Gab es Klatschereien: so half Hans Dampf. Zankten sich Eheleute: so hatte sie Hans Dampf widereinander gehetzt. Mißlang irgendein Plan: so war Hans Dampf in die Quere gekommen. Ging eine Verlobung rückwärts: so hatte Hans Dampf die Hand im Spiel. Scheiterte ein Unternehmen: so war es durch die Ungeschicktheit dieses Hans Dampf. Er ist wie zum Elend der Welt geboren, hat seine Nase überall, fährt überall zu, will alles wissen, alles machen, alles bessern, und bringt alles in Verwirrung.«
Nach diesem Eingang, den der Redner mit vielen Beispielen aus der geheimen Stadtgeschichte erläuterte, kam er auf die letzten Begebenheiten, auf die Feuersbrunst, auf die zerschmetterte Töpferware, auf den Riesenkampf des Oberzunftmeisters und Zunftmeisters, auf das unermeßliche Entsetzen der ganzen Stadt, auf die nachteiligen Wirkungen desselben bei Nervenschwachen, Kranken und Wöchnerinnen. Er sprach so rührend, daß Zunftmeister Pretzel beim Anblick der Scherben sich nicht der Tränen erwehren konnte, so feurig, daß Seckelmeister Piphan vor Grimm feuerrot ward und der Oberzunftmeister Ahl die Fäuste ballte. Selbst Hans Dampf schien einen Augenblick die unerschütterliche Hoheit und Ruhe des Geistes zu verlieren.
Bald aber ermannte er sich und begann seine Verteidigung mit vieler Würde und Klarheit, bewies, daß man aus einigen Scherben und einem Rockknopf, den er auf der Gasse verloren haben könne, nichts wider ihn beweisen könne, sonst ließe sich auch beweisen, daß der Stadtschreiber vor einigen Wochen den alten Torturm, der von selbst zusammengefallen sei, vermittels seines steifen Haarzopfs eingestoßen habe, weil bekannt sei, daß er mit demselben drei Minuten vorher am Tore vorbeigegangen. Was die Feuersbrunst betreffe, falle die Schuld nicht auf ihn, daß die Spritzen der Hauptstadt zu spät kamen oder gar nicht, weil man ihm das Unglück erst gemeldet, da es geschehen war. Wären aber auch die Spritzen zeitig genug erschienen, würde darum das Feuer nicht minder hell gebrannt haben, weil bekanntlich die Wasserkasten dieser Löschwerkzeuge Alters wegen zerfallen und verfault wären, also daß keine Tasse voll Wasser darin Stich hielte.
Der Stadtschreiber Mucker aber widerredete dem heftig, bewies, daß Hans Dampf allerdings der Urheber alles Übels sei, und schloß mit den Worten: »So weit, o Landesväter, ist es gekommen, daß es bei mir gar keines Zuredens mehr bedarf, um mich glauben zu machen, daß an dem blutigen Türkenkriege, daß an der großen Viehseuche in Polen, daß an dem fürchterlichen Erdbeben in Kalabrien, daß an dem letzten Sturm, welcher die spanische Silberflotte in den Abgrund des Meeres senkte, niemand anderes als Hans Dampf schuld sei. Seit er wieder in unsere Mauern kam, ist Verwirrung, Zwietracht, Parteiwesen und Lärmen an der Tagesordnung. Noch steht Lalenburg, aber wir Landesväter werden den Untergang dieser uralten, herrlichen und weltberühmten Stadt sehen, wenn wir den Hans Dampf nicht von uns weg über alle Meere verbannen. Wessen ist er nicht fähig? Hat er uns noch nicht der Entzweiung, des Schreckens genug gebracht? Wollet ihr noch Bürgerkriege erleben, Mord und Brand, den Einsturz dieses ehrwürdigen Rathauses, die Einäscherung unserer Wohnungen?« Und nun fuhr Mucker fort, ein Bild der Verwüstung zu entwerfen, daß allen Zuhörern und selbst dem edlen Hans Dampf die Haare vor Grausen bergan standen und jeder den Augenblick vor der Tür glaubte, wo die Zerstörung Jerusalems sich in Lalenburg wiederholen würde.
Angst und Furcht, Schrecken, Verzweiflung und Rache war in allen Gesichtern zu erblicken. Einige saßen halb ohnmächtig eingesunken da, andere schnoben mit erweiterten Nasenlöchern wutvoll und schossen mörderische Blicke auf den Staatsbaumeister; andere wollten in bangem Entsetzen zu den Ihrigen flüchten, um sie zeitig zu retten, sanken aber mit gebrochenen Knien auf die Bank zurück; andere wollten das Wort fordern und auf den Tod Hans Dampf antragen und konnten nur mit vom Zorn erstickter Stimme unvernehmliche Töne hören lassen.
Plötzlich öffneten sich die Türen des Saals und der Ratsbote trat herein, einen Brief in der Hand mit einem ungeheuren Siegel. Er übergab ihn dem Bürgermeister und sagte, ein Kurier Sr. Durchlaucht des Fürsten von Luchsenstein habe ihn gebracht. Da spitzten alle mächtig die Ohren. Der Bürgermeister setzte die Brille auf und gab sich ein majestätisches Ansehen, indem er geheimnisvoll links und rechts flüsterte: »Depeschen von allerhöchster Wichtigkeit!« Die guten Lalenburger brannten vor Neugier und hingen mit ihren Blicken nur an dem gewaltigen Siegel. Die Zerstörung von Jerusalem war unverzüglich rein vergessen.
Als nun der regierende Bürgermeister den Brief des Fürsten entfaltete, rückten diejenigen, welche dem Oberhaupte der Republik zunächst saßen, ihm so nahe auf den Leib als sie konnten, die anderen, um keine Silbe, keinen Atemzug des Bürgermeisters zu verlieren, rutschten auf ihren Bänken behutsam nach, daß einer fast auf den Schoß des anderen zu sitzen kam. Der ganze Saal ward leer bis auf einen kleinen Platz um den Meister herum, wo sich Köpfe an Köpfe drängten. Dabei herrschte Totenstille. Obgleich Lalenburg mit dem benachbarten Fürstentum Luchsenstein vielen Geschäftsverkehr hatte, war bisher doch noch nie geschehen, daß der Fürst unmittelbar dem Rat der Republik zugeschrieben hätte. Der Bürgermeister konnte also mit Recht vermuten, das Sendschreiben umfasse Gegenstände der höchsten Wichtigkeit.
Er fing an zu lesen, aber mit ehrfurchtsvoller, leiser Stimme, der Feierlichkeit des Gegenstandes angemessen. Weil die, welche zuhinterst saßen, die ersten Worte nicht vollkommen verstanden hatten, riefen sie: »Laut gelesen, laut!« Dadurch wurden die Vordern gestört und geboten einstimmig Stillschweigen. Darüber verloren die Hintern das Vorgelesene gänzlich und wiederholten ihren Zuruf um lautern Vortrag; andere begehrten, man solle noch einmal von Anfang anfangen. Die Vordern schrien ungeduldig, es müsse Totenstille herrschen. Dies Her- und Hinrufen ward immer stärker, weil endlich alle an dem Lärmen geärgert waren und jeder für sich die Ruhe herzustellen und seine Stimme über die Stimme der übrigen zu erheben bemüht war. Da nun die Hintersten sich überzeugten, daß bei so bewandten Umständen die Vordersten offenbar den Vorteil hätten, weil sie dem Brief und dem Vorleser zunächst waren, rückten sie nach. Hans Dampf saß wetterschnell dem Bürgermeister vor der Nase. Der Stadtschreiber behauptete und schrie sich dabei das Gesicht kirschbraun, Hans Dampf habe ihn vom Platze verdrängt.
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