Ganz wie ein Walfisch.

HAMLET. Nun, so will ich zu meiner Mutter kommen, im Augenblick. – Sie närren mich, daß mir die Geduld beinah' reißt. Ich komme im Augenblick.

POLONIUS. Das will ich ihr sagen. Ab.

HAMLET. »Im Augenblick« ist leicht gesagt. Laßt mich, Freunde!

 

Rosenkranz, Güldenstern, Horatio und die andern ab.

 

Nun ist die wahre Spükezeit der Nacht,

Wo Grüfte gähnen, und die Hölle selbst

Pest haucht in diese Welt. Nun tränk' ich wohl heiß Blut,

Und täte Dinge, die der bittre Tag

Mit Schaudern säh'. Still! jetzt zu meiner Mutter!

O Herz, vergiß nicht die Natur! Nie dränge

Sich Neros Seel' in diesen festen Busen!

Grausam, nicht unnatürlich laß mich sein;

Nur reden will ich Dolche, keine brauchen.

Hierin seid Heuchler, Zung', und du, Gemüt:

Wie hart mit ihr auch meine Rede schmäle,

Nie will'ge drein, sie zu versiegeln, Seele!

Ab.

 

 

Dritte Szene.

Ein Zimmer im Schlosse.

Der König, Rosenkranz und Güldenstern treten auf.

 

KÖNIG.

Ich mag ihn nicht, auch steht's um uns nicht sicher,

Wenn freisein Wahnsinn schwärmt. Drum macht euch fertig:

Ich stelle schleunig eure Vollmacht aus,

Und er soll dann mit euch nach England hin.

Die Pflichten unsrer Würde dulden nicht

Gefahr so nah, als stündlich uns erwächst

Aus seinen Grillen.

GÜLDENSTERN.

Wir wollen uns bereiten.

Es ist gewissenhafte, heil'ge Furcht,

Die vielen vielen Seelen zu erhalten,

Die Eure Majestät belebt und nährt.

ROSENKRANZ.

Schon das besondre, einzle Leben muß

Mit aller Kraft und Rüstung des Gemüts

Vor Schaden sich bewahren; doch viel mehr

Der Geist, an dessen Heil das Leben vieler

Beruht und hängt. Der Majestät Verscheiden

Stirbt nicht allein; es zieht gleich einem Strudel

Das Nahe mit. Sie ist ein mächtig Rad,

Befestigt auf des höchsten Berges Gipfel,

An dessen Riesenspeichen tausend Dinge

Gekittet und gefugt sind: wenn es fällt,

So teilt die kleinste Zutat und Umgebung

Den ungeheuren Sturz. Kein König seufzte je

Allein und ohn' ein allgemeines Weh.

KÖNIG.

Ich bitte, rüstet euch zur schnellen Reise:

Wir müssen diese Furcht in Fesseln legen,

Die auf zu freien Füßen jetzo geht.

ROSENKRANZ UND GÜLDENSTERN.

Wir wollen eilen.

 

Beide ab.

Polonius kommt.

 

POLONIUS.

Mein Fürst, er geht in seiner Mutter Zimmer.

Ich will mich hinter die Tapete stellen,

Den Hergang anzuhören; seid gewiß,

Sie schilt ihn tüchtig aus, und wie Ihr sagtet, –

Und weislich war's gesagt, – es schickt sich wohl,

Daß noch ein andrer Zeug' als eine Mutter,

Die von Natur parteiisch, ihr Gespräch

Im stillen anhört. Lebet wohl, mein Fürst:

Eh' Ihr zu Bett geht, sprech' ich vor bei Euch

Und meld' Euch, was ich weiß.

KÖNIG.

Dank, lieber Herr!

 

Polonius ab.

 

Oh, meine Tat ist faul, sie stinkt zum Himmel,

Sie trägt den ersten, ältesten der Flüche,

Mord eines Bruders! – Beten kann ich nicht,

Ist gleich die Neigung dringend wie der Wille:

Die stärkre Schuld besiegt den starken Vorsatz,

Und wie ein Mann, dem zwei Geschäft' obliegen,

Steh' ich in Zweifel, was ich erst soll tun,

Und lasse beides. Wie? wär' diese Hand

Auch um und um in Bruderblut getaucht:

Gibt es nicht Regen g'nug im milden Himmel,

Sie weiß wie Schnee zu waschen? Wozu dient

Die Gnad', als vor der Sünde Stirn zu treten?

Und hat Gebet nicht die zwiefache Kraft,

Dem Falle vorzubeugen, und Verzeihung

Gefallnen auszuwirken? Gut, ich will

Emporschaun: mein Verbrechen ist geschehn.

Doch oh, welch eine Wendung des Gebets

Ziemt meinem Fall? »Vergib mir meinen schnöden Mord?«

Dies kann nicht sein; mir bleibt ja stets noch alles,

Was mich zum Mord getrieben: meine Krone,

Mein eigner Ehrgeiz, meine Königin.

Wird da verziehn, wo Missetat besteht?

In den verderbten Strömen dieser Welt

Kann die vergold'te Hand der Missetat

Das Recht wegstoßen, und ein schnöder Preis

Erkauft oft das Gesetz. Nicht so dort oben!

Da gilt kein Kunstgriff, da erscheint die Handlung

In ihrer wahren Art, und wir sind selbst

Genötigt, unsern Fehlern in die Zähne

Ein Zeugnis abzulegen. Nun? was bleibt?

Sehn, was die Reue kann: Was kann sie nicht?

Doch wenn man nicht bereuen kann, was kann sie?

O Jammerstand! O Busen, schwarz wie Tod!

O Seele, die, sich frei zu machen ringend,

Noch mehr verstrickt wird! – Engel, helft! versucht!

Beugt euch, ihr starren Knie'! Gestähltes Herz,

Sei weich wie Sehnen neugeborner Kinder!

Vielleicht wird alles gut.

 

Entfernt sich und kniet nieder.

Hamlet kommt.

 

HAMLET.

Jetzt könnt' ich's tun, bequem; er ist im Beten,

Jetzt will ich's tun – und so geht er gen Himmel,

Und so bin ich gerächt? Das hieß': ein Bube

Ermordet meinen Vater, und dafür

Send' ich, sein einz'ger Sohn, denselben Buben

Gen Himmel.

Ei, das wär' Sold und Löhnung, Rache nicht.

Er überfiel in Wüstheit meinen Vater,

Voll Speis', in seiner Sünden Maienblüte.

Wie seine Rechnung steht, weiß nur der Himmel,

Allein nach unsrer Denkart und Vermutung

Ergeht's ihm schlimm: und bin ich dann gerächt,

Wenn ich in seiner Heiligung ihn fasse,

Bereitet und geschickt zum Übergang?

Nein.

Hinein, du Schwert! sei schrecklicher gezückt!

Wann er berauscht ist, schlafend, in der Wut,

In seines Betts blutschänderischen Freuden,

Beim Doppeln, Fluchen oder anderm Tun,

Das keine Spur des Heiles an sich hat:

Dann stoß' ihn nieder, daß gen Himmel er

Die Fersen bäumen mag und seine Seele

So schwarz und so verdammt sei wie die Hölle,

Wohin er fährt. Die Mutter wartet mein:

Dies soll nur Frist den siechen Tagen sein.

 

Ab.

Der König steht auf und tritt vor.

 

KÖNIG.

Die Worte fliegen auf, der Sinn hat keine Schwingen:

Wort ohne Sinn kann nicht zum Himmel dringen.

Ab.

 

Vierte Szene.

Zimmer der Königin.

Die Königin und Polonius treten auf.

 

POLONIUS.

Er kommt sogleich: setzt ihm mit Nachdruck zu,

Sagt ihm, daß er zu wilde Streiche macht,

Um sie zu dulden, und daß Eure Hoheit

Geschirmt, und zwischen großer Hitz' und ihm

Gestanden hat. Ich will hier still mich bergen;

Ich bitt' Euch, schont ihn nicht!

HAMLET hinter der Szene.

Mutter! Mutter! Mutter!

KÖNIGIN.

Verlaßt Euch drauf,

Sorgt meinetwegen nicht! Zieht Euch zurück!

Ich hör' ihn kommen.

 

Polonius verbirgt sich.

Hamlet kommt.

 

HAMLET.

Nun, Mutter, sagt: was gibt's?

KÖNIGIN.

Hamlet, dein Vater ist von dir beleidigt.

HAMLET.

Mutter, mein Vater ist von Euch beleidigt.

KÖNIGIN.

Kommt, kommt! Ihr sprecht mit einer losen Zunge.

HAMLET.

Geht, geht! Ihr fragt mit einer bösen Zunge.

KÖNIGIN.

Was soll das, Hamlet?

HAMLET.

Nun, was gibt es hier?

KÖNIGIN.

Habt Ihr mich ganz vergessen?

HAMLET.

Nein, beim Kreuz!

Ihr seid die Königin, Weib Eures Mannes Bruders,

Und – wär' es doch nicht so! – seid meine Mutter.

KÖNIGIN.

Gut, andre sollen zur Vernunft Euch bringen.

HAMLET.

Kommt, setzt Euch nieder; Ihr sollt nicht vom Platz,

Nicht gehn, bis ich Euch einen Spiegel zeige,

Worin Ihr Euer Innerstes erblickt.

KÖNIGIN.

Was willst du tun? Du willst mich nicht ermorden?

He, Hülfe! Hülfe!

POLONIUS hinter der Szene.

Hülfe! He! Herbei!

HAMLET.

Wie? was? eine Ratte?

 

Er zieht.

 

Tot! für 'nen Dukaten, tot!

 

Tut einen Stoß durch die Tapete.

 

POLONIUS hinter der Tapete.

Oh, ich bin um gebracht!

 

Fällt und stirbt.

 

KÖNIGIN.

Weh mir! was tatest du?

HAMLET.

Fürwahr, ich weiß es nicht: ist es der König?

 

Zieht den Polonius hinter der Tapete hervor.

 

KÖNIGIN.

Oh, welche rasche blut'ge Tat ist dies!

HAMLET.

Ja, gute Mutter, eine blut'ge Tat,

So schlimm beinah', als einen König töten

Und in die Eh' mit seinem Bruder treten.

KÖNIGIN.

Als einen König töten!

HAMLET.

Ja, so sagt' ich.

 

Zu Polonius.

 

Du kläglicher, vorwitz'ger Narr, fahr' wohl!

Ich nahm dich für 'nen Höhern: nimm dein Los,

Du siehst, zu viel Geschäftigkeit ist mißlich. –

Ringt nicht die Hände so! Still! setzt Euch nieder,

Laßt Euer Herz mich ringen, denn das will ich,

Wenn es durchdringlich ist, wenn nicht so ganz

Verdammte Angewöhnung es gestählt,

Daß es verschanzt ist gegen die Vernunft.

KÖNIGIN.

Was tat ich, daß du gegen mich die Zunge

So toben lassen darfst?

HAMLET.

Solch eine Tat,

Die alle Huld der Sittsamkeit entstellt,

Die Tugend Heuchler schilt, die Rose wegnimmt

Von unschuldvoller Liebe schöner Stirn,

Und Beulen hinsetzt; Eh'gelübde falsch

Wie Spielereide macht; oh, eine Tat,

Die aus dem Körper des Vertrages ganz

Die innre Seele reißet, und die süße

Religion zum Wortgepränge macht!

Des Himmels Antlitz glüht, ja diese Feste,

Dies Weltgebäu, mit traurendem Gesicht,

Als nahte sich der Jüngste Tag, gedenkt

Trübsinnig dieser Tat.

KÖNIGIN.

Weh! welche Tat

Brüllt denn so laut und donnert im Verkünden?

HAMLET.

Seht hier, auf dies Gemälde, und auf dies,

Das nachgeahmte Gleichnis zweier Brüder:

Seht, welche Anmut wohnt auf diesen Brau'n!

Apollos Locken, Jovis hohe Stirn,

Ein Aug' wie Mars, zum Drohn und zum Gebieten,

Des Götterherolds Stellung, wann er eben

Sich niederschwingt auf himmelnahe Höh'n;

In Wahrheit, ein Verein und eine Bildung,

Auf die sein Siegel jeder Gott gedrückt,

(Der Welt Gewähr für einen Mann zu leisten:)

Dies war Eu'r Gatte. – Seht nun her, was folgt:

Hier ist Eu'r Gatte, gleich der brand'gen Ähre

Verderblich seinem Bruder. Habt Ihr Augen?

Die Weide dieses schönen Bergs verlaßt Ihr,

Und mästet Euch im Sumpf? Ha, habt Ihr Augen?

Nennt es nicht Liebe! Denn in Eurem Alter

Ist der Tumult im Blute zahm; es schleicht,

Und wartet auf das Urteil: und welch Urteil

Ging' wohl von dem zu dem? Sinn habt Ihr sicher,

Sonst könnte keine Regung in Euch sein:

Doch sicher ist der Sinn vom Schlag gelähmt,

Denn Wahnwitz würde hier nicht irren; nie

Hat so den Sinn Verrücktheit unterjocht,

Daß nicht ein wenig Wahl ihm blieb, genug

Für solchen Unterschied. Was für ein Teufel

Hat bei der Blindekuh Euch so betört?

Sehn ohne Fühlen, Fühlen ohne Sehn,

Ohr ohne Hand und Aug', Geruch ohn' alles,

Ja nur ein Teilchen eines echten Sinns

Tappt nimmermehr so zu.

Scham, wo ist dein Erröten? Wilde Hölle,

Empörst du dich in der Matrone Gliedern,

So sei die Keuschheit der entflammten Jugend

Wie Wachs, und schmelz' in ihrem Feuer hin;

Ruf' keine Schande aus, wenn heißes Blut

Zum Angriff stürmet: da der Frost ja selbst

Nicht minder kräftig brennt, und die Vernunft

Den Willen kuppelt.

KÖNIGIN.

O Hamlet, sprich nicht mehr!

Du kehrst die Augen recht ins Innre mir:

Da seh' ich Flecke, tief und schwarz gefärbt,

Die nicht von Farbe lassen.

HAMLET.

Nein, zu leben

Im Schweiß und Brodem eines eklen Betts,

Gebrüht in Fäulnis; buhlend und sich paarend

Über dem garst'gen Nest –

KÖNIGIN.

Oh, sprich nicht mehr!

Mir dringen diese Wort' ins Ohr wie Dolche.

Nicht weiter, lieber Hamlet!

HAMLET.

Ein Mörder und ein Schalk; ein Knecht, nicht wert

Das Zehntel eines Zwanzigteils von ihm,

Der Eu'r Gemahl war; ein Hanswurst von König,

Ein Beutelschneider von Gewalt und Reich,

Der weg vom Sims die reiche Krone stahl

Und in die Tasche steckte!

KÖNIGIN.

Halt' inne!

 

Der Geist kommt.

 

HAMLET.

Ein geflickter Lumpenkönig! –

Schirmt mich und schwingt die Flügel über mir,

Ihr Himmelsscharen! – Was will dein würdig Bild?

KÖNIGIN.

Weh mir! er ist verrückt!

HAMLET.

Kommt Ihr nicht. Euren trägen Sohn zu schelten,

Der Zeit und Leidenschaft versäumt zur großen

Vollführung Eures furchtbaren Gebots?

O sagt!

GEIST.

Vergiß nicht! Diese Heimsuchung

Soll nur den abgestumpften Vorsatz schärfen.

Doch schau'! Entsetzen liegt auf deiner Mutter;

Tritt zwischen sie und ihre Seel' im Kampf:

In Schwachen wirkt die Einbildung am stärksten:

Sprich mit ihr, Hamlet!

HAMLET.

Wie ist Euch, Mutter?

KÖNIGIN.

Ach, wie ist denn Euch,

Daß Ihr die Augen heftet auf das Leere

Und redet mit der körperlosen Luft?

Wild blitzen Eure Geister aus den Augen,

Und wie ein schlafend Heer beim Waffenlärm,

Sträubt Euer liegend Haar sich als lebendig

Empor und steht zu Berg.