Sie würden ihn für einen Mann aus der andern Welt gehalten haben, so feierlich und geheimnisvoll sah er in seiner spitzigen Mütze und in seinem schleppenden Mantel aus.
Die Aufmerksamkeit der Abderiten nahm merklich zu. Nannion, die sich ein wenig weiter zurückgesetzt hatte, lauschte mit dem linken Ohr der Nachtigall entgegen; aber von Zeit zu Zeit schoß sie einen dankvollen Seitenblick auf den Philosophen, welchen dieser, so oft die Mutter auf ihren Busen sah oder ihren Hund küßte, mit aufmunterndem Lächeln beantwortete.
Das ganze Geheimnis, fuhr er fort, besteht darin: Man schneidet, unter einer gewissen Constellation, sieben verschiedenen Vögeln, deren Namen ich nicht entdecken darf, die Hälse ab, läßt ihr Blut in eine kleine Grube, die zu dem Ende in die Erde gemacht wird, zusammenfließen, bedeckt die Grube mit Lorbeerzweigen, und – geht seines Weges. Nach Verfluß von ein und zwanzig Tagen kömmt man wieder, deckt die Grube auf, und findet einen kleinen Drachen von seltsamer Gestalt, der aus der Fäulnis des vermischten Blutes entstanden ist –32
»Einen Drachen!« – riefen die Abderitinnen mit allen Merkmalen des Erstaunens.
Einen Drachen, wiewohl nicht viel größer als eine gewöhnliche Fledermaus. Diesen Drachen nehmen sie, schneiden ihn in kleine Stücke, und essen ihn mit etwas Essig, Öl und Pfeffer, ohne das Mindeste davon übrig zu lassen; gehen darauf zu Bette, decken sich wohl zu, und schlafen ein und zwanzig Stunden in einem Stücke fort. Darauf erwachen sie wieder, kleiden sich an, gehen in ihren Garten, oder in ein Wäldchen, und erstaunen nicht wenig, indem sie sich augenblicklich auf allen Seiten von Vögeln umgeben und gegrüßt finden, deren Sprache und Gesang sie so gut verstehen, als ob sie alle Tage ihres Lebens nichts als Elstern, Gänschen und Truthühner33 gewesen wären.
Demokritus erzählte den Abderitinnen alles dies mit einer so gelassenen Ernstaftigkeit, daß sie sich um so weniger entbrechen konnten, ihm Glauben beizumessen, da er, ihrer Meinung nach, die Sache unmöglich mit so vielen Umständen hätte erzählen können, wenn sie nicht wahr gewesen wäre. Indessen wußten sie itzt doch gerade nur so viel davon, als nötig war, um desto ungeduldiger zu werden, alles zu wissen –
»Aber, fragten sie, was für Vögel sind es denn, die man dazu braucht? Ist der Sperling, der Finke, die Nachtigall, die Elster, die Wachtel, der Rabe, der Kibitz, die Nachteule, u.s.f. auch darunter? Wie sieht der Drache aus? Hat er Flügel? Wie viele hat er deren? Ist er gelb, oder grün, oder blau, oder rosenfarb? Speit er Feuer? Beißt oder sticht er nicht, wenn man ihn anrühren will? Ist er gut zu essen? Wie schmeckt er? Wie verdaut er sich? Was trinkt man dazu?« – Alle diese Fragen, womit der gute Naturforscher von allen Seiten bestürmt wurde, machten ihm so warm, daß er sich endlich am kürzesten aus dem Handel zu ziehen glaubte, wenn er ihnen gestünde, er habe die ganze Historie nur zum Scherz ersonnen.
»O dies sollen Sie uns nicht weis machen! – riefen die Abderitinnen: Sie wollen nur nicht, daß wir hinter Ihre Geheimnisse kommen. Aber wir werden Ihnen keine Ruhe lassen; verlassen Sie sich darauf! Wir wollen den Drachen sehen, betasten, beriechen, kosten, und mit Haut und Knochen aufessen, oder – Sie sollen uns sagen, warum nicht!«
Zweites Buch oder
Hippokrates in Abdera
Erstes Kapitel
Eine Abschweifung über den Charakter und die Philosophie des Demokritus welche wir den Leser nicht zu überschlagen bitten
Wir wissen nicht, wie Demokritus es angefangen, um sich die neugierigen Weiber vom Halse zu schaffen. Genug, daß uns diese Beispiele begreiflich machen, wie ein bloßer zufälliger Einfall Gelegenheit habe geben können, den unschuldigen Naturforscher in den Ruf zu bringen, als ob er Abderite genug gewesen wäre, alle die Märchen, die er seinen albernen Landesleuten aufheftete, selbst zu glauben. Diejenigen, die ihm dies zum Vorwurf nachgesagt haben, berufen sich auf seine Schriften. Aber schon lange vor den Zeiten des Vitruvius und Plinius wurden eine Menge unechter Büchlein mit vielbedeutenden Titeln unter seinem Namen herumgetragen. Man weiß, wie gewöhnlich diese Art von Betrug den müßigen Gräculis der spätern Zeiten war. Die Namen Hermes Trismegistus, Zoroaster, Orpheus, Pytagoras, Demokritus, waren ehrwürdig genug, um die armseligsten Geburten schaler Köpfe verkäuflich zu machen; insonderheit nachdem die alexandrische Philosophenschule die Magie in eine Art von allgemeiner Achtung, und die Gelehrten in den Geschmack gebracht hatte, sich bei den Ungelehrten das Ansehen zu geben, als ob sie gewaltige Wundermänner wären, die den Schlüssel zur Geisterwelt gefunden hätten, und für die nun in der ganzen Natur nichts geheimes sei. Die Abderiten hatten den Demokritus in den Ruf der Zauberei gebracht, weil sie nicht begreifen konnten, wie man, ohne ein Hexenmeister zu sein, so viel wissen könne, als sie – nicht wußten; und spätere Betrüger fabricierten Zauberbücher in seinem Namen, um sich jenen Ruf bei den Dummköpfen ihrer Zeit zu Nutzen zu machen.
Überhaupt waren die Griechen große Liebhaber davon, mit ihren Philosophen den Narren zu treiben. Die Athenienser lachten herzlich, als ihnen der witzige Possenreißer Aristophanes weis machte, Sokrates halte die Wolken für Göttinnen, messe aus, wie viele Flohfüße hoch ein Floh springen könne34, lasse sich, wenn er meditieren wolle, in einem Korbe aufhängen, damit die anziehende Kraft der Erde seine Gedanken nicht einsauge, u.s.f und es dünkte sie überaus kurzweilig, den Mann, der ihnen immer die Wahrheit und also oft unangenehme Dinge sagte, wenigstens auf dem Schauplatze platte Pedantereien sagen zu hören. Und wie mußte sich nicht Diogenes (der unter den Nachahmern des Sokrates noch am meisten die Miene seines Originals hatte,) von diesem Volke, das so gerne lachte, mißhandeln lassen, Sogar der begeisterte Plato und der tiefsinnige Aristoteles blieben nicht von Anklagen frei, wodurch man sie zu dem großen Haufen der alltäglichen Menschen herabzusetzen suchte. Was Wunder also, daß es dem Manne nicht besser erging, der so verwegen war, mitten unter Abderiten Verstand zu haben?
Demokritus lachte zuweilen, wie wir alle, und würde vielleicht, wenn er zu Korinth, oder Smyrna, oder Syrakus, oder an irgend einem andern Orte der Welt gelebt hätte, nicht mehr gelacht haben, als jeder andre Biedermann, der sich, aus Gründen oder von Temperaments wegen, aufgelegter fühlt, die Torheiten der Menschen zu belachen als zu beweinen. Aber er lebte unter Abderiten. Es war nun einmal die Art dieser guten Leute, immer etwas zu tun, worüber man entweder lachen, oder weinen, oder ungehalten werden mußte; und Demokritus lachte, wo ein Phocion die Stirne gerunzelt, ein Cato gepoltert, und ein Swift zugepeitscht hätte. Bei einem ziemlich langen Aufenthalt in Abdera konnte ihm also die Miene der Ironie wohl eigentümlich werden; aber daß er im buchstäblichen Verstande immer aus vollem Halse gelacht habe, wie ihm ein Dichter, der die Sachen gern übertreibt, nachsagt35, dies hätte wenigstens niemand in Prosa sagen sollen.
Doch diese Nachrede möchte immer hingehen, zumal da ein so gepriesener Philosoph wie Seneca unsern Freund Demokritus über diesen Punkt rechtfertigt, und sogar nachahmenswürdig findet. »Wir müssen uns dahin bestreben, sagt Seneca36, daß uns die Torheiten und Gebrechen des großen Haufens samt und sonders nicht hassenswürdig, sondern lächerlich vorkommen; und wir werden besser tun, wenn wir uns hierin den Demokritus als den Heraklitus zum Muster nehmen. Dieser pflegte, so oft er unter die Leute ging, zu weinen; jener, zu lachen: dieser sah in allem unserm Tun eitel Not und Elend; jener eitel Tand und Kinderspiel. Nun ist es aber freundlicher, das menschliche Leben anzulachen als es anzugrinsen; und man kann sagen, daß sich derjenige um das Menschengeschlecht verdienter macht, der es belacht, als der es bejammert. Denn jener läßt uns doch noch immer ein wenig Hoffnung übrig; dieser hingegen weint alberner Weise über Dinge, die er bessern zu können verzweifelt. Auch zeigt derjenige eine größere Seele, der, wenn er einen Blick über das Ganze wirft, sich nicht des Lachens – als jener, der sich der Tränen nicht enthalten kann; denn er gibt dadurch zu erkennen, daß alles, was andern groß und wichtig genug scheint, um sie in die heftigsten Leidenschaften zu setzen, in seinen Augen so klein ist, daß es nur den leichtesten und kaltblütigsten unter allen Affecten in ihm erregen kann.«37
Im Vorbeigehen deucht mich, die Entscheidung des Sophisten Seneca habe Verstand; wiewohl er vielleicht besser getan hätte, seine Gründe weder so weit herzuholen, noch in so gekünstelte Antithesen einzuschrauben. Doch, wie gesagt, der bloße Umstand, daß Demokritus unter Abderiten lebte, und über Abderiten lachte, macht den Vorwurf, von welchem die Rede ist, so übertrieben er auch sein mag, zum erträglichsten unter allem, was unserm Weisen aufgebürdet worden. Läßt doch Homer die Götter selbst über einen weit weniger lächerlichen Gegenstand über den hinkenden Vulcan, der aus der gutherzigen Absicht, Friede unter den Olympiern zu stiften, den Mundschenken macht – in ein unauslöschliches Gelächter ausbrechen! Aber das Vorgeben, daß Demokritus sich selbst freiwillig des Gesichts beraubt habe, und die Ursachen, warum er es getan haben soll, dies setzt auf Seiten derjenigen, bei denen es Eingang finden konnte, eine Neigung voraus, die wenigstens ihrem Kopfe wenig Ehre macht.
Und was für eine Neigung mag denn das sein, – Ich will es euch sagen, lieben Freunde, und gebe der günstige Himmel, daß es nicht gänzlich in den Wind gesagt sein möge!
Es ist die armselige Neigung, jeden Dummkopf, jeden hämischen Buben für einen unverwerflichen Zeugen gelten zu lassen, sobald er einem großen Manne irgend eine überschwengliche Ungereimtheit nachsagt, welche auch der alltäglichste Mensch bei fünf gesunden Sinnen zu begehen unfähig wäre.
Ich möchte nicht gerne glauben, daß diese Neigung so allgemein sei, als die Verkleinerer der menschlichen Natur behaupten. Aber dies wenigstens lehrt die Erfahrung: daß die kleinen Anekdoten, die man von großen Geistern auf Unkosten ihrer Vernunft circulieren zu lassen pflegt, sehr leicht bei den Meisten Eingang finden. Doch vielleicht ist dieser Hang im Grunde nicht sträflicher als das Vergnügen, womit die Sternseher Flecken in der Sonne entdeckt haben? Vielleicht ist es bloß das Unerwartete und Unbegreifliche, was die Entdeckung solcher Flecken so angenehm macht? Außerdem findet sich auch nicht selten, daß die armen Leute, indem sie einem großen Manne Widersinnigkeiten andichten, ihm (nach ihrer Art zu denken) noch viel Ehre zu erweisen glauben; und dies mag wohl, was die freiwillige Blindheit unsers Philosophen betrifft, der Fall bei mehr als einem abderitischen Gehirne gewesen sein.
»Demokritus beraubte sich des Gesichtes, sagt man, damit er desto tiefer denken könnte. Was ist hierin so unglaubliches: Haben wir nicht Beispiele freiwilliger Verstümmelungen von ähnlicher Art.
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