Ich habe eine Tochter; habe, sag' ich, so lange sie mein ist; und diese hat, aus schuldiger Pflicht und Gehorsam, merket wol, mir dieses zugestellt; nun rathet einmal, oder bildet euch ein was es seyn mag.
(Er öffnet einen Brief und ließt:)
"An den himmlischen Abgott meiner Seele, die reizerfüllteste Ophelia"—Das ist eine schlimme Redensart, eine abgeschmakte Redensart: Reizerfüllteste ist eine abgeschmakte Art zu reden: Aber ihr werdet's erst noch hören—"Diese Zeilen auf ihren unvergleichlichen weissen Busen, diese—
Königin.
Kommt das von Hamlet an sie?
Polonius. Gnädigste Frau, nur eine kleine Geduld, ich will meine Schuldigkeit thun.
(Er ließt:)
Zweifle an des Feuers Hize, Zweifle an der Sonne Licht, Zweifle ob die Wahrheit Lüge, Schönste, nur an deinem Siege Und an meiner Liebe nicht. O, meine liebste Ophelia, ich bin böse über diese Verse; ich verstehe die Kunst nicht meine Seufzer an den Fingern abzuzählen, aber daß ich dich so vollkommen liebe als du liebenswürdig bist, das glaube. Adieu. Der deinige so lange diese Maschine sein ist, Hamlet." Dieses hat mir also meine Tochter aus pflichtschuldigem Gehorsam gezeigt, und überdas noch weiters meine Ohren mit allen seinen Nachstellungen, so wie sie nach Zeit, Ort und Umständen sich begeben haben, bekannt gemacht.
König.
Aber wie hat sie seine Liebe aufgenommen?
Polonius.
Was denket ihr von mir?
König.
Daß ihr ein ehrlicher und pflichtvoller Mann seyd.
Polonius. So möchte ich in der Probe gerne bestehen. Aber was könntet ihr denken? Wie ich diese feurige Liebe gewahr wurde, (und ich muß euch gestehen, daß ich sie merkte, eh mir meine Tochter was davon sagte,) was hätten Eu. Königliche Majestäten denken können? Wenn ich einen Pult oder eine Schreib-Tafel vorgestellt, oder aus weitaussehenden Absichten den Tauben und Stummen gemacht, oder über diese Liebe mit gleichgültigen Augen hingesehen hätte, was würdet ihr denken? Aber nein, ich gieng fein gerade durch, und besprach mein junges Frauenzimmer folgender maassen: Prinz Hamlet ist ein Prinz, und also über deiner Sphäre; es kan nicht seyn; und dann gab ich ihr Regeln, wie sie sich vor ihm unsichtbar machen, keine Bottschaften von ihm vor sich lassen, und weder Briefchen noch Geschenke annehmen sollte—Das that sie nun; aber sehet was die Früchte meines Raths gewesen sind. Denn, daß ich es kurz mache, wie er abgewiesen wurde, so gerieht er in Traurigkeit, hernach verlohr er den Appetit, darauf den Schlaf, dadurch verfiel er in Schwachheit, aus dieser in ein Delirium, und so von Grad zu Grad, endlich in die Tollheit, worinn er nun raset, und welche wir alle beweinen.
König.
Denkt ihr das?
Königin.
Es kan gar wol möglich seyn.
Polonius. Ist jemals eine Zeit gewesen, das möcht' ich doch gerne wissen, wo ich positive gesagt habe, es ist so, und es hat sich anders befunden?
König.
Meines Wissens nicht.
Polonius. Wenn es anders ist, will ich meinen Kopf verlohren haben. Wenn ich nur einige Umstände weiß, so will ich allemal finden, wo die Wahrheit verstekt liegt, und wenn sie im Mittelpunkt der Erde stekte.
König.
Aber wie könnten wir der Sache gewisser werden?
Polonius.
Ihr wißt, daß er manchmal vier Stunden hinter einander hier in der
Galerie auf- und abgeht.
Königin.
Es ist so.
Polonius. Um eine solche Zeit will ich meine Tochter zu ihm lassen: Ihr und ich wollen uns hinter eine Tapete versteken, und da wollen wir beobachten, was vorgehen wird: Liebt er sie nicht, und hat seine Vernunft nicht darüber verlohren, so will ich meine Minister-Stelle aufgeben, ein Bauer werden und Mist auf meine Felder führen.
König.
Wir wollen die Sache näher erkundigen.
Fünfte Scene.
(Hamlet, in einem Buche lesend, tritt auf.)
Königin. Seht, da kommt der arme Tropf daher, in einem Buch lesend—wie schwermüthig er aussieht!
Polonius.
Ich bitte euch, entfernt euch beyde. Ich will ihn anreden.
(Der König und die Königin gehen ab.)
O, mit Erlaubniß—Wie befindet sich mein Gnädigster Prinz Hamlet? —
Hamlet.
Wohl, Gott sey Dank.
Polonius.
Kennt ihr mich, Gnädiger Herr?
Hamlet.
Sehr wol; ihr seyd ein Fisch-Händler.
Polonius.
Das bin ich nicht, Gnädiger Herr.
Hamlet.
So wollt' ich, ihr wäret so ein ehrlicher Mann.
Polonius.
Ehrlich, Gnädiger Herr?
Hamlet. Ja, Herr; ehrlich seyn, das ist, so wie die heutige Welt geht, so viel als aus Zehntausenden ausgeschlossen seyn.
Polonius.
Das ist wol wahr, Gnädiger Herr.
Hamlet.
Denn wenn die Sonne Maden in einem todten Hunde zeugt, die doch ein
Gott ist, aber sobald sie ein Aaß küßt—Habt ihr eine Tochter?
Polonius.
Ja, Gnädiger Herr.
Hamlet. Laßt sie nicht in der Sonne gehen; Empfängniß ist ein Segen, aber wie eure Tochter empfangen könnte, ist keiner; gebt Acht auf das.
Polonius.
Was wollt ihr damit sagen?—
(vor sich.)
Immer die gleiche Leyer, von meiner Tochter; und doch kannte er mich anfangs nicht; er hielt mich für einen Fisch-Händler. Es ist weit mit ihm gekommen; aber ich erinnre mich wol, daß ich in meiner Jugend erschreklich viel von der Liebe ausgestanden habe, es war diesem ziemlich nahe—Ich will ihn noch einmal anreden. Was leset ihr, Gnädiger Herr?
Hamlet.
Worte, Worte, Worte.
Polonius.
Wovon ist die Rede, Gnädiger Herr?
Hamlet.
Zwischen wem?
Polonius.
Ich meyne, was der Inhalt dessen, was ihr leset, sey?
Hamlet. Calumnien, Herr; denn der satirische Bube da sagt, alte Männer hätten graue Bärte, und runzlichte Gesichter, ihr Augen trieften Amber und Pflaumen-Baum-Harz, und sie hätten vollen Mangel an Verstand mit sehr schwachen Schinken. Welches alles, mein Herr, ich zwar mächtiglich und festiglich glaube; aber doch halt' ich es für Unhöflichkeit, daß es so niedergeschrieben worden; denn ihr selbst, Herr, würdet so alt als ich seyn, wenn ihr wie ein Krebs rükwärts gehen könntet.
Polonius (vor sich.)
Wenn das Tollheit ist, wie es dann ist, so ist doch Methode drinn—
Wollt ihr nicht ein wenig aus der freyen Luft gehen, Gnädiger Herr?
Hamlet.
In mein Grab.
Polonius.
In der That, das wäre aus der freyen Luft—
(vor sich.)
wie nachdrüklich manchmal seine Antworten sind! Das ist ein Vortheil der unsinnigen Leute, daß sie zuweilen Einfälle haben, die einem der bey seinen Sinnen ist, nicht so schnell und leicht von statten giengen—Ich will ihn verlassen, und sogleich Anstalt zu einer Zusammenkunft zwischen ihm und meiner Tochter machen—
(laut)
Gnädigster Herr, ich nehme meinen unterthänigen Abschied von euch.
Hamlet. Mein Leben ausgenommen, könnt ihr mir in der Welt nichts nehmen, dessen ich so leicht entrathen kan.
Polonius.
Lebet wohl, Gnädiger Herr.
Hamlet (vor sich.)
Die verdrießlichen alten Narren!
Sechste Scene.
(Rosenkranz und Güldenstern treten auf.)
Polonius.
Ihr sucht vermuthlich den Prinzen Hamlet; hier ist er.
(Er geht ab.)
Rosenkranz.
Gott erhalte euch, Gnädiger Herr.
Güldenstern.
Mein theurester Prinz!
Hamlet.
Ah, meine werthen guten Freunde! Wie lebst du, Güldenstern? Ha,
Rosenkranz, ihr ehrlichen Jungens, wie geht's euch beyden?
Rosenkranz.
Wie es so unbedeutenden Erden-Söhnen zu gehen pflegt.
Güldenstern. Eben darinn glüklich, daß wir nicht gar zu glüklich sind—Wir sind eben nicht der Knopf auf Fortunens Kappe.
Hamlet.
Doch nicht die Solen an ihren Schuhen?
Rosenkranz.
Das auch nicht, Gnädiger Herr.
Hamlet.
Ihr hangt also an ihrem Gürtel—Gut; was bringt ihr denn neues?
Rosenkranz.
Nichts, Gnädiger Herr, als daß die Welt ehrlich worden ist.
Hamlet. So ist der jüngste Tag im Anzug; aber eure Zeitung ist falsch. Verstattet mir einmal eine vertrauliche Frage: Womit habt ihr euch an der Göttin Fortuna versündiget, meine guten Freunde, daß sie euch hieher in den Kerker geschikt hat?
Güldenstern.
In den Kerker, Gnädiger Herr?
Hamlet.
Dännemark ist ein Kerker.
Rosenkranz.
So ist die ganze Welt einer.
Hamlet. Ein recht stattlicher, worinn viele Thürme, Gefängnisse und Löcher sind, unter denen Dännemark eines der ärgsten ist.
Rosenkranz.
Wir denken nicht so, Gnädiger Herr.
Hamlet.
Nicht? Nun so ist es auch nicht so für euch: Es ist nichts so gut
oder so schlimm, das nicht durch unsre Meynung dazu gemacht wird:
Für mich ist es ein Gefängniß.
Rosenkranz. Wenn das ist, so macht es euer Ehrgeiz dazu; es ist zu enge für euern Geist.
Hamlet. O Gott, ich wollte mich in eine Nußschale einsperren lassen, und mir einbilden, daß ich König über einen unendlichen Raum sey; wenn ich nur nicht so schlimme Träume hätte.
Güldenstern.
Welche Träume im Grunde nichts anders als Ehrgeiz sind; denn was
ist das ganze Wesen des Ehrsüchtigen, als ein Schatten von einem
Traum?
Hamlet.
Ein Traum ist selbst nur ein Schatten.
Rosenkranz. Allerdings, und ich halte den Ehrgeiz für etwas so leichtes und unwesentliches, daß er nur der Schatten eines Schattens genennt zu werden verdient.
Hamlet. Nach dieser Art zu urtheilen, sind unsre Bettler, Körper; und unsre Monarchen und aufgespreißten Helden, der Bettler Schatten.
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