Combabus – Origenes –«

Gut! – Combabus und Origenes warfen einen Teil ihrer selbst von sich, und zwar einen Teil, den wohl die meisten, im Fall der Not, mit allen ihren Augen, und wenn sie deren soviel als Argus hätten, erkaufen würden. Allein sie hatten auch einen großen Beweggrund dazu. Was gibt der Mensch nicht um sein Leben? Und was tut oder leidet man nicht, der Günstling eines Fürsten zu bleiben, oder gar eine Pagode zu werden? – Demokritus hingegen konnte keinen Beweggrund von dieser Stärke haben. Es möchte noch hingehen, wenn er ein Metaphysiker oder ein Poet gewesen wäre. Dies sind Leute, die zu ihrem Geschäfte des Gesichts entbehren können. Sie arbeiten am meisten mit der Einbildungskraft, und diese gewinnt sogar durch die Blindheit.

Aber wenn hat man jemals gehört, daß ein Beobachter der Natur, ein Zergliederer, ein Sternseher, sich die Augen ausgestochen hätte, um desto besser zu beobachten, zu zergliedern, und nach den Sternen zu sehen?

Die Ungereimtheit ist so handgreiflich, daß Tertullianus die angebliche Tat unsers Philosophen aus einer andern Ursache ableitet, die ihm aber zum wenigsten eben so ungereimt hätte vorkommen müssen, wenn er ein besserer Raisonneur gewesen wäre, oder nicht gerade vonnöten gehabt hätte, die Philosophen, die er zu Boden legen wollte, in Strohmänner zu verwandeln. »Er beraubte sich der Augen, sagt Tertullian40, weil er kein Weib ansehen konnte, ohne ihrer zu begehren.« – Ein feiner Grund für einen griechischen Philosophen aus dem Jahrhundert des Perikles! Demokritus, der sich gewiß nicht einfallen ließ, weiser sein zu wollen als Solon, Anaxagoras, Sokrates, hatte auch vonnöten, zu einem solchen Mittel seine Zuflucht zu nehmen! Wahr ists, der Rat des letztern41 (der Demokriten gewiß nichts unbekanntes war, weil er Verstand genug hatte, sich ihn selbst zu geben) verfängt wenig gegen die Gewalt der Liebe; und einem Philosophen, der sein ganzes Leben dem Erforschen der Wahrheit widmen wollte, war allerdings sehr viel daran gelegen, sich vor einer so tyrannischen Leidenschaft zu hüten. Allein von dieser hatte auch Demokritus, wenigstens in Abdera, nichts zu besorgen. Die Abderitinnen waren zwar schön; aber die gütige Natur hatte ihnen die Dummheit zum Gegengift ihrer körperlichen Reizungen gegeben. Eine Abderitin war nur schön bis sie – den Mund auftat, oder bis man sie in ihrem Hauskleide sah. Leidenschaften von drei Tagen waren das Äußerste, was sie einem ehrlichen Manne, der kein Abderite war, einflößen konnte; und eine Liebe von drei Tagen ist einem Demokritus am Philosophieren so wenig hinderlich, daß wir vielmehr allen Naturforschern, Zergliederern, Meßkünstlern und Sternsehern demütig raten wollten, sich dieses Mittels, als eines vortrefflichen Recepts gegen Milzbeschwerungen, öfters zu bedienen, wenn recht zu vermuten wäre, daß diese Herren zu weise sind, eines Rates vonnöten zu haben. Ob Demokritus selbst die Kraft dieses Mittels, zufälliger Weise, bei einer oder der andern von den abderitischen Schönen, die wir bereits kennen gelernt, versucht haben möchte, können wir aus Mangel authentischer Nachrichten weder bejahen noch verneinen. Aber daß er, um gar nicht, oder nicht zu stark, von so unschädlichen Geschöpfen eingenommen zu werden, und weil er auf allen Fall sicher war, daß sie ihm die Augen nicht auskratzen würden – schwach genug gewesen sei, sich solche selbst auszukratzen: dies mag Tertullianus glauben so lang es ihm beliebt; wir zweifeln sehr, daß es jemand mitglauben wird.

Aber alle diese Ungereimtheiten werden unerheblich, wenn wir sie mit demjenigen vergleichen, was ein sonst in seiner Art sehr verdienter Sammler von Materialien zur Geschichte des menschlichen Verstandes42 die Philosophie des Demokritus nennt. Es würde schwer sein, von einem Haufen einzelner Trümmer, Steine und zerbrochener Säulen, die man als vorgebliche Überbleibsel des großen Tempels zu Olympia aus unzähligen Orten zusammengebracht hätte, mit Gewißheit zu sagen, daß es wirklich Trümmer dieses Tempels seien. Aber was würde man von einem Manne denken, der – wenn er diese Trümmer, so gut es ihm in der Eile möglich gewesen wäre, auf einander gelegt, und mit etwas Leim und Stroh zusammengeflickt hätte – ein so armseliges Stückwerk, ohne Plan, ohne Fundament, ohne Größe, ohne Symmetrie und Schönheit, für den Tempel zu Olympia ausgeben wollte?

Überhaupt ist es gar nicht wahrscheinlich, daß Demokritus ein System gemacht habe. Ein Mann, der sein Leben mit Reisen, Beobachtungen und Versuchen zubringt, lebt selten lange genug, um die Resultate dessen, was er gesehen und erfahren, in ein kunstmäßiges Lehrgebäude zusammenzufügen. Und in dieser Rücksicht könnte wohl auch Demokritus, wiewohl er über ein Jahrhundert gelebt haben soll, noch immer zu früh vom Tod überrascht worden sein. Aber daß ein solcher Mann, mit dem durchdringenden Verstande und mit dem brennenden Durste nach Wahrheit, den ihm das Altertum einhellig zuschreibt, fällig gewesen sei, handgreiflichen Unsinn zu behaupten, ist noch etwas weniger als unwahrscheinlich. »Demokritus (sagt man uns) erklärte das Dasein der Welt lediglich aus den Atomen, dem leeren Raum, und der Notwendigkeit oder dem Schicksal. Er fragte die Natur achtzig Jahre lang, und sie sagte ihm kein Wort von ihrem Urheber, von seinem Plan, von seinem Endzweck, Er schrieb den Atomen allen einerlei Art von Bewegung zu, und wurde nicht gewahr43, daß aus Elementen, die sich in parallelen Linien bewegen, in Ewigkeit keine Körper entstehen können, Er leugnete, daß die Verbindung der Atomen nach dem Gesetze der Ähnlichkeit geschehe; er erklärte alles in der Welt aus einer unendlich schnellen, aber blinden Bewegung: und behauptete gleichwohl, daß die Welt ein Ganzes sei?« u.s.f. Diesen und andern ähnlichen Unsinn setzt man auf seine Rechnung; citiert den Stobäus, Sextus, Censorinus; und bekümmert sich wenig darum, ob es unter die möglichen Dinge gehöre, daß ein Mann von Verstande (wofür man gleichwohl den Demokritus ausgibt,) so gar erbärmlich raisonnieren könnte. Freilich sind große Geister von der Möglichkeit sich zu irren, oder unrichtige Folgerungen zu ziehen, eben so wenig frei als die kleinen; wiewohl man gestehen muß, daß sie unendlichmal seltener in diese Fehler fallen, als es die Lilliputter gerne hätten; aber es gibt Albernheiten, die nur ein Dummkopf zu denken oder zu sagen fähig ist, so wie es Untaten gibt, die nur ein Schurke begehen kann. Die besten Menschen haben ihre Anomalien, und die Weisesten leiden zuweilen eine vorübergehende Verfinsterung; aber dies hindert nicht, daß man nicht mit hinlänglicher Sicherheit von einem verständigen Manne sollte behaupten können: daß er gewöhnlich, und besonders in solchen Gelegenheiten, wo auch die Dummsten allen den ihrigen zusammenraffen, wie ein Mann von Verstande verfahren werde.

Diese Maxime könnte uns, wenn sie gehörig angewendet würde, im Leben manches rasche Urteil, manche von wichtigen Folgen begleitete Verwechslung des Scheins mit der Wahrheit ersparen helfen. Aber den Abderiten half sie nichts. Denn zum Anwenden einer Maxime wird gerade das Ding erfordert – das sie nicht hatten. Die guten Leute behalfen sich mit einer ganz andern Logik als vernünftige Menschen; und in ihren Köpfen waren Begriffe associiert, die, wenn es keine Abderiten gäbe, sonst in aller Ewigkeit nie zusammenkommen würden. Demokritus untersuchte die Natur der Dinge, und bemerkte die Ursachen gewisser Naturbegebenheiten ein wenig früher als die Abderiten, – also war er ein Zauberer. Er dachte über alles anders als sie, lebte nach andern Grundsätzen, brachte seine Zeit auf eine ihnen unbegreifliche Art mit sich selbst zu, – also war es nicht recht richtig in seinem Kopfe; der Mann hatte sich überstudiert; und man besorgte, daß es einen unglücklichen Ausgang mit ihm nehmen werde.

 

Zweites Kapitel

 

Demokritus wird eines schweren Verbrechens beschuldiget, und von einem seiner Verwandten damit entschuldiget, daß er seines Verstandes nicht recht mächtig sei
Wie er das Ungewitter, welches ihm der Priester Strobylus zubereiten wollte, noch zu rechter Zeit ableitet – ein Arcanum, dessen Wirkung selten ausbleibt, wenn es recht appliciert wird

Was hört man vom Demokritus? – sagten die Abderiten unter einander. – »Schon sechs ganzer Wochen will niemand nichts von ihm gesehen haben – Man kann seiner nie habhaft werden; oder wenn man ihn endlich trifft, so sitzt er in tiefen Gedanken, und ihr seid eine halbe Stunde vor ihm gestanden, habt mit ihm gesprochen, und seid wieder weggegangen, ohne daß er es gewahr worden ist. Bald wühlt er in den Eingeweiden von Hunden und Katzen herum; bald kocht er Kräuter, oder steht mit einem großen Blasebalg in der Hand vor einem Zauberofen, und macht Gold, oder noch was ärgers.