Nicht daß sie ihre vormalige Lebhaftigkeit ganz verloren, und sich in Schöpse verwandelt hätten, wie Juvenal sie beschuldigt6. Ihre Lebhaftigkeit nahm nur eine wunderliche Wendung; und ihre Einbildung gewann einen so großen Vorsprung über ihre Vernunft, daß es dieser niemals wieder möglich war, sie einzuholen. Es mangelte den Abderiten nie an Einfällen; aber selten paßten ihre Einfälle auf die Gelegenheit, wo sie angebracht wurden; oder kamen erst, wenn die Gelegenheit vorbei war. Sie sprachen viel, aber immer ohne sich einen Augenblick zu bedenken, was sie sagen wollten, oder wie sie es sagen wollten. Die natürliche Folge hievon war, daß sie selten den Mund auftaten, ohne etwas albernes zu sagen. Zum Unglück erstreckte sich diese schlimme Gewohnheit auch auf ihre Handlungen; denn gemeiniglich schlossen sie den Käfig erst, wenn der Vogel entflogen war. Dies zog ihnen den Vorwurf der Unbesonnenheit zu, aber die Erfahrung bewies, daß es ihnen nicht besser ging, wenn sie sich besannen. Machten sie (welches ziemlich oft begegnete,) irgend einen sehr dummen Streich, so kam es immer daher, weil sie es gar zu gut machen wollten; und wenn sie in den Angelegenheiten ihres gemeinen Wesens recht lange und ernstliche Beratschlagungen hielten, so konnte man sicher darauf rechnen, daß sie unter allen möglichen Entschließungen die schlechteste ergreifen würden.
Sie wurden endlich zum Sprichwort unter den Griechen. Ein abderitischer Einfall, ein Abderitenstückchen war bei diesen ungefähr, was bei uns ein Schildbürger- oder bei den Helvetiern ein Lalleburgerstreich ist; und die guten Abderiten ermangelten nicht, die Spötter und Lacher reichlich mit sinnreichen Zügen dieser Art zu versehen. Für itzt mögen davon nur ein paar Beispiele zur Probe dienen. Einsmals fiel ihnen ein, daß eine Stadt wie Abdera billig auch einen schönen Brunnen haben müsse. Er sollte in die Mitte ihres großen Marktplatzes gesetzt werden, und zu Bestreitung der Kosten wurde eine neue Auflage gemacht. Sie ließen einen berühmten Bildhauer von Athen kommen, um eine Gruppe von Statuen zu verfertigen, welche den Gott des Meeres auf einem von vier Seepferden gezogenen Wagen, mit Nymphen, Tritonen und Delphinen umgeben, vorstellte. Die Seepferde und Delphinen sollten eine Menge Wassers aus ihren Nasen hervorspritzen. Aber wie alles fertig stund, fand sich, daß kaum Wasser genug da war, um die Nase eines einzigen Delphins zu befeuchten; und als man das Werk spielen ließ, sah es nicht anders aus, als ob alle diese Seepferde und Delphinen den Schnuppen hätten. Um nicht ausgelacht zu werden, ließen sie also die ganze Gruppe in den Tempel des Neptunus bringen; und so oft man sie einem Fremden wies, bedauerte der Küster sehr ernsthaft im Namen der löblichen Stadt Abdera, daß ein so herrliches Kunstwerk aus Kargheit der Natur unbrauchbar bleiben müsse. Ein andermal erhandelten sie eine sehr schöne Venus von Elfenbein, die man unter die Meisterstücke des Praxiteles zählte. Sie war ungefähr fünf Fuß hoch, und sollte auf einen Altar der Liebesgöttin gestellt werden. Als sie angelangt war, geriet ganz Abdera in Entzücken über die Schönheit ihrer Venus; denn die Abderiten gaben sich für feine Kenner und schwärmerische Liebhaber der Künste aus. Sie ist zu schön, riefen sie einhellig, um auf einem niedrigen Platze zu stehen. Ein Meisterstück, das der Stadt so viel Ehre macht, und so viel Geld gekostet hat, kann nicht zu hoch aufgestellt werden; sie muß das Erste sein, was den Fremden beim Eintritt in Abdera in die Augen fällt. Diesem glücklichen Gedanken zufolge stellten sie das kleine niedliche Bild auf einen Obelisk von achtzig Fuß; und wiewohl es nun unmöglich war zu erkennen, ob es eine Venus oder Austernymphe vorstellen sollte, so nötigten sie doch alle Fremden, zu gestehen, daß man nichts vollkommners sehen könne.
Uns dünkt, diese Beispiele beweisen schon hinlänglich, daß man den Abderiten kein Unrecht tat, wenn man sie für warme Köpfe hielt. Aber wir zweifeln, ob sich ein Zug denken läßt, der ihren Charakter stärker zeichnen könnte, als dieser: daß sie (nach dem Zeugnis des Justinus) die Frösche in und um ihre Stadt dergestalt über Land nehmen ließen, daß sie selbst endlich genötiget wurden, ihren quäkenden Mitbürgern Platz zu machen, und, bis zu Austrag der Sache, sich unter dem Schutze des Königs Kassander an einen dritten Ort zu begeben. Dies Unglück befiel die Abderiten nicht ungewarnt. Ein weiser Mann, der sich unter ihnen befand, sagte ihnen lange zuvor, daß es endlich so kommen würde. Der Fehler lag in der Tat bloß an den Mitteln, wodurch sie dem Übel steuern wollten; wiewohl sie nie dazu gebracht werden konnten, dies einzusehen. Was ihnen gleichwohl die Augen hätte öffnen sollen, war, daß sie kaum etliche Monate von Abdera weggezogen waren, als eine Menge von Kranichen aus der Gegend von Geranien ankamen, und ihnen alle ihre Frösche so rein wegputzten, daß eine Meile rings um Abdera nicht einer übrig blieb, der dem wiederkommenden Frühling Brekekek koax koax entgegen gesungen hätte.
Zweites Kapitel
Demokritus von Abdera
Ob und wie viel seine Vaterstadt berechtigt war, sich etwas auf ihn einzubilden?
Keine Luft ist so dicke, kein Volk so dumm, kein Ort so unberühmt, daß nicht zuweilen ein großer Mann daraus hervorgehen sollte, sagt Juvenal. Pindarus und Epaminondas wurden in Böotien geboren, Aristoteles zu Stagira, Cicero zu Arpinum, Virgil im Dörfchen Andes bei Mantua, Albertus Magnus zu Lauingen, Martin Luther zu Eisleben, Sixtus V. im Dorfe Montalto in der Mark Ancona, und einer der besten Könige, die jemals gewesen sind, zu Pau in Bearn. Was Wunder, wenn auch Abdera, zufälliger Weise, die Ehre hatte, daß der größte Naturforscher des Altertums, Demokritus, in ihren Mauern das Leben empfing!
Ich sehe nicht, wie ein Ort sich eines solchen Umstandes bedienen kann, um Ansprüche an den Ruhm eines großen Mannes zu machen.
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