Es war umsonst. Gleichwie Hans Dampf hatten auch andere sich von hinten hervorgemacht. Nun gab es ein erschreckliches Stoßen, Reißen und Sturmlaufen unter Flüchen und Beschwörungen und Bitten und Seufzen, still zu sein.

Unter diesen tumultuarischen Bewegungen ward dem Bürgermeister am übelsten zumut; denn gegen ihn drängte sich als zum Mittelpunkt alles von allen Richtungen her. Da faßte er den großen Entschluß, durch sein Ansehen den Sturm verstummen zu machen. Mit majestätischem Unwillen stand er auf und stieg, damit er über die Menge hervorrage, auf seinen Stuhl. Indem er aber die donnernde Stimme mit gerechtem Zorn erheben wollte, fuhr ihm durch einen unehrerbietigen Stoß des Gedränges der konsularische Thron unter den Beinen hinweg und er selbst mit dem fürstlichen Briefe wie eine stürzende Eiche über niederes Gesträuch in die ringende Menge hinab. Seine Perücke, die reichlich mit Puder und Pomade das Antlitz des Oberzollverwalters färbte und demselben schier das Licht der Augen raubte, ward von diesem im Jähzorn erfaßt und in eine Trutz- und Schutzwaffe verwandelt. Ihr Anblick und ihre Wirksamkeit reizte zu unseligen Nachahmungen des gegebenen Beispiels. Bald war keine Perücke mehr auf dem Kopfe sicher; eine um die andere flog empor über die Häupter der Menge gleich einer Zornrute und verbreitete Gewölke um sich in der Höhe, Schmerzen und Zetergeschrei der Getroffenen in der Tiefe.

In dieser traurigen Verwirrung der Dinge reifte plötzlich die große, lange vorbereitete Verschwörung gegen des Stadtschreibers Zopf. Der Ratsherren einer, seines Handwerks ein Schneider, zog die Schere und verfolgte damit den Stadtschreiber, welcher wie eine langgeschwänzte Ratze in dem Getümmel umherfuhr. Im Hui war der Zopf glatt am Kopfe weg, ohne daß Herr Mucker nur eine Ahnung von seinem Unstern hatte, bis er einen Hieb damit über das Gesicht bekam. Denn ein anderer hatte dem heimtückischen Schneider die Trophäe entrissen und, weil sie die Länge von anderthalb Ellen haben mochte, sich ihrer wie eine Reitpeitsche bedient.

Als der Stadtschreiber seinen Haarzopf in fremder Gewalt sah und sich durch einen schnellen Griff in den Nacken vom ewigen Verlust dieses Kleinods überzeugt hatte, erhob er jammernd und die Augen voll Tränen die Hände gen Himmel und rief dessen rächende Blitze auf das Haupt des Frevlers herab. Er würde sich nicht halb so sehr gegrämt haben, wäre ihm statt des Zopfes der Kopf selbst gestohlen worden. Sein Geheul war so übermenschlich, daß die ganze Ratsversammlung darüber mitten im Kampf erstarrte, alle Fehde vergaß und den Unglückseligen schweigend umringte. Wie man aber wahrnahm, daß ihm weder Arm noch Bein, sondern der ohnehin statuten- und amtswidrige Zopf fehlte, lächelte jeder schadenfroh, lieferte friedlich die Perücken, wo sie liegen mochten, an ihre Behörde und nahm den alten Platz auf den Ratsbänken ein.

Der Bürgermeister schüttelte wegen der vorgefallenen Unordnungen sehr mißvergnügt das Haupt, welches unter der struppigen Perücke einem wahren Medusen- oder Titushaupt ähnlich geworden. Doch dergleichen lebhafte Debatten gehörten in Lalenburg keineswegs zu den unerhörten Dingen; daher machte man auch diesmal nicht viel Wesens daraus. Man erkannte darin nichts als Äußerungen bürgerlicher Freimütigkeit und republikanischen, unbefangenen Sinnes. Jeder brachte sein eigenes Haar zurecht und hielt, was an den Kleidern zerrissen sein mochte, einstweilen mit den Fingern zusammen. Der Stadtschreiber legte seinen entseelten Zopf neben Scherben und Rockknopf auf den Tisch, seine Tränen ins bunte Schnupftuch drückend. Jeder erwartete mit neuer Andacht die Vorlesung des fürstlichen Briefes. Dieser war während des Gewühls und Gezerrs in viele Fetzen zerrissen worden. Man sammelte sorgfältig die zerstreuten Papierstückchen auf, legte sie vor den Bürgermeister ehrerbietig hin und überließ seiner Weisheit, daraus das übrige zu ersehen.

Das war nun schwer, und so mannigfaltig auch die Stückchen nach allen Richtungen zusammengelegt wurden, kam doch nichts Ganzes heraus. Man las nur einzelne Worte ohne Zusammenhang. Da geriet der Rat in große Not und Verlegenheit. Dreimal hielt der Bürgermeister Umfrage, was dem Fürsten von Luchsenstein auf sein Schreiben geantwortet werden müsse, und dreimal schüttelte die erlauchte Versammlung den Kopf. Endlich erhob sich Hans Dampf und schlug vor, Seiner hochfürstlichen Durchlaucht zu melden, daß Dero Schreiben richtig und glücklich angekommen und verloren sei, daß also ein edler und wohlweiser Magistrat bitten müsse, Se. Durchlaucht wolle geruhen, noch einmal zu schreiben.

Als dieser gute Rat allgemein beliebt worden, fing Mucker, der sich unterdessen noch immer mit Zusammenfügung der Briefstückchen beschäftigt hatte, folgende Worte an aus denselben abzulesen: »Fangen – Hans Dampf – den Hund – tausend Gulden – Preis – seinen Kopf –«

Jeder horchte mit Erstaunen auf. »Hier ist«, rief der Stadtschreiber, »keine Zweideutigkeit. Hans Dampf ist da wieder im Spiel und hat einen dummen Streich gemacht, der vielleicht ganz Lalenburg ins Unglück bringt. Der Fürst, wie mir's scheint, fordert, wir sollen den Hans Dampf fangen.