In allen Gassen nährte er eine kleine Liebschaft. Bald waren in Lalenburg keine Bürgerstöchter mehr, die nicht Ansprüche auf das Herz dieses Alkibiades machen zu können meinten.

 

Hans Dampf

 

Vettern und Basen, da sie seine Unentschlossenheit sahen, traten endlich zusammen, über die Wahl der künftigen Frau Staatsbaumeisterin Rat zu halten. Man erwog die zu einer Heirat unentbehrlichsten Erfordernisse der Töchter des Landes, als da sind Vermögen und Familie. Und nach langem Bedenken, Forschen und manchem beseitigten Aber und Wenn fiel die Wahl der Vettern und Basen einhellig auf Jungfrau Rosina Piphan, einzige Tochter des Herrn Seckelmeisters der Stadt und Republik, Enkelin des vor zwölf Jahren selig verstorbenen Bürgermeisters der Republik, Verwandtin der angesehensten und reichsten Häuser der Stadt und dabei selbst die reichste Erbin unter allen jetzt zu Lalenburg blühenden Schönen.

Hans Dampf bemerkte freilich mancherlei gegen die Person dieser Auserwählten, allein wahrhaft Gründliches nichts. Sie war um zehn Jahre älter als er, aber sie war die Enkelin eines Bürgermeisters. Sie trug geduldig einen etwas unförmlichen Auswuchs auf dem Rücken, aber sie hatte Geld. Sie war dazu so kleiner Gestalt, daß sie, ohne die Hand hoch über den Kopf zu strecken, nicht einmal Arm in Arm mit ihm durchs Leben wandeln könnte; aber er konnte sich ja bücken oder mit gekrümmten Knien verkleinern.

Nachdem alles zum Vorteil der kleinen holden Rosine entschied, ward die Unterhandlung sogleich bei den Eltern derselben in aller Form eingeleitet. Hans Dampf ließ es sich gern gefallen, daß man die Mühe für ihn übernahm. Diese wurde mit dem besten Glück gekrönt. Der Tag erschien, da er selbst feierlich beim Herrn Seckelmeister und der Frau Seckelmeisterin um die Hand ihrer Erbin anhalten sollte. Zu dieser wichtigen Handlung, die übrigens der Sitte gemäß als ein stadtkundiges Geheimnis betrieben ward, mußte der vornehmste Teil der beiderseitigen Verwandtschaft eingeladen und ein glänzendes Abendessen veranstaltet werden.

Hans Dampf konnte an dem bestimmten Tage kaum den Abend erwarten und die zum Geheimnis des Festes nötige Dunkelheit. Inzwischen freute sich die sämtliche Vettern- und Basenschaft nicht nur auf den Verlobungsschmaus, sondern auch auf die Überraschung der ganzen Stadt am folgenden Morgen, wenn das Geheimnis laut und Glückwunsch um Glückwunsch herbeiströmen würde. Der Staatsbaumeister hatte sich schon am Morgen festlich gekleidet, und es tat ihm nichts so leid, als in diesem Putz bis zur Nacht warten zu müssen. Seine Eitelkeit dachte nebenbei an manche seiner Gefälligen und Spröden in der Stadt, denen er gern in seinem Schmuck noch als der wahre Liebesgott von Lalenburg erschienen wäre.

Um wenigstens einige Bewunderung einzuernten, wanderte er aus.

 

In allen Gassen

 

Den ersten Besuch legte er beim Herrn Stadtpfarrer ab, der nebst seiner Gemahlin ihn immer mit christlicher Liebe aufzunehmen pflegte. In der Tat hatten sie eine hübsche Tochter, eine fromme, schüchterne Blondine, Susanna geheißen, die wohl wert gewesen wäre, Frau Staatsbaumeisterin zu werden. Herr Dampf sah die Blondinen überhaupt gern und diese geistliche Blondine besonders. Er hatte dazu den allen großen Männern eigenen Fehler, daß er für diejenige Schönheit am lebhaftesten brannte, der er am nächsten stand.

Es war Nachmittags. Die Zeit floß unter angenehmen Gesprächen über Haushaltungs- und Ehestandsgeschichten der Nachbarn vorüber. Man brachte den Kaffee. Um einen schwarz lackierten, mit großen goldenen Landschaften japanisch verzierten runden Tisch, der auf säulenförmig gewundenem Beine ruhte, setzten sich links und rechts der Herr und die Frau Pfarrerin und dem zärtlichen Hans Dampf die sittige Susanna gegenüber. Sie bediente ihn zuerst mit dem dampfenden arabischen Trank. Der Baumeister hatte Susannen noch nie so schön gefunden als heute; vielleicht eben darum, weil er heute und nach wenigen Stunden seine Freiheit an die kleine Rosine auf immer verlieren sollte. Er verglich im stillen das reizende Gegenüber mit dem Schatzkästlein, welches ihn auf den Abend erwartete; aber gegen Susannes goldenes Haar, welches sich so schön um ihre weiße Stirn kräuselte, ward alles Gold und Geld der Jungfer Seckelmeisterin nur Plunder, und bei Susannes blauen, frommen Augen, beim Anblick ihres kleinen roten Mundes, ihres schneeweißen, feinen Halses und was sonst mit dem in Verbindung war, vergaß man gar leicht Rosinens ganze preiswürdige und vornehme Verwandtschaft. Als er nun noch dazu von ungefähr unterm Tisch ihr Füßchen im engen Schuh und zarten, weißen Strumpf erblickte und dabei an Rosines breiten männlichen Fuß dachte, loderte sein Herz für die Blondine in hellen Flammen. Er vergaß die erkorene Braut und wünschte sich kein anderes Paradies, als in welches ihn die keusche Susanna einführen könnte. Es tat ihm recht weh, daß sie die schönen Augen züchtig vor sich niedergesenkt und der Kaffeetasse zugewandt hielt. Nicht einmal seine ganz neue, veilchenfarbene, seidene Weste konnte ihre Blicke fesseln. Er hätte ihr gern die süßen Gefühle, die ihn bewegten, erklärt, hätte ihn nicht die Gegenwart der Eltern geschreckt. Doch konnte er sich nicht enthalten, ihr, indem er mit seinem Fuß dem ihrigen nahte, durch einen sanften, zärtlichen Druck auf denselben zu verraten, wie gern er mit ihr in Berührung stände.

Zum Unglück hatte er aber nicht bemerkt, daß Suschen ihren Fuß zurückgezogen und die Mutter dagegen auf die Stelle desselben ihren eigenen gesetzt hatte. Dieser war aber nicht minder empfindlich als jener der siebenzehnjährigen Schönen; denn die Frau Pfarrerin klagte schon seit längerer Zeit über sogenannte Krähenaugen.