O lieber Sohn,

Spreng' auf die Hitz' und Flamme deines Übels

Abkühlende Geduld! Wo schaust du hin?

HAMLET.

Auf ihn! Auf ihn! Seht Ihr, wie blaß er starrt?

Sein Anblick, seine Sache würde Steinen

Vernunft einpredigen. – Sieh nicht auf mich,

Damit nicht deine klägliche Gebärde

Mein strenges Tun erweicht; sonst fehlt ihm dann

Die echte Art: vielleicht statt Blutes Tränen.

KÖNIGIN.

Mit wem besprecht Ihr Euch?

HAMLET.

Seht Ihr dort nichts?

KÖNIGIN.

Gar nichts; doch seh' ich alles, was dort ist.

HAMLET.

Und hörtet Ihr auch nichts?

KÖNIGIN.

Nein, nichts als uns.

HAMLET.

Ha, seht nur hin! Seht, wie es weg sich stiehlt!

Mein Vater in leibhaftiger Gestalt!

Seht, wie er eben zu der Tür hinausgeht!

 

Geist ab.

 

KÖNIGIN.

Dies ist bloß Eures Hirnes Ausgeburt;

In dieser wesenlosen Schöpfung ist

Verzückung sehr geübt.

HAMLET.

Verzückung?

Mein Puls hält ordentlich wie Eurer Takt,

Spielt eben so gesunde Melodien;

Es ist kein Wahnwitz, was ich vorgebracht.

Bringt mich zur Prüfung, und ich wiederhole

Die Sach' Euch Wort für Wort, wovon der Wahnwitz

Abspringen würde. Mutter, um Eu'r Heil!

Legt nicht die Schmeichelsalb' auf Eure Seele,

Daß nur mein Wahnwitz spricht, nicht Eu'r Vergehn:

Sie wird den bösen Fleck nur leicht verharschen,

Indes Verderbnis, heimlich untergrabend,

Von innen angreift. Beichtet vor dem Himmel,

Bereuet, was geschehn, und meidet Künft'ges,

Düngt nicht das Unkraut, daß es mehr noch wuchre!

Vergebt mir diese meine Tugend; denn

In dieser feisten, engebrüst'gen Zeit

Muß Tugend selbst Verzeihung flehn vom Laster,

Ja kriechen, daß sie nur ihm wohltun dürfe.

KÖNIGIN.

O Hamlet, du zerspaltest mir das Herz!

HAMLET.

Oh, werft den schlechten Teil davon hinweg,

Und lebt so reiner mit der andern Hälfte!

Gute Nacht! Doch meidet meines Oheims Bett,

Nehmt eine Tugend an, die Ihr nicht habt!

Der Teufel Angewöhnung, der des Bösen

Gefühl verschlingt, ist hierin Engel doch:

Er gibt der Übung schöner, guter Taten

Nicht minder eine Kleidung oder Tracht,

Die gut sich anlegt. Seid zu Nacht enthaltsam,

Und das wird eine Art von Leichtigkeit

Der folgenden Enthaltung leihn; die nächste

Wird dann noch leichter: denn die Übung kann

Fast das Gepräge der Natur verändern;

Sie zähmt den Teufel oder stößt ihn aus

Mit wunderbarer Macht. Nochmals, schlaft wohl!

Um Euren Segen bitt' ich, wann Ihr selbst

Nach Segen erst verlangt. – Für diesen Herrn

Tut es mir leid: der Himmel hat gewollt,

Um mich durch dies, und dies durch mich zu strafen,

Daß ich ihm Diener muß und Geißel sein.

Ich will ihn schon besorgen, und den Tod,

Den ich ihm gab, vertreten. Schlaft denn wohl!

Zur Grausamkeit zwingt bloße Liebe mich;

Schlimm fängt es an, und Schlimmres nahet sich.

Ein Wort noch, gute Mutter!

KÖNIGIN.

Was soll ich tun?

HAMLET.

Durchaus nicht das, was ich Euch heiße tun:

Laßt den geduns'nen König Euch ins Bett

Von neuem locken, in die Wangen Euch

Mutwillig kneifen, Euch sein Mäuschen nennen;

Und für ein paar verbuhlte Küss', ein Spielen

In Eurem Nacken mit verdammten Fingern,

Bringt diesen ganzen Handel an den Tag,

Daß ich in keiner wahren Tollheit bin,

Nur toll aus List: Gut wär's, Ihr ließt's ihn wissen!

Denn welche Königin, schön, keusch und klug,

Verhehlte einem Kanker, einem Molch

So teure Dinge wohl? wer täte das?

Nein, trotz Erkenntnis und Verschwiegenheit,

Löst auf dem Dach des Korbes Deckel, laßt

Die Vögel fliegen, und, wie jener Affe,

Kriecht in den Korb, um Proben anzustellen,

Und brecht Euch selbst den Hals!

KÖNIGIN.

Sei du gewiß, wenn Worte Atem sind,

Und Atem Leben ist, hab' ich kein Leben,

Das auszuatmen, was du mir gesagt.

HAMLET.

Ich muß nach England; wißt Ihr's?

KÖNIGIN.

Ach, ich vergaß: es ist so ausgemacht.

HAMLET.

Man siegelt Briefe; meine Schulgesellen,

Die beiden, denen ich wie Nattern traue,

Sie bringen die Bestellung hin; sie müssen

Den Weg mir bahnen, und zur Schurkerei

Herolden gleich mich führen. Sei es drum!

Der Spaß ist, wenn mit seinem eignen Pulver

Der Feuerwerker auffliegt; und mich trügt

Die Rechnung, wenn ich nicht ein Klafter tiefer

Als ihre Minen grab', und sprenge sie

Bis an den Mond. Oh, es ist gar zu schön,

Wenn so zwei Listen sich entgegen gehn!

Der Mann packt mir 'ne Last auf.

Ich will den Wanst ins nächste Zimmer schleppen.

Nun, Mutter, gute Nacht! – Der Ratsherr da

Ist jetzt sehr still, geheim und ernst fürwahr,

Der sonst ein schelm'scher alter Schwätzer war.

Kommt, Herr, ich muß mit Euch ein Ende machen. –

Gute Nacht, Mutter!

Sie gehen von verschiedenen Seiten ab. Hamlet schleift den Polonius heraus.

 

 

Vierter Aufzug.

 

Erste Szene.

Ein Zimmer im Schlosse.

Der König, die Königin, Rosenkranz und Güldenstern.

 

KÖNIG.

In diesen tiefen Seufzern ist ein Sinn;

Legt sie uns aus: wir müssen sie verstehn.

Wo ist Eu'r Sohn?

KÖNIGIN zu Rosenkranz und Güldenstern.

Räumt diesen Platz uns auf ein Weilchen ein!

 

Beide ab.

 

Ah, mein Gemahl! was sah ich diese Nacht!

KÖNIG.

Wie, Gertrud? Was macht Hamlet?

KÖNIGIN.

Er rast wie See und Wind, wenn beide kämpfen,

Wer mächt'ger ist: in seiner wilden Wut,

Da er was hinterm Teppich rauschen hört,

Reißt er die Kling' heraus, schreit: »eine Ratte!«

Und tötet so in seines Wahnes Hitze

Den ungesehnen guten alten Mann.

KÖNIG.

O schwere Tat! So wär' es uns geschehn,

Wenn wir daselbst gestanden: Seine Freiheit

Droht aller Welt, Euch selbst, uns, jedem andern.

Ach! wer steht ein für diese blut'ge Tat?

Uns wird zur Last sie fallen, deren Vorsicht

Den tollen jungen Mann eng eingesperrt

Und fern von Menschen hätte halten sollen.

Doch unsre Liebe war so groß, daß wir

Nicht einsehn wollten, was das Beste war.

Und wie der Eigner eines bösen Schadens,

Den er geheim hält, ließen wir ihn zehren

Recht an des Lebens Mark. Wo ist er hin?

KÖNIGIN.

Er schafft den Leichnam des Erschlagnen weg,

Wobei sein Wahnsinn, wie ein Körnchen Gold

In einem Erz von schlechteren Metallen,

Sich rein beweist: er weint um das Geschehne.

KÖNIG.

O Gertrud, laßt uns gehn!

Sobald die Sonne an die Berge tritt,

Schifft man ihn ein; und diese schnöde Tat

Muß unsre ganze Majestät und Kunst

Vertreten und entschuldigen. – He, Güldenstern!

 

Rosenkranz und Güldenstern kommen.

 

Geht, beide Freunde, nehmt euch wen zu Hülfe:

Hamlet hat den Polonius umgebracht

In seinem tollen Mut, und ihn darauf

Aus seiner Mutter Zimmer weggeschleppt.

Geht, sucht ihn, sprecht ihm zu, und bringt den Leichnam

In die Kapell'. Ich bitt' euch, eilt hiebei!

 

Rosenkranz und Güldenstern ab.

 

Kommt, Gertrud, rufen wir von unsern Freunden

Die klügsten auf, und machen ihnen kund,

Was wir zu tun gedenken, und was leider

Geschehn: so kann der schlangenart'ge Leumund,

Des Zischeln von dem einen Pol zum andern,

So sicher wie zum Ziele die Kanone,

Den gift'gen Schuß trägt, unsern Namen noch

Verfehlen, und die Luft unschädlich treffen.

O komm hinweg mit mir! Entsetzen ist

In meiner Seel' und innerlicher Zwist.

Beide ab.

 

 

Zweite Szene.

Ein andres Zimmer im Schlosse.

Hamlet kommt.

 

HAMLET.

– Sicher beigepackt. –

ROSENKRANZ UND GÜLDENSTERN hinter der Szene.

Hamlet! Prinz Hamlet!

HAMLET.

Aber still – was für ein Lärm? Wer ruft den Hamlet?

Oh, da kommen sie.

 

Rosenkranz und Güldenstern kommen.

 

ROSENKRANZ.

Was habt Ihr mit dem Leichnam, Prinz, gemacht?

HAMLET.

Ihn mit dem Staub gepaart, dem er verwandt.

ROSENKRANZ.

Sagt uns den Ort, daß wir ihn weg von da

In die Kapelle tragen.

HAMLET.

Glaubt es nicht!

ROSENKRANZ. Was nicht glauben?

HAMLET. Daß ich euer Geheimnis bewahren kann, und meines nicht. Überdies, sich von einem Schwamme fragen zu lassen! Was für eine Antwort soll der Sohn eines Königs darauf geben?

ROSENKRANZ. Nehmt Ihr mich für einen Schwamm, gnädiger Herr?

HAMLET. Ja, Herr, der des Königs Miene, seine Gunstbezeugungen und Befehle einsaugt. Aber solche Beamte tun dem Könige den besten Dienst am Ende. Er hält sie wie ein Affe den Bissen im Winkel seines Kinnbackens; zuerst in den Mund gesteckt, um zuletzt verschlungen zu werden. Wenn er braucht, was Ihr aufgesammelt habt, so darf er Euch nur drücken, so seid Ihr, Schwamm, wieder trocken.

ROSENKRANZ. Ich verstehe Euch nicht, gnädiger Herr.

HAMLET. Es ist mir lieb: eine lose Rede schläft in dummen Ohren.

ROSENKRANZ. Gnädiger Herr, Ihr müßt uns sagen, wo die Leiche ist, und mit uns zum Könige gehn.

HAMLET. Die Leiche ist beim König, aber der König ist nicht bei der Leiche.