So erklärt sich's, daß der verliebte Fußtritt des Baumeisters ihr nicht nur ein Mordiogeschrei auspreßte, sondern unter der verzweifelten Anstrengung, ihre Zehen aus der unerwarteten Klemme zu retten, der einbeinige japanische Tisch teilnehmend ward und mit dem ganzen Kaffeemahl seitwärts taumelte. Weil aber niemand so unhöflich war noch sein wollte, Kaffee, Milch, Zucker und Semmeln in Masse für sich allein zu nehmen, warf jedes in Eile den Tisch zurück, so daß er wie ein Ball nach allen Richtungen rund umherflog und jeglichem einen Teil seiner Ladung mitteilte.

Alle staunten sich erschrocken an, weil keiner auf diesen Streich des Schicksals gefaßt gewesen war. Die schwarzen Beinkleider des Pfarrers leuchteten so gut als des Baumeisters veilchenfarbene Weste von einer neuen Milchstraße, und die Frau Pastorin mit ihrer Tochter baten Herrn Dampf mit hundert Knicksen um Verzeihung wegen eines Vorfalls, der ihre schönen weißen Schürzen mit kaffeefarbenen, abenteuerlichen Gestalten verziert hatte. Dampf sah voraus, daß am Ende seine Verlegenheit und Schuld am größten werden würden, da man nach dem ersten Schrecken dem Ursprung alles Übels nachzuforschen anfing. Er fand, es sei spät und nahm Abschied.

Ein regnerischer, wolkenschwerer Himmel hatte den Eintritt der abendlichen Dunkelheit beschleunigt. Hans hoffte sich bei dem seckelmeisterlichen Schmause zu entschädigen für das geistliche Abenteuer, eilte nach Hause und von da in seine Kleiderkammer, um die seidene, veilchenfarbene Weste mit einer trockenen zu vertauschen.

Dies vollbracht, ging er ans Fenster, um zu erforschen, ob der Regen noch Sicherheitsmaßregeln notwendig mache. Allein der Regen war plötzlich vergessen, da ihm, wie er das Fenster öffnete, statt Wasser Feuer entgegenkam, kein irdisches, sondern ein wahrhaft überirdisches Feuer, nicht vom Himmel, sondern aus den schwarzen Augen einer hübschen Nachbarin namens Katharine.

Diese Nachbarin war niemand anders als die Tochter des Herrn Stadt- und Platzmajors Knoll. Sie wünschte sich aber in der ganzen Stadt keinen besseren Platz als im Herzen des Herrn Stadtbaumeisters; auch glaubte sie längst im Besitz desselben zu sein. Denn Herr Dampf, so oft er in ihrer Nähe sein konnte, liebte keine andere als sie, und er war oft in ihrer Nähe, obgleich der Herr Platzmajor übrigens sein guter Freund und Gönner nicht war. Denn beide hohe Staatsbeamte waren bei einer Kindtaufe um Rang und Vortritt in diplomatischen Streit geraten. Der Platzmajor als Militär behauptete, schon vermöge des hohen Federbusches auf dem Hut eine erhabenere Person als Herr Dampf zu sein; dieser aber bewies dagegen, daß, weil ein Staatsbaumeister neue Schöpfungen aufzurichten, ein Kriegsheld nur zum Zerstören da wäre, jenem in jeder Rücksicht der Vorzug gebühre. Obgleich nun der Staatsbaumeister noch nichts gebaut und der Stadt- und Platzmajor weder eine Stadt noch einen Platz zerstört hatte, dauerte doch der Prozeß um den Rang schon seit Jahr und Tag vor Räten und Bürgern.

Die holde, kleine Katharine hingegen mit den Feuerblicken war ganz und gar nicht der Meinung ihres Vaters. Wenn es sein konnte, abends oder morgens im Dämmerstündchen sah sie gern hinten hinaus, wo die Fenster ihres Hauses den Dampfischen Fenstern gegenüberstanden. Die ganze Straße war kaum drei Schritt breit, recht eng und für Liebende gemacht, die sich in der Stille dies und das zuzuflüstern hatten, ohne daß es die Leute hören sollten, die drunten auf der Gasse wandelten.

Man flüsterte sich also einen guten Abend her und hin; man sagte sich viel Schönes, und Hans beklagte abermals, was er schon oft mit der größten Wehmut betrauert hatte, daß die Straße nicht noch um einen Schritt schmäler sei, damit er Katharinens niedliche Hand über der Straße küssen oder wenigstens berühren könnte. Auch hatte er wirklich schon einige Male, seit er Staatsbaumeister geworden, der Nachbarin geschworen, er wolle von seinem zu ihrem Fenster hinüber noch eine Brücke bauen, wie hundert Meilen um Lalenburg her keine zu finden sein sollte. Indessen war es aus allerlei Gründen bei der leeren Drohung geblieben, wiewohl Katharinchen vielleicht gegen die Erfüllung derselben nichts einzuwenden gehabt hätte.

Dieser Brückenbau fiel nun plötzlich dem Herrn Dampf wieder ein, da die Schöne mit den Flammenblicken drüben unter anderem auch erzählte, daß sie recht froh wäre, ihn und überhaupt einen Menschen zu sehen, weil sie ganz allein im Hause sei und sich beinahe fürchte. So hold hatte ihm die Gelegenheit nie gelächelt, die Burg des Stadtmajors durch Überfall zu erstürmen, da die ganze Besatzung abgezogen war. Er bat also auf der Stelle um Erlaubnis, seine Luftbrücke errichten und auf derselben hinüberkommen zu dürfen; und ohne Antwort zu erwarten – ein Brett war bei der Hand – vollzog er das kühne Werk. Zwar die Schöne ängstigte sich außerordentlich über die Gefahren dieser Luftreise; der Baumeister wollte aber schlechterdings nun auch einmal seiner Würde Ehre machen und Baumeister in der Tat sein. Ohnehin wußte er aus allen Romanen und Schauspielen sehr gut, wie sehr männlicher Mut und ein Wagstück ungewöhnlicher Art den Schönen zu gefallen pflege. Er segnete die Bauart von Lalenburg, welche die nachbarlichen Vertraulichkeiten erleichtert, legte das Brett von Fenster zu Fenster und kroch mit gehöriger Vorsicht auf allen vieren kühn hinaus ins Freie. Entdecken konnte ihn nicht leicht jemand, denn es war schon stockfinster.

Diese Stockfinsternis, so vorteilhaft sie sein mochte, hatte jedoch auch ihren kleinen Nachteil. Denn Katharinchen, als es das Ende des Brettes in das ihr gehörige Fenster zog, bemerkte leider nicht, daß es des Guten zuviel tat; und der Zunftmeister Pretzel, seines Handwerks ein Töpfer, bemerkte nicht, welches Gewitter über ihm schwebe, als er unten auf der Straße mit seinem Wagen voll irdenen Geschirrs durchfuhr, das dem Jahrmarkt eines benachbarten Städtchens zugedacht war.

Wie nun oft widrige Umstände im Leben zusammentreffen, um dem Sterblichen alle Lust an der besten Welt zu verderben, so geschah es auch hier. Die Brücke verlor ihren Stützpunkt am Dampfischen Fenster. Das Brett glitschte; und obwohl Jungfrau Katharine es mit beiden Händen festhielt und zu sich ins Kämmerlein zog, fehlte doch der Baumeister darauf.

Hans Dampf war hinunter, dem Zunftmeister Pretzel in alle Töpfe gefahren, aber so glücklich oder unglücklich, daß er zwar ganz gesund darauf zu sitzen kam, hingegen den ganzen Marktkram in Scherben verwandelte. Dies verursachte ein so schauerliches Geknatter und Getöse, daß der Zunftmeister, welcher vor dem Pferde friedlich einherging, wo nicht den gänzlichen Einsturz des Himmels, doch eines Hauses erfahren zu haben glaubte. Das Pferd, nicht minder erschrocken, tat einen gewaltigen Satz und war damit zur Straße hinaus auf den Rathausplatz.

Der Zunftmeister, neugierig, wieviel ihm vom Wagen übriggeblieben sei, hielt an und war im Begriff, die Untersuchung, so gut sie sich in Eile und Finsternis machen ließ, anzustellen, als er zu seiner nicht kleinen Verwunderung einen Menschen von seinem Wagen springen sah, dem noch einige Dutzend Schüsseln unter erschrecklichem Geprassel nachsprangen. Offenbar schien ihm das nun ein diebisches Wagstück oder sonst ein Werk der Bosheit. Er lief mit vieler Geistesgegenwart, den Täter handfest zu machen, der, wie bekannt, kein anderer als der Staatsbaumeister war. Doch statt seiner – denn Hans Dampf schlich sich behend davon, um seinerseits alles Aufsehen zu meiden – ergriff der zornige Töpfer den Schuhmacher Ahl, wohlverdienten Oberzunftmeister.