Mit ihnen kommen, geschlossen, gekoppelt,

Die Säbel in Händen, den Ruhm gedoppelt,

Die hellblauen Reiter von Mars la Tour,

Aber an Zahl die Hälfte nur.

 

Garde vorüber. – Garde tritt an:

Regiment des Kaisers, Mann an Mann,

»Kein Schuß; Gewehr zur Attacke rechts.«

Die Siebner, die Phalanx jedes Gefechts,

Die Sieben ist eine besondere Zahl,

Dem einen zur Lust, dem andern zur Qual;

Was von den Turkos noch übrig geblieben,

Spricht wohl von einer bösen Sieben.

 

Blumen fliegen aus jedem Haus,

Der Himmel strömt lachende Lichter aus,

Und der Lichtball selber lächelt in Wonne:

»Es gibt doch noch Neues unter der Sonne.«

 

Gewiß. Eben jetzt einschwenkt in das Tor,

Keine Linie zurück, keine Linie vor,

En bataillon, frisch wie der Lenz,

Die ganze Armee in Double-Essenz.

Ein Korps bedeutet jeder Zug,

Das ist kein Schreiten, das ist wie Flug,

Das macht, weil ihnen ungesehn

Dreihundert Fahnen zu Häupten wehn.

 

Bunt gewürfelt Preußen, Hessen,

Bayern und Baden nicht zu vergessen,

Sachsen, Schwaben, Jäger, Schützen,

Pickelhauben und Helme und Mützen,

Das Eiserne Kreuz ihre einzige Zier;

Alles zerschossen; ihr ganzes Prahlen

Nur ein Wettstreit in den Zahlen,

In den Zahlen derer, die nicht hier.

 

Zum dritten Mal

Ziehen sie ein durch das große Portal;

Die Linden hinauf erdröhnt ihr Schritt,

Preußen-Deutschland fühlt ihn mit.

 

Hunderttausende auf den Zehenspitzen!

Vorüber, wo Einarm und Stelzfuß sitzen,

Jedem Stelzfuß bis in sein Bein von Holz

Fährt der alte Schlachtenstolz.

Halt,

Vor des Großen Königs ernster Gestalt.

 

Bei dem Fritzen-Denkmal stehen sie wieder,

Sie blicken hinauf, der Alte blickt nieder;

Er neigt sich leise über den Bug:

»Bon soir, Messieurs, nun ist es genug.«

 

 

Kaiser Blanchebart

 

(Am 16. Juni 1871)

 

Vor seinem Heergefolge ritt,

Von seinem Volk umschart,

Inmitten von Helden und Prinzen,

An der Spitze seiner Provinzen,

Der Kaiser Blanchebart.

 

Er grüßt und sitzt auf hohem Roß

Und sinnet das und dies:

Er hält am Sadowa-Walde,

Auf der Gravelotter Halde

Und vor Sedan und Paris.

 

Er lächelt still; ihm ward zu Traum

Die lange Kriegesfahrt,

Es schaukeln und schwanken die Reiser,

Und rings jubelt's: Es lebe der Kaiser,

Der Kaiser Blanchebart!

 

Und an der Straß' und an dem Tor,

Da halten Frau und Mann,

Und sie heben empor ihren Knaben,

Den einzigen, den sie haben,

Und sprechen: »Sieh ihn dir an!

 

Sieh ihn dir an und vergiß ihn nicht.

Der ist von sondrer Art,

Im Dienst allzeit das Schwerste,

Und in Feld und Pflicht der Erste,

Das ist Kaiser Blanchebart.«

 

Der Kaiser sah den Knaben an,

Den überlief es heiß,

Alle Herzen sprachen Segen,

Und hernieder fiel ein Regen

Von Blüten rot und weiß.

 

Gott mit dir, Herr, und kommt der Tag,

Der noch keinem wurde gespart,

Dann wie aus Märchentagen

Werden wir singen und sagen

Vom Kaiser Blanchebart.

 

 

Havelland

 

(Statt eines Vorwortes

zu dem 3. Band »Wanderungen« 1873)

 

Grüß Gott dich, Heimat! ... Nach langem Säumen

In deinem Schatten wieder zu träumen,

Erfüllt in dieser Maienlust

Eine tiefe Sehnsucht mir die Brust.

Ade nun, Bilder der letzten Jahre,

Ihr Ufer der Somme, der Seine, Loire,

Nach Krieges- und fremder Wässer Lauf,

Nimm, heimische Havel, mich wieder auf.

 

Es spiegeln sich in deinem Strome

Wahrzeichen, Burgen, Schlösser, Dome:

Der Julius-Turm, den Märchen und Sagen

Bis Römerzeiten rückwärts tragen,

Das Schildhorn, wo, bezwungen im Streite,

Fürst Jazko dem Christengott sich weihte,

Der Harlunger-Berg, des oberste Stelle

Weitschauend trug unsre erste Kapelle,

Das Plauer Schloß, wo fröstelnd am Morgen

Hans Quitzow steckte im Röhricht verborgen,

Die Pfaueninsel, in deren Dunkel

Rubinglas glühte Johannes Kunkel,

Schloß Babelsberg und »Schlößchen Tegel«,

Nymphäen, Schwäne, blinkende Segel –

Ob rote Ziegel, ob steinernes Grau,

Du verklärst es, Havel, in deinem Blau.

 

Und schönest du alles, was alte Zeiten

Und neue an deinem Bande reihten,

Wie schön erst, was fürsorglich längst

Mit liebendem Arme du umfängst.

Jetzt Wasser, drauf Elsenbüsche schwanken,

Lücher, Brücher, Horste, Lanken,

Nun kommt die Sonne, nun kommt der Mai,

Mit der Wasser-Herrschaft ist es vorbei.

Wo Sumpf und Lache jüngst gebrodelt,

Ist alles in Teppich umgemodelt –

Ein Riesenteppich, blumengeziert,

Viele Meilen im Geviert.

Tausendschönchen, gelbe Ranunkel,

Zittergräser, hell und dunkel,

Und mitteninne (wie das lacht!)

Des roten Ampfers leuchtende Pracht.

Ziehbrunnen über die Wiese zerstreut,

Trog um Trog zu trinken beut,

Und zwischen den Trögen und den Halmen,

Unter nährendem Käuen und Zermalmen,

Die stille Herde ... das Glöcklein klingt,

Ein Luftzug das Läuten herüberbringt.

 

Und an dieses Teppichs blühendem Saum

Die lachenden Dörfer, ich zähle sie kaum:

Linow, Lindow,

Rhinow, Glindow,

Beetz und Gatow,

Dreetz und Flatow,

Bamme, Damme, Kriele, Krielow,

Petzow, Retzow, Ferch am Schwielow,

Zachow, Wachow und Groß-Bähnitz,

Marquardt an der stillen Schlänitz,

Sentzke, Lentzke und Marzahne,

Lietzow, Tietzow und Rekahne,

Und zum Schluß in dem leuchtenden Kranz:

Ketzin, Ketzür und Vehlefanz.

 

Und an deinen Ufern und an deinen Seen,

Was, stille Havel, sahst all du geschehn?!

Aus der Tiefe herauf die Unken klingen –

Hunderttausend Wenden hier untergingen;

In Lüften ein Lärmen, ein Bellen und Jagen,

»Das ist Waldemar« sie flüstern und sagen;

Im Torfmoor, neben dem Cremmer-Damme,

(Wo Hohenloh' fiel) was will die Flamme?

Ist's bloß ein Irrlicht? ... Nun klärt sich das Wetter,

Sonnenschein, Trompetengeschmetter,

Derfflinger greift an, die Schweden fliehn,

Grüß Gott dich, Tag von Fehrbellin.

 

Grüß Gott dich, Tag, du Preußen-Wiege,

Geburtstag und Ahnherr unsrer Siege,

Und Gruß dir, wo die Wiege stand,

Geliebte Heimat, Havelland!

 

 

Jung-Bismarck

 

(In Begleitung eines Bildes,

das ihn in seinem 19. Jahre darstellt)

 

In Lockenfülle das blonde Haar,

Allzeit im Sattel und neunzehn Jahr,

Im Fluge weltein und nie zurück –

Wer ist der Reiter nach dem Glück?

Jung-Bismarck.

 

Was ist das Glück? Ist's Gold, ist's Ehr',

Ist's Ruhm, ist's Liebe? Das Glück ist mehr,

Noch liegt es im Dämmer, erkennbar kaum.

Aber er sieht es in seinem Traum,

Jung-Bismarck.

 

Er sieht es im Traume. Was ist, das er sah?

Am Brunnen sitzt Germania,

Zween Eimer wechseln, der eine fällt,

Der andere steigt; wer ist's, der ihn hält?

Jung-Bismarck.

 

Und neue Bilder: ein Schloß, ein Saal,

Was nicht blitzt von Golde, das blitzt von Stahl,

Einer dem Barbarossa gleicht –

Wer ist es, der die Krone ihm reicht?

Jung-Bismarck.

 

Was ist das Glück? Ist's Gold, ist's Ehr',

Ist's Ruhm, ist's Liebe? Das Glück ist mehr:

»Leben und Sterben dem Vaterland« –

Gott segne fürder deine Hand,

Jung-Bismarck.

 

 

Wo Bismarck liegen soll

 

(Geschrieben am 31. Juli 1898)

 

Nicht in Dom oder Fürstengruft,

Er ruh' in Gottes freier Luft

Draußen auf Berg und Halde,

Noch besser: tief, tief im Walde;

Widukind lädt ihn zu sich ein:

»Ein Sachse war er, drum ist er mein,

Im Sachsenwald soll er begraben sein.«

 

Der Leib zerfällt, der Stein zerfällt,

Aber der Sachsenwald, der hält.

Und kommen nach dreitausend Jahren

Fremde hier des Weges gefahren

Und sehen, geborgen vorm Licht der Sonnen,

Den Waldgrund in Efeu tief eingesponnen

Und staunen der Schönheit und jauchzen froh,

So gebietet einer: »Lärmt nicht so! –

Hier unten liegt Bismarck irgendwo.«

 

 

Kaiser Friedrich III.

 

1. Letzte Fahrt

(6. Juni 1888)

 

»Ich sähe wohl gern (er sprach es stumm)

Noch einmal die Plätze hier herum,

Am liebsten auf Alt-Geltow zu –

Und ihr kommt mit, die Kinder und du.«

 

Das Dorf, es lag im Sonnenschein,

In die stille Kirche tritt er ein,

Die Wände weiß, die Fenster blank,

Zu beiden Seiten nur Bank an Bank,

Und auf der letzten – er blickt empor

Auf Orgel und auf Orgelchor,

Und wendet sich und spricht: »Wie gern

Vernähm' ich noch einmal ›Lobe den Herrn‹;

Den Lehrer im Feld, ich mag ihn nicht stören,

Vicky, laß du das Lied mich hören.«

 

Und durch die Kirche klein und kahl,

Als sprächen die Himmel, erbraust der Choral,

Und wie die Töne sein Herz bewegen,

Eine Lichtgestalt tritt ihm entgegen,

Eine Lichtgestalt, an den Händen beiden

Erkennt er die Male: »Dein Los war leiden.

Du lerntest dulden und entsagen,

Drum sollst du die Krone des Lebens tragen.

Du siegtest, nichts soll dich fürder beschweren:

Lobe den mächtigen König der Ehren ...«

 

Die Hände gefaltet, den Kopf geneigt,

So lauscht er der Stimme.

Die Orgel schweigt.

 

 

2. Letzte Begegnung

(14. Juni 1888)

 

König Oskar, vom Mälar kommt er daher,

Fährt über den Sund, fährt über das Meer,

Nun sieht er die Küste: Deutsches Land,

Heide, Kiefer, märkischen Sand,

Und nun Avenuen und Schloß und Alleen –

Er kommt, um den sterbenden Kaiser zu sehn.

 

Dem melden sie's. »König Oskar ist da.«

Kaiser Friedrich wie suchend um sich sah,

Ein leuchtendes Bildnis hängt an der Wand,

Sein Bildnis von Angelis Meisterhand,

Orangeband, Orden, Helmbuschzier,

Pasewalker Kürassier,

Er blickt drauf hin, und den Blick sie verstehn:

»So soll mich König Oskar sehn.«

 

Und sie legen ihm Koller und Küraß an,

Aufrecht noch einmal der sterbende Mann,

Aufrecht und hager und todesfahl –

König Oskar tritt in den Marmorsaal,

Sprechen will er, er kann es nicht,

Ein Tränenstrom seinem Aug' entbricht.

Da steht sein Freund in des Jammers Joch,

Gebrochen und doch ein Kaiser noch:

Den Pallasch zur Seite, den Helm in Hand,

Kaiser Friedrich vor König Oskar stand.

 

»Bild einst von Größe, Schönheit, Glück,

Das ist das letzte, das blieb zurück.«

Stumm neigt sich der König, und noch einmal,

Und nun zum dritten und – läßt den Saal.

 

 

3. Grabschrift

Du kamst nur, um dein heilig Amt zu schaun,

Du fand'st nicht Zeit, zu bilden und zu baun,

Nicht Zeit, der Zeit den Stempel aufzudrücken,

Du fand'st nur eben Zeit noch, zu beglücken;

Du sahst dein Reich und ließt es deinem Erben,

Du fand'st nur Zeit, um wie ein Held zu sterben.

 

 

4. Re Umbertos Kranz

» ... Im alten Dom zu Monza ruht die Krone,

Die eiserne. Die trug er. Doch zu Monza

Blüht auch des Lorbeers viel in meinen Gärten.

Pflückt von dem Lorbeer, und vom dunkelschönsten

Schlingt einen Kranz – der Kranz soll mich begleiten

Bis hin zur Ruhstätt' meines Martyrfreundes,

Bis in die Friedenskirche.

Siegeslorbeer,

Nicht Friedenspalmen will ich niederlegen

Auf seinen Sarg. Wozu noch Friedenspalmen?

Er hat, was er ersehnt – er hat den Frieden.«

 

 

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland

 

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,

Ein Birnbaum in seinem Garten stand,

Und kam die goldene Herbsteszeit

Und die Birnen leuchteten weit und breit,

Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,

Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,

Und kam in Pantinen ein Junge daher,

So rief er: »Junge, wiste 'ne Beer?«

Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,

Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn.«

 

So ging es viel Jahre, bis lobesam

Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.

Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit,

Wieder lachten die Birnen weit und breit,

Da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab.

Legt mir eine Birne mit ins Grab.«

Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,

Trugen von Ribbeck sie hinaus,

Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht

Sangen »Jesus meine Zuversicht«,

Und die Kinder klagten, das Herze schwer:

»He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?«

 

So klagten die Kinder. Das war nicht recht,

Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht,

Der neue freilich, der knausert und spart,

Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.

Aber der alte, vorahnend schon

Und voll Mißtrauen gegen den eigenen Sohn,

Der wußte genau, was damals er tat,

Als um eine Birn' ins Grab er bat,

Und im dritten Jahr, aus dem stillen Haus

Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.

 

Und die Jahre gehen wohl auf und ab,

Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,

Und in der goldenen Herbsteszeit

Leuchtet's wieder weit und breit.

Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her,

So flüstert's im Baume: »Wist 'ne Beer?«

Und kommt ein Mädel, so flüstert's: »Lütt Dirn,

Kumm man röwer, ich gew di 'ne Birn. «

 

So spendet Segen noch immer die Hand

Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

 

 

 

Gelegenheitsgedichte

 

An Wilhelm Krause

(Gest. zu Malaga 1842)

 

Zwei Jahre kaum, als heitre Träume scheuchten

Der Sorgen dunklen Schwarm aus deiner Brust;

Du riefst: »Ade!« Ich sah dein Auge leuchten

Und fühlte Tränen doch das meine feuchten,

Ich war der ew'gen Trennung mir bewußt.

Mein armer Wilm, das Rot auf deinen Wangen,

Es war das Rot des frischen Lebens nicht,

Der Tod nur, sichrer dich ins Netz zu fangen,

Ließ Rosen blühn auf deinem Angesicht.

 

Ich sah ihn längst dich Schritt vor Schritt bewachen,

Gleich einem Schatten dir zur Seite gehn,

Behende sprang er mit dir in den Nachen,

Und immer schien er höhnisch nur zu lachen,

Sooft du riefst: »Auf fröhlich Wiedersehn!«

Auf Wiedersehn! Wann, Freund? Statt Herzensfrieden

Hat ew'ge Ruh die Ferne dir geschenkt,

Und in die Gruft, die deinem Schmerz beschieden,

Hat man dich selber nun hinabgesenkt.

 

Schön ist das Leben! ach, man lernt es lieben

Recht innig erst, wenn man es meiden soll,

Doch in die weite Welt hinausgetrieben,

Wo fremd wie wir auch unser Herz geblieben,

Da wird der Tod uns doppelt qualenvoll.

Auf welcher Wange sahst du Tränen glänzen?

Wer hat dein brechend Auge zugedrückt?

Mein armer Wilm, mit Immortellenkränzen

Hat flücht'ges Mitleid nur dein Grab geschmückt.

 

Was half es dir, daß schöner dort die Rosen

Und goldner selbst des Himmels Sterne glühn?

Nun gilt es gleich – ob rauhe Stürme tosen,

Ob linde Weste mit den Blumen kosen,

Mit Blumen, Freund, die deinem Grab entblühn.

Du ruhtest besser wohl am heim'schen Strande,

Im Dünensand, wo du zu ruhn geglaubt:

Ein Kuß der Liebe hätt' im Vaterlande

Dem Tode seinen Stachel noch geraubt.

 

Doch jetzt, wo du den bittren Kampf bestanden,

Jetzt ruf ich: »Freund, wohl dir! es ist vorbei.«

Schön ist das Leben, doch von tausend Banden,

Ob in der Heimat, ob in fremden Landen,

Macht erst der Tod die Menschenseele frei.

Mir löst die Pflicht, ein strenger Kerkermeister,

Die Fessel nie, gleichviel ob Tag ob Nacht,

Und selbst von deinem Grabeshügel reißt er

Mich unerbittlich, wenn der Tag erwacht.

 

 

Unser Friede

(Sommer 1844)

 

Ein Sommertag, wo man zu tiefer

Siesta sich verpflichtet hält,

Wo Mücken nur und Ungeziefer

So recht lebendig in der Welt,

Wo gift'ger Pesthauch auf zum Himmel

Aus stehenden Gewässern steigt,

In deren Schlamm sich das Gewimmel

Vielbeinigen Gewürmes zeigt:

 

Das ist der Friede, der uns schlimmer

Als je ein Krieg zu werden droht,

Der, fiel der Würfel, uns noch immer

Ein offen Feld für Taten bot;

Genüßler hegt jetzt unsre Jugend,

Und Stockgelehrte allenfalls,

Doch jeder Kraft und Männertugend

Brach dieser Friede längst den Hals. –

 

Doch wird die Sonn' erst unerträglich

Und dörrt den Wald und sengt die Flur,

Da hilft sich, auf gut sommertäglich,

Mit einem Schlage die Natur:

Die Donnerwolke blitzt und wettert

Und nimmt der Luft den gift'gen Hauch,

Und wird auch mancher Baum zerschmettert,

In faule Sümpfe schlägt es auch.

 

Welch Friede dann, wenn segenstrahlend

Die Sonn' im Westen untergeht

Und, dunkle Pupurrosen malend,

Der Himmel wie in Flammen steht!

Wir baden uns im Hauch der Frische,

Wie neugeboren ist das All,

Und in des Baumes Blätternische

Schlägt lieblicher die Nachtigall.

 

 

Ein Ball in Paris

(Dezember 1849)

 

Paris hat Ball: hin durch der Gassen Enge

Braust rasselnd der Karossen bunte Menge,

Die Kais entlang, entlang die Tuilerien,

Ein rastlos Jagen und Vorüberfliehn.

Hallo, die Peitsche knallt, die Rosse dampfen,

Schon dröhnt »La Grève« von ihrer Hufe Stampfen,

Und jetzt ein kurzes »Halt!« – hell glänzt das Ziel,

Der prächt'ge Ballsaal des Hôtel de Ville.

Rings Fackelglanz; die Nacht ist lichter Tag,

Betreßte Diener springen an den Schlag,

Leis knistert auf der steingehaunen Treppe

Der Atlasschuh, es rauscht die Seidenschleppe,

Der Mantel fällt, und jetzt in luft'gem Schal,

Selbst luftig, schwebt die Schönheit in den Saal.

 

Drin wogt es schon; auf Klängen der Musik

Wiegt sich der Glanz der neuen Republik:

Die Abenteurer und die Schleppenträger,

Die Vettern all und all die Stellenjäger

(Auf deren Brust das Kreuz der Ehre blitzt,

Weil nichts von Ehre drin im Herzen sitzt),

All sind sie da, und leichter schwebt ihr Fuß,

Trifft sie des Kaiserneffen flücht'ger Gruß.

 

Der Kaiserneffe aber, klanglos hin

Zieht heut der Töne Macht an seinem Sinn,

Sein Aug' ist tot rings für den Blumenflor,

Nach einem Punkt nur blinzelt er empor:

Von wo herab im Purpur, goldgestickt,

Des Kaisers Bild auf ihn herniederblickt.

 

Das Kaiserbild! traun in das Festgebraus

Aus seinem goldnen Rahmen tritt's heraus;

Ein tiefer Ernst umschattet sein Gesicht,

Der Kronendurst'ge aber sieht es nicht,

Er sieht nur, wie der Goldreif blinkt und blitzt,

Der auf der Stirne des Allmächt'gen sitzt,

Er sieht das Zepter nur der halben Welt,

Das jener spielend fast in Händen hält,

Und zitternd nach des Glückes gleicher Huld,

Ruft er sich selber zu: »Geduld, Geduld!«

 

So aber denken nicht die schlanken Schönen,

Die leicht hinschweben auf den leichten Tönen,

Mit Blüten sind die Blühenden geschmückt,

Wie wenn man Rosen noch auf Rosen drückt,

Und schier, als wär' die Gabe zu genießen

Selbst nur ein stundenkurzes Blütensprießen,

So jagt man hin voll fieberhafter Hast,

In ew'ger Furcht, die Stunde sei verpaßt.

 

Ich tanze nicht – im Durst nach Luft und Frische

Tret' ich seitab in eines Fensters Nische,

Und hinter mir jetzt all den Saus und Braus,

Blick' ich, aufatmend, in die Nacht hinaus.

Die lagert draußen schwarz und schwer und dicht,

Mit Eifersucht-umfinstertem Gesicht,

Und in des Saales Glanz und Pracht und Schein

Starrt wie der Tod ins Leben sie hinein.

 

Doch lauter immer wird das laute Treiben,

Fest drück' die Stirn ich an die feuchten Scheiben,

Da ist es mir, als ob mein Ohr es träf':

»Kennst du den Platz da drauß? Kennst du ›La Grève‹?«

 

La Grève! wie kalt das Wort mich überlief

Und nächt'ge Tat vor meine Seele rief;

La Grève! wo Haß nur, der nach Rache schnob,

Der Freiheit Zerrbild aus der Taufe hob;

La Grève! wo man von Menschenliebe schwur,

Wenn Mal auf Mal das Beil herniederfuhr;

La Grève! wo Blut aus so viel Quellen floß,

Daß es – ein Strom sich in den Strom ergoß.

 

Und mir im Rücken jetzt erbraust es wilder,

Vor meinen Augen aber grelle Bilder

Der Greuel all, die ringsumher geschehn,

Läßt mich die Nacht auf dunklem Grunde sehn.

 

Horch! Weiberstimmen durch die Lüfte kreischen;

Das sind sie selbst; in Wollust, zu zerfleischen,

Hat ihres Fleisches Wollust sich verkehrt,

Blut heißt jetzt, was die Sinnlichkeit begehrt.

Manch eine trägt den Säugling an der Brust,

Doch nirgends einer Mutter stille Lust,

Mit aufgelöstem Haar, halbnackt die Leiber,

So ziehn vorbei mir die Versailler Weiber.

Und jetzt, verhallt kaum ist ihr Schrei nach Brot,

Da naht ein zweiter Zug, den führt der Tod,

Er zieht als Mordgesell' dem Zug vorauf

Und trägt zwei Stangen und zwei Köpfe drauf;

Wild heulend folgen aus den Rhône-Landen

Die Lyoneser und Marseiller Banden,

Siegtrunken noch vom Sturm der Tuilerien

Seh' ich die Blut'gen mir vorüberziehn.

 

Vorbei, vorbei! Jetzt aber Trommelklang,

So dumpf, so hohl – das ist ein Sterbegang;

Schon um den Platz wie eine Eisenkette

Legt sich der spitze Wald der Bajonette,

Und rasch, in Nacht herauf, steigt das Schafott,

Vom Volk umtanzt in widerlichem Spott.

Zwei Männer schreiten herwärts, beide still,

Es winkt des Priesters Hand, die segnen will,

Und machtvoll übertönt es das Gewimmel:

»Des heil'gen Ludwig Sohn, steig' auf gen Himmel!«

 

Ein Beilesblitz (mein Auge schließt sich bang);

Da hinter mir aufschreckt mich Beckenklang,

Und aus der Nische fort und ihrer Nacht

Tret' ich zurück jetzt in die Saalespracht.

 

Drin wogt es noch.