Wenn Wiz und Freyheit das einzige Gesez sind, so findet man ihres gleichen nicht in der Welt.
Hamlet.
(O Jephta, Richter in Israel)*, was für einen Schaz hast du!
{ed.-* Dieses und was Hamlet dem Polonius antwortet, scheinen Bruchstüke aus alten Balladen zu seyn.}
Polonius.
Was hatte er für einen Schaz, Gnädiger Herr?
Hamlet.
(Ein' Tochter hatt' er, und nicht mehr,
Ein hübsches Mädchen, das liebt er sehr.)
Polonius (vor sich.)
Immer stekt ihm meine Tochter im Kopf
Hamlet.
Hab' ich nicht recht, alter Jephta?
Polonius. Wenn ich der Jephta bin, den ihr meynt, Gnädiger Herr, so hab ich eine Tochter, die ich sehr liebe.
Hamlet.
Nein, das folgt nicht.
Polonius.
Was folgt denn, Gnädiger Herr?
Hamlet.
Was? Zum Exempel,
(Da trug sich zu, wie ich sagen thu—) ihr kennt ja das Liedchen? Aber da kommen die ehrlichen Leute, die mir heraushelfen— (Vier oder fünf Schauspieler treten auf.) Willkommen, ihr Herren, willkommen allerseits—Es freut mich, dich wohl zu sehen— Willkommen meine guten Freunde—Ha! Alter Freund! Du hast ja einen hübschen Bart bekommen, seit dem wir uns gesehen haben—wie, meine hübsche Jungfer, ihr seyd ja um eine Pantoffel-Höhe gewachsen? Ich will hoffen, daß es eurer schönen Stimme nichts geschadet haben werde—Ihr Herren, ihr seyd alle willkommen; wir wollen nur gleich zur Sache—eine hübsche Scene, wenn ich bitten darf; kommt, kommt; eine kleine Probe von eurer Kunst, eine Rede, worinn recht viel Affect ist—
1. Schauspieler. Was für eine Rede, Gnädiger Herr?
Hamlet. Ich hörte dich einmal eine declamieren, aber auf die Schaubühne kam sie nicht; wenigstens nicht mehr als einmal; denn das Stük, so viel ich mich erinnere, gefiel dem grossen Hauffen nicht; es war Stör- Rogen (Caviar) für den Pöbel; aber, wie ich und andre, deren Urtheil ich in solchen Sachen traue, es ansahen, war es ein vortreffliches Stük; viel Einfalt und doch viel Kunst in der Anlage des Plans, und die Scenen wol disponiert; nichts affectiertes in der Schreibart; kein Salz, (sagte jemand) in den Worten, um der Mattigkeit der Gedanken nachzuhelfen; keine Redensarten noch Schwünge, worinn man statt der redenden Person den sich selbst gefallenden Autor hört; kurz, ein natürlicher, ungeschminkter Styl, wie der Kenner sagte. Ich erinnre mich sonderheitlich einer Rede, die mir vorzüglich gefiel; es war in einem Dialoge des Äneas mit der Dido, die Stelle, wo er von Priams Tochter sprach. Wenn ihr's noch im Gedächtniß habt, so fangt bey der Zeile an—Laßt sehen, laßt sehen—"Der rauhe Pyrrhus, gleich dem Hyrcanischen Tyger"— Nein, so heißt es nicht—es fangt mit dem Pyrrhus an—"Der rauhe Pyrrhus, dessen Rüstung, schwarz wie sein unmenschliches Herz, jener Nacht glich, da er auf Verderben laurend, im Bauch des fatalen Pferdes verborgen lag, hatte nun die furchtbare Schwärze seiner Waffen mit einer noch gräßlichern Farbe beflekt; nun ist er von Kopf zu Fuß ganz blutroth; entsezlich besprizt mit Blut von Vätern, Müttern, Söhnen, Töchtern, in die düstre Flamme gehüllt, deren verdammter Schein den Weg schnöder Mörder beleuchtet—So von Wuth und Hize lechzend, so mit gestoktem Blut überzogen, sucht mit funkelnden Augen der höllische Pyrrhus den alten Anherrn Priam auf."
Polonius.
Bey Gott, Gnädiger Herr, das war gut declamirt; mit einem guten
Accent, und mit einer geschikten Action.
1. Schauspieler. Er findet ihn, von Griechen umringt, die er aber mit zu kurzgeführten Streichen, zurükzutreiben sucht. Sein altes Schwerd, ungehorsam dem kraftlosen Arm, führt lauter unschädliche Hiebe und bleibt liegen, wohin es fällt—welch ein Gegner, die Wuth des daherstürzenden Pyrrhus aufzuhalten, der Wütrich hohlt zu einem tödtlichen Streich weit aus; aber von dem blossen Zischen seines blutigen Schwerds fällt der nervenlose Vater zu Boden. Das gefühllose Ilion selbst schien diesen Streich zu fühlen, seine flammenden Thürme stürzten ein, und der entsezliche Ruin macht sogar den Pyrrhus stuzen; denn, seht, sein Schwerd, im Begriff, auf das milchweisse Haupt des ehrwürdigen Priams herab zu fallen, blieb, so schien es, in der Luft steken; Pyrrhus stuhnd, wie ein gemahlter Tyrann, unthätig, dem Unentschloßnen gleich, der zwischen seinem Willen und dem Gegenstand im Gleichgewicht schwebt; aber, so, wie wir oft wenn ein Sturm bevorsteht, ein tiefes Schweigen durch die Himmel wahrnehmen das Rad der Natur scheint zu stehen, die trozigen Winde schweigen, und unter ihnen liegt der Erdkreis in banger Todes-Stille; auf einmal stürzt der krachende Donner, Verderben auf die Gegend herab: So feurt den unmenschlichen Pyrrhus, nach dieser kleinen Pause, ein plözlicher Sturm von Rachsucht wieder zur blutigen Arbeit an: Gefühlloser fielen nie die Hämmer der Cyclopen auf die glühende Masse herab, woraus sie des Kriegs- Gottes undurchdringliche Waffen schmieden; als nun des Pyrrhus Schwerdt auf den hülflosen Greisen fällt—Hinaus, hinaus, du Meze, Fortuna! O ihr Götter alle, vereiniget euch, stehet alle zusammen, sie ihrer Gewalt zu berauben: Zerbrechet alle Speichen und Felgen ihres Rades, und rollet die zirkelnde Nabe von dem Hügel des Himmels bis in den Abgrund der Hölle hinab!
Polonius.
Das ist zu lang.
Hamlet.
Es soll mit euerm Bart zum Barbier—Ich bitte dich, fahre fort; er
muß Wortspiele oder schmuzige Mährchen haben, oder er schläft ein—
Weiter fort, zur Hecuba—
1. Schauspieler. Aber wer, o wer izt die vermummte Königin gesehn hätte—
Hamlet.
Die vermummte Königin?
Polonius.
Das ist gut, vermummte Königin, ist gut.
Schauspieler. Wie sie, in Verzweiflung, mit nakten Füssen auf- und nieder rannte, und weinte, daß die Flammen von ihren Thränen hätten verlöschen mögen; ein besudelter Lumpe auf diesem Haupt, wo kürzlich noch das Diadem funkelte; und statt des Königlichen Purpurs ein Bettlaken, das erste was sie im betäubenden Schreken ergriff, um ihre schlappen, von häufigem Gebähren ganz ausgemergelte Lenden hergeworffen; wer das gesehen hätte, würde mit in Gift getauchter Zunge Verwünschungen gegen das Glük ausgestossen haben—Doch, wenn die Götter selbst sie gesehen hätten, in dem Augenblik sie gesehen hätten, da Pyrrhus, mit unmenschlichem Muthwillen, die Glieder ihres Gemahls vor ihren Augen in kleine Stüke zerhakte, das ausberstende Geschrey, das sie da machte, würde sie, (es wäre dann, daß sie von sterblichen Dingen gar nicht gerührt werden,) würde die brennenden Augen des Himmels in Thränen aufgelöst, und die Götter in Leidenschaft gesezt haben.
Polonius.
Seht nur, ob er nicht seine Farbe verändert, und ob er nicht
Thränen in den Augen hat? Ich bitte dich, laß es genug seyn.
Hamlet. Gut, wir wollen den Rest dieser Rede auf ein andermal sparen—Mein guter Herr,
(zu Polonius)
wollt ihr dafür sorgen, daß diese Schauspieler wohl besorgt werden? Hört ihr's, laßt ihnen nichts abgehen; es sind Leute, die man in Acht nehmen muß; sie sind lebendige Chroniken ihrer Zeit; es wäre euch besser, eine schlechte Grabschrift nach euerm Tod zu haben, als ihre üble Nachrede, weil ihr lebt.
Polonius.
Gnädiger Herr, ich will ihnen begegnen, wie sie es verdienen.
Hamlet. Behüt uns Gott, Mann, weit besser! Wenn ihr einem jeden begegnen wolltet, wie er's verdient, wer würde dem Staup-Besen entgehen? Begegnet ihnen, wie es eurer eignen Ehre und Würde gemäß ist. Je weniger sie verdienen, je mehr Verdienst ist in eurer Gütigkeit. Nehmt sie mit euch hinein.
Polonius.
Kommt, ihr Herren.
(Polonius geht ab.)
Hamlet.
Folget ihm, meine guten Freunde: Morgen wollen wir ein Stük hören—
Hörst du mich, alter Freund, kanst du die Ermordung des Gonzago
aufführen?
Schauspieler.
Ja, Gnädigster Herr.
Hamlet.
So wollen wir's Morgen auf die Nacht haben. Ihr könnt doch, im
Nothfall eine Rede von einem Duzend oder sechszehn Zeilen studieren,
die ich noch aufsezen, und hinein bringen möchte? Könnt ihr nicht?
Schauspieler.
Ja wohl, Gnädigster Herr.
Hamlet. Das ist mir lieb. Geht diesem Herrn nach, aber nehmt euch in Acht, daß ihr ihn nicht zum besten habt.
(Zu Rosenkranz und Güldenstern.)
Meine guten Freunde, ich verlasse euch bis diese Nacht; ihr seyd willkommen in Elsinoor.
Rosenkranz.
Wir empfehlen uns zu Gnaden—
(Sie gehen ab.)
Achte Scene.
Hamlet (allein). Ja, so behüt euch Gott: endlich bin ich allein—O, was für ein Schurke, für ein nichtswürdiger Sclave bin ich! Ist es nicht was ungeheures, daß dieser Comödiant hier, in einer blossen Fabel, im blossen Traum einer Leidenschaft, soviel Gewalt über seine Seele haben soll, daß durch ihre Würkung sein ganzes Gesicht sich entfärbt, Thränen seine Augen füllen, seine Stimme bricht, jeder Gesichtszug, jedes Gliedmaß, jede Muskel die Heftigkeit der Leidenschaft, die doch bloß in seinem Hirn ist, mit solcher Wahrheit ausdrükt—und das alles um nichts? Um Hecuba—Was ist Hecuba für ihn, oder er für Hecuba, daß er um sie weinen soll? Was würd er thun, wenn er die Ursache zur Leidenschaft hätte, die ich habe? Er würde den Schauplaz in Thränen ersäuffen, und mit entsezlichen Reden jedes Ohr durchbohren; die Schuldigen würden von Sinnen kommen, und die Schuldlosen selbst wie Verbrecher erblassen— und ich, träger schwermüthiger Tropf, härme mich wie ein milzsüchtiger Grillenfänger ab, fühle die Grösse meiner Sache nicht, und kan nichts sagen—nein, nichts, nichts für einen König, der auf eine so verruchte Art seiner Crone und seines Lebens beraubt worden ist!—Bin ich vielleicht eine Memme? Wer darf mich einen Schurken nennen, mir ein Loch in den Kopf schlagen, mir den Bart ausrauffen, und ins Gesicht werfen? Wer zwikt mich bey der Nase, oder wirft mir eine Lüge in den Hals, so tief bis in die Lunge hinab? Wer thut mir das? Und doch sollt' ich es leiden—Denn es kan nicht anders seyn, ich bin ein Daubenherziger Mensch, der keine Galle hat, die ihm seine Unterdrükung bitter mache; wenn es nicht so wäre, hätte ich nicht bereits alle Geyer der Gegend mit dem vorgeworfnen Aas dieses Sclaven gemästet? Der blutige kupplerische Bube! Der gewissenlose, verräthrische, unzüchtige, unbarmherzige Bösewicht!—Wie, was für eine niederträchtige Geduld hält mich zurük? Ich, der Sohn eines theuren ermordeten Vaters, von Himmel und Hölle zur Rache aufgefodert, ich soll wie eine feige Meze, mein Herz durch Worte erleichtern, wie eine wahre Gassen-Hure in Schimpf- Worte und Flüche ausbrechen—und es ist Hirn in diesem Schedel! Fy, der Niederträchtigkeit! Es muß anders werden!—Ich habe gehört, daß Verbrecher unter einem Schauspiel durch die blosse Kunst des Poeten und des Schauspielers so in die Seele getroffen worden, daß sie auf der Stelle ihre Übelthaten bekennt haben. Wenn ein Mord gleich keine Zunge hat, so muß doch ehe das lebloseste Ding Sprache bekommen, als daß er unentdekt bleiben sollte. Ich will diese Comödianten etwas der Ermordung meines Vaters ähnliches vor meinem Oheim aufführen lassen. Ich will sein Gesicht dabey beobachten; ich will ihm die Wike bis aufs Fleisch in die Wunde bohren; wenn er nur erblaßt, so weiß ich was ich zu thun habe. Der Geist, den ich gesehen habe, kan der Teufel seyn; denn der Teufel hat die Macht eine gefällige Gestalt anzunehmen; vielleicht mißbraucht er meine Schwermuth und Trübsinnigkeit (Geister, durch die er eine besondere Gewalt hat) mich zu einer verdammlichen That zu verleiten. Ich will einen überzeugendern Grund haben als diese Erscheinung; und im Schauspiel soll die Falle seyn, worinn ich das Gewissen des Königs fangen will.
Dritter Aufzug.
Erste Scene.
(Der Pallast.)
(Der König, die Königin, Polonius, Ophelia, Rosenkranz,
Güldenstern, und Herren vom Hofe treten auf.)
König. Ihr habt also nicht von ihm herausbringen können, was die Ursache ist, warum er in den schönsten Tagen seines Lebens in diese stürmische und Gefahr-drohende Raserey gefallen?
Rosenkranz.
Er gesteht, daß er sich in einem ausserordentlichen Gemüths-
Zustande fühle; aber was die Ursache davon sey, darüber will er
sich schlechterdings nicht herauslassen.
Güldenstern. Auch giebt er nirgends keine Gelegenheit, wo man ihn ausholen könnte, und wenn man würklich ganz nahe dabey zu seyn glaubt, ihn zum Geständniß seines wahren Zustands zu bringen, so hat er, seiner vorgeblichen Tollheit ungeachtet, doch List genug, sich immer wieder aus der Schlinge zu ziehen.
Königin.
Empfieng er euch freundlich?
Rosenkranz.
Mit vieler Höflichkeit.
Güldenstern. Doch so, daß man die Gewalt die er seinem Humor anthun mußte, sehr deutlich merken konnte.
Rosenkranz.
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