Ihren Ausschweifungen sich hinzugeben, die sie ohne Unterscheidung, ohne fieberhafte Vorbereitung, ohne wirkliche Wallung und Aufregung des Blutes und der Nerven durchmachten, erschien ihm mehr als flach und geradezu gemein.
Nach und nach zog er sich daher von ihnen zurück und schloß sich den Literaten an, bei denen er mehr geistige Verwandtschaft zu finden und sich wohler zu fühlen hoffte. Dies aber führte nur neue Enttäuschungen mit sich, denn er war empört, ihre kleinlichen und rachsüchtigen Urteile zu erkennen, ihre banale Unterhaltung und ihre widerlichen Streitigkeiten zu hören, wonach der Wert eines Werkes einfach nach der Zahl der Auflagen und dem Ertrag des Verkaufs bemessen wurde.
Er lernte zu gleicher Zeit die Freidenker wie die Prinzipienreiter des Bürgerstandes kennen, Leute die alle Freiheit beanspruchten, um die Meinungen der andern zu ersticken; habsüchtige, schamlose Puritaner, deren Bildung er noch geringer schätzte als die des ersten besten Eckenstehers.
Seine Menschenverachtung nahm immer mehr zu; er erkannte, daß die Menschheit zum großen Teil aus leeren Prahlhänsen und Dummköpfen besteht, so daß er die Hoffnung aufgab, bei andern wahre Seelengröße oder reinen Haß zu entdecken. Er verzichtete darauf, einer Fassungskraft zu begegnen, die sich wie die seine in einer arbeitsamen Abgeschlossenheit gefiel, oder in einem Schriftsteller oder Gelehrten den scharf durcharbeiteten Geist zu finden, der sich dem seinen anschließen konnte.
Er fühlte sich nervös und mehr als unbehaglich, war von der Flachheit der Ideen, die man gegenseitig austauschte, angewidert und wurde wie die Leute, von denen Pierre Nicole sagt, daß sie überall empfindlich und gereizt seien. Es kam so weit, daß er sich fortwährend seine Haut aufritzte. Geradezu unerträglich litt er bei der Lektüre patriotischer und sozialer Torheiten, die jeden Morgen von den Zeitungen unter die Leute gebracht und mit denen die ehrsamen Leser abgespeist wurden.
Er begann schon von einer abgeschiedenen Thebaïde, einer komfortabeln Wüstenei, einer unbeweglichen und angenehm durchwärmten Arche zu träumen, wohinein er sich vor der wachsenden Flut des schon mehr unmenschlichen Blödsinns zu flüchten gedachte.
Eine einzige Leidenschaft, das Weib, hätte ihn von dieser allgemeinen Verachtung, die ihn erdrückte, zurückhalten können, aber diese Saite war ja leider auch verbraucht.
Hatte er doch an dieser Fleischestafel mit dem launenhaften Heißhunger eines Menschen gelagert, der an krankhafter Eßlust leidet und dessen Gaumen bald abgestumpft und übersättigt ist. Während der Zeit, in der er mit den Junkern verkehrte, hatte er an ihren tollen Gelagen teilgenommen, bei denen trunkene Dirnen sich zum Nachtisch die Kleider lüften und mit dem Kopfe, wenn nicht unter, so doch auf dem Tische liegen. Selbstredend war er hinter den Kulissen gewesen; er hatte es mit Schauspielerinnen und Sängerinnen versucht und außer der den Frauen angeborenen Dummheit die rasende Eitelkeit elender Künstlerinnen zu ertragen gehabt; er hatte mit galanten, ihrer Schönheit wegen berühmten Frauenzimmern in Verbindung gestanden und gewaltiges Geld an gewisse Agenturen bezahlt, wofür er sehr zweifelhafte Vergnügungen genossen hatte, um sich schließlich übersättigt und dieses gleichförmigen Luxus, dieser erkünstelten Zärtlichkeiten überdrüssig, in die untersten Schichten der Gesellschaft zu stürzen. Hier hoffte er seine nimmersatte Gier durch den Kontrast neu aufstacheln und seine schlummernde Sinnlichkeit durch die aufreizende Unreinheit des Elends wieder anfachen zu können.
Doch was er auch versuchen mochte, ein ungeheurer Weltschmerz drückte ihn nieder. Er gab dennoch den Kampf nicht auf. Er nahm seine letzte Zuflucht zu den gefährlichen Liebkosungen der Virtuosinnen; seine Gesundheit wurde schwach, und seine Nerven zermürbten mehr und mehr. Sein Nacken wurde empfindlich, und seine Hand fing schon zu zittern an. Allerdings hielt er sie noch gerade, sobald er einen schweren Gegenstand ergriff, doch war sie kraftlos, sobald er etwas Leichtes, zum Beispiel ein Glas zu Munde führen wollte.
Die Prognose der Ärzte beunruhigte ihn. Es war Zeit, diesem Leben Einhalt zu tun und auf jene Experimente zu verzichten, die nur die letzten Kräfte raubten. Während einiger Zeit verhielt er sich ruhig; aber sein Gehirn erhitzte sich bald von neuem und rief ihn wieder zu den Waffen. Wie die jungen Mädchen in der Reife ein Verlangen nach allen möglichen aufreizenden Dingen empfinden, kam er dahin, sich ganz absonderlich sinnliche Freuden und Genüsse auszumalen und sich ihnen hinzugeben. Dies aber war der Anfang vom Ende. Übersättigt und erschöpft von allem verfielen seine überreizten Sinne einer Art Lethargie – das sichre Anzeichen eines herannahenden Unvermögens.
Er kam dann wieder von seinen Verirrungen ernüchtert, entsetzlich ermattet zurück, ein Ende herbeisehnend, vor dem die Feigheit seines in Sinnlichkeit versunkenen Charakters zurückschauderte.
Seine Idee, sich irgendwo fern von der Welt niederzulassen, sich gleichsam in einem Winkel einzunisten und wie ein Kranker zu leben, der die Straße mit Stroh bedecken läßt, um den Lärm des unerbittlichen Lebens zu dämpfen, wurde immer stärker in ihm.
Zudem war auch der Zeitpunkt gekommen, einen Entschluß zu fassen, denn seine Vermögensverhältnisse erschreckten ihn. Den größten Teil seines Erbgutes hatte er törichterweise längst vergeudet, und der Rest steckte in Ländereien, die ihm lächerlich wenig einbrachten.
Er entschloß sich daher, Schloß Lourps zu verkaufen, wohin er doch nicht mehr ging, und woran ihn keine Erinnerung und kein Bedauern fesselte; er verkaufte ebenso seine andern Güter, kaufte sich Staatspapiere und schaffte sich auf diese Art ein jährliches Einkommen von 50,000 Franken. Er behielt außerdem noch eine ansehnliche Summe zurück, die er für den Kauf und die Einrichtung des Häuschens bestimmte, in dem er in völliger Stille und Zurückgezogenheit leben wollte.
Er suchte die Umgegend von Paris ab und entdeckte ein kleines Häuschen hoch oben in Fontenay-aux-Roses, das billig zu verkaufen war, weil es an einem entlegenen Platz ganz ohne Nachbarn in der Nähe der Festung lag. Sein Traum erfüllte sich, denn in diesem Orte, der wenig von Parisern heimgesucht ist, war er ziemlich sicher, die gewünschte Zurückgezogenheit zu finden. Die Schwierigkeit der unzuverlässigen Verbindung durch die Eisen- und Pferdebahn, die am Ende des Städtchens stationiert waren und die gingen und kamen, wie es ihnen paßte, beruhigte ihn sehr. Wenn er an diese neue Existenz dachte, die er sich hier gründen wollte, empfand er eine große Freude, und dies um so mehr, als die Wohnung ziemlich weit vom Seineufer entfernt lag, so daß ihn der Menschenstrom selbst nicht erreichte, während er dennoch in der Nähe der Hauptstadt blieb, so daß ihm seine Zurückgezogenheit nicht gerade fühlbar wurde.
Er schickte die Maurer in das neu erstandne Haus, und eines Tages, ohne irgend jemandem etwas von seinen Plänen zu verraten, verkaufte er sein Mobiliar, entließ seine Diener und verschwand, ohne seine Adresse zu hinterlassen.
Erstes Kapitel.
Mehr als zwei Monate vergingen noch, bevor sich Herzog Jean in die stille Zurückgezogenheit seines Häuschens in Fontenay vergraben konnte. Einkäufe aller Art nötigten ihn, noch eine Weile in Paris zu verweilen und die Stadt oft von einem Ende bis zum andern zu durchlaufen.
Lange hatte er nachgeforscht und gegrübelt, ehe er die neue Wohnung endlich den Tapezierern überlassen konnte. –
Vormals, da er noch schöne Frauen zu sich kommen ließ, hatte er ein Boudoir nach seiner Angabe einrichten lassen, wo sich inmitten kleiner geschnitzter Möbel aus hellem japanischen Kampferholz unter einem Zelt von indischem Rosa-Atlas der nackte Körper beim künstlichen Widerschein des bauschigen Stoffes noch zarter färbte.
Jenes Gemach, dessen große Spiegel sich beständig reflektierten und so eine ganze Reihe von Rosa-Boudoirs darstellten, war bei den Damen der galanten Welt sehr berühmt gewesen; denn es machte ihnen großes Vergnügen, ihre Nacktheit in dieses sanfte Inkarnat zu tauchen, wie auch den starken Duft der Möbel einzuatmen.
So hatte er unter anderm aus Haß und Verachtung seiner Kindheit unter dem Plafond dieses Boudoirs einen kleinen Käfig aufgehängt, in dem ein kleines Heimchen zirpte, wie ers oft in der Asche der hohen Kamine im Schlosse Lourps gehört hatte, während jener langen stillen Abende, die er bei seiner Mutter zubringen mußte; und die Erinnerung daran, wie an das Alleinsein in seiner traurigen Jugend stieg in wirrem Durcheinander vor ihm auf. Bei den Bewegungen des Weibes, das er liebkoste und dessen Geschwätz oder Lachen seine Vision verscheuchte und ihn plötzlich in die Wirklichkeit versetzte, – in diesem so weltlichen Boudoir entstand ein Kampf in seiner Seele, ein Bedürfnis, alle die erlittenen Trübsale zu rächen, eine Wut, durch schändliche Gemeinheiten die Familienerinnerungen zu besudeln, das rasende Verlangen, auszukeuchen auf diesem Menschenleib, bis zum letzten Tropfen die wahnsinnigsten der sinnlichen Verirrungen auszukosten.
Dann wieder einmal, wenn ihn der Spleen packte und wenn ihn bei nassem Herbstwetter der Widerwille gegen sein Heim und gegen den trüben wolkenschweren Himmel draußen erfaßte, dann flüchtete er sich an das verborgene Plätzchen, bewegte leise den Käfig und beobachtete, wie sich der Käfig ringsherum unzählige Male widerspiegelte, bis es seinen trunkenen Augen endlich vorkam, als ob sich der Käfig nicht mehr bewegte, daß aber das ganze Boudoir schwanke und sich drehe wie in einem sanften rosa Walzer.
Ein andres Mal, als sich Jean des Esseintes wieder durch seine Sonderbarkeit auszeichnen wollte, hatte er ein Meublement nach seltsamem Geschmack zusammengestellt. Er teilte seinen Salon in eine Reihe von Nischen, die alle verschieden ausgeschmückt waren und die miteinander vereinigt werden konnten. Es waltete hier eine tolle Übereinstimmung von freundlichen und düstern, von zarten und krassen Farben. Dann ließ er sich in einer dieser Nischen nieder, deren Dekoration ihm am besten mit der Eigenart des Werkes, das er gerade las, zu harmonieren schien.
Schließlich hatte er noch einen hohen Saal herrichten lassen, in dem er seine Lieferanten empfing. Sie mußten sich nebeneinander in eine Art von Kirchenstühlen setzen. Hier bestieg er eine hohe Kanzel, von der herab er ihnen eine Predigt über die Eitelkeit und das Geckentum der Welt hielt.
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