Jede Kleinigkeit gab also einen Handel; jeder Abderite hatte seinen Sykophanten; und so wurde wieder eine Art von Gleichgewicht hergestellt, wodurch sich die Profession um so mehr in Ansehen erhielt, weil die Nacheiferung große Talente entwickelte.
Abdera gewann dadurch den Ruhm, daß die Kunst Facta zu verfälschen und Gesetze zu verdrehen in Athen selbst nicht so hoch gebracht worden sei; und dieser Ruhm wurde in der Folge dem Staat einträglich. Denn wer einen ungewöhnlich schlimmen Handel von einiger Wichtigkeit hatte, verschrieb sich einen abderitischen Sykophanten; und es müßte nicht natürlich zugegangen sein, wenn der Sykophant eher von einem solchen Clienten abgelassen hätte, bis nichts mehr an ihm zu saugen übrig war.
Doch dies war noch nicht der größte Vorteil, den die Abderiten von ihren Sykophanten zogen. Was diese Leute in ihren Augen am vorzüglichsten machte, war – die Bequemlichkeit, eine jede Schelmerei ausführen zu können, ohne sich selbst dabei bemühen zu müssen, oder sich mit der Justiz abzuwerfen. Man brauchte die Sache nur einem Sykophanten zu übergeben, so konnte man, gewöhnlicher Weise, des Ausgangs wegen ruhig sein. Ich sage gewöhnlicher Weise; denn freilich gab es, mitunter, auch Fälle, wo der Sykophant, nachdem er sich erst von seinem Clienten wohl hatte bezahlen lassen, gleichwohl heimlich dem Gegenteil zu seinem Rechte verhalf; aber dies geschah auch niemals, als wenn dieser wenigstens zween Drittel mehr gab als der Client.
Übrigens konnte man nichts erbaulichers sehen als das gute Vernehmen, worin zu Abdera die Sykophanten mit den Magistratspersonen stunden. Die einzigen, die sich übel bei dieser Eintracht befanden, waren – die Clienten. Bei allen andern Unternehmungen, so gefährlich und gewagt sie auch immer sein mögen, bleibt doch wenigstens eine Möglichkeit, mit ganzer Haut davon zu kommen. Aber ein abderitischer Client war immer gewiß, um sein Geld zu kommen, er mochte seinen Handel gewinnen oder verlieren. Nun rechteten die Leute zwar darum weder mehr noch weniger; allein ihre Justiz kam dabei in einen Ruf, gegen welchen nur Abderiten gleichgültig sein konnten. Denn es wurde zu einem Sprüchwort in Griechenland, demjenigen, dem man das Ärgste an den Hals wünschen wollte, einen Proceß in Abdera zu wünschen.
Aber, beinahe hätten wir über den Sykophanten vergessen, daß die Rede von den Absichten des Ratsherrn Thrasyllus auf das Vermögen unsers Philosophen, und von den Mitteln war, wodurch er seinen vorhabenden Raub unter dem Schutze der Gesetze zu begehen versuchen wollte.
Um den geneigten Leser mit keiner langweiligen Umständlichkeit aufzuhalten, begnügen wir uns zu sagen, daß Thrasyllus die Sache seinem Sykophanten auftrug. Es war einer von den geschicktesten in ganz Abdera; ein Mann, der die gemeinen Kunstgriffe seiner Mitbrüder verachtete, und sich viel darauf zu gut tat, daß er, seitdem er sein edles Handwerk trieb, ein paar hundert schlimme Händel gewonnen hatte, ohne jemals eine einzige directe Lüge zu sagen. Er steifte sich auf lauter unleugbare Facta; aber seine Stärke lag in der Zusammensetzung und im Helldunkeln. Demokritus hätte in keine bessern Hände fallen können. Wir bedauren nur, daß wir, weil die Acten des ganzen Processes längst von Mäusen gefressen worden, außer Stande sind, jungen neuangehenden Sykophanten zum Besten, die Rede vollständig mitzuteilen, worin dieser Meister in der Kunst dem großen Rate zu Abdera bewies: daß Demokritus seines Vermögens entsetzt werden müsse. Alles, was von dieser Rede übrig geblieben, ist ein kleines Fragment, welches uns merkwürdig genug scheint, um, zur Probe, wie diese Herren eine Sache zu wenden pflegten, ein paar Blätter in dieser Geschichte einzunehmen.
»Die größten, die gefährlichsten, die unerträglichsten aller Narren (sagte er) sind die raisonnierenden Narren. Ohne weniger Narren zu sein als andre, verbergen sie dem undenkenden Haufen die Zerrüttung ihres Kopfes durch die Fertigkeit ihrer Zunge, und werden für weise gehalten, weil sie zusammenhangender rasen als ihre Mitbrüder im Tollhause. Ein ungelehrter Narr ist verloren, so bald es so weit mit ihm gekommen ist, daß er Unsinn spricht. Bei dem gelehrten Narren hingegen sehen wir gerade das Widerspiel. Sein Glück ist gemacht und sein Ruhm befestiget, so bald er Unsinn zu reden oder zu schreiben anfängt. Denn die meisten, wiewohl sie sich ganz eigentlich bewußt sind, daß sie nichts davon verstehen, sind entweder zu mißtrauisch gegen ihren eigenen Verstand, um gewahr zu werden, daß die Schuld nicht an ihnen liegt; oder zu dumm, um es zu merken, und also zu eitel, um zu gestehen, daß sie nichts verstanden haben. Je mehr also der gelehrte Narr Unsinn spricht, desto lauter schreien die dummen Narren über Wunder; desto emsiger verdrehen sie sich die Köpfe, um Sinn in dem hochtönenden Unsinn zu finden. Jener, gleich einem durch den öffentlichen Beifall angefrischten Luftspringer, tut immer desto verwegnere Sätze, je mehr ihm zugeklatscht wird. Diese klatschen immer stärker, um den gelehrten Gaukler noch größere Wunder tun zu sehen. Und so geschieht es oft, daß der Schwindelgeist eines Einzigen ein ganzes Volk ergreift; und daß, so lange die Mode des Unsinns dauert, dem nämlichen Manne Altäre aufgerichtet werden, den man zu einer andern Zeit, ohne viele Umstände mit ihm zu machen, in einem Hospital versorgt haben würde. Glücklicher Weise für unsere gute Stadt Abdera ist es so weit mit uns noch nicht gekommen. Wir erkennen und bekennen alle aus einem Munde, daß Demokritus ein Sonderling, ein Phantast, ein Grillenfänger ist. Aber wir begnügen uns über ihn zu lachen; und dies ist es eben, worin wir fehlen. Itzt lachen wir über ihn; aber wie lange wird es währen, so werden wir anfangen, etwas Außerordentliches in seiner Narrheit zu finden? Vom Erstaunen zum Bewundern ist nur ein Schritt; und haben wir diesen erst getan – Götter! wer wird uns sagen können, wo wir aufhören werden? – Demokritus ist ein Phantast, sprechen wir itzt und lachen. Aber was für ein Phantast ist Demokritus, ein eingebildeter starker Geist; ein Spötter unsrer uralten Gebräuche und Einrichtungen; ein Müßiggänger, dessen Beschäftigungen dem Staate nicht mehr Nutzen bringen, als wenn er gar nichts täte; ein Mann, der Katzen zergliedert, der die Sprache der Vögel versteht, und den Stein der Weisen sucht; ein Nekromant, ein Schmetterlingsjäger, ein Sterngucker! – Und wir können noch zweifeln, ob er eine dunkle Kammer verdient? Was würde aus Abdera werden, wenn seine Narrheit endlich ansteckend würde? Wollen wir lieber die Folgen eines so großen Übels erwarten, als das einzige Mittel vorkehren, wodurch wir es verhüten könnten? Zu unserm Glücke gehen die Gesetze dieses Mittel an die Hand. Es ist einfach; es ist rechtmäßig; es ist unfehlbar.
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