Jetzt tat
es einen langen Atemzug—denn im Eifer des Trinkens hatte es lange
den Atem nicht holen können—und stellte sein Schüsselchen hin.
"Gefällt dir die Milch?", fragte der Großvater.
"Ich habe noch gar nie so gute Milch getrunken", antwortete Heidi.
"So musst du mehr haben", und der Großvater füllte das Schüsselchen
noch einmal bis oben hin und stellte es vor das Kind, das
vergnüglich in sein Brot biss, nachdem es von dem weichen Käse
darauf gestrichen, denn der war, so gebraten, weich wie Butter, und
das schmeckte ganz kräftig zusammen, und zwischendurch trank es
seine Milch und sah sehr vergnüglich aus. Als nun das Essen zu
Ende war, ging der Großvater in den Geißenstall hinaus und hatte da
allerhand in Ordnung zu bringen, und Heidi sah ihm aufmerksam zu,
wie er erst mit dem Besen säuberte, dann frische Streu legte, dass
die Tierchen darauf schlafen konnten; wie er dann nach dem
Schöpfchen ging nebenan und hier runde Stöcke zurechtschnitt und an
einem Brett herumhackte und Löcher hineinbohrte und dann die runden
Stöcke hineinsteckte und aufstellte; da war es auf einmal ein Stuhl,
wie der vom Großvater, nur viel höher, und Heidi staunte das Werk
an, sprachlos vor Verwunderung.
"Was ist das, Heidi?", fragte der Großvater.
"Das ist mein Stuhl, weil er so hoch ist; auf einmal war er fertig",
sagte das Kind, noch in tiefem Erstaunen und Bewunderung.
"Es weiß, was es sieht, es hat die Augen am rechten Ort", bemerkte
der Großvater vor sich hin, als er nun um die Hütte herumging und
hier einen Nagel einschlug und dort einen und dann an der Tür etwas
zu befestigen hatte und so mit Hammer und Nägeln und Holzstücken
von einem Ort zum anderen wanderte und immer etwas ausbesserte oder
wegschlug, je nach dem Bedürfnis. Heidi ging Schritt für Schritt
hinter ihm her und schaute ihm unverwandt mit der größten
Aufmerksamkeit zu, und alles, was da vorging, war ihm sehr
kurzweilig anzusehen.
So kam der Abend heran. Es fing stärker an zu rauschen in den
alten Tannen, ein mächtiger Wind fuhr daher und sauste und brauste
durch die dichten Wipfel. Das tönte dem Heidi so schön in die
Ohren und ins Herz hinein, dass es ganz fröhlich darüber wurde und
hüpfte und sprang unter den Tannen umher, als hätte es eine
unerhörte Freude erlebt. Der Großvater stand unter der Schopftür
und schaute dem Kind zu. Jetzt ertönte ein schriller Pfiff. Heidi
hielt an in seinen Sprüngen, der Großvater trat heraus. Von oben
herunter kam es gesprungen, Geiß um Geiß, wie eine Jagd, und
mittendrin der Peter. Mit einem Freudenruf schoss Heidi mitten in
das Rudel hinein und begrüßte die alten Freunde von heute Morgen
einen um den anderen. Bei der Hütte angekommen, stand alles still,
und aus der Herde heraus kamen zwei schöne, schlanke Geißen, eine
weiße und eine braune, auf den Großvater zu und leckten seine Hände,
denn er hielt ein wenig Salz darin, wie er jeden Abend zum Empfang
seiner zwei Tierlein tat. Der Peter verschwand mit seiner Schar.
Heidi streichelte zärtlich die eine und dann die andere von den
Geißen und sprang um sie herum, um sie von der anderen Seite auch
zu streicheln, und war ganz Glück und Freude über die Tierchen.
"Sind sie unser, Großvater? Sind sie beide unser? Kommen sie in
den Stall? Bleiben sie immer bei uns?", so fragte Heidi
hintereinander in seinem Vergnügen, und der Großvater konnte kaum
sein stetiges "Ja, ja!" zwischen die eine und die andere Frage
hineinbringen. Als die Geißen ihr Salz aufgeleckt hatten, sagte
der Alte: "Geh und hol dein Schüsselchen heraus und das Brot."
Heidi gehorchte und kam gleich wieder. Nun melkte der Großvater
gleich von der Weißen das Schüsselchen voll und schnitt ein Stück
Brot ab und sagte: "Nun iss und dann geh hinauf und schlaf! Die
Base Dete hat noch ein Bündelchen abgelegt für dich, da seien
Hemdlein und so etwas darin, das liegt unten im Kasten, wenn du's
brauchst; ich muss nun mit den Geißen hinein, so schlaf wohl!"
"Gut Nacht, Großvater! Gut Nacht—wie heißen sie, Großvater, wie
heißen sie?", rief das Kind und lief dem verschwindenden Alten und
den Geißen nach.
"Die Weiße heißt Schwänli und die Braune Bärli", gab der Großvater
zurück.
"Gut Nacht, Schwänli, gut Nacht, Bärli!", rief nun Heidi noch mit
Macht, denn eben verschwanden beide in den Stall hinein. Nun
setzte sich Heidi noch auf die Bank und aß sein Brot und trank
seine Milch; aber der starke Wind wehte es fast von seinem Sitz
herunter; so machte es schnell fertig, ging dann hinein und stieg
zu seinem Bett hinauf, in dem es auch gleich nachher so fest und
herrlich schlief, als nur einer im schönsten Fürstenbett schlafen
konnte. Nicht lange nachher, noch eh es völlig dunkel war, legte
auch der Großvater sich auf sein Lager, denn am Morgen war er immer
schon mit der Sonne wieder draußen, und die kam sehr früh über die
Berge hereingestiegen in dieser Sommerszeit. In der Nacht kam der
Wind so gewaltig, dass bei seinen Stößen die ganze Hütte erzitterte
und es in allen Balken krachte; durch den Schornstein heulte und
ächzte es wie Jammerstimmen, und in den alten Tannen draußen tobte
es mit solcher Wut, dass hier und da ein Ast niederkrachte. Mitten
in der Nacht stand der Großvater auf und sagte halblaut vor sich
hin: "Es wird sich wohl fürchten." Er stieg die Leiter hinauf und
trat an Heidis Lager heran. Der Mond draußen stand einmal hell
leuchtend am Himmel, dann fuhren wieder die jagenden Wolken darüber
hin und alles wurde dunkel. Jetzt kam der Mondschein eben
leuchtend durch die runde Öffnung herein und fiel gerade auf Heidis
Lager. Es hatte sich feuerrote Backen erschlafen unter seiner
schweren Decke, und ruhig und friedlich lag es auf seinem runden
Ärmchen und träumte von etwas Erfreulichem, denn sein Gesichtchen
sah ganz wohlgemut aus. Der Großvater schaute so lange auf das
friedlich schlafende Kind, bis der Mond wieder hinter die Wolken
trat und es dunkel wurde, dann kehrte er auf sein Lager zurück.
Auf der Weide
Heidi erwachte am frühen Morgen an einem lauten Pfiff, und als es
die Augen aufschlug, kam ein goldener Schein durch das runde Loch
hereingeflossen auf sein Lager und auf das Heu daneben, dass alles
golden leuchtete ringsherum. Heidi schaute erstaunt um sich und
wusste durchaus nicht, wo es war. Aber nun hörte es draußen des
Großvaters tiefe Stimme, und jetzt kam ihm alles in den Sinn: Woher
es gekommen war und dass es nun auf der Alm beim Großvater sei,
nicht mehr bei der alten Ursel, die fast nichts mehr hörte und
meistens fror, so dass sie immer am Küchenfenster oder am
Stubenofen gesessen hatte, wo dann auch Heidi hatte verweilen
müssen oder doch ganz in der Nähe, damit die Alte sehen konnte, wo
es war, weil sie es nicht hören konnte. Da war es dem Heidi
manchmal zu eng drinnen, und es wäre lieber hinausgelaufen. So war
es sehr froh, als es in der neuen Behausung erwachte und sich
erinnerte, wie viel Neues es gestern gesehen hatte und was es heute
wieder alles sehen könnte, vor allem das Schwänli und das Bärli.
Heidi sprang eilig aus seinem Bett und hatte in wenig Minuten alles
wieder angelegt, was es gestern getragen hatte, denn es war sehr
wenig. Nun stieg es die Leiter hinunter und sprang vor die Hütte
hinaus. Da stand schon der Geißenpeter mit seiner Schar, und der
Großvater brachte eben Schwänli und Bärli aus dem Stall herbei,
dass sie sich der Gesellschaft anschlossen. Heidi lief ihm
entgegen, um ihm und den Geißen guten Tag zu sagen.
"Willst mit auf die Weide?", fragte der Großvater. Das war dem
Heidi eben recht, es hüpfte hoch auf vor Freude.
"Aber erst waschen und sauber sein, sonst lacht einen die Sonne aus,
wenn sie so schön glänzt da droben und sieht, dass du schwarz bist;
sieh, dort ist's für dich gerichtet." Der Großvater zeigte auf
einen großen Zuber voll Wasser, der vor der Tür in der Sonne stand.
Heidi sprang hin und patschte und rieb, bis es ganz glänzend war.
Unterdessen ging der Großvater in die Hütte hinein und rief dem
Peter zu: "Komm hierher, Geißengeneral, und bring deinen Habersack
mit." Verwundert folgte Peter dem Ruf und streckte sein Säcklein
hin, in dem er sein mageres Mittagessen bei sich trug.
"Mach auf", befahl der Alte und steckte nun ein großes Stück Brot
und ein ebenso großes Stück Käse hinein.
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