Ausserdem, daß wir ein besonderes Verlangen getragen haben euch zu sehen, hat uns noch die Nothwendigkeit, Gebrauch von euch zu machen, zu dieser eilfertigen Beschikung vermocht. Ihr habet vermuthlich etwas von Hamlets Verwandlung gehört; so muß ich es nennen, da er weder dem Äusserlichen noch Innerlichen, noch sich selbst mehr ähnlich ist. Was das seyn mag, was, ausser seines Vaters Tod, ihn zu dieser Entfremdung von sich selbst gebracht hat, kan ich mir nicht träumen lassen. Ich bitte euch also beyde, da ihr von eurer ersten Jugend an mit ihm auferzogen worden, und die Gleichheit des Alters euch zu seiner Vertraulichkeit mehr Recht als andern giebt, so haltet euch nur eine kleine Zeitlang an unserm Hofe auf, um ihm Gesellschaft zu leisten, ihn in allerley Lustbarkeiten zu ziehen, und zu versuchen, ob ihr nicht Gelegenheit findet von ihm heraus zu loken, was die uns unbekannte Ursache seiner ungewöhnlichen Schwermuth ist, und ob sie so beschaffen ist, daß wir derselben abzuhelfen im Stande sind.
Königin. Meine liebe Herren, er hat viel von euch gesprochen, und ich bin gewiß daß niemand in der Welt ist, auf den er mehr hält als auf euch beyde. Wenn ihr uns so viele Gefälligkeit und guten Willen erweisen, und euch so lange hier bey uns aufhalten wollet, als zu Erreichung unsrer Absicht und Erwartung nöthig seyn mag, so seyd versichert, daß euer Besuch einen Dank erhalten soll, wie es der Erkenntlichkeit eines Königs anständig ist.
Rosenkranz. Eure Majestäten haben beiderseits eine so unumschränkte Macht über uns, daß sie da befehlen können, wo es ihnen beliebt zu bitten.
Güldenstern.
Wir gehorchen also beyde, und geben alles was wir sind zum Pfand
des Eifers, womit wir uns bestreben werden, unsre Dienste zu euern
Füssen zu legen.
König.
Ich danke euch, werther Rosenkranz und Güldenstern.
Königin. Ich danke euch, werther Güldenstern und Rosenkranz, und ersuche euch, sogleich zu gehen, und meinem ganz unkenntlich gewordnen Sohn einen Besuch zu geben. Geh einer von euch, und führe diese Herren zu Hamlet.
Güldenstern. Gebe der Himmel, daß ihm unsre Gegenwart und unsre Verwendungen angenehm und heilsam sey!
(Rosenkranz und Güldenstern gehen ab.)
Königin.
Amen! (Polonius zu den Vorigen.)
Polonius. Gnädigster Herr; die Abgesandten nach Norwegen sind glüklich wieder angelangt.
König.
Du bist immer der Vater guter Zeitungen gewesen.
Polonius. Bin ich, Gnädigster Herr? Seyd versichert, mein Gebieter, ich halte auf meine Pflicht wie auf meine Seele, beydes gegen meinen Gott und gegen meinen huldreichesten König; und ich denke, (oder mein Kopf müßte alle die Mühe, die ich in meinem Leben auf die politische Wahrsager-Kunst gewandt, vergebens gehabt haben,) ich denke, ich habe die wahre Ursache von Hamlets Wahnwiz ausfündig gemacht.
König.
O, so redet von dem, was mich am meisten verlangt zu hören.
Polonius.
Gebet vorher den Abgesandten Audienz; meine Neuigkeit soll der
Nachtisch von diesem grossen Schmause seyn.
König.
So erweiset ihnen die Ehre, und führet sie selbst ein.
(Polonius geht ab.)
Er sagt mir, meine liebste Königin, er habe die wahre Quelle von unsers Sohnes Krankheit ausfindig gemacht.
Königin. Ich besorge, es ist im Grunde keine andre, als seines Vaters Tod und unsre übereilte Vermählung.
Vierte Scene.
(Polonius kommt mit Voltimand und Cornelius zurük.)
König.
Gut, wir wollen ihm die Würmer schon aus der Nase ziehen—
Willkommen, meine guten Freunde! Redet, Voltimand, was bringt ihr
uns von unserm Bruder Norwegen?
Voltimand. Die verbindlichste Erwiederung euers Grusses mit allen freundschaftlichen Erbietungen. Auf unsre erste Anzeige schikte er aus, die Werbungen seines Neffen abzustellen, welche er für eine Zurüstung gegen Pohlen gehalten hatte; wie er aber besser zur Sache sah, befand sich's, daß es in der That gegen Eu. Majestät abgesehen war: Bey dieser Entdekung führte er grosse Klagen, daß seine Alters-Schwachheit und Unvermögenheit so mißbraucht werde, und ließ den Fortinbras sogleich in Verhaft nehmen; dieser (damit wir unsre Erzählung kurz zusammen fassen) unterwarf sich, nahm von seinem Oheim einen scharfen Verweiß ein, und gelobete demselben zulezt in die Hand, daß er die Waffen niemals gegen Eu. Majestät ergreifen wolle. Hierüber hatte der alte Norwegen eine so grosse Freude, daß er ihm auf der Stelle ein jährliches Gehalt von dreytausend Kronen ausmachte, mit dem Auftrag, die bereits angeworbnen Truppen gegen den König in Pohlen zu gebrauchen; zu welchem Ende er dann Eu. Majestät in gegenwärtigem Schreiben ersucht, daß es ihr gefallen möchte, selbigen den ruhigen Durchzug durch ihre Staaten zu dieser Unternehmung zu gestatten, unter denjenigen Bedingnissen und Sicherheits-Clausuln, welche in bemeldtem Schreiben enthalten sind.
König. Wir sind es ganz wol zufrieden, und werden, bey gelegnerer Zeit dieses Schreiben lesen, überdenken und beantworten. Inzwischen danken wir euch für eure glüklich angewandte Bemühung. Gehet izt und ruhet aus; auf die Nacht wollen wir uns mit einander lustig machen. Seyd nochmals freundlich willkommen!
(Die Gesandten gehen ab.)
Polonius. Dieses Geschäfte ist nun glüklich geendigt. Mein Gnädigst gebietender Herr, und meine Gnädigste Frau; weitläufig zu exponieren, was Majestät und was Pflicht ist, warum der Tag Tag, die Nacht Nacht, und die Zeit Zeit ist, wäre nichts anders als Tag, Nacht und Zeit verderben. Demnach und alldieweilen dann die Kürze die Seele des Wizes, und Weitläufigkeit im Vortrag nur den Leib und die äusserliche Auszierung desselben ausmacht, so will ich mich der Kürze befleissen: Euer edler Sohn ist toll; toll, nenn ich es, denn um von der wahren Tollheit eine Definition zu geben, was ist sie anders, als sonst nichts zu seyn als toll? Doch das wollen wir izo beyseite sezen—
Königin.
Mehr Stoff mit weniger Kunst, wenn es euch beliebig wäre.
Polonius. Gnädigste Frau, ich kan drauf schwören, daß ich vor dißmal gar keine Kunst gebrauche. Daß er toll ist, ist wahr; daß es wahr ist, ist zu bedauren—eine drollige Figur—Aber sie mag reisen; denn ich will hier gar keine Kunst gebrauchen. Wir wollen also zum Grund legen, daß er toll ist; nun ist übrig, daß wir die Ursache von diesem Effect, oder richtiger zu reden, die Ursache von diesem Defect ausfindig machen. Das bleibt übrig, und dieses Residuum ist diß—Überleget die Sache.
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