Die neugierigen Zuschauer gewannen gerade noch Zeit zurückzuweichen, um einem Zermalmtwerden zu entgehen, das gewiß Hunderte von Opfern gekostet hätte. Die das Gefährt umhüllende dichte Wolke flog wirbelnd vorüber und es war kaum möglich, darunter das Gefährt zu unterscheiden, das mit so fabelhafter Geschwindigkeit ausgestattet war.
Man konnte ohne Übertreibung behaupten, daß diese zweihundertvierzig Kilometer in der Stunde betrug.
In einem Augenblick war der Wagen verschwunden, und ließ einen langen Streifen weißen Staubes hinter sich, wie der Lokomotive eines Schnellzuges eine lange Dampfwolke folgt.
Offenbar handelte es sich hier um ein Automobil, das von einem ganz außergewöhnlichen Motor angetrieben wurde. Hielt es die jetzige Gangart nur eine Stunde lang ein, so mußte es die bisher führenden Kraftwagen erreicht haben, und da es mit einer gegen die ihrige doppelten Geschwindigkeit dahinsauste, mußte es als erstes am Ziele landen.
Da erhob sich von allen Seiten ein ängstliches Geschrei, obgleich die am Rande der Straße stehenden Zuschauer eigentlich nichts zu fürchten hatten.
»Das ist die Maschine, von der vor vierzehn Tagen so viel die Rede war!
– Ja, dieselbe, die durch Illinois, Ohio und Michigan gekommen ist, und die die Polizei nicht anzuhalten vermochte!
– Und von der man, zum Glück für die öffentliche Sicherheit, seither nicht mehr reden hörte…
– Die man für zertrümmert, für immer für verschwunden hielt…
– Ja ja, dieser Wagen des Teufels… geheizt mit dem Feuer der Hölle und geführt vom Satan in eigener Person!«
Und wahrlich, wenn nicht der leibhaftige Gottseibeiuns, wer konnte sonst der geheimnisvolle Chauffeur sein, der diese nicht weniger geheimnisvolle Maschine mit so unerhörter Schnelligkeit dahinrollen ließ?
Außer allem Zweifel stand nur, daß der Wagen, der jetzt in der Richtung nach Madison hinsauste, derselbe war, der schon vorher die allgemeine Aufmerksamkeit erregt hatte, ohne daß es den Behörden gelang, seiner habhaft zu werden. Wenn die Polizei glaubte, daß man nie wieder von ihm reden hören würde, so hatte sich die wohllöbliche Polizei eben getäuscht, wie das ja in Amerika ebenso wie anderwärts vorkommt.
Als der erste Schreck überwunden war, liefen die Verständigsten nach dem Telephon, um an den verschiedenen Kontrollstationen vor der Gefahr zu warnen, die die auf der Straße zerstreuten Automobile bedrohte, wenn das unbekannte Wesen – mochte es sein welches es wollte – das dieses außergewöhnliche Gefährt lenkte, einer Lawine ähnlich dahergestürmt kam. Die andern würden zertrümmert, zermalmt, vollständig vernichtet werden, während jenes selbst vielleicht heil und gesund davonkam. Allem Anscheine nach mußte dieser Meister aller Chauffeurs freilich so gewandt sein, er mußte sein Gefährt mit so sicherem Auge und fester Hand zu leiten verstehen, daß er gewiß auch jeden Anprall an ein Hindernis zu vermeiden wußte. Immerhin, wenn die Behörden von Wisconsin Maßregeln getroffen hatten, die Landstraße für die Teilnehmer an dem internationalen Match frei zu halten, so war diese es jetzt nicht mehr.
Von den telephonisch benachrichtigten Wettfahrern, die ihren Kampf um den ersten Preis des Automobilklubs hatten unterbrechen müssen, gingen folgende Meldungen ein. Ihrer Schätzung nach durchmaß das wunderbare Gefährt nicht weniger als hundertdreißig Meilen (etwas über 200 Kilometer) in der Stunde. Seine Geschwindigkeit war, als es vorüberflog, so groß, daß man die Gestalt des Gefährtes kaum erkennen konnte; es erschien fast wie eine Spindel höchstens von zehn Meter Länge. Seine Räder drehten sich so rasend schnell, daß ihre Speichen für das Auge eine Scheibe bildeten. Übrigens hinterließ es weder Dampf noch Rauch oder einen merkbaren Geruch.
Den in seinem Automobil ganz eingeschlossenen Führer konnte man überhaupt nicht sehen; er blieb jetzt also noch ebenso unbekannt wie damals, als er sich zuerst auf den Straßen der Union hin bewegte.
Durch die telephonischen Stationen war das Eintreffen dieses unerwarteten Outsiders nach Milwaukee gemeldet worden. Das Aufsehen, das diese Nachricht erregte, kann man sich wohl leicht ausmalen. Anfangs tauchte dabei die Frage auf, ob man nicht quer über die Landstraße eine Sperrwand errichten sollte, woran das »Projektil« in tausend Stücke zersprengt würde. Ja, hatte man denn noch Zeit dazu? Konnte der Chauffeur nicht jeden Augenblick angesaust kommen? Er war schließlich ja gezwungen, seine Gangart nolens volens zu mäßigen, da die Rennstrecke am Michigansee endigte, über den er ja nicht weiter fahren konnte, wenn sein Wagen sich nicht zu einem schwimmenden Fahrzeug verwandelte.
Das war der Gedankengang, der die vor Milwaukee angesammelten Zuschauer beherrschte, die aber vorsichtig genug waren, sich genügend weit von der Straße zurückzuziehen, um nicht unversehens überfahren zu werden.
Wie in Prairie-du-Chien und in Madison, erging man sich auch hier in den tollsten Hypothesen. Denen, die nicht zugestehen wollten, daß der geheimnisvolle Chauffeur der leibhaftige Teufel wäre, widerstrebte es doch nicht, in ihm irgend ein phantastisches Ungeheuer aus den Höhlen der Apokalypse zu sehen.
Jetzt erwarteten die entsetzten Neugierigen schon nicht mehr von Minute zu Minute, sondern von Sekunde zu Sekunde das Auftauchen des fürchterlichen Automobils.
Es war noch nicht ganz elf Uhr, als ein fernes Rollen von der Straße her hörbar wurde, auf der der Staub in mächtigen Wolken aufwirbelte. Ein kreischendes Pfeifen zerriß die Luft, und man sah das Publikum dem Ungeheuer, das seine Schnelligkeit nicht verminderte, genügend Raum geben. Und doch war der Michigansee von dem Standpunkte der Zuschauer kaum noch eine halbe Meile (800 Meter) entfernt, und bei der rasenden Eile mußte der Kraftwagen voraussichtlich ins Wasser stürzen. Hätte der Mechaniker darin etwa die Herrschaft über seinen Mechanismus verloren?
Bald konnte hierüber kein Zweifel mehr bestehen. Mit der Geschwindigkeit des Blitzes langte das Gefährt in Milwaukee an. Sollte es nun nach Durchquerung der Stadt von den Fluten des Michigansees verschlungen werden?
Jedenfalls konnte man nach seinem Verschwinden an einer Biegung der Landstraße keine Spur mehr von ihm entdecken.
Fünftes Kapitel.
In Sicht des Ufers von Neuengland.
Zur Zeit, wo diese Vorkommnisse von den Zeitungen Amerikas berichtet wurden, war ich seit einem Monate zurückgekehrt.
Gleich nach der Heimkehr beeilte ich mich, mich bei meinem Chef zu melden. Ich konnte ihn jedoch nicht sehen. Gewisse Familienangelegenheiten hielten ihn für mehrere Wochen abwesend. Ohne Zweifel kannte Herr Ward aber den Mißerfolg meiner Mission. Verschiedene Blätter Nordkarolinas hatten die Einzelheiten jener Besteigung des Great-Eyry in Gesellschaft mit dem Bürgermeister von Morganton sehr zutreffend geschildert.
Man wird mir die schmerzliche Enttäuschung gewiß nachfühlen, die ich – abgesehen von meiner unbefriedigten Neugier – über jenen nutzlosen Versuch empfand. Tatsächlich konnte ich mich aber nicht mit dem Gedanken befreunden, daß sich das später nicht anders gestalten würde… Was?… Ich sollte nicht hinter die Geheimnisse des Great-Eyry kommen?… Nein, und wenn ich zehn-, wenn ich zwanzigmal, selbst auf die Gefahr hin, dabei umzukommen, dazu ausziehen müßte!
Offenbar überstieg es nicht die menschlichen Kräfte, sich einen Zutritt ins Innere jenes Felsennestes zu erzwingen. Ein Gerüst bis zum oberen Rande jener Mauern herzustellen oder die dicke Wand des Steinwalles mit einem Tunnel zu durchbrechen, das konnte keine Unmöglichkeit sein.

Anfangs tauchte die Frage auf… (S. 54.)
Unsere Ingenieure wagen sich ja alle Tage an weit schwierigere Aufgaben. Bezüglich des Great-Eyry hieß es freilich auch mit den Unkosten rechnen, die hier kaum mit dem dadurch zu gewinnenden Nutzen im Einklange stehen würden. Sie beliefen sich jedenfalls auf mehrere tausend Dollars… ja, und wozu hätte diese kostspielige Arbeit zu guter Letzt gedient? Befand sich an jener Stelle der Blauen Berge ein Vulkan, so hätte man ihn doch nicht auslöschen oder zustopfen können, und wenn ein Ausbruch die Gegend bedrohte, konnte man ihn doch auch nicht verhindern.
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