Die Wirkung war frappant; sie konnte von weitem an die düstre Starrheit des Vorbilds erinnern. Der Plafond wurde in Gelbweiß tapeziert, das den Kalk ersetzte, ohne dessen grellen Schein zu haben. Die kalten Steine der Zelle gelangen in der Nachbildung ziemlich gut durch einen Teppich, dessen Muster rote Fliesen vorstellte, mit weißlichen Stellen in der Wolle, die die Abnutzung durch Sandalen und die Reibung durch Stiefel darstellen sollten.

Er möblierte dieses Gemach mit einem kleinen eisernen Bett, einer Art Mönchsbett, aus antikem Eisen geschmiedet und poliert, am Fußende mit reich aufgetragnen Verzierungen versehn.

Die Stelle eines Nachttisches vertrat ein Betstuhl, dessen Innres ein Nachtgeschirr enthalten konnte und dessen Außenseite eine Kirchenagenda trug. Gegenüber an der Mauer ließ er einen Kirchenstuhl anbringen, der von einem durchbrochnen Altarhimmel überragt wurde, verziert mit vorspringenden Stützen. Die hohen Kirchenleuchter ersetzte er durch Lichter aus reinem Wachs, die er in einem besondern Geschäft kaufte, das nur Kirchenartikel führte, denn er hegte eine große Abneigung gegen Petroleum oder Stearin, kurz gegen alle und jede moderne Beleuchtung, da sie ihm zu grell und unzart erschien. –

Des Morgens in seinem Bett, ehe er einschlief, den Kopf auf dem Kopfkissen, versunken in die Betrachtung seiner Umgebung, stellte er sich leicht vor, daß er sich hundert Meilen von Paris befände, weit weg von der Welt, im Innern eines Klosters.

Und im Grunde genommen war die Täuschung leicht, da er ein Leben führte, das dem eines Mönchs fast gleichkam. Er hatte sich auf diese Weise die Vorteile der Abgeschlossenheit verschafft. Wie er seine Zelle zu einem warmen, angenehmen Zimmer gemacht hatte, hatte er sein Leben regelmäßig und bequem gestaltet, umgeben von Wohlbehagen, beschäftigt und dennoch frei. –

Vom Leben abgenutzt, von dem er nichts mehr erwartete, ward er einem Einsiedler gleich, reif für die Einsamkeit. Niedergedrückt wie ein Mönch und voll unendlicher Müdigkeit, war er beseelt von dem Bedürfnis nach Ruhe, von dem Wunsche, nichts mehr gemein zu haben mit den Profanen, die er für Nützlichkeitsfanatiker und Dummköpfe hielt.

 

Sechstes Kapitel.

 

Tief in seinen bequemen Lehnsessel vergraben, die Füße auf den vergoldeten Kugeln der Feuerböcke, die Pantoffel fast brennend von den Holzscheiten, die knisternd lebhafte Flammen ausstrahlten, legte Herzog Jean den alten Quartanten, in dem er las, auf einen Tisch, dehnte sich, zündete sich eine Zigarette an und verfiel dann in köstliche Träumereien, verfolgte mit verhängten Zügeln die Spur der Erinnerung, die ihm seit Monaten entfallen war und jetzt plötzlich wieder, durch das Einfallen eines Namens, hervorgerufen wurde.

Mit wunderbarer Deutlichkeit sah er nämlich die Verlegenheit seines Kameraden d'Aigurande vor Augen, als dieser in einer Versammlung standhafter Junggesellen die letzten Vorbereitungen zu einer Heirat offen gestehn mußte. Man protestierte laut dagegen, man malte ihm die Abscheulichkeit eines Zusammenschlafens in demselben Bett aus. Nichts half; vollständig in ihrem Banne glaubte er an die Intelligenz seiner künftigen Frau und behauptete sogar bei ihr außergewöhnliche Eigenschaften von Hingebung und Zärtlichkeit erkannt zu haben.

Herzog Jean war es, der von all den jungen Leuten allein den Freund in seinem Entschluß ermutigte, und dies von dem Augenblick ab, als er in Erfahrung gebracht hatte, seine Braut wünsche an der Ecke eines neuen Boulevards eine der modernen Wohnungen in Rotundenform zu beziehn.

Überzeugt von der unbarmherzigen Macht kleiner Miseren, die unheilvoller für starke Naturen sind als große, sowie im Hinblick auf die Tatsache, daß d'Aigurande kein Vermögen besaß und die Mitgift seiner Frau so gut wie Null war, sah er in diesem einfachen Wunsch eine unendliche Aussicht für lächerliche Unannehmlichkeiten.

D'Aigurande kaufte Möbel von runder Form, Spiegeltische, die, hinten ausgehöhlt, einen Kreis bildeten, die Gardinenstützen in Bogenform, Teppiche in Halbmondform, kurz ein ganzes Mobiliar, wie es eben auf Bestellung angefertigt wird.

Er bezahlte das Doppelte dafür. Als später seine Frau für ihre Toilette zu knapp bei Geld und endlich der Rotundenwohnung überdrüssig war und eine viereckige Etage beziehn wollte, paßte eben keins der Möbel mehr. Nach und nach wurde dieses lästige Mobiliar eine Quelle endlosen Verdrusses. Das frühere gute Einvernehmen, das schon durch das gemeinschaftliche Leben etwas locker geworden war, schrumpfte von Woche zu Woche mehr zusammen; sie gerieten in Zorn, warfen sich gegenseitig vor, nicht in einem Salon bleiben zu können, wo die Kanapees und Spiegeltische nicht einmal die Wände berührten und bei der geringsten Bewegung, trotz aller Keile, die man darunter gelegt hatte, wackelten. Auch fehlte das nötige Geld für die Ausbesserungen. Alles wurde ein Gegenstand des Streites und der Bitterkeit, von den Schubladen an, die sich in den nicht ordentlich feststehenden Möbeln gezogen hatten, bis zu den Spitzbübereien des Dienstmädchens, das von der Unachtsamkeit und den Zwistigkeiten profitierte, um die Kasse zu erleichtern. Mit einem Wort: das Leben wurde ihnen unerträglich. Er amüsierte sich außerhalb des Hauses; sie suchte daheim durch Übertretung des Ehegebots das Vergessen ihrer trüben und langweiligen Existenz zu ermöglichen.

»Mein Schlachtplan war richtig,« hatte sich damals der Herzog gesagt, der dies mit der Befriedigung eines Strategen vernahm, dessen Manöver gelungen waren. –

Er dachte jetzt vor seinem Feuer an die Trümmer dieses ehelichen Heims, deren Veranlassung sein guter Rat gewesen war. Er warf neue Scheite Holz in den Kamin und nahm flugs seine Träumereien wieder auf.

Andre Erinnerungen kamen ihm jetzt, die derselben Gedankenreihe angehörten.

Es war schon einige Jahre her, als er eines Abends in der Rue de Rivoli einem Laufburschen von ungefähr sechzehn Jahren begegnete, einem blassen, verschmitzt aussehenden Jungen, verführerisch wie ein Mädchen. Der sog mühevoll an einer Zigarette, deren Papier geplatzt war. Schimpfend rieb er gewöhnliche Küchenstreichhölzer an seiner Hose ab, die nicht fangen wollten, bis ihm keins mehr übrigblieb. Jetzt bemerkte er den Herzog, der ihn beobachtete. Er näherte sich ihm und bat ihn, an den Rand seiner Mütze greifend, um Feuer. Herr des Esseintes reichte ihm einige duftige Zigaretten von Dubêque, knüpfte dann eine Unterhaltung mit ihm an und veranlaßte ihn, seine Geschichte zu erzählen.

Die war äußerst einfach. Der Junge hieß Auguste Langlois und war bei einem Papparbeiter in der Lehre; er hatte seine Mutter früh verloren und wurde von seinem Vater oft nach Noten geprügelt.

Herzog Jean hörte ihn nachdenklich an: »Komm, wir wollen etwas zusammen trinken,« sagte er und führte ihn in eine Wirtschaft, wo er ihm starken Punsch vorsetzen ließ. Der Junge trank, ohne ein Wort zu sprechen. – »Möchtest du dich heute abend amüsieren?« fragte der Herzog. Dann hatte er den Kleinen zu Madame Laura, einer Dame geführt, die in der Rue Mosnier in der dritten Etage eine Auswahl von Blumenmacherinnen wie eine Reihe roter Zimmer, die mit runden Spiegeln, Kanapees, etc.