O sei für die Flamme begeistert,
drin sich ein Ding dir entzieht, das mit Verwandlungen prunkt;
jener entwerfende Geist, welcher das Irdische meistert,
liebt in dem Schwung der Figur nichts wie den wendenden Punkt.
Was sich ins Bleiben verschließt, schon ists das Erstarrte;
wähnt es sich sicher im Schutz des unscheinbaren Grau's?
Warte, ein Härtestes warnt aus der Ferne das Harte.
Wehe –: abwesender Hammer holt aus!
Wer sich als Quelle ergießt, den erkennt die Erkennung;
und sie führt ihn entzückt durch das heiter Geschaffne,
das mit Anfang oft schließt und mit Ende beginnt.
Jeder glückliche Raum ist Kind oder Enkel von Trennung,
den sie staunend durchgehn. Und die verwandelte Daphne
will, seit sie lorbeern fühlt, daß du dich wandelst in Wind.
Werke I, 758f.
Fürchte dich nicht, sind die Astern auch alt,
streut der Sturm auch den welkenden Wald
in den Gleichmut des Sees, –
die Schönheit wächst aus der engen Gestalt;
sie wurde reif, und mit milder Gewalt
zerbricht sie das alte Gefäß.
Sie kommt aus den Bäumen
in mich und in dich,
nicht um zu ruhn;
der Sommer ward ihr zu feierlich.
Aus vollen Früchten flüchtet sie sich
und steigt aus betäubenden Träumen
arm ins tägliche Tun.
Werke I, 199
Mir zur Feier
(Motto)
Das ist die Sehnsucht: wohnen im Gewoge
und keine Heimat haben in der Zeit.
Und das sind Wünsche: leise Dialoge
der armen Stunden mit der Ewigkeit.
Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern
die einsamste von allen Stunden steigt,
die, anders lächelnd wie die andern Schwestern,
dem Ewigen entgegenschweigt.
Werke III, 203
Der Novembertag
Kalter Herbst vermag den Tag zu knebeln,
seine tausend Jubelstimmen schweigen;
hoch vom Domturm, wimmern gar so eigen
Sterbeglocken in Novembernebeln.
Auf den nassen Dächern liegt verschlafen
weißes Dunstlicht; und mit kalten Händen
greift der Sturm in des Kamines Wänden
eines Totenkarmens Schlußoktaven.
Werke I, 17f.
Ja, der November ist, im Durchschnitt der Jahre, der unerträglichste Monat, aber am zwölften dachte ich viel an Sie: wer weiß, hätte sich Ihr ursprüngliches Programm erfüllen lassen, vielleicht wären Sie gerade hier gewesen; es war, mitten im nachlassenden, nach Innen zurückschlagenden Jahr, ein Tag für sich, klar, rein und mild, wie aus einer unbekannten Jahreszeit des Seins ins Vergängliche ohne sichtbare Fugen eingesetzt. Ein Tag des Verweilens, der auch in sich keinen Ablauf hatte. Und ich dachte immer wieder: nun sollten Sie hier sein.
K. Kippenberg (21. 11. 1923), 509
Es ist ganz stille. Aufrecht steht der Duft
vergangner Farben in den welken Wegen.
Die Himmel halten einen langen Regen
die Blätter gehn auf Stufen durch die Luft
Werke II, 324
Schwerkraft
Mitte, wie du aus allen
dich ziehst, auch noch aus Fliegenden dich
wiedergewinnst, Mitte, du Stärkste.
Stehender: wie ein Trank den Durst
durchstürzt ihn die Schwerkraft.
Doch aus dem Schlafenden fällt,
wie aus lagernder Wolke,
reichlicher Regen der Schwere.
Werke II, 179
Einsamkeit
Die Einsamkeit ist wie ein Regen.
Sie steigt vom Meer den Abenden entgegen;
von Ebenen, die fern sind und entlegen,
geht sie zum Himmel, der sie immer hat.
Und erst vom Himmel fällt sie auf die Stadt.
Regnet hernieder in den Zwitterstunden,
wenn sich nach Morgen wenden alle Gassen
und wenn die Leiber, welche nichts gefunden,
enttäuscht und traurig von einander lassen;
und wenn die Menschen, die einander hassen,
in einem Bett zusammen schlafen müssen:
dann geht die Einsamkeit mit den Flüssen …
Werke I, 397f.
Ich liebe meines Wesens Dunkelstunden,
in welchen meine Sinne sich vertiefen;
in ihnen hab ich, wie in alten Briefen,
mein täglich Leben schon gelebt gefunden
und wie Legende weit und überwunden.
Aus ihnen kommt mir Wissen, daß ich Raum
zu einem zweiten zeitlos breiten Leben habe.
Und manchmal bin ich wie der Baum,
der, reif und rauschend, über einem Grabe
den Traum erfüllt, den der vergangne Knabe
(um den sich seine warmen Wurzeln drängen)
verlor in Traurigkeiten und Gesängen.
Werke I, 254f.
Verständigt mit abnehmender Natur,
fällt mir die Kraft in dem, was ich erfuhr.
Den Engel stellt Gott vor wie eine Uhr,
er mag im Herbst künftigen Herbst empfinden.
Wir aber schlürfen mit den Winden
und ziehen Spur und wischen Spur.
Das Meer blüht nie. Jetzt wieder wächst das Meer
und kommt sich von den Rändern stark entgegen,
und Christus, auf dem Überfluss von Wegen,
geht einzig gläubig drüber hin und her.
Der Himmel singt in seiner Sicherheit,
hoch über Zeit die reichen Sterne singen,
wir treiben mit den abgehärmten Dingen
zwieschweigende Geselligkeit.
In trüben Spiegeln suchen wir Beweis
für unser Aufstehn, während unbewiesen
der Schlaf zurückbleibt. Vielleicht Schlaf von Riesen
von unsrem ganzen Blute heiß.
Doch eingeschränkt in morgengraue Zimmer
gewöhnen wir uns an des Tages Gang
und nehmen Nahrung an und wohnen immer
die gleiche Einsamkeit entlang.
Und haben Hoffnung und Verwunderung
und dies zur Sorge, jenes zum Gewissen –
nur der uns einstens dringend hingerissen
der Schwung, der Schwung:
Ihr Engel, jener, der euch täglich reißt
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Werke II, 398f.
Erinnerung
Und du wartest, erwartest das Eine,
das dein Leben unendlich vermehrt;
das Mächtige, Ungemeine,
das Erwachen der Steine,
Tiefen, dir zugekehrt.
Es dämmern im Bücherständer
die Bände in Gold und Braun;
und du denkst an durchfahrene Länder,
an Bilder, an die Gewänder
wiederverlorener Fraun.
Und da weißt du auf einmal: das war es.
Du erhebst dich, und vor dir steht
eines vergangenen Jahres
Angst und Gestalt und Gebet.
Werke I, 399
Der Leser
Wer kennt ihn, diesen, welcher sein Gesicht
wegsenkte aus dem Sein zu einem zweiten,
das nur das schnelle Wenden voller Seiten
manchmal gewaltsam unterbricht?
Selbst seine Mutter wäre nicht gewiß,
ob er es ist, der da mit seinem Schatten
Getränktes liest. Und wir, die Stunden hatten,
was wissen wir, wieviel ihm hinschwand, bis
er mühsam aufsah: alles auf sich hebend,
was unten in dem Buche sich verhielt,
mit Augen, welche, statt zu nehmen, gebend
anstießen an die fertig-volle Welt:
wie stille Kinder, die allein gespielt,
auf einmal das Vorhandene erfahren;
doch seine Züge, die geordnet waren,
blieben für immer umgestellt.
Werke I, 636f.
Bibliothèque Nationale.
Ich sitze und lese einen Dichter. Es sind viele Leute im Saal aber man spürt sie nicht. Sie sind in den Büchern. Manchmal bewegen sie sich in den Blättern, wie Menschen, die schlafen und sich umwenden zwischen zwei Träumen. Ach, wie gut ist es doch, unter lesenden Menschen zu sein. Warum sind sie nicht immer so? Du kannst hingehen zu einem und ihn leise anrühren: er fühlt nichts. Und stößt du einen Nachbar beim Aufstehen ein wenig an und entschuldigst dich, so nickt er nach der Seite, auf der er deine Stimme hört, sein Gesicht wendet sich dir zu und sieht dich nicht, und sein Haar ist wie das Haar eines Schlafenden. Wie wohl das tut. Und ich sitze und habe einen Dichter. Was für ein Schicksal. Es sind jetzt vielleicht dreihundert Leute im Saale, die lesen; aber es ist unmöglich, daß sie jeder einzelne einen Dichter haben. (Weiß Gott, was sie haben.) Dreihundert Dichter giebt es nicht. Aber sieh nur, was für ein Schicksal, ich, vielleicht der armsäligste von diesen Lesenden, ein Ausländer: ich habe einen Dichter. Obwohl ich arm bin. Obwohl mein Anzug, den ich täglich trage, anfängt, gewisse Stellen zu bekommen, obwohl gegen meine Schuhe sich das und jenes einwenden ließe. Zwar mein Kragen ist rein, meine Wäsche auch, und ich könnte, wie ich bin, in eine beliebige Konditorei gehen, womöglich auf den großen Boulevards, und könnte mit meiner Hand getrost in einen Kuchenteller greifen und etwas nehmen. Man würde nichts Auffälliges darin finden und mich nicht schelten und hinausweisen, denn es ist immerhin eine Hand aus den guten Kreisen, eine Hand, die vier- bis fünfmal täglich gewaschen wird. Ja, es ist nichts hinter den Nägeln, der Schreibfinger ist ohne Tinte, und besonders die Gelenke sind tadellos. Bis dorthin waschen arme Leute sich nicht, das ist eine bekannte Tatsache. Man kann also aus ihrer Reinlichkeit gewisse Schlüsse ziehen. Man zieht sie auch.
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