Auch hütete er von der Zeit an seine minder ahnenstolze Tochter so streng, daß sich die Liebenden kaum alle Woche einmal in der Kirche verstohlen ansehen konnten.
Natürlich geriet der Graf darüber in billige Verzweiflung, offenbarte dem Ordenskanzler sein Leiden und versprach ihm goldene Berge, wenn er bewirken könnte, ihn nur ein einziges Mal mit seiner Schönen wieder zusammenzubringen. – »Nichts leichter, als das!« sagte Hans Dampf und suchte sogleich Fräulein Sabinen in einer Gesellschaft. Sie bemerkte errötend dem getreuen Vertrauten ihres Geliebten, daß sie nichts mehr ohne Vorwissen ihres Vaters wagen könne, würde er aber ein Mittel wissen, ihren strengen Vater zu bereden – – –
»Nichts leichter, als das!« rief Hans Dampf und begab sich folgenden Tages zum Herrn von Quast, sprach von der Liebe des Grafen zu Sabinen so rührend, machte ihm so ernste Vorstellungen von den gefährlichen Folgen, welche seine Strenge für die unglücklichen Liebenden haben würde, daß der stolze Alte nicht anders konnte und die Liebe des Paares billigen mußte, insofern der Herr Graf seiner Tochter in Gegenwart der Eltern die Ehe geloben würde.
»Nichts leichter, als das!« sagte der Abgesandte. »Machen Sie das mit dem Grafen nur selbst ab. Ich werde ihm – denn er ist seit gestern zu Krähenburg – auf der Stelle schreiben, er solle diesen Abend um acht Uhr Fräulein Sabinen seine Aufwartung machen; alle Hindernisse wären gehoben.«
Seines gelungenen Werkes froh, schrieb er auch dem Grafen sogleich, er solle nicht fehlen. Es kam ihm nicht in den Sinn, daß der Graf, weit entfernt, an feierliche Verlobungen zu denken, nur ein einsames Stündchen mit der Geliebten in deren Boudoir zu verplaudern hoffte. Herr von Quast hingegen, nun er die förmliche Anwerbung des fürstlichen Bruders um Sabinen vernommen, lud auf den gleichen Abend die gesamte Familie der Quaste zu einem prachtvollen Gastmahl, und Sabine im höchsten Schmuck, im Kreise von vierzig Vettern, Muhmen, Basen und anderen Verwandten, erwartete ihren Liebhaber mit triumphierendem Herzen, der doch nur auf ein bescheidenes Schäferstündchen Anspruch gemacht hatte.
Er kam am Abend, halbverkleidet, im schlichten Überrock, diebisch leise und heimlich ins Quastische Haus, fluchte heimlich auf die brennenden Laternen, verbarg sich in einem Winkel an der Treppe, weil der Bedienten zuviel umherliefen, und lauerte, bis er endlich Sabines ihm wohlbekannte und vertraute Zofe ersah. Auf seine leise Frage, in welchem Zimmer das Fräulein zu finden sei, führte ihn die Dienstbare dahin. Aber wer kann das Entsetzen schildern, als die Tür aufging und der Graf, statt an die Brust der einsamen Geliebten zu fliegen, in den großen, kerzenhellen, menschenvollen Prunksaal hineinstolperte, wo ihn alles erwartete und mit Bücklingen und Knicksen umringte.
Allerdings hätte Hans Dampf dem verblüfften Fürstenbruder die grausame Verlegenheit ersparen können, wenn er demselben statt weniger schriftlichen Worte mündlichen Bericht von seiner Sendung gemacht hätte. Allein der Ordenskanzler hatte selbst eine Liebschaft und gleichen Tags den Plan gemacht, seine Huldgöttin auf die allerartigste Weise von der Welt zu überraschen. Die Huldgöttin war wirklich ein hübsches Mädchen, noch dazu eine Landsmännin, des Apothekers Quirl von Lalenburg Tochter, namens Johanne, die zu einer alten, reichen Tante nach Luchsenstein gekommen war und bei derselben lebte, um sie zu beerben. Die alte Tante war aber eine grämliche Tante, die viel betete und ihre Nichte statt zu Konzerten, Bällen und Schauspielen nur in die Betstunden der Frommen und Heiligen führte. Die alte Tante schien es auch gar nicht gern zu sehen, wenn der windige Landsmann, wie sie ihn nannte, gar zu oft bei der schönen Landsmännin zusprach. Das tat diesem sehr leid. Er benutzte also jeden Anlaß, Johanne zu sehen.
So sah er sie auch am Morgen dieses Tages, freilich nur sehr vorübergehend und nur im Begegnen auf der Straße. Er brachte die Rede auf seinen Wunsch zu einem Abendbesuch. Sie zuckte die Achseln und bedauerte, diesen Abend außer dem Hause in einer Gesellschaft von Freundinnen zu sein, die wöchentlich in einem bestimmten Lokale zusammenzukommen pflege. Aus weiblicher Eitelkeit mochte sie nicht gern gestehen, daß sie mit der Tante eine Andachtsstunde besuche. »Und wo?« fragte der Hofrat. Sie nannte das Haus. »Wird getanzt?« – Sie lächelte errötend und sagte: »Leider nicht! Höchstens wird gesungen.« – Er fuhr fort: »Ist es auch einem ungebetenen Freund erlaubt, dabeizusein? Denn wenn ich Sie nur sehen kann, wo es auch sei, bin ich glücklich.« Sie errötete, stammelte ein: »Ich weiß nicht!« und entwischte. Hans Dampf aber, als ein guter Lalenburger nahm das Erröten und Lächeln der Lalenburgerin für Einladung und stummen Ausdruck geheimen Wunsches.
Sogleich tat er sich mit einigen jungen Herren aus der Stadt zusammen, ohne anders die Abendgesellschaft der jungen Dame durch seine Gegenwart zu verschönern. Die Zudringlichkeit hoffte man, wo nicht zu rechtfertigen, doch einigermaßen durch eine Aufmerksamkeit anderer Art zu vergüten. Man wollte heimlich Musik bestellen, und die jungen Herren, die ohne Zweifel alle unter den Damen ihre liebenswürdigen Bekanntinnen haben würden, sollten in Ballmasken erscheinen. »Wenn dann die Frauenzimmer«, sagte Hans Dampf, entzückt von seinem Plan, »wenn sie dann bei ihren Teetischen oder beim Spiel oder bei langwierigen Salbadereien dasitzen und urplötzlich vor der Tür ein lieblicher Walzer erklingt, und wir nun maskiert eintreten, die jungen Schönen auffordern – da wird sich keine mehr halten können und alles vergessen und vergeben sein. Es versteht sich übrigens, unsere Entschuldigung machen wir hintennach.«
Alle freuten sich auf das angenehme Abenteuer. Musik und die auserlesensten Ballmasken wurden bestellt und zwar im tiefsten Geheimnis, desgleichen Ort und Zeit der Zusammenkunft in der Dunkelheit des Abends. Als der ersehnte Augenblick erschien, war Hans Dampf der erste auf dem Weg. Die Musikanten fanden sich ein; die Tänzer maskierten sich und schlichen, in ihre Mäntel gehüllt, zu dem bestimmten Hause, wo ihnen schon von ferne die Reihe hellerleuchteter Fenster den Saal der Assemblee verriet. Der Türhüter, auf die Frage, wo das Zimmer der Versammlung sei, wies die Herren zurecht, obgleich nicht wenig über die mitkommenden Musikanten erstaunt, weil die Frommen beiderlei Geschlechts bisher zu ihren Erbauungsstunden nie Pfeifen, Geigen und Waldhörner gebraucht hatten.
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