vom trüben Erdgefilde,

Fühlt nicht die Dornen ihrer Bahn.

 

Entriss' auch einst der Tod mir strenge,

Was mir das Leben Liebes gab;

Er nehm es hin! doch eines ränge –

Ich ränge kühn dein Bild ihm ab.

Der Selbstmord

 

Scheitert unsre Brust an Klippen,

Hingeschellt von Sturmeswut;

Trinkt mit aufgerißnen Lippen

Unsre Wunde Schmerzensflut;

 

Schöpft das Herz dann hastig bange

Aus der Brust den Tränenguß,

Weil es sonst, vom Wellendrange

Überströmt, versinken muß:

 

Dann wird auch der Sturm beschworen,

Helle wird die Finsternis,

Es vertünchen milde Horen

An der Brust den Wundenriß.

 

Aber ist das Herz ein zages,

Wenn die Brust die Woge trinkt,

Starrt es ob des Klippenschlages

Störrisch, müßig – und versinkt.

 

Ists ein wildes, ungezäumtes,

Wird es im Tumulte scheu,

Todestrunken glüht und schäumt es

Und zertrümmert sein Gebäu.

 

Wenn dann auch der Himmel heiter

Und mit lindem Hauche weht,

Sanft der Strom hinwiegt die Scheiter;

Für die Toten ists zu spät.

 

Doch ihr Schifflein, hört, ihr andern!

Seid ihr auch dem Sturm entwischt,

Ruhig mögt ihr weiter wandern,

Aber nicht gehöhnt, gezischt:

 

»Wie der Nachen ward zertrümmert!

Wie das Herz im Strom ersoff!

Warst wohl auch zu leicht gezimmert!

Warst wohl auch aus schlechtem Stoff.«

 

Hütet euch, ihr andern, hütet!

Denkt an eurer Fahrten Rest;

Denn die Nacht der Zukunft brütet

Manchen Sturm im dunkeln Nest.

Reiterlied

 

Wir streifen durchs Leben im schnellen Zug,

Ohne Rast wie die stürmische Welle;

Wir haschen die Frucht im Vorüberflug

Und schlummern nicht ein an der Quelle;

Wir pflücken die Rose, wir saugen den Duft

Und streuen sie dann in die flatternde Luft.

 

Der Friedliche sitzet und lauert bang,

Bis das Glück ihm poch an die Türe.

Noch späht er beim Sterbeglöckleinklang,

Ob das Glück an der Klinke nicht rühre;

Wohl rührt sich die Klink, und es tritt herein,

Erschrick nicht, du Armer, – es ist Freund Hein!

 

Der Reiter verfolgt das entlaufende Glück,

Er faßts an den fliegenden Locken

Und zwingt es zu sich auf den Sattel zurück

Und umschlingt es mit wildem Frohlocken:

»Mußt reiten mit mir durch Nacht und Graus,

Durch Strom und Geklüft zum blutigen Strauß!«

 

Wir sprengen hinein in die laute Schlacht,

Es tanzen die wiehernden Rosse

Dahin, wo der Donner am stärksten kracht,

Weit voran dem trippelnden Trosse:

Dem Reiter kredenzt auf sein stürmisch Gebot

Den ersten, den feurigsten Trunk der Tod!

An J. Klemm

 

O säume nicht, mit Wein, Gesang und Kosen

Dein Herz zu frischen! sieh, die Jugend flicht

In deinen Strauß schon ihre letzten Rosen,

Bald wendet sie das holde Angesicht

Und flieht und schwindet tief und tiefer immer

Im Hain Vergangenheit – und kehret nimmer.

 

Dann gilts, empor zur Lebenshöh zu dringen,

Dann hörst du hinter dir im Blütental

Das ›Gaudeamus igitur!‹ verklingen,

Und deine Bahn wird glühend, schroff und kahl:

Am Strauße, den die Jugend dir gewunden,

Ist bald so Duft wie Farbenpracht verschwunden.

 

Doch wallst du einst zur Abendherberg nieder,

Tränkt kühler Tau den welken Blumenstrauß,

Dann blüht er neu mit Duft und Farbe wieder;

Du setzest müde dich vors stille Haus,

Spielst mit dem Strauß, dem Kinde schöner Zeiten,

Und schlummerst ein – die Blumen dir entgleiten.

Zuflucht

 

Tut man Kindern was zuleide,

Fliehn zur Mutter sie voll Schrecken,

Sich in ihrem Faltenkleide

Vor dem Quäler zu verstecken.

 

Weiche Herzen bleiben Kinder

All ihr Leben, und es falle

Ihnen auch das Los gelinder

Als den Herzen von Metalle.

 

Jagt sie Unglück, wie zum Fluche,

Fliehn sie bang und immer bänger,

Bis sie hinterm Leichentuche

Sich verbergen ihrem Dränger.

Der Greis

 

Durch Blüten winket der Abendstern,

Ein Lüftchen spielt im Gezweige;

Der Greis genießt im Garten so gern

Des Tages süße Neige.

 

Dort seine Enkel, sie jagen frisch

Im Grase hin und wider;

Die Vöglein singen im Gebüsch

Nun ihre Schlummerlieder.

 

Es lieben Kinder und Vögelein,

Die Glücklichsten auf Erden! –

Bevor sie abends schlafen ein,

Noch einmal laut zu werden.

 

Da schlängelt der schnelle Kinderkreis

Sich blühend durch blühende Bäume,

Sie gaukeln um den stillen Greis

Wie selige Jugendträume.

 

Sein Auge folgt am Wiesenplan

Der Unschuld fröhlichen Streichen;

Da jauchzt ein Knabe zu ihm heran,

Ihm eine Blume zu reichen.

 

Der Alte nimmt sie lächernd hin

Und streichelt den schönen Jungen

Und will liebkosend ihn näher ziehn;

Der aber ist wieder entsprungen.

 

Und wie der Greis nun die Blume hält

und ansieht immer genauer,

Ihn ernstes Sinnen überfällt,

Halb Freud und milde Trauer.

 

Er hält die Blume so inniglich,

Die ihm das Kind erkoren,

Als hätte seine Seele sich

Ganz in die Blume verloren;

 

Als fühlt' er sich gar nah verwandt

Der Blume, erdentsprossen,

Als hätte die Blum ihn leise genannt

Ihren lieben, trauten Genossen.

 

Schon spürt er im Innern keimen wohl

Das stille Pflanzenleben,

Das bald aus seinem Hügel soll

In Blumen sich erheben.

Der Unbeständige

 

Daß ich dies und das beginne,

Heute grad und morgen quer,

Gegen das, was heut ich minne,

Morgen richte Spieß und Speer:

 

Sollte das so sehr dich wundern,

Du mein konsequenter Mann?

Keiner von den Erdenplundern

Lange mich behalten kann!

 

Heute bin ich zum Exempel

Ganz ein Metaphysikus;

Morgen schallt in Themis' Tempel

Mein unsteter Menschenfuß.

 

Heute steh ich nachts am Giebel,

Suche Jungfrau, Stier und Bär;

Morgen les ich in der Bibel;

Übermorgen im Homer.

 

Blickt mein Geist im Wissensdrange

Durch ein Fenster in die Welt;

O dann paßt er auch nicht lange, –

Sieht er drinnen nichts erhellt;

 

Und er guckt zu einem andern

In die finstre Welt hinein!

Muß von hier auch weiter wandern,

Nirgends auch nur Lampenschein!

 

Freilich, wenn du unabwendig

Starrest in dasselbe Loch,

Wirds vor deinem Blick lebendig,

Dein Ausharren lohnt sich doch;

 

Denn die Augen dir erlahmen,

Und Gespenster malen sich

In des Fensters leeren Rahmen:

Und man nennt den Weisen dich!

Abendheimkehr

 

Sein Bündel Holz am Rücken bringt

Der Arme heimgetragen;

Der frohe Knecht die Geißel schwingt

Am erntevollen Wagen.

 

Die milchbeladne Herde wiegt

Sich in die trauten Ställe;

Mit Scherz und Kuß zur Dirne fliegt

Der lustige Geselle.

 

Von Feld und Walde pfeift nach Haus

Der Jäger dort, der rasche;

Und Has und Wachtel guckt heraus,

Zu prahlen, aus der Tasche.

 

Den Dichter sieht man aus der Nacht

Der Eichen selig schwanken;

Er taumelt fort mit seiner Tracht

Unsterblicher Gedanken.

Vanitas

 

Eitles Trachten, eitles Ringen

Frißt dein bißchen Leben auf,

Bis die Abendglocken klingen,

Still dann steht der tolle Lauf.

 

Gastlich bot dir auf der Reise

Die Natur ihr Heiligtum;

Doch du stäubtest fort im Gleise,

Sahst nach ihr dich gar nicht um.

 

Blütenduft und Nachtigallen,

Mädchenkuß und Freundeswort

Riefen dich in ihre Hallen;

Doch du jagtest fort und fort.

 

Eine Törin dir zur Seite

Trieb mit dir ein arges Spiel,

Wies dir stets ins graue Weite:

»Siehst du, Freund, dort glänzt das Ziel!«

 

War es Gold, wars Macht und Ehre,

Was sie schmeichelnd dir verhieß:

Täuschung wars nur der Hetäre,

Eitel Tand ist das und dies.

 

Sieh! noch winkt sie dir ins Weite,

Und du wardst ein alter Knab!

Nun entschlüpft dir dein Geleite,

Und du stehst allein – am Grab.

 

Kannst nicht trocknen mehr die Stirne,

Da du mit dem Tode ringst;

Hörst nur ferne noch der Dirne

Hohngelächter – und versinkst!

Fragmente

 

Der Jüngling

Der Jüngling stoßt vom Strand im leichten Kahne,

Die Sehnsucht hat die Segel ihm gebreitet;

Wie rasch im Phantasienozeane,

Von Westen fortgekost, dahin er gleitet!

Schon weht auf neuen Welten seine Fahne,

Wie selig er durch Paradiese schreitet

Und Blumen pflückt, wie nimmer sie geboren

Im reichsten Lenz die heimatlichen Horen.

 

»Willkommen, Jüngling, von der fernen Reise!«

Begrüßt ihn tückisch wieder nun das Leben,

Und kosend naht ein Weib, unmerklich leise

Der Liebe Gaukelmacht um ihn zu weben.

Sie hält ihn festgebannt in ihrem Kreise

Mit Seufzerformeln, heuchelndem Ergeben:

Froh schmückt er ihr mit seinen Traumesblüten

Die Brust, um welche Todeslüfte brüten.

Der falsche Freund

 

»O sei mein Freund!« so schallts vom Heuchelmunde

Dem Falschen, der mit heimlichem Behagen

Den Vorteil überzählt von solchem Bunde;

Du traust ihm, und – schon hast du eingeschlagen,

Ein edler Tor! Naht einst die Wetterstunde,

So siehst den Schurken du mit bleichem Zagen

In seines Ichs bequeme Hütte springen,

Hinausgesperrt magst mit dem Sturm du ringen.

Die schlimme Jagd

 

Das edle Wild der Freiheit scharf zu hetzen,

Durchstöbert eine finstre Jägerbande

Mit Blutgewehren, stillen Meuchelnetzen

Der Wälder Heiligtum im deutschen Lande.

Das Wild mag über Ström und Klüfte setzen,

Und klettern mags am steilen Klippenrande:

Der Weidruf schallt durch Felsen, Ström und Klüfte,

Empört verschleudern ihn die deutschen Lüfte.

Der feile Dichter

 

Die Muse muß zur Metze sich erniedern,

Der Dichter sendet sie zum Mäzenaten,

Und, frechgeschürzt, mit schaugestellten Gliedern,

Der Göttlichkeit vergessend, tief entraten,

Umtanzt sie ihn mit schnöden Schmeichelliedern,

Liebäugelnd mit den blinkenden Dukaten.

Sie muß den Gott in ihm zum Schlaf betören,

Das Tier zu wilder Glut und Flamm empören.

Auf einen Professor Philosophiae

 

Seht ihr den Mann mit stäubender Perücke?

Wie sprudelt ihm die hochgelahrte Kehle!

Seht, an der morschen Syllogismenkrücke

Hinkt Gott in seine Welt; die Menschenseele

Ist ewig, denn sie ist aus einem Stücke!

Und daß der Argumente keines fehle,

Hat er ein weises ergo noch gesprochen:

Der Mensch ist frei, die Fesseln sind gebrochen!

Theismus und Offenbarung

 

Vom Saatenfeld die Lerche zieht

Froh himmelwärts mit ihrem Lied;

Die Stolze meidet Busch und Baum,

Der Blüten schönen Frühlingstraum,

Durch deren säuselndes Gewimmel

Hereinblickt der gebrochne Himmel;

Sie sucht den vollen Morgenschein,

Sie will bei ihren Liederfesten

Dem Himmel auch von Blütenästen

Entgegen nicht gehalten sein.

Doch sucht die holde Nachtigall

Der Blüten heimliche Verwahrung;

Ihr weckt den süßern Liederschall

Der Liebe Frühlingsoffenbarung.

Abmahnung

 

Laßt ab, laßt ab, bauwütig rauhe Leute,

Und störet mir die liebe Stelle nimmer,

Wo spielend sich des Städtchens Jugend freute

In seines Glückes flüchtgem Morgenschimmer.

 

Hier spielten eure Väter, eure Ahnen;

Hier hat sie abgerufen einst das Leben

Auf seines Ernstes dornenvolle Bahnen;

O wollet euch der Stelle fromm begeben!

 

Wohl heilig ist zu achten solche Stätte,

Wo sich vom Ahn zum fernen Kind gewunden

Der Jugendspiele goldne Freudenkette,

Wo viele lebten ihre liebsten Stunden.

 

Doch wollt ihr bauen, bauet Kirchhofwände,

Daß man den Toten hier zu seinem Grabe,

Zugleich zur Stätte seiner Jugend sende,

Daß er sein Bestes hier beisammen habe!

Warnung und Wunsch

 

Lebe nicht so schnell und stürmisch;

Sieh den holden Frühling prangen,

Höre seine Wonnelieder;

Ach, wie bleich sind deine Wangen!

 

Welkt die Rose, kehrt sie wieder;

Mit den lauen Frühlingswinden

Kehren auch die Nachtigallen;

Werden sie dich wiederfinden? –

 

»Könnt ich leben also innig,

Feurig, rasch und ungebunden,

Wie das Leben jenes Blitzes,

Der dort im Gebirg verschwunden!«

Waldestrost

 

Im Walde schleicht ein alter Mann,

Allein mit seinem Leid,

Er ist so ärmlich angetan

Mit einem Lodenkleid.

 

Er blickt so traurig um sich her,

An seinen Stab gelehnt;

Dem Manne ists im Herzen schwer,

Wonach er wohl sich sehnt?

 

Den Bäumen nimmt der Herbst das Laub,

Der Tod im Walde tost,

Der Alte starret in den Staub,

Als sucht' er dort sich Trost.

 

Vom Dickicht rauscht vor ihn ein Reh

Und hält und will nicht fliehn,

Als wärs gerührt von seinem Weh,

Als wollt es trösten ihn.

 

Schau tief dem Reh, du armer Mann,

In seinen Kindesblick,

Vielleicht der Blick dir lindern kann

Dein trauriges Geschick!

Der Unentbehrliche

 

Könnt ich tausendfach mich teilen,

Schnell mit allen Winden eilen,

Überall zugleich zu walten,

Wo's die Welt gilt zu gestalten!

Würden nicht durch meine Kräfte

Rasch gedeihn der Zeit Geschäfte?

Doch, so läßt mich mein Geschick

Schauen nur im Zeitungsblick

Ohne mich in fernen Reichen

Die verlaßnen Völker schleichen! –

Von den Sternen möcht ich wissen,

Ob sie mich nicht schwer vermissen?

An Fräulein Charlotte von Bauer

 

Bei Übersendung meiner Gedichte

 

Laß dich von dem bunten Häuflein

Meiner Herzenskinder grüßen!

Ist darunter auch ein Teuflein,

Schmiegt es sich zu deinen Füßen.

Wenige davon sind munter,

Und die meisten werden kommen

Ernst und mürrisch, Kopf vorunter;

Doch es fehlt auch nicht an frommen.

Aber wenn dir von dem Völklein

Hier die tollen und verwegnen,

Dort leichtfertige begegnen,

Wie verblasne Pfeifenwölklein;

Oder wenn dir meine Kleinen

Plötzlich oft zusammenschaudern,

Gar zuviel vom Tode plaudern,

Wenn sie dir im Hause weinen:

Greife mächtig ins Klavier,

Zauberin im Klangrevier,

All den Braus mit deinen Tönen

Mildmelodisch zu versöhnen.

Könnt ich dann dich still belauschen,

Wie der Töne rasche Wellen

Unter deinen Fingern quellen

Und bewundernd dich umrauschen! –

Schwärmer

 

Diese Blumen ohne Duft und Farben

Und von ihr, an deren Brust sie starben,

In den Staub geworfen und vergessen,

Magst du sie noch an die Lippen pressen?

Soll die Blüte ihnen wiederkehren,

Daß du sie betaust mit Liebeszähren?

Schwärmer, den ein welkes Blatt entzückt,

Das im Spiel ein schönes Kind zerknickt!

 

»Schwärmer! denkst du noch an jene Leiche?

O wie mochtest du die welke, bleiche

Überweinen und zur Lippe pressen!

War sie nicht verlassen und vergessen

Von der schönen Seel in flüchtger Eile,

Die damit gespielet kurze Weile?«

An einen Langweiligen

 

Unnahbar sind die Mächte, unbezwingbar,

Die dir getreu, gleich Sklaven, schwerbejochten,

An deine Ferse, deinen Wink geflochten,

Zu mächtig schier, als daß sie mir besingbar.

Mein Saitenspiel auch darf nur zagend hoffen,

Von ihrem Sieg zu bleiben ungetroffen.

 

Doch Tyrannei ist Mutter der Empörung;

Drum wagt ich einst mit lustigen Gesellen,

Gemacht, den Kater Cato selbst zu prellen

Um einen Schwank, – wir wagten die Verschwörung.

Uns in der Schenk an deinen Tisch zu setzen,

Mit Scherz und Witz dich einmal scharf zu hetzen.

 

Weh uns! da quoll der Murmelbach der Rede

Hervor aus deines Kopfes finstrer Nacht,

Und unsre plänkelnde Vorpostenwacht,

Der Scherz, der Witz erlagen in der Fehde;

Von Wassergeistern ward der Witz umnebelt,

Von ihnen ward im Hui! der Scherz geknebelt.

 

Da trat, für uns zu Schmach und argem Spotte,

Die hohe Fürstin der Dämonenschar,

Mit faulen Schritten, trägem Zottelhaar,

Es trat aus deines Hirnes Felsengrotte

Die Langeweile, griff uns ohne Gnade,

Des Murmelbaches gähnende Najade.

Stille Sicherheit

 

Horch, wie still es wird im dunkeln Hain,

Mädchen, wir sind sicher und allein.

 

Still versäuselt hier am Wiesenhang

Schon der Abendglocke müder Klang.

 

Auf den Blumen, die sich dir verneigt,

Schlief das letzte Lüftchen ein und schweigt,

 

Sagen darf ich dir, wir sind allein,

Daß mein Herz ist ewig, ewig dein!

Waldgang

 

Ich ging an deiner Seite

In einem Buchenhaine;

Ein störendes Geleite

Ließ nimmer uns alleine.

 

Und mußten wir zurücke

Ins Herz die Worte pressen,

Uns sagten unsre Blicke,

Daß wir uns nicht vergessen.

 

Und sehn wir uns nicht wieder

In diesem Erdenleben,

Dich werden meine Lieder

Verherrlichend umschweben.

 

Das Bächlein trieb hinunter

Der Wellen rasche Tänze,

Und rauschend flocht und bunter

Der Herbst der Wehmut Kränze.

 

Doch aus des Walds Verdüstern,

Den Stimmen des Vergehens,

Hört ich die Hoffnung flüstern

Des ewgen Wiedersehens.

Scheideblick

 

Als ein unergründlich Wonnemeer

Strahlte mir dein tiefer Seelenblick;

Scheiden mußt ich ohne Wiederkehr,

Und ich habe scheidend all mein Glück

Still versenkt in dieses tiefe Meer.

Bestattung

 

Schöner Jüngling, bist als Held gefallen;

Sieg und Ruhm in deiner letzten Stunde

Fächeln dir die heiße Todeswunde,

Draus die Seele muß von hinnen wallen.

 

An den Schultern narbenvolle Viere

Tragen dich auf deinen Grabeswegen,

Zu der Trommel trauerdumpfen Schlägen

Folgen finster deine Grenadiere.

 

Schöner Jüngling, dir am Grabe schallen

Ehrend die Kanonen ihr Geschmetter,

Wie im Walde sommerschwüle Wetter

Auf den toten Frühling niederhallen!

Lebewohl an Eugenie

 

Lebewohl! ach, jene Abendstunde

Und mein Glück ist schnell verrauscht,

Wie das holde Wort aus deinem Munde,

Dem mein zitternd Herz gelauscht;

Wie der Wellen dunkle Sprachen,

Die umbrausten unsern Nachen.

 

Lebewohl! kein räuberisch Geschicke

Meinem Herzen rauben kann,

Wie in deinem seelentiefen Blicke

Auf mein Glück der Himmel sann.

Stund und Welle rauschten nieder,

Und wir sehen uns nicht wieder!

Aus!

 

Ob jeder Freude seh ich schweben

Den Geier bald, der sie bedroht;

Was ich geliebt, gesucht im Leben,

Es ist verloren oder tot.

 

Fort riß der Tod in seinem Grimme

Von meinem Glück die letzte Spur;

Das Menschenherz hat keine Stimme

Im finstern Rate der Natur.

 

Ich will nicht länger töricht haschen

Nach trüber Fluten hellem Schaum,

Hab aus den Augen mir gewaschen

Mit Tränen scharf den letzten Traum.

 

Atlantica

 

Die Seejungfrauen

Freundlich wehn die Abendwinde,

Schimmern Mond und Sterne;

Und das Schiff, so leicht und linde,

Trägt mich nach der Ferne.

 

Fried und Liebe, hold verbunden,

Schweben auf der Tiefe,

Ob der Tod mit seinen Wunden

Nun auf immer schliefe.

 

Sinnend starr ich nach dem hellen,

Grenzenlosen Meere,

Nach des Mondes und der Wellen

Heimlichem Verkehre;

 

Plötzlich seh ich rasche Wogen

Aus der Tiefe springen,

Die da kommen hergezogen,

Einen Gruß zu bringen.

 

Ists ein Gruß von Tiefverbannten

An die Sternenlichter?

Gilt das Grüßen dem verwandten

Ahnungsvollen Dichter?

 

Tiefewärts mit süßem Zwange

Zieht es mich zu schauen,

Mit geheimnisvollem Drange

Zu den Seejungfrauen.

 

Ja, von euch, ihr Rätselhaften,

Kam dies volle Rauschen,

Dran die Seele sehnend haften

Muß und niederlauschen.

 

Ward euch ahnend eine Kunde

Im Korallenhage,

Daß ein warmes Herz zur Stunde

Euch vorüberschlage?

 

Glücklich die Piloten waren,

Denen ihr erschienen

Mit den schönen, wunderbaren,

Lieblich fremden Mienen!

 

Könnt ich tauchen nieder, nieder

Bis in eure Nähen!

Könnt ich eurer schlanken Glieder

Leisen Wandel sehen!

 

Sehen euch den Reigen üben,

Schwesterlich verschlungen,

Schweigend in den ewig trüben

Meeresdämmerungen!

Meeresstille

 

Stille! – jedes Lüftchen schweiget,

Jede Welle sank in Ruh,

Und die matte Sonne neiget

Sich dem Untergange zu.

 

Ob die Wolke ihn belüde

Allzutrübe, allzuschwer,

Leget sich der Himmel, müde,

Nieder auf das weiche Meer.

 

Und vergessend seiner Bahnen,

Seines Zieles, noch so weit!

Ruht das Schiff mit schlaffen Fahnen

In der tiefen Einsamkeit.

 

Daß den Weg ein Vogel nähme,

Meinem Aug ein holder Fund!

Daß doch nur ein Fischlein käme,

Fröhlich tauchend aus dem Grund!

 

Doch kein Fisch, der sich erhübe,

Und kein Vogel kommen will.

Ist es unten auch so trübe?

Ist es unten auch so still? –

 

Wie mich oft in grünen Hainen

Überrascht' ein dunkles Weh,

Muß ich nun auch plötzlich weinen,

Weiß nicht wie? – hier auf der See.

 

Trägt Natur auf allen Wegen

Einen großen, ewgen Schmerz,

Den sie mir als Muttersegen

Heimlich strömet in das Herz?

 

O, dann ist es keine Lüge,

Daß im Schoß der Wellennacht

In verborgener Genüge

Ein Geschlecht von Menschen wacht.

 

Dort auch darf der Freund nicht fehlen,

Wie im hellen Sonnentag,

Dem Natur ihr Leid erzählen,

Der mit ihr empfinden mag.

 

Doch geheim ist seine Stelle

Und Geheimnis, was er fühlt,

Dem die Tränen an der Quelle

Schon das Meer von dannen spült.

Seemorgen

 

Der Morgen frisch, die Winde gut,

Die Sonne glüht so helle,

Und brausend geht es durch die Flut;

Wie wandern wir so schnelle!

 

Die Wogen stürzen sich heran;

Doch wie sie auch sich bäumen,

Dem Schiff sich werfend in die Bahn,

In toller Mühe schäumen:

 

Das Schiff voll froher Wanderlust

Zieht fort unaufzuhalten,

Und mächtig wird von seiner Brust

Der Wogendrang gespalten;

 

Gewirkt von goldner Strahlenhand

Aus dem Gesprüh der Wogen,

Kommt ihm zur Seit ein Irisband

Hellflatternd nachgeflogen.

 

So weit nach Land mein Auge schweift,

Seh ich die Flut sich dehnen,

Die uferlose; mich ergreift

Ein ungeduldig Sehnen.

 

Daß ich so lang euch meiden muß,

Berg, Wiese, Laub und Blüte! –

Da lächelt seinen Morgengruß

Ein Kind aus der Kajüte.

 

Wo fremd die Luft, das Himmelslicht,

Im kalten Wogenlärme,

Wie wohl tut Menschenangesicht

Mit seiner stillen Wärme!

An mein Vaterland

 

Wie fern, wie fern, o Vaterland,

Bist du mir nun zurück!

Dein liebes Angesicht verschwand

Mir, wie mein Jugendglück!

 

Ich steh allein und denk an dich,

Ich schau ins Meer hinaus,

Und meine Träume mengen sich

Ins nächtliche Gebraus.

 

Und lausch ich recht hinab zur Flut,

Ergreift mich Freude schier:

Da wird so heimisch mir zumut,

Als hört ich was von dir.

 

Mir ist, ich hör im Winde gehn

Dein heilig Eichenlaub,

Wo die Gedanken still verwehn

Den süßen Stundenraub.

 

Im ungestümen Wogendrang

Braust mir dein Felsenbach,

Mit dumpfem, vorwurfsvollem Klang

Ruft er dem Freunde nach.

 

Und deiner Herden Glockenschall

Zu mir herüberzieht

Und leise der verlorne Hall

Von deinem Alpenlied.

 

Der Vogel im Gezweige singt,

Wehmütig rauscht der Hain,

Und jedes Blatt am Baume klingt

Und ruft: gedenke mein! –

 

Als ich am fremden Grenzefluß

Stillstand auf deinem Saum,

Als ich zum trüben Scheidegruß

Umfing den letzten Baum

 

Und meine Zähre trennungsscheu

In seine Rinde lief:

Gelobt ich dir die ewge Treu

In meinem Herzen tief.

 

Nun denk ich dein, so sehnsuchtschwer,

Wo manches Herz mir hold,

Und ströme dir ins dunkle Meer

Den warmen Tränensold! –

Der Schiffsjunge

 

1.

Das wilde, schäumende Roß,

Gejagt von der Sporen scharfem Stoß,

Auf krumm gewundener Reiterbahn

Mit seitwärts geneigtem Leibe stürmt:

So fliegt, wie die Flut sich senkt und türmt,

Das Schiff die Wellen hinab, hinan,

Vom mächtigen Seitenwinde gefaßt,

Mit tief bordüber geneigtem Mast.

 

Es braust das Meer, es kracht und stöhnt

Des beladnen Fahrzeugs schwere Wucht

Auf seiner rastlos eiligen Flucht;

Der Matrosen freudiges Hurra! tönt.

Der Steuermann am Ruder steht,

Das Rad mit gewaltigen Armen dreht,

Stets blickend scharf aufs zitternde Schwanken

Der Bussole mit mancherlei frohen Gedanken:

Er überzählt sein Geldchen im stillen;

Schon hört er am Strande die Fiedel klingen,

Wo blühende, lustige Dirnen springen,

Die gerne dem Seemann sind zu Willen.

Vergnügt, die Heimat wiederzusehn,

Am Verdeck frisch auf und nieder geht

Waghaltenden Schritts der Kapitän

Und lächelnd empor in die Segel späht,

Die voll ihm schwellen zur Augenlabe

Von des Windes köstlicher, flüchtiger Habe.

 

Dort klettert ein Junge gar flink und heiter

Die Sprossen hinauf der schwankenden Leiter;

Schon hat er erreicht in munterer Hast

Die höchsten Segel am stolzen Mast;

Den Lüftefänger, den Wolkenraser,

Den Mondespflücker, den Sternengraser;

Da bricht das morsche Tau entzwei,

Woran er geschwebt, – ein banger Schrei –

Er stürzt hinunter ins Meer,

Und über ihn stürzen die Wellen her.

 

Umsonst, Matrosen, ist euer Bemühn,

Den Jüngling zu retten, er ist dahin!

Wie hungernde Bestien stürzen die Wellen

Dem Opfer entgegen, sie schnauben und bellen;

Schon hat ihn die eine wütend verschlungen,

Und über sie kommen die andern gesprungen,

Die um die Gierige neidisch schwärmen

Mit schäumendem Rachen und wildem Lärmen.

 

Die Sonne wiederum zu Himmel steigt,

Da ruhn die Winde, jede Welle schweigt,

Und traurig steht der feiernde Matrose,

Nachdenkend seinem wandelbaren Lose.

Klar blickt der alte Mörder Ozean

Dem Himmel zu, als hätt er nichts getan.

 

2.

Aus des Frühlings warmen, weichen Armen

Riß das schnelle Unglück ohn Erbarmen

Ihn hinunter in das tiefe Meer.

Über ihm und seinen Jugendträumen

Seht ihr nun die kalten Wogen schäumen;

Seine Heimat grüßt er nimmermehr.

 

Oder hat der Frühling eine Kunde

Senden wollen nach dem kühlen Grunde,

Als er diesen Jüngling fallen ließ?

Sammeln sich um ihn die Seejungfrauen,

Froherstaunt, in der Korallenauen

Stillem, trübe dämmerndem Verlies?

 

Flechten sie schon freudig und erschrocken,

Schöner Fremdling, in die nassen Locken

Muscheln dir zum weißen Rosenkranz?

Werden sie in ihren Felsenriffen

Nicht von dunkler Sehnsucht schon ergriffen

Nach des Erdenfrühlings heiterm Glanz?

 

 

Zweites Buch

 

Leben und Traum

 

Die Werbung

Rings im Kreise lauscht die Menge

Bärtiger Magyaren froh;

Aus dem Kreise rauschen Klänge:

Was ergreifen die mich so? –

Tiefgebräunt vom Sonnenbrande,

Rotgeglüht von Weinesglut,

Spielt da die Zigeunerbande

Und empört das Heldenblut.

»Laß die Geige wilder singen!

Wilder schlag das Zimbal du!«

Ruft der Werber, und es klingen

Seine Sporen hell dazu.

Der Zigeuner hörts, und voller

Wölkt sein Mund der Pfeife Dampf,

Lauter immer, immer toller

Braust der Instrumente Kampf,

Braust die alte Heldenweise,

Die vor Zeiten wohl mit Macht

Frische Knaben, welke Greise

Hinzog in die Türkenschlacht.

Wie des Werbers Augen glühn!

Und wie all die Säbelnarben,

Ehrenröslein purpurfarben,

Ihm auf Wang und Stirne blühn!

Klirrend glänzt das Schwert in Funken,

Das sich oft im Blute wusch;

Auf dem Tschako, freudetrunken,

Taumelt ihm der Federbusch. –

Aus der bunten Menge ragen

Einen Jüngling, stark und hoch,

Sieht der Werber mit Behagen;

»Wärest du ein Reiter doch!«

Ruft er aus mit lichtern Augen,

»Solcher Wuchs und solche Kraft

Würden dem Husaren taugen;

Komm und trinke Brüderschaft!«

Und es schwingt der Freudigrasche

Jenem zu die volle Flasche.

Doch der Jüngling hört es schweigend,

In die Schatten der Gedanken,

Die ihn bang und süß umranken,

Still sein schönes Antlitz neigend.

Ihn bewegt das edle Sehnen,

Wie der Ahn ein Held zu sein;

Doch berieseln warme Tränen

Seiner Wangen Rosenschein.

Außer denen, die da rauschen

In Musik, in Werberswort,

Scheint er Klängen noch zu lauschen,

Hergeweht aus fernem Ort.

»Komm zurück in meine Arme!«

Fleht sein Mütterlein so bang;

Und die Braut in ihrem Harme

Fleht: »O säume nimmer lang!«

Und er sieht das Hüttchen trauern,

Das ihn hegte mit den Seinen;

Hört davor die Linde schauern

Und den Bach vorüberweinen. –

Pochst du lauter nach den Bahnen

Kühner Taten, junges Herz?

Oder zieht das süße Mahnen

Dich der Liebe heimatwärts?

Also steht er unentschlossen,

Während dort Geworbne schon

Ziehn ins Feld auf flinken Rossen,

Lustig mit Trommetenton.

»Komm in unsre Reiterscharen!«

Fällt der Werber jubelnd ein,

»Schönes Leben des Husaren,

Das ist Leben, das allein!« –

Jünglings Augen flammen heller,

Seine Pulse jagen schneller. – –

Plötzlich zeigt sich jetzt im Kreise

Eine finstere Gestalt,

Tiefen Ernstes, schreitet leise,

Und beim Werber macht sie halt,

Und sie flüstert ihm so dringend

Ein geheimes Wort ins Ohr,

Daß er, hoch den Säbel schwingend,

Wie begeistert loht empor.

Und der Dämon schwebt zur Bande,

Facht den Eifer der Musik

Mächtig an zum stärksten Brande

Mit Geraun und Geisterblick.

Aus des Basses Sturmgewittern,

Mit unendlich süßem Sehnen,

Mit der Stimmen weichem Zittern,

Singen Geigen, Grabsirenen.

Und der Finstre schwebt enteilend

Durch der Lauscher dichte Reihe,

Nur am Jüngling noch verweilend

Wie mit einem Blick der Weihe. –

Bald im ungestümen Werben

Wird der Liebe Klagelaut,

Wird das Bild der Heimat sterben;

Arme Mutter! arme Braut!

In des Jünglings letztes Wanken

Bricht des Werbers rauhes Zanken,

Lacht des Werbers bittrer Hohn:

»Bist wohl auch kein Heldensohn!

Bist kein echter Ungarjunge!

Feiges Herz! so fahre hin!«

Seht, er stürzt mit raschem Sprunge –

Zorn und Scham der Wange Glühn –

Hin zum Werber, von der Rechten

Schallt der Handschlag in den Lüften,

Und er gürtet, kühn zum Fechten,

Schnell das Schwert sich um die Hüften. –

Wie beim Sonnenuntergange

Hier und dort vom Saatgefild

Still waldeinwärts schleicht das Wild:

Also von der Ungarn Wange

Flüchtet in den Bart herab

Still die scheue Männerzähre.

Ahnen sie des Jünglings Ehre?

Ahnen sie sein frühes Grab?

Der Schifferknecht

 

Am Boden auf dem Rohrgeflecht,

Vom harten Glück verstoßen,

Da ruht der arme Schifferknecht

Mit seinen müden Rossen.

 

Er haust bei Tag und Nacht am Strand,

Der Herd– und Hüttenlose,

Und ihm gedeiht im Ufersand

Wohl keine Freudenrose.

 

Die Nacht ist kühl, es braust der Wind,

Still blickt der Mond hernieder;

Die Donau murmelt ihrem Kind

Gewohnte Schlummerlieder.

 

Sein Schlaf ist süß, er schlürft ihn ein

In starken, tiefen Zügen;

Berauschet ihn, ihr Phantasein,

Aus euren Zauberkrügen!

 

Laßt wandeln ihn am Wiesenhang

Im goldnen Morgenscheine,

Und ihm ertöne Vogelsang

Im aufgeblühten Haine!

 

Gebt ihm ein Häuschen still und traut,

Umrankt von grünen Bäumen,

Und eine schöne junge Braut

Gebt ihm in seinen Träumen!

 

Beim Hüttchen auf der Abendbank,

Da sitzen selig beide;

Heimkehrt mit frohem Glockenklang

Die Herde von der Weide.

 

Nun hört er nicht der Pferde Huf

Und nicht die Geißel knallen,

Hört nicht der Schiffer langen Ruf

Im fernen Wald verhallen.

 

Er sieht nicht, wie vom Strand hinab

Den armen Kameraden

Samt seinem Roß ins Wellengrab

Fortreißt der arge Faden.

Marie und Wilhelm

 

Im Abendschein am Fenster saß

Allein mit ihrem Harme

Marie, das Antlitz welk und blaß

Gesenkt auf ihre Arme.

 

So saß das Mädchen still und sann,

Sann nach den alten Zeiten,

Und manche heiße Träne rann

Den schönen alten Zeiten:

 

Als sie im trauten Hüttlein noch

Bei lieben Eltern wohnte

Und süßer Gottesfriede noch

Der reinen Seele lohnte;

 

Als sie so fromm zur Kirche ging

Und ihre Wange glühte,

Wenn jedes Äug im Dorfe hing

An ihrer Jugendblüte;

 

Als sie am lauten Erlenbach

Dem Wilhelm, freudetrunken,

Das erste Wort der Liebe sprach

Und ihm ans Herz gesunken;

 

Und er sie nannte »süße Braut!« –

›Das alles ist vorüber!‹

So dachte sie und schluchzte laut,

Ihr Herz ward immer trüber:

 

»Es kam der Feind in Sturmeslauf

Mit grimmen Todesstreichen;

Das Hüttlein sank, ein Aschenhauf,

Die Eltern, wunde Leichen.

 

Die Eltern tot! Er in die Welt!

Die Träne rann vergebens,

Ich in die Nacht hinausgestellt

Des unbekannten Lebens! –

 

Da glänzt' ein milder Strahl daher

Im hoffnungslosen Dunkel,

Ein böses Irrlicht, lockend sehr

Mit lieblichem Gefunkel:

 

›Laß ab zu klagen, Kind, laß ab!

Komm, folge deinem Sterne!

Die Eltern kühlt und heilt das Grab,

Den Bräutigam die Ferne!

 

Bald sollst du als beglückte Frau

Genesen aller Leiden;

Komm, folge mir zur Liebesau

Voll ewig grüner Freuden!‹

 

Ich wischte mit treuloser Hand

Die Tränen von der Wange

Und ging – und ging – das Irrlicht schwand

Am furchtbar steilen Hange!

 

Nun ist mein Herz so grabesdumpf,

Verlassen wie die Wüste,

Seit in den bodenlosen Sumpf

Gesunken ich der Lüste!«

 

Marie blickt in die Nacht hinein

Aus ihrem stillen Zimmer;

Schon ist am Himmel Sternenschein

Und sanfter Mondenschimmer.

 

Im Garten ruft die Nachtigall,

Sie scheint in bangen Weisen

Zu klagen um des Mädchens Fall,

Die Unschuld süß zu preisen.

 

Und leise kommt der Abendwind,

Der ihren Locken schmeichelt,

Als wollt er trösten, ihr gelind

Die bleiche Wange streichelt.

 

Geh fort, o West, vom Mädchen, geh!

Laß ruhn den welken Flieder!

Du tust ihr mit den Blüten weh,

Die du auf sie streust nieder! – –

 

Da öffnet sich das Kämmerlein:

Es ruft ein Mann: »Maria!«

Die Freude stoßt ihn wild herein:

»O meine Braut Maria!

 

Ich habe nun mein Glück erjagt,

Mich durch die Welt getrieben;

Hab viel gelitten, viel gewagt

Und bin dir treu geblieben!

 

Wenn schier mein Herz vor Leide brach

An lieblos fremdem Orte,

So dacht ich an den Erlenbach,

Ich dacht an deine Worte!«

 

Er preßt sie selig an das Herz;

Sie aber muß sich wenden,

Sie hüllt, zerknickt von ihrem Schmerz,

Das Antlitz mit den Händen.

 

Und leichenblaß und zitternd bricht

Sie hin zu seinen Füßen;

Er weint, er deckt ihr Angesicht

Mit feurig bangen Küssen.

 

»Mir nicht den Kuß! bin sein nicht wert;

Tief sank ich ins Verderben!

Bin treulos, Wilhelm, und entehrt!

Zieh fort und laß mich sterben!« –

 

Wie also sie zu Wilhelm sprach,

Da schied er, schwer beklommen,

Ging still hinaus zum Erlenbach,

Der ihn mit fortgenommen.

Begräbnis einer alten Bettlerin

 

Vier Männer dort, in schwarzem Kleid,

Die tragen auf der Bahre,

Lastträger, ohne Lust und Leid,

Des Todes kalte Ware.

 

Sie eilen mit dem toten Leib

Hinaus zum Ort der Ruhe.

Schlaf wohl, du armes Bettelweib,

In deiner morschen Truhe!

 

Dir folgt kein Mensch zum Glockenklang

Mit weinenden Gebärden;

Die Not nur blieb dir treu, solang

Von dir noch was auf Erden.

 

Dir gab der Menschen schnöder Geiz

Ein Leichentuch zerfetzet,

Hat ein verstümmelt Christuskreuz

Dir auf den Sarg gesetzet;

 

Doch kränkt dich nicht der bittre Spott

In deinem tiefen Frieden,

Daß man selbst einen schlechtern Gott

Dir auf den Weg beschieden.

 

Einst blühtest du im Jugendglanz,

Vom ganzen Dorf gepriesen

Die schönste Maid am Erntetanz,

Dort unten auf der Wiesen.

 

Folgt keiner dir der Bursche nach,

Die dort mit dir gesprungen?

Wohl längst die muntre Fiedel brach,

Die dort so hell geklungen!

Die Waldkapelle

 

1.

Der dunkle Wald umrauscht den Wiesengrund,

Gar düster liegt der graue Berg dahinter;

Das dürre Laub, der Windhauch gibt es kund,

Geschritten kommt allmählich schon der Winter.

 

Die Sonne ging, umhüllt von Wolken dicht,

Unfreundlich, ohne Scheideblick von hinnen,

Und die Natur verstummt, im Dämmerlicht

Schwermütig ihrem Tode nachzusinnen.

 

Dort, wo die Eiche rauscht am Bergesfuß,

Wo bang vorüberklagt des Baches Welle,

Dort winket, wie aus alter Zeit ein Gruß,

Die längst verlaßne, stille Waldkapelle.

 

Wo sind sie, deren Lied aus deinem Schoß,

O Kirchlein, einst zu Gott emporgeflogen,

Vergessend all ihr trübes Erdenlos? –

Wo sind sie? – ihrem Liede nachgezogen!

 

2.

 

Horch! plötzlich stört ein Ruf die Einsamkeit:

Klangs nicht aus der Kapelle öden Mauern?

Wer ist es, der so wunderlich dort schreit,

Daß michs unheimlich faßt mit kaltem Schauern?!

 

»Herr Gott! wir loben dich – ha, ha, ha, ha!«

Nun schweigt er still, der grause Gottverächter,

Und donnernd ruft er nun: »Allelujah!«

Und überdonnernd folgt sein Hohngelächter.

 

Da stürzt er mir vorbei, voll scheuer Hast,

Das wirre Haar von bleicher Wange streifend,

Die Augen wild bewegt und ohne Rast,

Irrlichter, in der Nacht des Wahnsinns schweifend.

 

Er eilt waldein, von seinem Tritte rauscht

Das dürre Laub im dunkeln Eichenhaine;

Wie sinnend bleibt er plötzlich stehn und lauscht,

Und leise hör ichs nun, als ob er weine.

 

Mitleidig rauscht ihr ihm – o rauschet nur! –

Den Trost: ›Vergänglichkeit!‹ ihr welken Blätter!

O locket seine Seele auf die Spur

Des milden Todes, nennt ihm seinen Retter! –

 

Zur sanften Wehmut lichtet sich das Tal,

Dort kommt der Mond zum stillen Abschiedsfeste;

Es will sein Silberschimmer noch einmal

Sich schmiegen an des Sommers karge Reste.

 

Wie schwach ist schon der Eiche fahles Laub!

Den leichten Mondstrahl kann es nicht mehr tragen,

Es bricht und zittert unter ihm in Staub

Und läßt die kahlen Äste traurig ragen. –

 

Da steht der Irre, bleich und stumm, den Blick,

Das bittre Lächeln auf den Mond gerichtet;

Es prallt das Mondlicht scheu von ihm zurück,

Und scheu der Wind an ihm vorüberflüchtet.

 

Starrt so des Wahnsinns Auge wild hinauf

Zum stillen, klaren, ewiggleichen Frieden,

Mit dem die Sterne wandern ihren Lauf:

Ein Anblick ists der traurigsten hienieden. –

 

Was hat, o Schicksal, dieser Mensch getan,

Daß mit des Wahnsinns bangen Finsternissen

Du ihm verschüttet hast die Lebensbahn,

Aus seiner Seele seinen Gott gerissen?

 

3.

 

Er hat geliebt! – Vor langer, trüber Zeit,

Da ging er einst, ein fröhlicher Geselle,

Mit seinem Lieb durch diese Einsamkeit

Und kam mit ihr zur stillen Waldkapelle.

 

Sie traten ein, sie knieten hin; da glomm

Durchs Fenster hell herein die Abendröte;

Er betete mit ihr so selig fromm,

Und draußen sang des Hirten weiche Flöte.

 

Da hob die Hand sie schnell und feierlich

Und sprach, so schiens, mit tiefbewegter Stimme:

»Lieb ich nicht warm und treu und ewig dich,

So strafe mich der Herr mit seinem Grimme!«

 

Und heller glomm der helle Abendstrahl,

So wie sein Herz, sich ewig ihr zu weihen;

Und draußen klang im stillen Waldestal

Des Hirten Lied wie Himmelsmelodeien. –

 

Wie bald, wie bald, daß ihn ihr Herz vergißt!

Daß ihr ein andrer schon des falschen Eides

Das letzte Wort von falscher Lippe küßt,

Sie mit dem Glänze schmückt des Brautgeschmeid

 

Und all ihr Leben, Freudentaumel nur,

Den noch kein flüchtig Leid ihr jemals störte,

Zieht unverfolgt von ihrem falschen Schwur

Und frech am Gott vorüber, der ihn hörte. –

 

Das wars, o Schicksal, was der Mensch getan,

Daß mit des Wahnsinns bangen Finsternissen

Du ihm verschüttet hast die Lebensbahn,

Aus seiner Seele seinen Gott gerissen!

 

Drum flucht er nun empor mit wildem Spott,

Gequält von seinem Schmerz, an jener Stelle;

Wo er so selig einst gekniet vor Gott,

Drum irrt er, wie gebannt, um die Kapelle.

Der Raubschütz

 

Nach einer Sage

 

Der alte Müller Jakob sitzt

Allein beim Glase Wein.

Schwarzmitternacht, nur manchmal blitzt

Ein Wetterstrahl herein.

Das Mühlrad saust, es braust der Wind;

Doch schlafen ruhig Weib und Kind.

 

Der Alte tut manch raschen Zug,

Er denkt an Zeit und Tod.

Wie draußen jagt des Sturmes Flug,

So jagen Lust und Not,

Die längst begrabnen, neuerwacht,

Ihm durch die Brust in dieser Nacht.

 

Die Tür geht auf, er fährt empor:

Wer kommt zu solcher Stund?

Ein Weidmann mit dem Feuerrohr,

Mit seinem Stöberhund,

Hahnfeder, Gemsbart auf dem Hut,

Das grüne Wams befleckt mit Blut.

 

Der Müller starrt, zurückgebeugt,

Dem Jäger ins Gesicht,

Sein Haar entsetzt zu Berge fleugt,

Sein Blut zum Herzen kriecht:

Der Raubschütz ists, der wilde Kurd,

Der jüngst im Wald erschossen wurd.

 

Der finstre Jäger an die Wand

Auf Jakobs Büchse winkt;

Der preßt sein Glas in zager Hand,

Daß es zu Scherben springt;

Gehorchend nimmt er sein Gewehr

Und schleicht dem Grausen hinterher.

 

Sie streifen in den Wald hinaus,

Nach süßem Wüdesraub;

Stets lauter wird der Winde Braus,

Der Pfade dürres Laub.

Der Jäger ruft voll heißer Gier:

»Komm, Bruder, jagen, jagen wir!«

 

Sie ziehn fort fort im finstern Wald

Durch Strupp und Strom gar frisch;

Das Wild schrickt auf, die Büchse knallt,

Der Stöbrer im Gebüsch

Rauscht mit arbeitendem Geruch,

Der Jäger ruft: »Such, Hundel, such!«

 

Doch an des Walds geheimstem Ort,

Auf seinem liebsten Stand,

Wo jüngst die Kugel ihn durchbohrt

Aus meuchlerischer Hand,

Da bleibt er stehn und donnert: »Schau!

Hier schoß er mich wie eine Sau!«

 

Es ächzt der Wald im Sturm verzagt,

Vom Monde jetzt erhellt;

Der kühn gewordne Müller fragt:

Was ists in jener Welt?

Da murmelt trüben Angesichts

Der Jägersmann: »Es ist halt nichts!«

Warnung im Traume

 

In üppig lauter Residenz

Verschwelgt mit reicher Habe

Ein Jüngling seinen Lebenslenz;

Die Eltern ruhn im Grabe.

 

Die Mutter lag am Sterbepfühl

Mit matten Herzensschlägen,

Sie legte blaß und todeskühl

Die Händ ihm auf zum Segen.

 

Und sie verschwendet noch im Schmerz

Der Kräfte letzten Glimmer,

Daß nun das Kind ihr treues Herz

Verlassen soll auf immer.

 

Der Mutterliebe ewge Macht

Hält sie dem Sohn vereinet,

Wie mildes Mondlicht in der Nacht

Des Wandrers Pfad bescheinet.

 

Umschwebt sie auch im Geisterflug

Still segnend den Bedrohten,

Gewaltig ist der Sinnenzug,

Und kraftlos sind die Toten.

 

Sie sah, wie 's letzte Röslein sich

Von seiner Wange stehle,

Und wie die Unschuld ihm verblich,

Die Rose seiner Seele.

 

Sie sah den Sohn die Sinnengier

Stets fesselnder umgarnen;

Ein Trost nur war geblieben ihr:

In Träumen ihn zu warnen.

 

Nach einem wildverbrausten Tag,

Verbuhlet und vertrunken,

Der Jüngling auf dem Bette lag,

Dem Schlafe heimgesunken.

 

Da träumt ihm, daß er abends irrt

Durch volkbelebte Straßen,

Wo manche Dirne lockend kirrt

Zu lüsternem Umfassen.

 

Schon wandelt der Laternenmann

Von Pfahl zu Pfahl und zündet

Dem Laster seine Sterne an,

Das hier sich sucht und findet.

 

Der Jüngling sieht ein lockend Weib

An ihm vorübergleiten,

Um deren üppig schlanken Leib

Sich Licht und Dunkel streiten.

 

Das Licht ihm wenig nur erhellt,

Die Lust nach dem zu wecken,

Was ihm das Dunkel vorenthält

Mit reizend schlauem Necken.

 

Er will den Reizen sein zu Gast,

Sie laden ihn so dringend,

Er eilt ihr nach, der Schritte Hast

Je mehr und mehr beschwingend.

 

Doch wie er nach der Dirne setz,

Er kann sie nicht erreichen,

Er sieht die Dunkle weiter stets

Und lockender entweichen.

 

Sie gleichet einem Nebelbild

Mit leisem, fernem Winken;

Sein Blick dem Sonnstrahl heiß und wild,

Den Nebel aufzutrinken.

 

Schon haben sie im raschen Zug

Die wache Stadt verlassen,

Und schon durchkreuzt ihr schneller Flug

Der Vorstadt öde Straßen.

 

Nur hier und dort ein Licht noch brennt

Bei Toten oder Kranken;

Und fort und fort die Dirne rennt,

Er nach mit giergem Zanken:

 

»Was rennst du, Tolle, so geschwind?

Wo steht dein süßes Lager?«

Da pfeift ums Ohr ein kalter Wind

Dem ungestümen Frager.

 

»Halt an, halt an die tolle Flucht!

Ich will dich fürstlich zahlen!«

Also der Jüngling fleht und flucht,

Schwerkrank an Wollustqualen.

 

Nun ist kein Haus zu schauen mehr;

Mit argbetroffnen Blicken

Sieht er nur Gräber rings umher

Und ernste Kreuze nicken.

 

Da wendt sie sich im Mondenlicht,

Zu seiner Qualgenesung:

Mit grauverwischtem Angesicht

Umarmt ihn – die Verwesung. –

 

Doch fuhr er kaum vom Schlummer auf,

Hat er den Traum versungen,

Und hat der wüste Lebenslauf

Ihn wiederum verschlungen.

 

Bald ward des Traumes kalte Braut

Am schweigenden Altare

Dem Jüngling wirklich angetraut,

An seiner Totenbahre.

 

Klara Hebert

 

Ein Romanzenkranz

 

Cisteron

Welche Freude fühlt der Wandrer,

Zieht er so im Frühlingsstrahle

Durch die schönen, liedervollen,

Wonnigen Provencertale!

 

Heißer glüht der Kuß der Sonne

Auf den blumenreichen Matten;

Süßre Labung rauscht die Quelle,

Kühler säuseln hier die Schatten.

 

Voller tönt des Donners Stimme,

Und die Sterne blinken heller;

Rascher blüht die Frucht und reifet,

Und die Liebe zündet schneller.

 

Unbesiegbar und unendlich

Ist der Liebe banges Sehnen,

Und es nagen in die Herzen

Tiefer ihre Spur die Tränen.

 

Aber führt der Weg den Wandrer

An den Ort, den ich besinge,

Kann er nicht dem Schauder wehren,

Daß er ihm das Herz durchdringe.

 

Am Gestade der Durance

Sieht er eines Städtchens Mauern,

Grauberäuchert, hin und wieder

Seine stillen Häuser trauern.

 

Grausenhafte Felsenschlünde

Sieht der Wandrer dicht daneben,

Selten auf granitnem Blocke

Einen Strauch im Winde beben.

 

In dem nächtlichen Reviere

Scheint der Tod sich zu ergehen

Und den Leben nachzusinnen,

Die sein Odem wird verwehen.

 

Von den Klippen, wie verzweifelnd,

Stürzt der Wildbach in die Tiefe,

Und er brauset in den Schluchten,

Ob er bang nach Hülfe riefe.

 

Furchtsam ruht am Fuß des Berges

Städtchen Cisteron geschmieget,

Wie zu des Gebieters Füßen

Weinend eine Sklavin lieget.

 

Auf dem Berge ragt Gemäuer,

Und in längst verblichnem Glanze

Herrschten hier von ihrem Schlosse

Einst die Grafen der Provence.

 

Wie so traurig hier dem Wandrer

Die verfallnen Türme winken:

Alles Edle hier auf Erden,

Alles muß am Ende sinken!

 

An den Türmen, steil und plötzlich,

Hebt sich eine Felsenmasse,

Eine Herberg für die Wolken,

Auszuruhn auf ihrer Straße.

 

Und zuhöchst am Felsenhaupte

Steht ein Häuschen, einsam, wüste,

Wo der Heide mit dem Opfer

Seine Götter einst begrüßte.

 

Doch in unsern schlimmen Tagen

Ward der Tempel zum Gefängnis,

Wo die Tyrannei ihr Opfer

Quält in heimlicher Bedrängnis.

 

Ludewig, du böser König!

Richelieu, du arger Priester!

Wagt der König nicht den Frevel,

Schon vollbringt ihn der Minister.

 

Zu beklagen ist die Menschheit,

Will ein Priester ihr gebieten;

Statt den Himmel ihr zu geben,

Raubt er ihr die Erdenblüten.

Der nächtliche Gang

 

Tiefe Nacht; – der stille Vollmond

Hebt sich jenseits von den Auen,

Und die Wellen der Durance

Sind ein Silberstrom zu schauen.

 

Flüchtig eilen sie vorüber

An den mondbeglänzten Riffen,

Und von rätselhafter Wehmut

Fühlt der Wandrer sich ergriffen;

 

Denn er hört im ruhelosen,

Immergleichen Wellenschlage

Ewig an die Sterne tönen

Seines Herzens bange Frage;

 

Ein Verrauschen, ein Verschwinden

Alles Leben! – doch von wannen? –

Doch wohin? – die Sterne schweigen,

Und die Welle rauscht von dannen.

 

Cisteron, das Städtchen, schlummert,

Nur im Schlosse lassen Worte

Dumpf und eilig sich vernehmen,

Und es dröhnt die Eisenpforte.

 

Männer steigen still und langsam

Dort hinauf zum Felsenhause:

Waffenknechte sind es, führen

Den Gefangnen in die Klause.

 

Johann Kasimir von Polen!

Heiß durchrollt von Königsblute,

Edler Sproß vom Stamme Wasa,

Ach, wie mag dir sein zumute l

 

Heldenjüngling, der du kämpftest

Ruhmbekränzt in manchen Schlachten,

In verräterischer Fremde

Mußt du als Gefangner schmachtenl

 

Spricht man so im feinen Frankreich

Hohn des Gastes heilgem Rechte,

Daß den freundgesinnten Fürsten

Zwingen die Tyrannenknechte?!

 

In des Mondes hellem Scheine

Glänzen ihre Mordgewehre;

Aber nicht des Polenfürsten

Stolz und schnell verwischte Zähre.

 

Auf dem steilen Stufenpfade,

Eingehauen dem Granite,

Heben sich in scheuer Windung

Nach dem Gipfel ihre Schritte.

 

Wagt es wer, im schwanken Mondlicht

Da den Pfad hinaufzuwallen,

Bebend sieht er seinen Schatten

In den grausen Abgrund fallen.

 

Sinnend bleibt Johannes stehen,

Und er hört im Niederlauschen

Immer leiser dort die Schluchten,

Leiser die Durance rauschen.

 

Horch! ein Lüftchen aus den Auen,

Wo die Nachtigallen singen,

Kommt dem Armen nachgeflogen,

Ihm noch einen Laut zu bringen.

 

Weither kam das gute Lüftchen,

Wie ein Kind, das frohbehende

Einem Bettler, wenn er scheidet,

Nacheilt mit der milden Spende.

 

Und sie klimmen immer höher,

Nur noch ihre Tritte schallen;

Still ist nun der Wasser Rauschen,

Still das Lied der Nachtigallen.

 

Todesruhe deckt die Höhen,

Die verlaßnen Felsenklippen;

Kein Gesträuch und keine Blume

Auf des Abgrunds bleichen Lippen.

Der selige Abend

 

Schnell versammelt um die Felsen

Haben Wolken sich und Winde,

Um den neuen Gast zu grüßen,

Seines Kummers Spielgesinde.

 

Ausgeloschen ist das Mondlicht

Und der Sterne helles Flimmern,

Durch die enge Fensterspalte

Hört der Gast die Lüfte wimmern.

 

Traurig sinnend blickt Johannes

In die dunkle Ferne nieder,

Und es flattern seine Locken

Windgeschaukelt hin und wider;

 

Flattern um die blasse Stirne

Wie das Laub der Trauerweiden

Um die bleiche Marmortafel

Über den begrabnen Freuden.

 

Er gedenket eines Abends,

Eines seligen vor allen,

Als in Martigues er gelandet

Mit den Freunden und Vasallen.

 

Ruhig lag die sturmerprobte

Genuesische Galeere,

Lustig flogen ihre Wimpel,

Und der Tag versank im Meere:

 

Scheidend warf er seine Strahlen

In der Wellen bunt Gedränge,

Wie ein König, goldverstreuend,

Scheidet von der frohen Menge.

 

Nach dem Sturme lag die See nun

Schön in ihrer stillen Größe;

Nur noch manchmal an das Ufer

Tönten bange Wellenstöße:

 

Also zuckt nach starkem Weinen

Noch das Herz mit bangem Schlage,

Ist auch schon das Auge heiter

Und verstummt des Mundes Klage.

 

Lieblich war der Lüfte Säuseln

Nach dem rauhen Sturmestosen;

Auf der Meeresruhe schwebten

Die Gesänge der Matrosen. –

 

Dicht am Strande, schmuck und wirtlich,

Winkt der Gasthof mit dem Schilde

Dreier Lilien, einzukehren

Zu dem schönen Engelbilde:

 

Klara Hebert, weit gepriesen

Rings im Lande ob der Blüte

Ihrer Schönheit, weit im Lande

Ob des Herzens Wundergüte.

 

Laut mit ungestümer Freude

Tritt der Seemann in das Zimmer,

Dringend heischt er nach dem Becher;

Doch sein Mut wird stiller immer.

 

Ihm kredenzt der Wirtin Tochter

Freundlich mit den zarten Händen,

Und er läßt den Becher stehen,

Kann sein Auge nimmer wenden.

 

Nun sie seinem Blick entschwunden,

Trinkt er aus mit raschem Zuge;

Daß sie noch einmal ihn fülle,

Klopft er sachte mit dem Kruge.

 

Seine Seele ward ergriffen

Schmerzlich von der Liebe Ahnen,

Die für immer er verloren

Auf den sturmbewegten Bahnen.

 

Und er eilt hinaus zum Strande,

Fort treibt ihn sein wild Verlangen,

Daß die Stürme ihm entschlagen

Dieses ungewohnte Bangen. –

 

Mit dem glänzenden Gefolge

War der Prinz nun angekommen;

Ihn empfing die Wirtin rauschend,

Ihre Tochter still beklommen.

 

Schüchtern vor dem fremden Fürsten

Steht sie, harrend der Befehle,

Kaum zu ihm hinanzublicken

Wagt ihr Auge, voller Seele.

 

Tiefen Ernst und süße Schwermut

Sprechen seine schönen Züge,

Und des Auges Blitz verkündet

Hell des Mutes hohe Flüge.

 

Froh erschrecken ihre Blicke,

Und sie können nicht verweilen,

Müssen mit dem schönen Bilde

Schnell zurück zum Herzen eilen.

 

Überwältigt von der Liebe

Selig dringendem Erwarten,

Treten beide unwillkürlich,

Stumm und bebend, in den Garten.

 

Also wandeln sie noch lange

Mit verschwiegenem Gefühle;

Gastlich bieten hier die Bäume

Süße Frucht und Schattenkühle.

 

Nachtigallen, immer lauter,

Singen auf den grünen Zweigen,

Gleich als wollten sie verraten,

Was die beiden sich verschweigen.

 

Freudig grüßen schon die Sterne

Sie auf ihrem schönsten Gange;

Endlich wird die Liebe Sprache,

Und sie flüstern viel und lange.

 

Klärchen hört die Zauberworte,

Daß sie ihm auf weiter Erde

Die alleinzige Geliebte

Sei und immer bleiben werde.

 

In der Jungfrau Busen plötzlich

Ist der Himmel aufgegangen,

Seines Lenzes Purpurblüten

Treibt das Herz ihr auf die Wangen.

Blumengruß

 

Jener Abend war entschwunden;

Doch mit jedem Morgenlichte

Fand Johannes im Gefängnis

Frische Blumen, süße Früchte.

 

Sind es Früchte nicht von Bäumen,

Die er sah auf seinen Wegen?

Hauchten diese Blumen nie noch

Ihre Düfte ihm entgegen? –

 

Gleich als hätte heimlich jemand

Abgeschmeichelt jeder Stelle

Eine freundlichere Miene,

Heitert sich die Kerkerzelle.

 

Dieses ewig wache Sorgen,

Ob ein Geist es heimlich übe,

Allgewärtig, ungesehen,

Kann es jemand als die Liebe? –

 

Jüngling, mit den edlen Freunden,

Die getreu dir auch im Leide,

Ist noch eine treue Seele

Dir gefolgt, in fremdem Kleide.

 

Ihre Sehnsucht will die Jungfrau

Deinem Blick verborgen halten,

In die Pflicht des Pagen hüllen

Ihrer Liebe stilles Walten.

 

Und es deckt die Rosenwangen

Gelbe angetünchte Farbe,

Und es flüchtet ihre Stirne

Unter die gemalte Narbe.

 

Kaum erwacht der Tag im Osten

Und der Schwalben frühes Rufen,

Eilt auch schon das gute Klärchen

Nieder die granitnen Stufen.

 

Über Felsen, Tal und Wiesen

Wandert sie wohl eine Meile

Nach dem Garten ihrer Mutter

Fort in rastlos froher Eile.

 

Was an schönen frischen Blumen

In den Beeten ist zu finden,

Pflücket sie mit klugem Finger'

Ihm den Morgengruß zu winden.

 

Und sie blicket, Früchte suchend,

Nach den Bäumen in der Runde;

Sinnend hält sie manchmal inne,

Eingedenk der süßen Stunde.

 

Und die Wonne jener Stunde

Und das mitleidvolle Bangen

Um den Teuren mengen ihre

Tränen auf des Mädchens Wangen. –

 

Nun erwacht der Prinz vom Traume,

Der ihn ließ sein Klärchen schauen,

Der ihn wandeln, frei und selig,

Ließ in heimatlichen Auen.

 

Des Erwachten Blicke schweifen

Finster an den Kerkerwänden,

Doch sie werden plötzlich heiter,

Treffen sie die Morgenspenden.

 

Still und schüchtern in der Ferne

Steht der Page, wills kaum wagen

Daß sie nicht Verräter würden,

Seine Augen aufzuschlagen.

 

Klara sieht es freudebebend,

Wie der Liebe stumme Gaben

Ihm das Angesicht erheitern

Und die kranke Seele laben.

Die Gewitternacht

 

Mit dem Grafen Konopacki,

Seinem Freunde treubewähret,

Spricht Johannes angelegen,

Als der Abend wiederkehret.

 

Eben hat der Graf des Trostes

Mildberedtes Wort geendet

Und des Prinzen düstre Seele

Froher Hoffnung zugewendet.

 

Leise lächelt dem die Freude

Auf den kummerbleichen Wangen,

Und er hält die Hand des Freundes

Mit des Dankes Druck umfangen. –

 

Draußen sind die Warfenknechte

Rundgelagert in der Halle,

Und es dröhnt der Marmorboden

Vom Pokal und Würfelfalle.

 

Weiche Provenzalenlieder

Tönen aus den rauhen Kehlen,

Und sie schweben durch die Runde

Schwankend, wie verirrte Seelen.

 

Doch den einen von den Wachen

Seine Kameraden schelten,

Denn er schweigt bei ihrem Jubel,

Hebt auch seinen Becher selten.

 

Klärchens Vetter, Heinrich ist es,

Den des Mädchens Flehn bewogen,

Daß der Krieger auf des Kerkers

Prevotalwacht ist gezogen. –

 

Schweigend blicken jetzt die Freunde

Durch des Kerkers Fenstergitter,

Nächtlich kommt heraufgezogen

Dort vom Westen ein Gewitter;

 

Und die freien Wetterwolken

Ziehen rasch vorbei und schneiden

Finstre, höhnische Gesichter

In den Kerker auf die beiden.

 

Brausend fliegt des Todes Jagdhund

Sturm bergan in wilder Eile,

Seinen Herrn zu suchen, irrt er

Durch die Felsen mit Geheule.

 

Immer wird der Himmel dunkler,

Und schon ist die Nacht vollkommen;

Wie von einer finstern Ahnung

Wird der Freunde Herz beklommen.

 

Donnernd hallt des Todes Weidruf

Ringsum in Gebirg und Talen,

Plötzlich zündet er die Nacht an

Mit den hingeschoßnen Strahlen.

 

Immer lauter schreit der Donner

Durch die grausen Finsternisse;

Aus gebrochnen Wolken stürzen

Rauschend sich die Regengüsse.

 

Hart am Kerker Blitze zucken

Sehn die beiden mit Entsetzen:

An den Felsen scheint der Tod hier

Seinen Flammenpfeil zu wetzen.