Aber kaum haben wir hierüber unsre Partei genommen: so sagt oder tut er etwas, das uns wieder in unsre vorige Hypothese zurückwirft, oder wenigstens in eine der unangenehmsten Seelenlagen, in die Verlegenheit setzt, nicht zu wissen, was wir von dem Manne denken, oder – wenn unser Unstern will, daß wir mit ihm zu tun haben müssen – was wir mit ihm anfangen wollen.
Die geheime Geschichte von Agra sagt, daß der berühmte Schah-Baham sich einsmals mit einem seiner Omrahs in diesem Falle befunden habe. Der Omrah wurde beschuldigt, daß er Ungerechtigkeit ausgeübt habe.
So soll er gehangen werden, sagte Schah-Baham.
»Aber, Sire, (sagte man,) der arme Kurli ist ein so schwacher Kopf, daß noch die Frage ist, ob er den Unterschied zwischen Recht und Link deutlich genug einsieht, um zu wissen, wenn er eine Ungerechtigkeit begeht oder nicht.«
Wenn dies ist, (sagte Schah-Baham,) so schickt ihn ins Narrenhospital!
»Gleichwohl, Sire, da er Verstands genug hat, einem Wagen mit Heu auszuweichen, und bei einem Pfeiler, an dem er sich den Kopf zerschnellen könnte, vorbeizugehen, weil er wohl merkt, daß der Pfeiler nicht bei ihm vorbeigehen würde –«
Merkt er das? rief der Sultan; beim Barte des Propheten! so sagt mir nichts weiter. Morgen soll man sehen, ob Justiz in Agra ist.
»Indessen gibt es Leute, die Eur. Majestät versichern werden, daß der Omrah – seine Dummheit ausgenommen, die ihm zuweilen boshaft macht – der ehrlichste Mann von der Welt ist.«
»Um Vergebung! (fiel ein andrer von den Anwesenden Höflingen ein,) gerade das Gegenteil! Kurli hat alles, was noch gut an ihm ist, seiner Dummheit zu danken. Er würde zehnmal schlimmer sein als er ist, wenn er Verstand genug hätte, um zu wissen wie ers anfangen soll.«
Wißt ihr auch, meine Freunde, daß in allem, was ihr mir da sagt, kein Menschenverstand ist? versetzte Schah-Baham. Vergleicht euch mit euch selbst, wenn ich bitten darf! Kurli, spricht dieser, ist ein böser Mann, weil er dumm ist – Nein, spricht jener, er ist dumm weil er boshaft ist – Gefehlt, spricht der dritte; er würde ein schlimmer Mann sein, wenn er nicht so dumm wäre –
Wie wollt ihr, daß unser einer aus diesem Galimathias klug werde? Da entscheide mir einmal jemand, was ich mit ihm anfangen soll! Denn entweder ist er zu boshaft fürs Narrenspital, oder zu dumm für den Galgen.
»Dies ist es eben, sagte die Sultanin Darejan. Kurli ist zu dumm, um sehr boshaft zu sein; und doch würde Kurli noch weniger boshaft sein als er ist, wenn er weniger dumm wäre.«
Der Henker hole den rätselhaften Kerl! rief Schah-Baham. Da sitzen wir und zerbrechen uns die Köpfe, um ausfindig zu machen, ob er ein Esel oder ein Schurke sei; und am Ende werdet ihr sehen, daß er Beides ist. – Alles wohl überlegt, wißt ihr was ich tun will, Ich will ihn laufen lassen! Seine Bosheit und seine Dummheit werden einander schon die Waage halten. Er wird, in so fern er nur kein Omrah ist, weder durch diese noch jene großen Schaden tun. Die Welt ist weit; laß ihn laufen, Itimaddulet! aber vorher soll er kommen, und sich bei der Sultanin bedanken! Nur noch vor drei Minuten wollt ich ihm keine Feige um seinen Hals gegeben haben!
Man hat lange nicht ausfindig machen können, warum Schah-Baham den Beinamen des Weisen in den Geschichtbüchern von Hindostan führt. Aber nach dieser Entscheidung kann es keine Frage mehr sein. Alle sieben Weisen aus Griechenland hätten den Knoten nicht besser auflösen können, als ihn Schah-Baham zerhieb.
Der Ratsherr Thrasyllus hatte das Unglück, einer von diesen (zum Glück der Welt) nicht so gar gewöhnlichen Menschen zu sein, in deren Kopf und Herzen Dummheit und Bosheit, nach dem Ausdruck des Sultans, einander die Waage halten. Seine Anschläge auf das Vermögen des Demokritus waren nicht von gestern her. Er hatte darauf gezählt, daß sein Verwandter, nach einer so langen Abwesenheit, gar nicht wiederkommen würde und auf diese Voraussetzung hatte er sich die Mühe gegeben, einen Plan zu machen, den die Wiederkunft des Philosophen auf eine sehr unangenehme Art vereitelte. Thrasyllus, dessen Einbildung schon daran gewöhnt war, das Erbgut des Demokritus für einen Teil seines eignen Vermögens anzusehen, konnte sich nun nicht so leicht gewöhnen, anders zu denken. Er betrachtete also den Demokritus als einen Räuber, der ihm das Seinige vorenthielt. Aber unglücklicher Weise hatte dieser, der Räuber – die Gesetze auf seiner Seite.
Der arme Thrasyllus durchsuchte alle Winkel in seinem Kopfe, ein Mittel gegen diesen ungünstigen Umstand zu finden; und suchte lange vergebens. Endlich glaubte er in der Lebensart des Philosophen einen Grund, auf den er bauen könnte, gefunden zu haben. Die Abderiten waren schon vorbereitet, dachte Thrasyllus; denn daß Demokritus ein Narr sei, war zu Abdera eine ausgemachte Sache. Es kam also nur noch darauf an, dem großen Rat legaliter darzutun, daß seine Narrheit von derjenigen Art sei, welche den damit Behafteten unfähig macht, sein eigner Herr zu sein. Dies hatte nun einige Schwierigkeiten. Mit seinem eignen Verstande würde Thrasyllus schwerlich durchgekommen sein! Aber in solchen Fällen finden seines gleichen für ihr Geld immer einen Spitzbuben, der ihnen seinen Kopf leiht; und dann ist es so viel, als ob sie selbst einen hätten.
Viertes Kapitel
Kurze, doch hinlängliche, Nachrichten von den abderitischen Sykophanten
Ein Fragment aus der Rede, worin Thrasyllus um die Bevogtung seines Vettern ansuchte
Es gab damals zu Abdera eine Art von Leuten, die sich von der Kunst nährten, schlimme Händel so zurechte zu machen, daß sie wie gut aussahen. Sie gebrauchten dazu nur zween Hauptkunstgriffe: entweder sie verfälschten das Factum, oder sie verdrehten das Gesetz. Weil diese Lebensart sehr einträglich war, so legten sich nach und nach eine so große Menge von müßigen Leuten darauf, daß die Pfuscher zuletzt die Meister verdrangen. Die Profession verlor dadurch von ihrem Ansehen. Man nannte diejenigen, die sich damit abgaben, Sykophanten, weil die meisten so arme Schelme waren, daß sie für eine Feige alles sagten was man wollte.
Indessen, da die Sykophanten wenigstens den zwanzigsten Teil der Einwohner von Abdera ausmachten, und die Leute gleichwohl nicht bloß von Feigen leben konnten: so reichten die gewöhnlichen Gelegenheiten, wobei die Rechtshändel zu entstehen pflegen, nicht mehr zu. Die Vorfahren der Sykophanten hatten gewartet, bis man sie um ihren Beistand ansprach. Aber bei dieser Methode hätten die neuern Sykophanten hungern oder graben müssen! Denn zu betteln war in Abdera nicht erlaubt; welches (im Vorbeigehen zu sagen) das einzige war, was die Fremden an der abderitischen Polizei zu loben fanden. Nun waren die Sykophanten zum Graben zu faul; folglich blieb den meisten kein ander Mittel übrig, als – die Händel, die sie führen wollten, selbst zu machen.
Weil die Abderiten Leute von sehr hitziger Gemütsart und von geringer Besonnenheit waren, so fehlt' es dazu nie an Gelegenheit.
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