Gedichte (Ausgabe 1885)

Storm, Theodor

Gedichte (Ausgabe 1885)

 

Die große eBook-Bibliothek der Weltliteratur

 

Theodor Storm

Gedichte

[Ausgabe 1885]

 

 

Erstes Buch

 

Oktoberlied

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;

Schenk ein den Wein, den holden!

Wir wollen uns den grauen Tag

Vergolden, ja vergolden!

 

Und geht es draußen noch so toll,

Unchristlich oder christlich,

Ist doch die Welt, die schöne Welt,

So gänzlich unverwüstlich!

 

Und wimmert auch einmal das Herz –

Stoß an und laß es klingen!

Wir wissen's doch, ein rechtes Herz

Ist gar nicht umzubringen.

 

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;

Schenk ein den Wein, den holden!

Wir wollen uns den grauen Tag

Vergolden, ja vergolden!

 

Wohl ist es Herbst; doch warte nur,

Doch warte nur ein Weilchen!

Der Frühling kommt, der Himmel lacht,

Es steht die Welt in Veilchen.

 

Die blauen Tage brechen an,

Und ehe sie verfließen,

Wir wollen sie, mein wackrer Freund,

Genießen, ja genießen!

 

 

Abseits

Es ist so still; die Heide liegt

Im warmen Mittagssonnenstrahle,

Ein rosenroter Schimmer fliegt

Um ihre alten Gräbermale;

Die Kräuter blühn; der Heideduft

Steigt in die blaue Sommerluft.

 

Laufkäfer hasten durchs Gesträuch

In ihren goldnen Panzerröckchen,

Die Bienen hängen Zweig um Zweig

Sich an der Edelheide Glöckchen,

Die Vögel schwirren aus dem Kraut –

Die Luft ist voller Lerchenlaut.

 

Ein halbverfallen niedrig Haus

Steht einsam hier und sonnbeschienen;

Der Kätner lehnt zur Tür hinaus,

Behaglich blinzelnd nach den Bienen;

Seif Junge auf dem Stein davor

Schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr.

 

Kaum zittert durch die Mittagsruh

Ein Schlag der Dorfuhr, der entfernten;

Dem Alten fällt die Wimper zu,

Er träumt von seinen Honigernten.

– Kein Klang der aufgeregten Zeit

Drang noch in diese Einsamkeit.

 

 

Weihnachtslied

Vom Himmel in die tiefsten Klüfte

Ein milder Stern herniederlacht;

Vom Tannenwalde steigen Düfte

Und hauchen durch die Winterlüfte,

Und kerzenhelle wird die Nacht.

 

Mir ist das Herz so froh erschrocken,

Das ist die liebe Weihnachtszeit!

Ich höre fernher Kirchenglocken

Mich lieblich heimatlich verlocken

In märchenstille Herrlichkeit.

 

Ein frommer Zauber hält mich wieder,

Anbetend, staunend muß ich stehn;

Es sinkt auf meine Augenlider

Ein goldner Kindertraum hernieder,

Ich fühl's, ein Wunder ist geschehn.

 

 

Sommermittag

Nun ist es still um Hof und Scheuer,

Und in der Mühle ruht der Stein;

Der Birnenbaum mit blanken Blättern

Steht regungslos im Sonnenschein.

 

Die Bienen summen so verschlafen;

Und in der offnen Bodenluk',

Benebelt von dem Duft des Heues,

Im grauen Röcklein nickt der Puk.

 

Der Müller schnarcht und das Gesinde,

Und nur die Tochter wacht im Haus;

Die lachet still und zieht sich heimlich

Fürsichtig die Pantoffeln aus.

 

Sie geht und weckt den Müllerburschen,

Der kaum den schweren Augen traut:

»Nun küsse mich, verliebter Junge;

Doch sauber, sauber! nicht zu laut.«

 

 

Die Stadt

Am grauen Strand, am grauen Meer

Und seitab liegt die Stadt;

Der Nebel drückt die Dächer schwer,

Und durch die Stille braust das Meer

Eintönig um die Stadt.

 

Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai

Kein Vogel ohn Unterlaß;

Die Wandergans mit hartem Schrei

Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei

Am Strande weht das Gras.

 

Doch hängt mein ganzes Herz an dir,

Du graue Stadt am Meer;

Der Jugend Zauber für und für

Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,

Du graue Stadt am Meer.

 

 

Meeresstrand

Ans Haff nun fliegt die Möwe,

Und Dämmrung bricht herein;

Über die feuchten Watten

Spiegelt der Abendschein.

 

Graues Geflügel huschet

Neben dem Wasser her;

Wie Träume liegen die Inseln

Im Nebel auf dem Meer.

 

Ich höre des gärenden Schlammes

Geheimnisvollen Ton,

Einsames Vogelrufen –

So war es immer schon.

 

Noch einmal schauert leise

Und schweiget dann der Wind;

Vernehmlich werden die Stimmen,

Die über der Tiefe sind.

 

 

Im Walde

Hier an der Bergeshalde

Verstummet ganz der Wind;

Die Zweige hängen nieder,

Darunter sitzt das Kind.

 

Sie sitzt in Thymiane,

Sie sitzt in lauter Duft;

Die blauen Fliegen summen

Und blitzen durch die Luft.

 

Es steht der Wald so schweigend,

Sie schaut so klug darein;

Um ihre braunen Locken

Hinfließt der Sonnenschein.

 

Der Kuckuck lacht von ferne,

Es geht mir durch den Sinn:

Sie hat die goldnen Augen

Der Waldeskönigin.

 

 

Elisabeth

Meine Mutter hat's gewollt,

Den andern ich nehmen sollt;

Was ich zuvor besessen,

Mein Herz sollt es vergessen;

Das hat es nicht gewollt.

 

Meine Mutter klag ich an,

Sie hat nicht wohlgetan;

Was sonst in Ehren stünde,

Nun ist es worden Sünde.

Was fang ich an?

 

Für all mein Stolz und Freud

Gewonnen hab ich Leid.

Ach, wär das nicht geschehen,

Ach, könnt ich betteln gehen

Über die braune Heid!

 

 

Lied des Harfenmädchens

Heute, nur heute

Bin ich so schön;

Morgen, ach morgen

Muß alles vergehn!

 

Nur diese Stunde

Bist du noch mein;

Sterben, ach sterben

Soll ich allein.

 

 

Die Nachtigall

Das macht, es hat die Nachtigall

Die ganze Nacht gesungen;

Da sind von ihrem süßen Schall,

Da sind in Hall und Widerhall

Die Rosen aufgesprungen.

 

Sie war doch sonst ein wildes Kind;

Nun geht sie tief in Sinnen,

Trägt in der Hand den Sommerhut

Und duldet still der Sonne Glut

Und weiß nicht, was beginnen.

 

Das macht, es hat die Nachtigall

Die ganze Nacht gesungen;

Da sind von ihrem süßen Schall,

Da sind in Hall und Widerhall

Die Rosen aufgesprungen.

 

 

Im Volkston

1.

Als ich dich kaum gesehn,

Mußt es mein Herz gestehn,

Ich könnt dir nimmermehr

Vorübergehn.

 

Fällt nun der Sternenschein

Nachts in mein Kämmerlein,

Lieg ich und schlafe nicht

Und denke dein.

 

Ist doch die Seele mein

So ganz geworden dein,

Zittert in deiner Hand,

Tu ihr kein Leid!

 

 

2.

Einen Brief soll ich schreiben

Meinem Schatz in der Fern;

Sie hat mich gebeten,

Sie hätt's gar zu gern.

 

Da lauf ich zum Krämer,

Kauf Tint' und Papier

Und schneid mir ein' Feder,

Und sitz nun dahier.

 

Als wir noch mitsammen

Uns lustig gemacht,

Da haben wir nimmer

Ans Schreiben gedacht.

 

Was hilft mir nun Feder

Und Tint' und Papier!

Du weißt, die Gedanken

Sind allzeit bei dir.

 

 

Regine

Und webte auch auf jenen Matten

Noch jene Mondesmärchenpracht,

Und stünd sie noch im Waldesschatten

Inmitten jener Sommernacht;

Und fänd ich selber wie im Traume

Den Weg zurück durch Moor und Feld,

Sie schritte doch vom Waldessaume

Niemals hinunter in die Welt.

 

 

Ein grünes Blatt

Ein Blatt aus sommerlichen Tagen,

Ich nahm es so im Wandern mit,

Auf daß es einst mir möge sagen,

Wie laut die Nachtigall geschlagen,

Wie grün der Wald, den ich durchschritt.

 

 

Weiße Rosen

1.

Du bissest die zarten Lippen wund,

Das Blut ist danach geflossen;

Du hast es gewollt, ich weiß es wohl,

Weil einst mein Mund sie verschlossen.

 

Entfärben ließt du dein blondes Haar

In Sonnenbrand und Regen;

Du hast es gewollt, weil meine Hand

Liebkosend darauf gelegen.

 

Du stehst am Herd in Flammen und Rauch,

Daß die feinen Hände dir sprangen;

Du hast es gewollt, ich weiß es wohl,

Weil mein Auge daran gehangen.

2.

 

Du gehst an meiner Seite hin

Und achtest meiner nicht;

Nun schmerzt mich deine weiße Hand,

Dein süßes Angesicht.

 

O sprich wie sonst ein liebes Wort,

Ein einzig Wort mir zu!

Die Wunden bluten heimlich fort,

Auch du hast keine Ruh.

 

Der Mund, der jetzt zu meiner Qual

Sich stumm vor mir verschließt,

Ich hab ihn ja so tausendmal,

Vieltausendmal geküßt.

 

Was einst so überselig war,

Bricht nun das Herz entzwei;

Das Aug, das meine Seele trank,

Sieht fremd an mir vorbei.

3.

 

So dunkel sind die Straßen,

So herbstlich geht der Wind;

Leb wohl, meine weiße Rose,

Mein Herz, mein Weib, mein Kind!

 

So schweigend steht der Garten,

Ich wandre weit hinaus;

Er wird dir nicht verraten,

Daß ich nimmer kehr nach Haus.

 

Der Weg ist gar so einsam,

Es reist ja niemand mit;

Die Wolken nur am Himmel

Halten gleichen Schritt.

 

Ich bin so müd zum Sterben;

Drum blieb' ich gern zu Haus

Und schliefe gern das Leben

Und Lust und Leiden aus.

Lose

 

Der einst er seine junge

Sonnige Liebe gebracht,

Die hat ihn gehen heißen,

Nicht weiter sein gedacht.

 

Drauf hat er heimgeführet

Ein Mädchen still und hold;

Die hat aus allen Menschen

Nur einzig ihn gewollt.

 

Und ob sein Herz in Liebe

Niemals für sie gebebt,

Sie hat um ihn gelitten

Und nur für ihn gelebt.

 

 

Noch einmal!

Noch einmal fällt in meinen Schoß

Die rote Rose Leidenschaft;

Noch einmal hab ich schwärmerisch

In Mädchenaugen mich vergafft;

Noch einmal legt ein junges Herz

An meines seinen starken Schlag;

Noch einmal weht an meine Stirn

Ein juniheißer Sommertag.

 

 

Die Stunde schlug

Die Stunde schlug, und deine Hand

Liegt zitternd in der meinen,

An meine Lippen streiften schon

Mit scheuem Druck die deinen.

 

Es zuckten aus dem vollen Kelch

Elektrisch schon die Funken;

O fasse Mut, und fliehe nicht,

Bevor wir ganz getrunken!

 

Die Lippen, die mich so berührt,

Sind nicht mehr deine eignen;

Sie können doch, solang du lebst,

Die meinen nicht verleugnen.

 

Die Lippen, die sich so berührt,

Sind rettungslos gefangen;

Spät oder früh, sie müssen doch

Sich tödlich heimverlangen.

 

 

Abends

Warum duften die Levkojen soviel schöner bei der Nacht?

Warum brennen deine Lippen soviel röter bei der Nacht?

Warum ist in meinem Herzen so die Sehnsucht auferwacht,

Diese brennend roten Lippen dir zu küssen bei der Nacht?

 

 

Wohl fühl ich, wie das Leben rinnt

Wohl fühl ich, wie das Leben rinnt

Und daß ich endlich scheiden muß,

Daß endlich doch das letzte Lied

Und endlich kommt der letzte Kuß.

 

Noch hing ich fest an deinem Mund

In schmerzlich bangender Begier;

Du gibst der Jugend letzten Kuß,

Die letzte Rose gibst du mir.

 

Du schenkst aus jenem Zauberkelch

Den letzten goldnen Trunk mir ein;

Du bist aus jener Märchenwelt

Mein allerletzter Abendschein.

 

Am Himmel steht der letzte Stern,

O halte nicht dein Herz zurück;

Zu deinen Füßen sink ich hin,

O fühl's, du bist mein letztes Glück!

 

Laß einmal noch durch meine Brust

Des vollsten Lebens Schauer wehn,

Eh seufzend in die große Nacht

Auch meine Sterne untergehn.

Hyazinthen

 

Fern hallt Musik; doch hier ist stille Nacht,

Mit Schlummerduft anhauchen mich die Pflanzen.

Ich habe immer, immer dein gedacht;

Ich möchte schlafen, aber du mußt tanzen.

 

Es hört nicht auf, es rast ohn Unterlaß;

Die Kerzen brennen und die Geigen schreien,

Es teilen und es schließen sich die Reihen,

Und alle glühen; aber du bist blaß.

 

Und du mußt tanzen; fremde Arme schmiegen

Sich an dein Herz; o leide nicht Gewalt!

Ich seh dein weißes Kleid vorüberfliegen

Und deine leichte, zärtliche Gestalt. – –

 

Und süßer strömend quillt der Duft der Nacht

Und träumerischer aus dem Kelch der Pflanzen.

Ich habe immer, immer dein gedacht;

Ich möchte schlafen, aber du mußt tanzen.

 

 

Du willst es nicht in Worten sagen

Du willst es nicht in Worten sagen;

Doch legst du's brennend Mund auf Mund,

Und deiner Pulse tiefes Schlagen

Tut liebliches Geheimnis kund.

 

Du fliehst vor mir, du scheue Taube,

Und drückst dich fest an meine Brust;

Du bist der Liebe schon zum Raube

Und bist dir kaum des Worts bewußt.

 

Du biegst den schlanken Leib mir ferne,

Indes dein roter Mund mich küßt;

Behalten möchtest du dich gerne,

Da du doch ganz verloren bist.

 

Du fühlst, wir können nicht verzichten;

Warum zu geben scheust du noch?

Du mußt die ganze Schuld entrichten,

Du mußt, gewiß, du mußt es doch.

 

In Sehnen halb und halb in Bangen,

Am Ende rinnt die Schale voll;

Die holde Scham ist nur empfangen,

Daß sie in Liebe sterben soll.

Dämmerstunde

 

Im Sessel du, und ich zu deinen Füßen –

Das Haupt zu dir gewendet, saßen wir;

Und sanfter fühlten wir die Stunden fließen,

Und stiller ward es zwischen mir und dir;

Bis unsre Augen ineinandersanken

Und wir berauscht der Seele Atem tranken.

 

 

Frauenhand

Ich weiß es wohl, kein klagend Wort

Wird über deine Lippen gehen;

Doch, was so sanft dein Mund verschweigt,

Muß deine blasse Hand gestehen.

 

Die Hand, an der mein Auge hängt,

Zeigt jenen feinen Zug der Schmerzen,

Und daß in schlummerloser Nacht

Sie lag auf einem kranken Herzen.

 

 

Die Zeit ist hin

Die Zeit ist hin; du löst dich unbewußt

Und leise mehr und mehr von meiner Brust;

Ich suche dich mit sanftem Druck zu fassen,

Doch fühl ich wohl, ich muß dich gehen lassen.

 

So laß mich denn, bevor du weit von mir

Im Leben gehst, noch einmal danken dir;

Und magst du nie, was rettungslos vergangen,

In schlummerlosen Nächten heimverlangen.

 

Hier steh ich nun und schaue bang zurück;

Vorüber rinnt auch dieser Augenblick,

Und wieviel Stunden dir und mir gegeben,

Wir werden keine mehr zusammen leben.

 

 

Wohl rief ich sanft dich an mein Herz

Wohl rief ich sanft dich an mein Herz,

Doch blieben meine Arme leer;

Der Stimme Zauber, der du sonst

Nie widerstandest, galt nicht mehr.

 

Was jetzt dein Leben füllen wird,

Wohin du gehst, wohin du irrst,

Ich weiß es nicht; ich weiß allein,

Daß du mir nie mehr lächeln wirst.

 

Doch kommt erst jene stille Zeit,

Wo uns das Leben läßt allein,

Dann wird, wie in der Jugend einst,

Nur meine Liebe bei dir sein.

 

Dann wird, was jetzt geschehen mag,

Wie Schatten dir vorübergehn,

Und nur die Zeit, die nun dahin,

Die uns gehörte, wird bestehn.

 

Und wenn dein letztes Kissen einst

Beglänzt ein Abendsonnenstrahl,

Es ist die Sonne jenes Tags,

Da ich dich küßte zum erstenmal.

Du schläfst

 

Du schläfst – so will ich leise flehen:

O schlafe sanft! und leise will ich gehen,

Daß dich nicht störe meiner Tritte Gang,

Daß du nicht hörest meiner Stimme Klang.

 

 

Ein Grab schon weiset manche Stelle

Ein Grab schon weiset manche Stelle,

Und manches liegt in Traum und Duft;

Nun sprudle, frische Lebensquelle,

Und rausche über Grab und Kluft!

 

 

Geschwisterblut

1.

Sie saßen sich genüber bang

Und sahen sich an in Schmerzen;

Oh, lägen sie in tiefster Gruft

Und lägen Herz an Herzen! –

 

Sie sprach: »Daß wir beisammen sind,

Mein Bruder, will nicht taugen!«

Er sah ihr in die Augen tief:

»O süße Schwesteraugen!«

 

Sie faßte flehend seine Hand

Und rief: »O denk der Sünde!«

Er sprach: »O süßes Schwesterblut,

Was läufst du so geschwinde!«

 

Er zog die schmalen Fingerlein

An seinen Mund zur Stelle;

Sie rief: »Oh, hilf mir, Herre Christ,

Er zieht mich nach der Hölle!«

 

Der Bruder hielt ihr zu den Mund;

Er rief nach seinen Knappen.

Nun rüsteten sie Reisezeug,

Nun zäumten sie die Rappen.

 

Er sprach: »Daß ich dein Bruder sei,

Nicht länger will ich's tragen;

Nicht länger will ich drum im Grab

Vater und Mutter verklagen.

 

Zu lösen vermag der Papst Urban,

Er mag uns lösen und binden!

Und säß er an Sankt Peters Hand,

Den Brautring muß ich finden.«

 

Er ritt dahin; die Träne rann

Von ihrem Angesichte;

Der Stuhl, wo er gesessen, stand

Im Abendsonnenlichte.

 

Sie stieg hinab durch Hof und Hall'

Zu der Kapelle Stufen:

»Weh mir, ich hör im Grabe tief

Vater und Mutter rufen!«

 

Sie stieg hinauf ins Kämmerlein;

Das stand in Dämmernissen.

Ach, nächtens schlug die Nachtigall;

Da saß sie wach im Kissen.

 

Da fuhr ihr Herz dem Liebsten nach

Allüberall auf Erden;

Sie streckte weit die Arme aus:

»Unselig muß ich werden!«

2.

 

Schon war mit seinem Rosenkranz

Der Sommer fortgezogen;

Es hatte sich die Nachtigall

In weiter Welt verflogen.

 

Im Erker saß ein blasses Weib

Und schaute auf die Fliesen;

So stille war's: kein Tritt erscholl,

Kein Hornruf über die Wiesen.

 

Der Abendschein alleine ging

Vergoldend durch die Halle;

Da öffneten die Tore sich

Geräuschlos, ohne Schalle.

 

Da stand an seiner Schwelle Rand

Ein Mann in Harm gebrochen;

Der sah sie toten Auges an,

Kein Wort hat er gesprochen.

 

Es lag auf ihren Lidern schwer,

Sie schlug sie auf mit Mühen;

Sie sprang empor, sie schrie so laut,

Wie noch kein Herz geschrieen.

 

Doch als er sprach: »Es reicht kein Ring

Um Schwester- und Bruderhände!«

Um stürzte sie den Marmortisch

Und schritt an Saales Ende.

 

Sie warf in seine Arme sich;

Doch wer sie bleich zum Sterben.

Er sprach: »So ist die Stunde da,

Daß beide wir verderben.«

 

Die Schwester von dem Nacken sein

Löste die zarten Hände:

»Wir wollen zu Vater und Mutter gehn;

Da hat das Leid ein Ende.«

Mondlicht

 

Wie liegt im Mondenlichte

Begraben nun die Welt;

Wie selig ist der Friede,

Der sie umfangen hält!

 

Die Winde müssen schweigen,

So sanft ist dieser Schein;

Sie säuseln nur und weben

Und schlafen endlich ein.

 

Und was in Tagesgluten

Zur Blüte nicht erwacht,

Es öffnet seine Kelche

Und duftet in die Nacht.

 

Wie bin ich solchen Friedens

Seit lange nicht gewohnt!

Sei du in meinem Leben

Der liebevolle Mond!

 

 

Lucie

Ich seh sie noch, ihr Büchlein in der Hand,

Nach jener Bank dort an der Gartenwand

Vom Spiel der andern Kinder sich entfernen;

Sie wußte wohl, es mühte sie das Lernen.

 

Nicht war sie klug, nicht schön; mir aber war

Ihr blaß Gesichtchen und ihr blondes Haar,

Mir war es lieb; aus der Erinnrung Düster

Schaut es mich an; wir waren recht Geschwister.

 

Ihr schmales Bettchen teilte sie mit mir,

Und nächtens Wang an Wange schliefen wir;

Das war so schön! Noch weht ein Kinderfrieden

Mich an aus jenen Zeiten, die geschieden.

 

Ein Ende kam; – ein Tag, sie wurde krank

Und lag im Fieber viele Wochen lang;

Ein Morgen dann, wo sanft die Winde gingen,

Da ging sie heim; es blühten die Syringen.

 

Die Sonne schien; ich lief ins Feld hinaus

Und weinte laut; dann kam ich still nach Haus.

Wohl zwanzig Jahr und drüber sind vergangen –

An wieviel anderm hat mein Herz gehangen!

 

Was hab ich heute denn nach dir gebangt?

Bist du mir nah und hast nach mir verlangt?

Willst du, wie einst nach unsern Kinderspielen,

Mein Knabenhaupt an deinem Herzen fühlen?

 

 

Einer Toten

1.

Du glaubtest nicht an frohe Tage mehr,

Verjährtes Leid ließ nimmer dich genesen;

Die Mutterfreude war für dich zu schwer,

Das Leben war dir gar zu hart gewesen. –

 

Er saß bei dir in letzter Liebespflicht;

Noch eine Nacht, noch eine war gegeben!

Auch die verrann; dann kam das Morgenlicht.

»Mein guter Mann, wie gerne wollt ich leben!«

 

Er hörte still die sanften Worte an,

Wie sie sein Ohr in bangen Pausen trafen:

»Sorg für das Kind – ich sterbe, süßer Mann.«

Dann halb verständlich noch: »Nun will ich schlafen.«

 

Und dann nichts mehr; – du wurdest nimmer wach,

Dein Auge brach, die Welt ward immer trüber;

Der Atem Gottes wehte durchs Gemach,

Dein Kind schrie auf, und dann warst du hinüber.

2.

 

Das aber kann ich nicht ertragen,

Daß so wie sonst die Sonne lacht;

Daß wie in deinen Lebenstagen

Die Uhren gehn, die Glocken schlagen,

Einförmig wechseln Tag und Nacht;

 

Daß, wenn des Tages Lichter schwanden,

Wie sonst der Abend uns vereint;

Und daß, wo sonst dein Stuhl gestanden,

Schon andre ihre Plätze fanden,

Und nichts dich zu vermissen scheint;

 

Indessen von den Gitterstäben

Die Mondesstreifen schmal und karg

In deine Gruft hinunterweben

Und mit gespenstig trübem Leben

Hinwandeln über deinen Sarg.

Eine Fremde

 

Sie saß in unserm Mädchenkreise,

Ein Stern am Frauen-Firmament;

Sie sprach in unsres Volkes Weise,

Nur leis, mit klagendem Akzent.

Du hörtest niemals heimverlangen

Den stolzen Mund der schönen Frau;

Nur auf den südlich blassen Wangen

Und über der gewölbten Brau'

Lag noch Granadas Mondenschimmer,

Den sie vertauscht um unsern Strand;

Und ihre Augen dachten immer

An ihr beglänztes Heimatland.

 

 

Lehrsatz

Die Sonne scheint; laß ab von Liebeswerben!

Denn Liebe gleicht der scheuesten der Frauen;

Ihr eigen Antlitz schämt sie sich zu schauen,

Ein Rätsel will sie bleiben, oder sterben.

Doch wenn der Abend still herniedergleitet,

Dann naht das Reich der zärtlichen Gedanken;

Wenn Dämmrung süß verwirrend sich verbreitet

Und alle Formen ineinander schwanken,

Dann irrt die Hand, dann irrt der Mund gar leicht,

Und halb gewagt, wird alles ganz erreicht.

 

 

Die Kleine

Und plaudernd hing sie mir am Arm,

Sie halb erschlossen nur dem Leben;

Ich zwar nicht alt, doch aber dort,

Wo uns verläßt die Jugend eben.

 

Wir wandelten hinauf, hinab

Im dämmergrünen Gang der Linden;

Sie sah mich froh und leuchtend an,

Sie wußte nicht, es könne zünden;

 

Ihr ahnte keine Möglichkeit,

Kein Wort von so verwegnen Dingen,

Wodurch es selbst die tiefste Kluft

Verlockend wird zu überspringen.

 

 

O süßes Nichtstun

O süßes Nichtstun, an der Liebsten Seite

Zu ruhen auf des Bergs besonnter Kuppe;

Bald abwärts zu des Städtchens Häusergruppe

Den Blick zu senden, bald in ferne Weite!

 

O süßes Nichtstun, lieblich so gebannt

Zu atmen in den neubefreiten Düften;

Sich locken lassen von den Frühlingslüften,

Hinabzuziehn in das beglänzte Land;

Rückkehren dann aus aller Wunderferne

In deiner Augen heimatliche Sterne.

 

 

Wer je gelebt in Liebesarmen

Wer je gelebt in Liebesarmen,

Der kann im Leben nie verarmen;

Und müßt er sterben fern, allein,

Er fühlte noch die sel'ge Stunde,

Wo er gelebt an ihrem Munde,

Und noch im Tode ist sie sein.

 

 

Nun sei mir heimlich zart und lieb

Nun sei mir heimlich zart und lieb;

Setz deinen Fuß auf meinen nun!

Mir sagt es: ich verließ die Welt,

Um ganz allein auf dir zu ruhn;

 

Und dir: o ließe mich die Welt,

Und könnt ich friedlich und allein,

Wie deines leichten Fußes jetzt,

So deines Lebens Träger sein!

 

 

Schließe mir die Augen beide

Schließe mir die Augen beide

Mit den lieben Händen zu!

Geht doch alles, was ich leide,

Unter deiner Hand zur Ruh.

 

Und wie leise sich der Schmerz

Well' um Welle schlafen leget,

Wie der letzte Schlag sich reget,

Füllest du mein ganzes Herz.

 

 

Kritik

Hör mir nicht auf solch Geschwätze,

Liebes Herz, daß wir Poeten

Schon genug der Liebeslieder,

Ja zuviel gedichtet hätten.

 

Ach, es sind so kläglich wenig,

Denn ich zählte sie im stillen,

Kaum genug, dein Nadelbüchlein

Schicklich damit anzufüllen.

 

Lieder, die von Liebe reimen,

Kommen Tag für Tage wieder;

Doch wir zwei Verliebte sprechen:

Das sind keine Liebeslieder.

 

 

Morgens

Nun gib ein Morgenküßchen!

Du hast genug der Ruh;

Und setz dein zierlich Füßchen

Behende in den Schuh!

 

Nun schüttle von der Stirne

Der Träume blasse Spur!

Das goldene Gestirne

Erleuchtet längst die Flur.

 

Die Rosen in deinem Garten

Sprangen im Sonnenlicht;

Sie können kaum erwarten,

Daß deine Hand sie bricht.

 

 

Zur Nacht

Vorbei der Tag! Nun laß mich unverstellt

Genießen dieser Stunde vollen Frieden!

Nun sind wir unser; von der frechen Welt

Hat endlich uns die heilige Nacht geschieden.

 

Laß einmal noch, eh sich dein Auge schließt,

Der Liebe Strahl sich rückhaltlos entzünden;

Noch einmal, eh im Traum sie sich vergißt,

Mich deiner Stimme lieben Laut empfinden!

 

Was gibt es mehr! Der stille Knabe winkt

Zu seinem Strande lockender und lieber;

Und wie die Brust dir atmend schwellt und sinkt,

Trägt uns des Schlummers Welle sanft hinüber.

 

 

Die Kinder

1.

Abends

 

Auf meinem Schoße sitzet nun

Und ruht der kleine Mann;

Mich schauen aus der Dämmerung

Die zarten Augen an.

 

Er spielt nicht mehr, er ist bei mir,

Will nirgend anders sein;

Die kleine Seele tritt heraus

Und will zu mir herein.

2.

 

Mein Häwelmann, mein Bursche klein,

Du bist des Hauses Sonnenschein,

Die Vögel singen, die Kinder lachen,

Wenn deine strahlenden Augen wachen.

Im Herbste

 

Es rauscht, die gelben Blätter fliegen,

Am Himmel steht ein falber Schein;

Du schauerst leis und drückst dich fester

In deines Mannes Arm hinein.

 

Was nun von Halm zu Halme wandelt,

Was nach den letzten Blumen greift,

Hat heimlich im Vorübergehen

Auch dein geliebtes Haupt gestreift.

 

Doch reißen auch die zarten Fäden,

Die warme Nacht auf Wiesen spann –

Es ist der Sommer nur, der scheidet;

Was geht denn uns der Sommer an!

 

Du legst die Hand an meine Stirne

Und schaust mir prüfend ins Gesicht;

Aus deinen milden Frauenaugen

Bricht gar zu melancholisch Licht.

 

Erlosch auch hier ein Duft, ein Schimmer,

Ein Rätsel, das dich einst bewegt,

Daß du in meine Hand gefangen

Die freie Mädchenhand gelegt?

 

O schaudre nicht! Ob auch unmerklich

Der schönste Sonnenschein verrann –

Es ist der Sommer nur, der scheidet;

Was geht denn uns der Sommer an!

 

 

Gode Nacht

Över de stillen Straten

Geit klar de Klockenslag;

God Nacht! Din Hart will slapen,

Un morgen is ok en Dag.

 

Din Kind liggt in de Weegen,

Un ik bün ok bi di;

Din Sorgen un din Leven

Is allens um un bi.

 

Noch eenmal lat uns spräken:

Goden Abend, gode Nacht!

De Maand schien op de Däken,

Uns' Herrgott hölt de Wacht.

 

 

O bleibe treu den Toten

O bleibe treu den Toten,

Die lebend du betrübt;

O bleibe treu den Toten,

Die lebend dich geliebt!

 

Sie starben; doch sie blieben

Auf Erden wesenlos,

Bis allen ihren Lieben

Der Tod die Augen schloß.

 

Indessen du dich herzlich

In Lebenslust versenkst,

Wie sehnen sie sich schmerzlich.

Daß ihrer du gedenkst!

 

Sie nahen dir in Liebe,

Allein du fühlst es nicht;

Sie schaun dich an so trübe,

Du aber siehst es nicht.

 

Die Brücke ist zerfallen;

Nun mühen sie sich bang,

Ein Liebeswort zu lallen,

Das nie hinüberdrang.

 

In ihrem Schattenleben

Quält eins sie gar zu sehr:

Ihr Herz will dir vergeben,

Ihr Mund vermag's nicht mehr.

 

O bleibe treu den Toten,

Die lebend du betrübt;

O bleibe treu den Toten,

Die lebend dich geliebt!

 

 

In böser Stunde

Ein schwaches Stäbchen ist die Liebe,

Das deiner Jugend Rebe trägt,

Das wachsend bald der Baum des Lebens

Mit seinen Ästen selbst zerschlägt

 

Und drängtest du mit ganzer Seele

Zu allerinnigstem Verein,

Du wirst am Ende doch, am Ende

Nur auf dir selbst gelassen sein.

 

 

Und war es auch ein großer Schmerz

Und war es auch ein großer Schmerz,

Und wär's vielleicht gar eine Sünde,

Wenn es noch einmal vor dir stünde,

Du tätst es noch einmal, mein Herz.

 

 

Zwischenreich

Meine ausgelaßne Kleine,

Ach, ich kenne sie nicht mehr;

Nur mit Tanten und Pastoren

Hat das liebe Herz Verkehr.

 

Jene süße Himmelsdemut,

Die der Sünder Hoffart schilt,

Hat das ganze Schelmenantlitz

Wie mit grauem Flor verhüllt.

 

Ja, die brennend roten Lippen

Predigen Entsagung euch;

Diese gar zu schwarzen Augen

Schmachten nach dem Himmelreich.

 

Auf die Tiziansche Venus

Ist ein Heil'genbild gemalt;

Ach, ich kenne sie nicht wieder,

Die so schön mit uns gedahlt.

 

Nirgends mehr für blaue Märchen

Ist ein einzig Plätzchen leer;

Nur Traktätlein und Asketen

Liegen haufenweis umher.

 

Wahrlich, zum Verzweifeln wär es –

Aber, Schatz, wir wissen schon,

Deinen ganzen Götzenplunder

Wirft ein einz'ger Mann vom Thron.

 

 

Vom Staatskalender

1.

Die Tochter spricht:

 

»Ach, die kleine Kaufmannstochter,

Wie das Ding sich immer putzt!

Fehlt nur, daß mit unsereinem

Sie sich noch vertraulich duzt.

 

Setzt sich, wo wir auch erscheinen,

Wie von selber nebenbei;

Präsidentens könnten meinen,

Daß es heiße Freundschaft sei.

 

Und es will sich doch nicht schicken,

Daß man so mit jeder geht,

Seit Papa im Staatskalender

In der dritten Klasse steht.

 

Hat Mama doch auch den Diensten

Anbefohlen klar und hell,

Fräulein hießen wir jetzunder,

Fräulein, und nicht mehr Mamsell.

 

Ach, ein kleines bißchen adlig,

So ein bißchen – glaub, wir sind's!

Morgen in der goldnen Kutsche

Holt uns ein verwünschter Prinz!«

 

 

2.

Ein Golem

 

Ihr sagt, es sei ein Kämmerer,

Ein schöner Staatskalenderer;

Doch sieht denn nicht ein jeder,

Daß er genäht aus Leder?

 

Kommt nur der rechte Regentropf

Und wäscht die Nummer ihm vom Kopf,

So ruft gewiß ein jeder:

Herrgott, ein Kerl von Leder!

Gesegnete Mahlzeit

 

Sie haben wundervoll diniert;

Warm und behaglich rollt ihr Blut,

Voll Menschenliebe ist ihr Herz,

Sie sind der ganzen Welt so gut.

 

Sie schütteln zärtlich sich die Hand,

Umwandelnd den geleerten Tisch,

Und wünschen, daß gesegnet sei

Der Wein, der Braten und der Fisch.

 

Die Geistlichkeit, die Weltlichkeit,

Wie sie so ganz verstehen sich!

Ich glaube, Gott verzeihe mir,

Sie lieben sich herzinniglich.

 

 

Von Katzen

Vergangnen Maitag brachte meine Katze

Zur Welt sechs allerliebste kleine Kätzchen,

Maikätzchen, alle weiß mit schwarzen Schwänzchen.

Fürwahr, es war ein zierlich Wochenbettchen!

Die Köchin aber – Köchinnen sind grausam,

Und Menschlichkeit wächst nicht in einer Küche –,

Die wollte von den sechsen fünf ertränken,

Fünf weiße, schwarzgeschwänzte Maienkätzchen

Ermorden wollte dies verruchte Weib.

Ich half ihr heim! – Der Himmel segne

Mir meine Menschlichkeit! Die lieben Kätzchen,

Sie wuchsen auf und schritten binnen kurzem

Erhobnen Schwanzes über Hof und Herd;

Ja, wie die Köchin auch ingrimmig dreinsah,

Sie wuchsen auf, und nachts vor ihrem Fenster

Probierten sie die allerliebsten Stimmchen.

Ich aber, wie ich sie so wachsen sahe,

Ich pries mich selbst und meine Menschlichkeit. –

Ein Jahr ist um, und Katzen sind die Kätzchen,

Und Maitag ist's! – Wie soll ich es beschreiben,

Das Schauspiel, das sich jetzt vor mir entfaltet!

Mein ganzes Haus, vom Keller bis zum Giebel,

Ein jeder Winkel ist ein Wochenbettchen!

Hier liegt das eine, dort das andre Kätzchen,

In Schränken, Körben, unter Tisch und Treppen,

Die Alte gar – nein, es ist unaussprechlich –

Liegt in der Köchin jungfräulichem Bette!

Und jede, jede von den sieben Katzen

Hat sieben, denkt euch! sieben junge Kätzchen,

Maikätzchen, alle weiß mit schwarzen Schwänzchen!

Die Köchin rast, ich kann der blinden Wut

Nicht Schranken setzen dieses Frauenzimmers;

Ersäufen will sie alle neunundvierzig!

Mir selber! ach, mir läuft der Kopf davon –

O Menschlichkeit, wie soll ich dich bewahren!

Was fang ich an mit sechsundfunfzig Katzen!

 

 

Engel-Ehe

Wie Flederwisch und Bürste sie regiert!

Glas und Gerät, es blitzt nur alles so

Und lacht und lebt! Nur, ach, sie selber nicht.

Ihr schmuck Gesicht, dem Manne ihrer Wahl,

Wenn ihre wirtschaftliche Bahn er kreuzt,

Gleich einer Maske hält sie's ihm entgegen;

Und fragt er gar, so wirft sie ihm das Wort

Als wie dem Hunde einen Knochen zu.

Denn er ist schuld an allem, was sie plagt,

Am Trotz der Mägde, an den großen Wäschen,

Am Tagesmühsal und der Nächte Wachen,

Schuld an dem schmutz'gen Pudel und den Kindern. –

Und er? – Er weiß, wenn kaum der grimme Tod

Sein unverkennbar Mal ihm aufgeprägt,

Dann wird, der doch in jedem Weibe schläft,

Der Engel auch in seinem Weib erwachen;

Ihr eigen Weh bezwingend, wird sie dann,

Was aus der Jugend Süßes ihr verblieb,

Heraufbeschwören; leuchten wird es ihm

Aus ihren Augen, lind wie Sommeratem

Wird dann ihr Wort zu seinem Herzen gehn. –

Doch wähnet nicht, daß dies ihn tröste! Nein,

Den künft'gen Engel, greulich haßt er ihn;

Er magert ab, er schlottert im Gebein,

Er wird daran ersticken jedenfalls.

Doch eh ihm ganz die Kehle zugeschnürt,

Muß er sein Weib in Himmelsglorie sehn;

Die Rede, die er brütend ausstudiert,

Womit vor seinem letzten Atemzug,

Jedwedes Wort ein Schwert, auf einen Schlag

Er alles Ungemach ihr hat vergelten wollen,

Er wird sie nimmer halten; Segenstammeln

Wird noch von seinen toten Lippen fliehn.

Das alles weiß er, und es macht ihn toll;

Er geht umher und fluchet innerlich.

Ja, manches Mal im hellsten Sonnenschein

Durchfährt es ihn, als stürz er in das Grab.

Es war sein Weib, sie sprach ein sanftes Wort;

Und zitternd blickt er auf: »Oh, Gott sei Dank,

Noch nicht, noch nicht das Engelsangesicht!«

 

 

Stoßseufzer

Am Weihnachtsonntag kam er zu mir,

In Jack' und Schurzfell, und roch nach Bier

Und sprach zwei Stunden zu meiner Qual

Von Zinsen und von Kapital;

Ein Kerl, vor dem mich Gott bewahr!

Hat keinen Festtag im ganzen Jahr.

 

 

In der Frühe

Goldstrahlen schießen übers Dach,

Die Hähne krähn den Morgen wach;

Nun einer hier, nun einer dort,

So kräht es nun von Ort zu Ort.

Und in der Ferne stirbt der Klang –

Ich höre nichts, ich horche lang.

Ihr wackern Hähne, krähet doch!

Sie schlafen immer, immer noch.

 

 

Aus der Marsch

Der Ochse frißt das feine Gras

Und läßt die groben Halme stehen;

Der Bauer schreitet hinterdrein

Und fängt bedächtig an zu mähen.

 

Und auf dem Stall zur Winterszeit,

Wie wacker steht der Ochs zu kauen!

Was er als grünes Gras verschmäht,

Das muß er nun als Heu verdauen.

 

 

Am Aktentisch

Da hab ich den ganzen Tag dekretiert;

Und es hätte mich fast wie so manchen verführt:

Ich spürte das kleine dumme Vergnügen,

Was abzumachen, was fertigzukriegen.

 

 

Sturmnacht

Im Hinterhaus, im Fliesensaal

Über Urgroßmutters Tisch' und Bänke,

Über die alten Schatullen und Schränke

Wandelt der zitternde Mondenstrahl.

Vom Wald kommt der Wind

Und fährt an die Scheiben;

Und geschwind, geschwind

Schwatzt er ein Wort,

Und dann wieder fort

Zum Wald über Föhren und Eiben.

 

Da wird auch das alte verzauberte Holz

Da drinnen lebendig;

Wie sonst im Walde will es stolz

Die Kronen schütteln unbändig,

Mit den Ästen greifen hinaus in die Nacht,

Mit dem Sturm sich schaukeln in brausender Jagd,

Mit den Blättern in Übermut rauschen,

Beim Tanz im Flug

Durch Wolkenzug

Mit dem Mondlicht silberne Blicke tauschen.

 

Da müht sich der Lehnstuhl, die Arme zu recken,

Den Rokokofuß will das Kanapee strecken,

In der Kommode die Schubfächer drängen

Und wollen die rostigen Schlösser sprengen;

Der Eichschrank unter dem kleinen Troß

Steht da, ein finsterer Koloß.

Traumhaft regt er die Klauen an,

Ihm zuckt's in der verlornen Krone;

Doch bricht er nicht den schweren Bann. –

Und draußen pfeift ihm der Wind zum Hohne

Und fährt an die Läden und rüttelt mit Macht,

Bläst durch die Ritzen, grunzt und lacht,

Schmeißt die Fledermäuse, die kleinen Gespenster,

Klitschend gegen die rasselnden Fenster.

Die glupen dumm neugierig hinein –

Da drinn' steht voll der Mondenschein.

 

Aber droben im Haus

Im behaglichen Zimmer

Beim Sturmgebraus

Saßen und schwatzten die Alten noch immer,

Nicht hörend, wie drunten die Saaltür sprang,

Wie ein Klang war erwacht

Aus der einsamen Nacht,

Der schollernd drang

Über Trepp' und Gang,

Daß drin in der Kammer die Kinder mit Schrecken

Auffuhren und schlüpften unter die Decken.

 

Waldweg

Fragment

 

Durch einen Nachbarsgarten ging der Weg,

Wo blaue Schlehn im tiefen Grase standen;

Dann durch die Hecke über schmalen Steg

Auf eine Wiese, die an allen Randen

Ein hoher Zaun vielfarb'gen Laubs umzog;

Buscheichen unter wilden Rosenbüschen,

Um die sich frei die Geißblattranke bog,

Brombeergewirr und Hülsendorn dazwischen;

Vorbei an Farrenkräutern wob der Eppich

Entlang des Walles seinen dunklen Teppich.

Und vorwärtsschreitend störte bald mein Tritt

Die Biene auf, die um die Distel schwärmte,

Bald hörte ich, wie durch die Gräser glitt

Die Schlange, die am Sonnenstrahl sich wärmte.

Sonst war es kirchenstill in alle Weite,

Kein Vogel hörbar; nur an meiner Seite

Sprang schnaufend ab und zu des Oheims Hund;

Denn nicht allein wär ich um solche Zeit

Gegangen zum entlegnen Waldesgrund;

Mir graute vor der Mittagseinsamkeit. –

Heiß war die Luft, und alle Winde schliefen;

Und vor mir lag ein sonnig offner Raum,

Wo quer hindurch schutzlos die Steige liefen.

Wohl hatt ich's sauer und ertrug es kaum;

Doch rascher schreitend überwand ich's bald.

Dann war ein Bach, ein Wall zu überspringen;

Dann noch ein Steg, und vor mir lag der Wald,

In dem schon herbstlich rot die Blätter hingen.

Und drüberher, hoch in der blauen Luft,

Stand beutesüchtig ein gewalt'ger Weih,

Die Flügel schlagend durch den Sonnenduft;

Tief aus der Holzung scholl des Hähers Schrei.

Herbstblätterduft und Tannenharzgeruch

Quoll mir entgegen schon auf meinem Wege,

Und dort im Walle schimmerte der Bruch,

Durch den ich meinen Pfad nahm ins Gehege.

Schon streckten dort gleich Säulen der Kapelle

Ans Laubgewölb die Tannenstämme sich;

Dann war's erreicht, und wie an Kirchenschwelle

Umschauerte die Schattenkühle mich.

 

 

Eine Frühlingsnacht

Im Zimmer drinnen ist's so schwül;

Der Kranke liegt auf dem heißen Pfühl.

 

Im Fieber hat er die Nacht verbracht;

Sein Herz ist müde, sein Auge verwacht.

 

Er lauscht auf der Stunden rinnenden Sand;

Er hält die Uhr in der weißen Hand.

 

Er zählt die Schläge, die sie pickt,

Er forschet, wie der Weiser rückt;

 

Es fragt ihn, ob er noch leb' vielleicht,

Wenn der Weiser die schwarze Drei erreicht.

 

Die Wartfrau sitzt geduldig dabei,

Harrend, bis alles vorüber sei. –

 

Schon auf dem Herzen drückt ihn der Tod;

Und draußen dämmert das Morgenrot.

 

An die Fenster klettert der Frühlingstag.

Mädchen und Vögel werden wach.

 

Die Erde lacht in Liebesschein,

Pfingstglocken läuten das Brautfest ein;

 

Singende Bursche ziehn übers Feld

Hinein in die blühende, klingende Welt. –

 

Und immer stiller wird es drin;

Die Alte tritt zum Kranken hin.

 

Der hat die Hände gefaltet dicht;

Sie zieht ihm das Laken übers Gesicht.

 

Dann geht sie fort. Stumm wird's und leer;

Und drinnen wacht kein Auge mehr.

 

 

Der Zweifel

Der Glaube ist zum Ruhen gut,

Doch bringt er nicht von der Stelle;

Der Zweifel in ehrlicher Männerfaust,

Der sprengt die Pforten der Hölle.

 

 

Februar

Im Winde wehn die Lindenzweige,

Von roten Knospen übersäumt;

Die Wiegen sind's, worin der Frühling

Die schlimme Winterzeit verträumt.

 

 

März

Und aus der Erde schauet nur

Alleine noch Schneeglöckchen;

So kalt, so kalt ist noch die Flur,

Es friert im weißen Röckchen.

 

 

April

Das ist die Drossel, die da schlägt,

Der Frühling, der mein Herz bewegt;

Ich fühle, die sich hold bezeigen,

Die Geister aus der Erde steigen.

Das Leben fließet wie ein Traum –

Mir ist wie Blume, Blatt und Baum.

 

 

Mai

1.

Die Kinder schreien »Vivat hoch!«

In die blaue Luft hinein;

Den Frühling setzen sie auf den Thron,

Der soll ihr König sein.

2.

 

Die Kinder haben die Veilchen gepflückt,

All, all, die da blühten am Mühlengraben.

Der Lenz ist da; sie wollen ihn fest

In ihren kleinen Fäusten haben.

Juli

 

Klingt im Wind ein Wiegenlied,

Sonne warm herniedersieht,

Seine Ähren senkt das Korn,

Rote Beere schwillt am Dorn,

Schwer von Segen ist die Flur –

Junge Frau, was sinnst du nur?

 

 

August

Inserat

 

Die verehrlichen Jungen, welche heuer

Meine Äpfel und Birnen zu stehlen gedenken,

Ersuche ich höflichst, bei diesem Vergnügen

Wo möglich insoweit sich zu beschränken,

Daß sie daneben auf den Beeten

Mir die Wurzeln und Erbsen nicht zertreten.

 

 

Im Garten

Hüte, hüte den Fuß und die Hände,

Eh sie berühren das ärmste Ding!

Denn du zertrittst eine häßliche Raupe

Und tötest den schönsten Schmetterling.

 

 

Komm, laß uns spielen

Wie bald des Sommers holdes Fest verging!

Rauh weht der Herbst; wird's denn auch Frühling wieder?

 

Da fällt ein bleicher Sonnenstrahl hernieder –

Komm, laß uns spielen, weißer Schmetterling!

 

Ach, keine Nelke, keine Rose mehr;

Am Himmel fährt ein kalt Gewölk daher!

 

Weh, wie so bald des Sommers Lust verging –

O komm! Wo bist du, weißer Schmetterling?

 

 

Herbst

1.

Schon ins Land der Pyramiden

Flohn die Störche übers Meer;

Schwalbenflug ist längst geschieden,

Auch die Lerche singt nicht mehr.

 

Seufzend in geheimer Klage

Streift der Wind das letzte Grün;

Und die süßen Sommertage,

Ach, sie sind dahin, dahin!

 

Nebel hat den Wald verschlungen,

Der dein stillstes Glück gesehn;

Ganz in Duft und Dämmerungen

Will die schöne Welt vergehn.

 

Nur noch einmal bricht die Sonne

Unaufhaltsam durch den Duft,

Und ein Strahl der alten Wonne

Rieselt über Tal und Kluft.

 

Und es leuchten Wald und Heide,

Daß man sicher glauben mag,

Hinter allem Winterleide

Lieg' ein ferner Frühlingstag.

2.

 

Die Sense rauscht, die Ähre fällt,

Die Tiere räumen scheu das Feld,

Der Mensch begehrt die ganze Welt.

3.

 

Und sind die Blumen abgeblüht,

So brecht der Äpfel goldne Bälle;

Hin ist die Zeit der Schwärmerei,

So schätzt nun endlich das Reelle!

Hinter den Tannen

 

Sonnenschein auf grünem Rasen,

Krokus drinnen blau und blaß;

Und zwei Mädchenhände tauchen

Blumen pflückend in das Gras.

 

Und ein Junge kniet daneben,

Gar ein übermütig Blut,

Und sie schaun sich an und lachen –

O wie kenn ich sie so gut!

 

Hinter jenen Tannen war es,

Jene Wiese schließt es ein –

Schöne Zeit der Blumensträuße,

Stiller Sommersonnenschein!

 

 

Vor Tag

1.

Wir harren nicht mehr ahnungsvoll

Wie sonst auf blaue Märchenwunder;

 

Wie sich das Buch entwickeln soll,

Wir wissen's ganz genau jetzunder.

 

Wir blätterten schon hin und her

– Denn ruchlos wurden unsre Hände –,

Und auf der letzten Seite sahn

Wir schon das schlimme Wörtlein Ende.

2.

 

Und geht es noch so rüstig

Hin über Stein und Steg,

Es ist eine Stelle im Wege,

Du kommst darüber nicht weg.

3.

 

Schlag erst die Stunde, wo auf Erden

Dein holdes Bildnis sich verlor,

Dann wirst du niemals wieder werden,

So wie du niemals warst zuvor.

 

4.

 

Da diese Augen nun in Staub vergehen,

So weiß ich nicht, wie wir uns wiedersehen.

Zur Taufe

 

Ein Gutachten

 

Bedenk es wohl, eh du sie taufst!

Bedeutsam sind die Namen;

Und fasse mir dein liebes Bild

Nun in den rechten Rahmen.

Denn ob der Nam' den Menschen macht,

Ob sich der Mensch den Namen,

Das ist, weshalb mir oft, mein Freund,

Bescheidne Zweifel kamen;

Eins aber weiß ich ganz gewiß:

Bedeutsam sind die Namen!

So schickt für Mädchen Lisbeth sich,

Elisabeth für Damen;

Auch fing sich oft ein Freier schon,

Dem Fischlein gleich am Hamen,

An einem ambraduftigen,

Klanghaften Mädchennamen.

 

 

Morgane

An regentrüben Sommertagen,

Wenn Luft und Flut zusammenragen

Und ohne Regung schläft die See,

Dann steht an unserm grauen Strande

Das Wunder aus dem Morgenlande,

Morgane, die berufne Fee.

 

Arglistig halb und halb von Sinne,

Verschmachtend nach dem Kelch der Minne,

Der stets an ihrem Mund versiegt,

Umgaukelt sie des Wandrers Pfade

Und lockt ihn an ein Scheingestade,

Das in des Todes Reichen liegt.

 

Von ihrem Zauberspiel geblendet,

Ruht manches Haupt in Nacht gewendet,

Begraben in der Wüste Schlucht;

Denn ihre Liebe ist Verderben,

Ihr Hauch ist Gift, ihr Kuß ist Sterben,

Die schönen Augen sind verflucht.

 

So steht sie jetzt im hohen Norden

An unsres Meeres dunklen Borden,

So schreibt sie fingernd in den Dunst;

Und quellend aus den luft'gen Spuren

Erstehn in dämmernden Konturen

Die Bilder ihrer argen Kunst.

 

Doch hebt sich nicht wie dort im Süden

Auf rosigen Karyatiden

Ein Wundermärchenschloß ins Blau;

Nur einer Hauberg graues Bildnis

Schwimmt einsam in der Nebelwildnis,

Und keinen lockt der Hexenbau.

 

Bald wechselt sie die dunkle Küste

Mit Libyens sonnengelber Wüste

Und mit der Tropenwälder Duft;

Dann bläst sie lachend durch die Hände,

Dann schwankt das Haus, und Fach und Wände

Verrinnen quirlend in die Luft.

 

 

Ostern

Es war daheim auf unserm Meeresdeich;

Ich ließ den Blick am Horizonte gleiten,

Zu mir herüber scholl verheißungsreich

Mit vollem Klang das Osterglockenläuten.

 

Wie brennend Silber funkelte das Meer,

Die Inseln schwammen auf dem hohen Spiegel,

Die Möwen schossen blendend hin und her,

Eintauchend in die Flut die weißen Flügel.

 

Im tiefen Kooge bis zum Deichesrand

War sammetgrün die Wiese aufgegangen;

Der Frühling zog prophetisch über Land,

Die Lerchen jauchzten und die Knospen sprangen. –

 

Entfesselt ist die urgewalt'ge Kraft,

Die Erde quillt, die jungen Säfte tropfen,

Und alles treibt, und alles webt und schafft,

Des Lebens vollste Pulse hör ich klopfen.

 

Der Flut entsteigt der frische Meeresduft;

Vom Himmel strömt die goldne Sonnenfülle;

Der Frühlingswind geht klingend durch die Luft

Und sprengt im Flug des Schlummers letzte Hülle.

 

O wehe fort, bis jede Knospe bricht,

Daß endlich uns ein ganzer Sommer werde;

Entfalte dich, du gottgebornes Licht,

Und wanke nicht, du feste Heimaterde! –

 

Hier stand ich oft, wenn in Novembernacht

Aufgor das Meer zu gischtbestäubten Hügeln,

Wenn in den Lüften war der Sturm erwacht,

Die Deiche peitschend mit den Geierflügeln.

 

Und jauchzend ließ ich an der festen Wehr

Den Wellenschlag die grimmen Zähne reiben;

Denn machtlos, zischend schoß zurück das Meer –

Das Land ist unser, unser soll es bleiben!

 

 

Nach Reisegesprächen

Vorwärts lieber laß uns schreiten

Durch die deutschen Nebelschichten,

Als auf alten Träumen reiten

Und auf römischen Berichten!

Denn mir ist, als säh ich endlich

Unter uns ein Bild entfalten;

Dunkel erst, doch bald verständlich

Sich erheben die Gestalten;

Hauf an Haufen im Getümmel,

Nun zerrissen, nun zusammen;

An dem grauverhangnen Himmel

Zuckt es wie von tausend Flammen.

Hört ihr, wie die Büchsen knallen?

Wutgeschrei durchfegt die Lüfte;

Und die weißen Nebel wallen,

Und die Brüder stehn und fallen –

Hoher Tag und tiefe Grüfte!

 

 

Im Herbste 1850

Und schauen auch von Turm und Tore

Der Feinde Wappen jetzt herab,

Und rissen sie die Trikolore

Mit wüster Faust von Kreuz und Grab;

 

Und müßten wir nach diesen Tagen

Von Herd und Heimat bettelnd gehn –

Wir wollen's nicht zu laut beklagen;

Mag, was da muß, mit uns geschehn!

 

Und wenn wir hülfelos verderben,

Wo keiner unsre Schmerzen kennt,

Wir lassen unsern spätsten Erben

Ein treu besiegelt Testament;

 

Denn kommen wird das frische Werde,

Das auch bei uns die Nacht besiegt,

Der Tag, wo diese deutsche Erde

Im Ring des großen Reiches liegt.

 

Ein Wehe nur und eine Schande

Wird bleiben, wenn die Nacht verschwand:

Daß in dem eignen Heimatlande

Der Feind die Bundeshelfer fand;

 

Daß uns von unsern eignen Brüdern

Der bittre Stoß zum Herzen drang,

Die einst mit deutschen Wiegenliedern

Die Mutter in den Schlummer sang;

 

Die einst von deutscher Frauen Munde

Der Liebe holden Laut getauscht,

Die in des Vaters Sterbestunde

Mit Schmerz auf deutsches Wort gelauscht.

 

Nicht viele sind's und leicht zu kennen –

O haltet ein! Ihr dürft sie nicht

In Mitleid noch im Zorne nennen,

Nicht in Geschichte noch Gedicht.

 

Laßt sie, wenn frei die Herzen klopfen,

Vergessen und verschollen sein,

Und mischet nicht die Wermutstropfen

In den bekränzten deutschen Wein!

 

 

Gräber an der Küste

Mit Kränzen haben wir das Grab geschmückt,

Die stille Wiege unsrer jungen Toten;

Den grünsten Efeu haben wir gepflückt,

Die spätsten Astern, die das Jahr geboten.

 

Hier ruhn sie waffenlos in ihrer Gruft,

Die man hinaustrug aus dem Pulverdampfe;

Vom Strand herüber weht der Meeresduft,

Die Schläfer kühlend nach dem heißen Kampfe.

 

Es steigt die Flut; vom Ring des Deiches her

Im Abendschein entbrennt der Wasserspiegel;

Ihr schlafet schön! Das heimatliche Meer

Wirft seinen Glanz auf euren dunklen Hügel.

 

Und rissen sie die Farben auch herab,

Für die so jung ihr ginget zu den Bleichen,

Oh, schlafet ruhig! Denn von Grab zu Grab

Wehn um euch her der Feinde Wappenzeichen.

 

Nicht euch zum Ruhme sind sie aufgesteckt;

Doch künden sie, daß eure Kugeln trafen,

Daß, als ihr euch zur ew'gen Ruh gestreckt,

Den Feind ihr zwanget, neben euch zu schlafen.

 

Ihr aber, denen ohne Trommelschlag

Durch Feindeshand bereitet ward der Rasen,

Hört dieses Lied! und harret auf den Tag,

Daß unsre Reiter hier Reveille blasen! –

 

Doch sollte dieser heiße Lebensstreit

Verlorengehn wie euer Blut im Sande

Und nur im Reiche der Vergangenheit

Der Name leben dieser schönen Lande:

 

In diesem Grabe, wenn das Schwert zerbricht,

Liegt deutsche Ehre fleckenlos gebettet!

Beschützen konntet ihr die Heimat nicht,

Doch habt ihr sterbend sie vor Schmach gerettet.

 

Nun ruht ihr, wie im Mutterschoß das Kind,

Und schlafet aus auf heimatlichem Kissen;

Wir andern aber, die wir übrig sind,

Wo werden wir im Elend sterben müssen!

 

Schon hatten wir zu festlichem Empfang

Mit Kränzen in der Hand das Haus verlassen;

Wir standen harrend ganze Nächte lang,

Doch nur die Toten zogen durch die Gassen.-

 

So nehmet denn, ihr Schläfer dieser Gruft,

Die spätsten Blumen, die das Jahr geboten!

Schon fällt das Laub im letzten Sonnenduft –

Auch dieses Sommers Kranz gehört den Toten.

 

 

Ein Epilog

Ich hab es mir zum Trost ersonnen

In dieser Zeit der schweren Not,

In dieser Blütezeit der Schufte,

In dieser Zeit von Salz und Brot.

 

Ich zage nicht, es muß sich wenden,

Und heiter wird die Welt erstehn,

Es kann der echte Keim des Lebens

Nicht ohne Frucht verlorengehn.

 

Der Klang von Frühlingsungewittern,

Von dem wir schauernd sind erwacht,

Von dem noch alle Wipfel rauschen,

Er kommt noch einmal, über Nacht!

 

Und durch den ganzen Himmel rollen

Wird dieser letzte Donnerschlag;

Dann wird es wirklich Frühling werden

Und hoher, heller, goldner Tag.

 

Heil allen Menschen, die es hören!

Und Heil dem Dichter, der dann lebt

Und aus dem offnen Schacht des Lebens

Den Edelstein der Dichtung hebt!

1. Januar 1851

 

Sie halten Siegesfest, sie ziehn die Stadt entlang;

Sie meinen, Schleswig-Holstein zu begraben.

Brich nicht, mein Herz! Noch sollst du Freude haben;

Wir haben Kinder noch, wir haben Knaben,

Und auch wir selber leben, Gott sei Dank!

 

 

Im Zeichen des Todes

Noch war die Jugend mein, die schöne, ganze,

Ein Morgen nur, ein Gestern gab es nicht;

Da sah der Tod im hellsten Sonnenglanze,

Mein Haar berührend, mir ins Angesicht.

 

Die Welt erlosch, der Himmel brannte trübe;

Ich sprang empor entsetzt und ungestüm.

Doch er verschwand; die Ewigkeit der Liebe

Lag vor mir noch und trennte mich von ihm.

 

Und heute nun – im sonnigen Gemache

Zur Rechten und zur Linken schlief mein Kind;

Des zarten Atems lauschend, hielt ich Wache,

Und an den Fenstern ging der Sommerwind.

 

Da sanken Nebelschleier dicht und dichter

Auf mich herab; kaum schienen noch hervor

Der Kinder schlummerselige Gesichter,

Und nicht mehr drang ihr Atem an mein Ohr.

 

Ich wollte rufen; doch die Stimme keuchte,

Bis hell die Angst aus meinem Herzen schrie.

Vergebens doch; kein Schrei der Angst erreichte,

Kein Laut der Liebe mehr erreichte sie.

 

In grauer Finsternis stand ich verlassen,

Bewegungslos und schauernden Gebeins;

Ich fühlte kalt mein schlagend Herz erfassen,

Und ein entsetzlich Auge sank in meins.

 

Ich floh nicht mehr; ich fesselte das Grauen

Und faßte mühsam meines Auges Kraft;

Dann überkam vorahnend mich Vertrauen

Zu dem, der meine Sinne hielt in Haft.

 

Und als ich fest den Blick zurückgegeben,

Lag plötzlich tief zu Füßen mir die Welt;

Ich sah mich hoch und frei ob allem Leben

An deiner Hand, furchtbarer Fürst, gestellt.

 

Den Dampf der Erde sah empor ich streben

Und ballen sich zu Mensch- und Tiergestalt;

Sah es sich schütteln, tasten, sah es leben

Und taumeln dann und schwinden alsobald.

 

Im fahlen Schein im Abgrund sah ich's liegen

Und sah sich's regen in der Städte Rauch;

Ich sah es wimmeln, hasten, sich bekriegen

Und sah mich selbst bei den Gestalten auch.

 

Und niederschauend von des Todes Warte,

Kam mir der Drang, das Leben zu bestehn,

Die Lust, dem Feind, der unten meiner harrte,

Mit vollem Aug ins Angesicht zu sehn.

 

Und kühlen Hauches durch die Adern rinnen

Fühlt ich die Kraft, entgegen Lust und Schmerz

Vom Leben fest mich selber zu gewinnen,

Wenn andres nicht, so doch ein ganzes Herz. –

 

Da fühlt ich mich im Sonnenlicht erwachen;

Es dämmerte, verschwebte und zerrann;

In meine Ohren klang der Kinder Lachen,

Und frische, blaue Augen sahn mich an.

 

O schöne Welt! So sei in ernstem Zeichen

Begonnen denn der neue Lebenstag!

Es wird die Stirn nicht allzusehr erbleichen,

Auf der, o Tod, dein dunkles Auge lag.

 

Ich fühle tief, du gönnetest nicht allen

Dein Angesicht; sie schauen dich ja nur,

Wenn sie dir taumelnd in die Arme fallen,

Ihr Los erfüllend gleich der Kreatur.

 

Mich aber laß unirren Augs erblicken,

Wie sie, von keiner Ahnung angeweht,

Brutalen Sinns ihr nichtig Werk beschicken,

Unkundig deiner stillen Majestät.

 

 

Weihnachtabend

Die fremde Stadt durchschritt ich sorgenvoll,

Der Kinder denkend, die ich ließ zu Haus.

Weihnachten war's; durch alle Gassen scholl

Der Kinderjubel und des Markts Gebraus.

 

Und wie der Menschenstrom mich fortgespült,

Drang mir ein heiser Stimmlein in das Ohr:

»Kauft, lieber Herr!« Ein magres Händchen hielt

Feilbietend mir ein ärmlich Spielzeug vor.

 

Ich schrak empor, und beim Laternenschein

Sah ich ein bleiches Kinderangesicht;

Wes Alters und Geschlechts es mochte sein,

Erkannt ich im Vorübertreiben nicht.

 

Nur von dem Treppenstein, darauf es saß,

Noch immer hört ich, mühsam, wie es schien:

»Kauft, lieber Herr!« den Ruf ohn Unterlaß;

Doch hat wohl keiner ihm Gehör verliehn.

 

Und ich? – War's Ungeschick, war es die Scham,

Am Weg zu handeln mit dem Bettelkind?

Eh meine Hand zu meiner Börse kam,

Verscholl das Stimmlein hinter mir im Wind.

 

Doch als ich endlich war mit mir allein,

Erfaßte mich die Angst im Herzen so,

Als säß mein eigen Kind auf jenem Stein

Und schrie nach Brot, indessen ich entfloh.

 

 

Abschied

Kein Wort, auch nicht das kleinste, kann ich sagen,

Wozu das Herz den vollen Schlag verwehrt;

Die Stunde drängt, gerüstet steht der Wagen,

Es ist die Fahrt der Heimat abgekehrt.

 

Geht immerhin – denn eure Tat ist euer –

Und widerruft, was einst das Herz gebot;

Und kauft, wenn dieser Preis euch nicht zu teuer,

Dafür euch in der Heimat euer Brot!

 

Ich aber kann des Landes nicht, des eignen,

In Schmerz verstummte Klagen mißverstehn;

Ich kann die stillen Gräber nicht verleugnen,

Wie tief sie jetzt in Unkraut auch vergehn.-

 

Du, deren zarte Augen mich befragen –

Der dich mir gab, gesegnet sei der Tag!

Laß nur dein Herz an meinem Herzen schlagen,

Und zage nicht! Es ist derselbe Schlag.

 

Es strömt die Luft – die Knaben stehn und lauschen,

Vom Strand herüber dringt ein Möwenschrei;

Das ist die Flut! Das ist des Meeres Rauschen!

Ihr kennt es wohl; wir waren oft dabei.

 

Von meinem Arm in dieser letzten Stunde

Blickt einmal noch ins weite Land hinaus,

Und merkt es wohl, es steht auf diesem Grunde,

Wo wir auch weilen, unser Vaterhaus.

 

Wir scheiden jetzt, bis dieser Zeit Beschwerde

Ein andrer Tag, ein besserer, gesühnt;

Denn Raum ist auf der heimatlichen Erde

Für Fremde nur und was den Fremden dient.

 

Doch ist's das flehendste von den Gebeten,

Ihr mögt dereinst, wenn mir es nicht vergönnt,

Mit festem Fuß auf diese Scholle treten,

Von der sich jetzt mein heißes Auge trennt! –

 

Und du, mein Kind, mein jüngstes, dessen Wiege

Auch noch auf diesem teuren Boden stand,

Hör mich! – denn alles andere ist Lüge –

Kein Mann gedeihet ohne Vaterland!

 

Kannst du den Sinn, den diese Worte führen,

Mit deiner Kinderseele nicht verstehn,

So soll es wie ein Schauer dich berühren

Und wie ein Pulsschlag in dein Leben gehn!

 

 

Für meine Söhne

Hehle nimmer mit der Wahrheit!

Bringt sie Leid, nicht bringt sie Reue;

Doch, weil Wahrheit eine Perle,

Wirf sie auch nicht vor die Säue.

 

Blüte edelsten Gemütes

Ist die Rücksicht; doch zuzeiten

Sind erfrischend wie Gewitter

Goldne Rücksichtslosigkeiten.

 

Wackrer heimatlicher Grobheit

Setze deine Stirn entgegen;

Artigen Leutseligkeiten

Gehe schweigend aus den Wegen.

 

Wo zum Weib du nicht die Tochter

Wagen würdest zu begehren,

Halte dich zu wert, um gastlich

In dem Hause zu verkehren.

 

Was du immer kannst, zu werden,

Arbeit scheue nicht und Wachen;

Aber hüte deine Seele

Vor dem Karrieremachen.

 

Wenn der Pöbel aller Sorte

Tanzet um die goldnen Kälber,

Halte fest: du hast vom Leben

Doch am Ende nur dich selber.

 

 

Crucifixus

Am Kreuz hing sein gequält Gebeine,

Mit Blut besudelt und geschmäht;

Dann hat die stets jungfräulich reine

Natur das Schreckensbild verweht.

 

Doch die sich seine Jünger nannten,

Die formten es in Erz und Stein,

Und stellten's in des Tempels Düster

Und in die lichte Flur hinein.

 

So, jedem reinen Aug ein Schauder,

Ragt es herein in unsre Zeit;

Verewigend den alten Frevel,

Ein Bild der Unversöhnlichkeit.

 

 

Auf dem Segeberg

Hier stand auch einer Frauen Wiege,

Die Wiege einer deutschen Frau;

Die schaut mich an mit Augen blau,

Und auf dem Felsen, drauf ich liege,

Schließt sie mich plötzlich an die Brust.

Da werd ich mir des Glücks bewußt;

Ich seh die Welt so unvergänglich,

Voll Schönheit mir zu Füßen ruhn;

Und alle Sorgen, die so bänglich

Mein Herz bedrängten, schweigen nun.

Musik! Musik! Die Lerchen singen,

Aus Wies' und Wäldern steigt Gesang,

Die Mücken in den Lüften schwingen

Den süßen Sommerharfenklang.

Und unten auf besonnter Flur

Seh ich des Kornes Wellen treiben,

In blauen Wölkchen drüber stäuben

Ein keusch Geheimnis der Natur. –

Da tauchen an des Berges Seite

Zwei Köpfchen auf aus dem Gestein;

Zwei Knaben steigen durchs Gekräute;

Und sie sind unser, mein und dein.

Sie jauchzen auf, die Felsen klingen;

Mein Bursche schlank, mein Bursche klein!

Schau, wie sie purzeln, wie sie springen,

Und jeder will der erste sein.

In Kinderlust die Wangen glühen;

Die Welt, die Welt, o wie sie lacht!

Nun hängen sie an deinen Knien,

Nun an den meinen unbedacht;

Der Große hier, und hier der Kleine,

Sie halten mich so eng umfaßt,

Daß in den Thymian der Steine

Mich hinzieht die geliebte Last.

Die Schatten, die mein Auge trübten,

Die letzten, scheucht der Kindermund;

Ich seh der Heimat, der geliebten,

Zukunft in dieser Augen Grund.

 

 

Trost

So komme, was da kommen mag!

Solang du lebest, ist es Tag.

 

Und geht es in die Welt hinaus,

Wo du mir bist, bin ich zu Haus.

 

Ich seh dein liebes Angesicht,

Ich sehe die Schatten der Zukunft nicht.

 

 

Gedenkst du noch?

Gedenkst du noch, wenn in der Frühlingsnacht

Aus unserm Kammerfenster wir hernieder

Zum Garten schauten, wo geheimnisvoll

Im Dunkel dufteten Jasmin und Flieder?

Der Sternenhimmel über uns so weit,

Und du so jung; unmerklich geht die Zeit.

 

Wie still die Luft! Des Regenpfeifers Schrei

Scholl klar herüber von dem Meeresstrande;

Und über unsrer Bäume Wipfel sahn

Wir schweigend in die dämmerigen Lande.

Nun wird es wieder Frühling um uns her,

Nur eine Heimat haben wir nicht mehr.

 

Nun horch ich oft, schlaflos in tiefer Nacht,

Ob nicht der Wind zur Rückfahrt möge wehen.

Wer in der Heimat erst sein Haus gebaut,

Der sollte nicht mehr in die Fremde gehen!

Nach drüben ist sein Auge stets gewandt:

Doch eines blieb – wir gehen Hand in Hand.

 

 

Du warst es doch

In buntem Zug zum Walde ging's hinaus;

Du bei den Kindern bliebst allein zu Haus.

Und draußen haben wir getanzt, gelacht,

Und kaum, so war mir, hatt ich dein gedacht. –

Nun kommt der Abend, und die Zeit beginnt,

Wo auf sich selbst die Seele sich besinnt;

Nun weiß ich auch, was mich so froh ließ sein,

Du warst es doch, und du nur ganz allein.

 

 

Am Geburtstage

Es heißt wohl: Vierzig Jahr ein Mann!

Doch Vierzig fängt die Fünfzig an.

 

Es liegt die frische Morgenzeit

Im Dunkel unter mir so weit,

 

Daß ich erschrecke, wenn ein Strahl

In diese Tiefe fällt einmal.

 

Schon weht ein Lüftlein von der Gruft,

Das bringt den Herbst-Resedaduft.

 

 

Schlaflos

Aus Träumen in Ängsten bin ich erwacht;

Was singt doch die Lerche so tief in der Nacht!

 

Der Tag ist gegangen, der Morgen ist fern,

Aufs Kissen hernieder scheinen die Stern'.

 

Und immer hör ich den Lerchengesang;

O Stimme des Tages, mein Herz ist bang.

 

 

Gartenspuk

Daheim noch war es; spät am Nachmittag.

Im Steinhof unterm Laub des Eschenbaums

Ging schon der Zank der Sperlinge zur Ruh;

Ich, an der Hoftür, stand und lauschte noch,

Wie Laut um Laut sich mühte und entschlief.

Der Tag war aus; schon vom Levkojenbeet

Im Garten drüben kam der Abendduft;

Die Schatten fielen; bläulich im Gebüsch

Wie Nebel schwamm es. Träumend blieb ich stehn,

Gedankenlos, und sah den Steig hinab;

Und wieder sah ich – und ich irrte nicht –

Tief unten, wo im Grund der Birnbaum steht,

Langsam ein Kind im hohen Grase gehen;

Ein Knabe schien's, im grauen Kittelchen.

Ich kannt es wohl, denn schon zum öftern Mal

Sah dort im Dämmer ich so holdes Bild;

Die Abendstille schien es herzubringen,

Doch näher tretend fand man es nicht mehr.

Nun ging es wieder, stand und ging umher,

Als freu es sich der Garteneinsamkeit. –

Ich aber, diesmal zu beschleichen es,

Ging leise durch den Hof und seitwärts dann

Im Schatten des Holunderzauns entlang,

Sorgsam die Schritte messend; einmal nur

Nach einer Erdbeerranke bückt ich mich,

Die durch den Weg hinausgelaufen war.

Schon schlüpft ich bei der Geißblattlaube durch;

Ein Schritt noch ums Gebüsch, so war ich dort,

Und mit den Händen mußt ich's greifen können.

Umsonst! – Als ich den letzten Schritt getan,

Da war es wieder wie hinweggetäuscht.

Still stand das Gras, und durch den grünen Raum

Flog surrend nur ein Abendschmetterling;

Auch an den Linden, an den Fliederbüschen,

Die ringsum standen, regte sich kein Blatt.

Nachsinnend schritt ich auf dem Rasen hin

Und suchte töricht nach der Füßchen Spur

Und nach den Halmen, die ihr Tritt geknickt;

Dann endlich trat ich aus der Gartentür,

Um draußen auf dem Deich den schwülen Tag

Mit einem Gang im Abendwind zu schließen.

Doch als ich schon die Pforte zugedrückt,

Den Schlüssel abzog, fiel ein Sonnenriß,

Der in der Planke war, ins Auge mir;

Und fast unachtsam lugte ich hindurch.

Dort lag der Rasen, tief im Schatten schon;

Und sieh! Da war es wieder, unweit ging's,

Grasrispen hatt es in die Hand gepflückt;

Ich sah es deutlich... In sein blaß Gesichtchen

Fiel schlicht das Haar; die Augen sah man nicht,

Sie blickten erdwärts, gern, so schien's, betrachtend,

Was dort geschah; doch lächelte der Mund.

Und nun an einem Eichlein kniet' es hin,

Das spannenhoch kaum aus dem Grase sah

– Vom Walde hatt ich jüngst es heimgebracht –,

Und legte sacht ein welkes Blatt beiseit

Und strich liebkosend mit der Hand daran.

Darauf – kaum nur vermocht ich's zu erkennen;

Denn Abend ward es, doch ich sah's genau –

Ein Käfer klomm den zarten Stamm hinauf,

Bis endlich er das höchste Blatt erreicht;

Er hatte wohl den heißen Tag verschlafen

Und rüstete sich nun zum Abendflug.

Rückwärts die Händchen ineinanderlegend,

Behutsam sah das Kind auf ihn herab.

Schon putzte er die Fühler, spannte schon

Die Flügeldecken aus, ein Weilchen, und

Nun flog er fort. Da nickt' es still ihm nach.

 

Ich aber dachte: ›Rühre nicht daran!‹

Hob leis die Stirn und ging den Weg hinab,

Den Garten lassend in so holder Hut.

Nicht merkt ich, daß einsam die Wege wurden,

Daß feucht vom Meere strich die Abendluft;

Erfüllet ganz von süßem Heimgefühl,

Ging weit ich in die Dunkelheit hinaus.

 

Da fiel ein Stern; und plötzlich mahnt' es mich

Des Augenblicks, da ich das Haus verließ,

Die Hand entreißend einer zarteren,

Die drin im Flur mich festzuhalten strebte;

Denn schon selbander hausete ich dort. –

Nun ging ich raschen Schritts den Weg zurück;

Und als ich spät, da schon der Wächter rief,

Heimkehrend wieder durch den Garten schritt,

Hing stumm die Finsternis in Halm und Zweigen,

Die Kronen kaum der Bäume rauschten leis.

Vom Hause her nur, wo im Winkel dort

Der Nußbaum vor dem Kammerfenster steht,

Verstohlen durch die Zweige schien ein Licht.

Ein Weilchen noch, und sieh! ein Schatten fiel,

Ein Fenster klang, und in die Nacht hinaus

Rief eine Stimme: »Bist du's?« – »Ja, ich bin's!«

 

Die Zeit vergeht; längst bin ich in der Fremde,

Und Fremde hausen, wo mein Erbe steht.

Doch bin ich einmal wieder dort gewesen;

Mir nicht zur Freude und den andern nicht.

Einmal auch in der Abenddämmerung

Geriet ich in den alten Gartenweg.

Da stand die Planke; wie vor Jahren schon

Hing noch der Linden schön Gezweig herab;

Von drüben kam Resedaduft geweht,

Und Dämmrungsfalter flogen durch die Luft.

Ging's noch so hold dort in der Abendstunde? –

Fest und verschlossen stand die Gartentür;

Dahinter stumm lag die vergangne Zeit.

Ausstreckt ich meine Arme; denn mir war,

Als sei im Rasen dort mein Herz versenkt. –

Da fiel mein Aug auf jenen Sonnenriß,

Der noch, wie ehmals, ließ die Durchsicht frei.

Schon hatt ich zögernd einen Schritt getan;

Noch einmal blicken wollt ich in den Raum,

Darin ich sonst so festen Fußes ging.

Nicht weiter kam ich. Siedend stieg mein Blut,

Mein Aug ward dunkel; Grimm und Heimweh stritten

Sich um mein Herz; und endlich, leidbezwungen,

Ging ich vorüber. Ich vermocht es nicht.

 

 

Immensee

Aus diesen Blättern steigt der Duft des Veilchens,

Das dort zu Haus auf unsern Heiden stand,

Jahraus und -ein, von welchem keiner wußte,

Und das ich später nirgends wieder fand.

 

 

»Ein grünes Blatt«

Verlassen trauert nun der Garten,

Der uns so oft vereinigt hat;

Da weht der Wind zu euern Füßen

Vielleicht sein letztes grünes Blatt.

 

 

Notgedrungener Prolog

zu einer Aufführung des »Peter Squentz« von Gryphius

 

Der Pickelhering tritt auf

 

Hier mach ich euch mein Kompliment!

Der Pickelhering bin ich genennt.

War einst bei deutscher Nation

Eine wohlansehnliche Person;

Hatt mich in Schlössern und auf Gassen

Nicht Schimpf noch Sprung verdrießen lassen

Und mit manch ungefügem Stoß

Mein' sauren Ruhm gezogen groß.

Doch, Undank ist der Welt ihr Lohn!

Seit war ich lang vergessen schon;

Verschlief nun in der Rumpelkammer

All Lebensnot und Erdenjammer;

Da haben sie mich über Nacht

Plötzlich wieder ans Licht gebracht.

Wollen ein alt brav Stück tragieren,

Drin meine Kunst noch tut florieren,

Ein Stück, darinnen sich von zwei

Nationen zeiget die Poesei!

Ein Engländer Shakespeare hat es ersonnen

– Hab sonst just nichts von ihm vernommen –,

Dann aber hat es Herr Gryphius,

Der gelahrte Poete und Syndikus,

In rechten Schick und Schlag gebracht

Und den deutschen Witz hineingemacht.

Da hört ihr, wie ein ernster Mann

Auch einmal feste spaßen kann.

 

Doch, Lieber, sag mir, wenn's gefällt

– Ich war so lang schon außen der Welt –,

Herr Professor Gottsched ist doch nicht zugegen? –

Ich gehe demselben gern aus den Wegen;

Es ist ein gar gewaltsamer Mann

Und hat mir übel Leids getan;

Meinen guten Vetter Hans Wursten hat er

Zu Leipzig gejaget vom Theater,

Weil er zu kräftiglich tät spaßen.

Hätte ja mit sich handeln lassen!

Wir – haben unsre Kurzweil auch;

Doch, Lieber, alles nach Fug und Brauch!

Denn sonders vor dem Frauenzimmer

Muß man subtile reden immer;

Sie zeuchen das Sacktuch sonst vors Gesicht,

Und da schauen sie die Komödia nicht.

Dies aber wär schad überaus;

Denn es ist ein ganzer Blumenstrauß!

Tulipanen und Rosmarin,

Auch Kaiserkronen sind darin;

Die Vergißmeinnichte, so es zieren,

Werden euch sanft das Herze rühren;

Mitunter ist dann auch etwan

Ein deutscher Kohl dazugetan;

Und sollt eine Saudistel drinnen sein,

Das wollt ihr mildiglich verzeihn!

Und nun, Lieber, hab guten Mut,

Und merke, was sich zutragen tut!

Denke: Ein Maul ist kein Rachen,

Eine Kröt ist kein Drachen,

Ein Fingerlein ist kein Maß –

Aber ein Spaß ist alleweil ein Spaß!

 

 

Knecht Ruprecht

Von drauß' vom Walde komm ich her;

Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!

Allüberall auf den Tannenspitzen

Sah ich goldene Lichtlein sitzen;

Und droben aus dem Himmelstor

Sah mit großen Augen das Christkind hervor,

Und wie ich so strolcht durch den finstern Tann,

Da rief's mich mit heller Stimme an.

»Knecht Ruprecht«, rief es, »alter Gesell,

Hebe die Beine und spute dich schnell!

Die Kerzen fangen zu brennen an,

Das Himmelstor ist aufgetan,

Alt' und Junge sollen nun

Von der Jagd des Lebens einmal ruhn;

Und morgen flieg ich hinab zur Erden,

Denn es soll wieder Weihnachten werden!«

Ich sprach: »O lieber Herre Christ,

Meine Reise fast zu Ende ist;

Ich soll nur noch in diese Stadt,

Wo's eitel gute Kinder hat.«

– »Hast denn das Säcklein auch bei dir?«

Ich sprach: »Das Säcklein, das ist hier;

Denn Äpfel, Nuß und Mandelkern

Fressen fromme Kinder gern.«

– »Hast denn die Rute auch bei dir?«

Ich sprach: »Die Rute, die ist hier;

Doch für die Kinder nur, die schlechten,

Die trifft sie auf den Teil, den rechten.«

Christkindlein sprach: »So ist es recht;

So geh mit Gott, mein treuer Knecht!«

Von drauß' vom Walde komm ich her;

Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!

Nun sprecht, wie ich's hierinnen find!

Sind's gute Kind, sind's böse Kind?

 

 

Einer Braut am Polterabend

Mit einem Album und dem Brautkranz

 

Ich bringe dir ein leeres weißes Buch,

Die Blätter drin noch ohne Bild und Spruch.

 

Sie sollen einst, wenn sie beschrieben sind,

Dir bringen ein Erinnern hold und lind;

 

An liebe Worte, die man zu dir sprach,

An treue Augen, die dir blickten nach. –

 

Drauf log ich dir von dunklem Myrtenreis

Den grünen Kranz, der aller Kränze Preis.

 

Nimm ihn getrost! Denn muß ich auch gestehn,

Er wird wie alles Laub dereinst vergehn,

 

So weiß ich doch, wenn Tag um Tag verschwand,

Hältst du den Zweig mit Früchten in der Hand.

 

 

Blumen

Dem Augenarzt von seinen Kranken

 

Sie kommen aus dem Schoß der Nacht;

Doch wären unten sie geblieben,

Wenn nicht das Licht mit seiner Macht

Hinauf ins Leben sie getrieben.

 

Holdselig aus der Erde bricht's

Und blüht nun über alle Schranken;

Du bist der Freund des holden Lichts;

Laß dir des Lichtes Kinder danken!

 

 

Mein jüngstes Kind

Ich wanderte schon lange,

Da kamest du daher;

Nun gingen wir zusammen,

Ich sah dich nie vorher.

 

Noch eine kurze Strecke

– Das Herz wird mir so schwer –,

Du hast noch weit zu gehen,

Ich kann nicht weiter mehr.

 

 

Ein Ständchen

In lindem Schlaf schon lag ich hingestreckt,

Da hat mich jäh dein Geigenspiel erweckt.

Doch, wo das Menschenherz mir so begegnet,

Nacht oder Tag, die Stunde sei gesegnet!

 

 

Das Edelfräulein seufzt

Es ist wohl wahr,

Die Menschen stammen von einem Paar!

Der doppelte Adam, so süß er wäre,

Ich halte ihn dennoch für eine Schimäre!

 

 

Ein Sterbender

Am Fenster sitzt er, alt, gebrochnen Leibes,

Und trommelt müßig an die feuchten Scheiben;

Grau ist der Wintertag und grau sein Haar.

Mitunter auch besieht er aufmerksam

Der Adern Hüpfen auf der welken Hand.

Es geht zu Ende; ratlos irrt sein Aug

Von Tisch zu Tisch, drauf Schriftwerk aller Art,

Sein harrend, hoch und höher sich getürmt.

Vergebens! Was er täglich sonst bezwang,

Es ward ein Berg; er kommt nicht mehr hinüber.

Und dennoch, wenn auch trübe, lächelt er

Und sucht wie sonst noch mit sich selbst zu scherzen;

Ein Aktenstoß, in tücht'gen Stein gehauen,

Es dünket ihn kein übel Epitaph.

Doch streng aufs neue schließet sich sein Mund;

Er kehrt sich ab, und wieder mit den grellen

Pupillen starrt er in die öde Luft

Und trommelt weiter an die Fensterscheiben.

 

Da wird es plötzlich hell; ein bleicher Strahl

Der Wintersonne leuchtet ins Gemach

Und auf ein Bild genüber an der Wand.

Und aus dem Rahmen tritt ein Mädchenkopf,

Darauf wie Frühtau noch die Jugend liegt;

Aus großen, hold erstaunten Augen sprüht

Verheißung aller Erdenseligkeit.

Er kennt das Wort auf diesen roten Lippen,

Er nur allein. Erinnrung faßt ihn an;

Fata Morgana steigen auf betörend;

Lau wird die Luft – wie hold die Düfte wehen!

Mit Rosen ist der Garten überschüttet,

Auf allen Büschen liegt der Sonnenschein.

Die Bienen summen; und ein Mädchenlachen

Fliegt süß und silbern durch den Sommertag.

Sein Ohr ist trunken. »Oh, nur einmal noch!«

Er lauscht umsonst, und seufzend sinkt sein Haupt.

»Du starbst – Wo bist du? – Gibt es eine Stelle

Noch irgendwo im Weltraum, wo du bist? –

Denn daß du mein gewesen, daß das Weib

Dem Manne gab der unbekannte Gott –

Ach dieser unergründlich süße Trunk,

Und süßer stets, je länger du ihn trinkst,

Er läßt mich zweifeln an Unsterblichkeit;

Denn alle Bitternis und Not des Lebens

Vergilt er tausendfach; und drüberhin

Zu hoffen, zu verlangen weiß ich nichts!«

In leere Luft ausstreckt er seine Arme:

»Hier diese Räume, wo du einst gelebt,

Erfüllt ein Schimmer deiner Schönheit noch;

Nur mir erkennbar; wenn auch meine Augen

Geschlossen sind, von keinem dann gesehn.«

 

Vor ihm mit dunklem Weine steht ein Glas,

Und zitternd langet seine Hand danach;

Er schlürft ihn langsam, aber auch der Wein

Erfreut nicht mehr sein Herz. Er stützt das Haupt.

»Einschlafen, fühl ich, will das Ding, die Seele,

Und näher kommt die rätselhafte Nacht!« – –

Ihm unbewußt entfliehen die Gedanken

Und jagen sich im unermeßnen Raum. –

Da steigt Gesang, als wollt's ihn aufwärts tragen;

Von drüben aus der Kirche schwillt der Chor.

Und mit dem innern Auge sieht er sie,

So Mann als Weib, am Stamm des Kreuzes liegen.

Sie blicken in die bodenlose Nacht;

Doch ihre Augen leuchten feucht verklärt,

Als sähen sie im Urquell dort des Lichts

Das Leben jung und rosig auferstehn.

»Sie träumen«, spricht er – leise spricht er es –

»Und diese bunten Bilder sind ihr Glück.

Ich aber weiß es, daß die Todesangst

Sie im Gehirn der Menschen ausgebrütet.«

Abwehrend streckt er seine Hände aus:

»Was ich gefehlt, des einen bin ich frei;

Gefangen gab ich niemals die Vernunft,

Auch um die lockendste Verheißung nicht;

Was übrig ist – ich harre in Geduld.«

Mit klaren Augen schaut der Greis umher;

Und während tiefer schon die Schatten fallen,

Erhebt er sich und schleicht von Stuhl zu Stuhl,

Und setzt sich noch einmal dort an den Tisch,

Wo ihm so manche Nacht die Lampe schien.

Noch einmal schreibt er; doch die Feder sträubt sich;

Sie, die bisher dem Leben nur gedient,

Sie will nicht gehen in den Dienst des Todes;

Er aber zwingt sie, denn sein Wille soll

So weit noch reichen, als er es vermag.

 

Die Wanduhr mißt mit hartem Pendelschlag,

Als dränge sie, die fliehenden Sekunden;

Sein Auge dunkelt; ungesehen naht,

Was ihm die Feder aus den Fingern nimmt.

Doch schreibt er mühsam noch in großen Zügen,

Und Dämmrung fällt wie Asche auf die Schrift:

»Auch bleib der Priester meinem Grabe fern;

Zwar sind es Worte, die der Wind verweht,

Doch will es sich nicht schicken, daß Protest

Gepredigt werde dem, was ich gewesen,

Indes ich ruh im Bann des ew'gen Schweigens.«

 

 

Der Lump

Und bin ich auch ein rechter Lump,

So bin ich dessen unverlegen;

Ein frech Gemüt, ein fromm Gesicht,

Herzbruder, sind ein wahrer Segen!

 

Links nehm von Christi Mantel ich

Ein Zipfelchen, daß es mir diene,

Und rechts – du glaubst nicht, wie das deckt –,

Rechts von des Königs Hermeline.

 

 

Sprüche

1

Der eine fragt: Was kommt danach?

Der andre fragt nur: Ist es recht?

Und also unterscheidet sich

Der Freie von dem Knecht.

 

2

Vom Unglück erst

Zieh ab die Schuld;

Was übrig ist,

Trag in Geduld!

 

 

Gräber in Schleswig

Nicht Kranz noch Kreuz; das Unkraut wuchert tief;

Denn die der Tod bei Idstedt einst entboten,

Hier schlafen sie, und deutsche Ehre schlief

Hier dreizehn Jahre lang bei diesen Toten.

 

Und dreizehn Jahre litten jung und alt,

Was leben blieb, des kleinen Feindes Tücken,

Und konnten nichts als, stumm die Faust geballt,

Den Schrei des Zorns in ihrer Brust ersticken.

 

Die Schmach ist aus; der ehrne Würfel fällt!

Jetzt oder nie! Erfüllet sind die Zeiten,

Des Dänenkönigs Totenglocke gellt;

Mir klinget es wie Osterglockenläuten!

 

Die Erde dröhnt; von Deutschland weht es her,

Mir ist, ich hör ein Lied im Winde klingen,

Es kommt heran schon wie ein brausend Meer,

Um endlich alle Schande zu verschlingen! – –

 

Törichter Traum! – Es klingt kein deutsches Lied,

Kein Vorwärts schallt von deutschen Bataillonen;

Wohl dröhnt der Grund, wohl naht es Glied an Glied;

Doch sind's die Reiter dänischer Schwadronen.

 

Sie kommen nicht. Das Londoner Papier,

Es wiegt zu schwer, sie wagen's nicht zu heben.

Die Stunde drängt.