Selbst angenommen, daß der erste noch lebte, hatte doch seither nichts mehr über ihn verlautet. Und was den zweiten betraf, so würde voraussichtlich dasselbe der Fall sein, wenn auch dieser nach seinen Fahrten in der Nähe von Boston, Portsmouth und Portland von der Bildfläche verschwand, ohne greifbare Spuren zurückzulassen. Diese Vermutung wurde noch dadurch bestärkt, daß die außergewöhnliche Maschine seit dem Eintreffen des Berichtes in Washington, das heißt seit vierundzwanzig Stunden, von den Semaphoren an der Küste nicht mehr gemeldet worden war.
Ich füge hier gleich hinzu, daß man das Fahrzeug auch in anderen Gegenden nicht beobachtet hatte. Daraus freilich auf sein endgültiges Verschwinden zu schließen, wäre doch wohl etwas voreilig gewesen.

Ein kleiner Kreuzer des Staates Boston war ausgelaufen… (S. 62.)
Als wichtig bleibt gleichzeitig noch hervorzuheben, daß der Gedanke an ein Waltier, einen Kraken, Calmar, oder an irgendwelches Seewesen jetzt schon völlig aufgegeben war. Die Zeitungen der Union hatten sich natürlich aller einschlägigen Äußerungen und Beobachtungen bemächtigt, die sie weiter ausführten und wonach sie zu dem Schlusse kamen, daß nur von einem Wasserfahrzeug die Rede sein könne, dem bezüglich der Beweglichkeit und Schnelligkeit ganz außerordentliche Eigenschaften zukämen. Alle stimmten darin überein, daß es mit einem elektrischen Motor ausgestattet sein müsse; aus welcher Quelle dieser aber seinen Betriebsstrom schöpfte, das konnte sich niemand vorstellen.
Was die Presse aber bisher noch nicht vor der Öffentlichkeit zur Sprache gebracht hatte – bald mußte es jedenfalls geschehen – das war ein merkwürdiges und für den aufmerksamen Beobachter auffallendes Zusammentreffen von Umständen, das Herrn Ward gleichzeitig mit mir zur Erkenntnis kam.
Es bezog sich darauf, daß das berüchtigte Boot erst auftauchte, als das nicht minder berüchtigte Automobil verschwunden war. Beide verfügten gleichmäßig über eine erstaunliche Kraft zu ihrer Fortbewegung. Zeigten beide sich etwa gar von neuem, das eine auf dem Lande, das andere auf dem Wasser, so waren Boote, Fußgänger und Geschirre von der gleichen Gefahr bedroht. Dann wurde es unerläßlich, daß die Polizei durch jedes nur erdenkbare Mittel für die öffentliche Sicherheit auf den Landstraßen und auf dem Meere zu sorgen hatte.
Das erklärte der Polizeidirektor mir gegenüber, und diese Pflicht der Behörden lag ja auch klar auf der Hand; doch wie sollte man ihr mit Erfolg genügen?
Nach diesem Gespräch, das übrigens noch einige Zeit fortdauerte, wollte ich mich gerade zurückziehen, als Herr Ward mich noch einmal aufhielt.
»Ist es Ihnen nicht aufgefallen, Strock, sagte er, daß zwischen der Gangart der beiden Apparate – ob Wasserfahrzeug oder Automobil – eine merkwürdige Ähnlichkeit zutage tritt?
– Gewiß, Herr Direktor!
– Nun: wer weiß, ob die beiden am Ende nicht ein und derselbe Apparat sind!«
Sechstes Kapitel.
Der erste Brief.
Nachdem ich Herrn Ward verlassen hatte, suchte ich meine Wohnung in der Long-Street, 34, auf.
Dort hatte ich Muße, die Sache ungestört – ich habe weder Frau noch Kinder – weiter zu überlegen. Hier versorgte meinen bescheidenen Haushalt nur eine alte Dienerin, die früher bei meiner Mutter gewesen und die jetzt schon fünfzehn Jahre auch bei mir geblieben war.
Einen Monat vorher hatte ich einmal Urlaub bekommen, der jetzt noch vierzehn Tage dauern sollte, wenn er nicht durch unvorhergesehene Zwischenfälle, durch eine unaufschiebbare Mission verkürzt wurde.
Das war, wie der Leser weiß, schon einmal drei Tage lang der Fall gewesen, als ich zur Untersuchung der am Great-Eyry beobachteten Erscheinungen entsendet worden war.
Würde mir jetzt nicht auch der Auftrag erteilt werden, einesteils über die Vorfälle auf der Straße nach Milwaukee, andernteils über die in den Gewässern von Boston Licht zu verbreiten?… Das mußte sich ja bald entscheiden. Wie sollte ich aber die Fährte jenes Automobilisten und die des verschwundenen Bootes oder Schiffes wieder aufspüren?… Natürlich verlangten das Interesse der Allgemeinheit und die nötige Sicherheit auf den Straßen und auf dem Wasser, daß für beide Maßregeln getroffen wurden, diese zu gewährleisten. Freilich, was konnte denn hierin geschehen, solange das Erscheinen des oder der Chauffeure von nirgendsher gemeldet wurde, und auch wenn das erfolgte, wie konnte man ihrer habhaft werden?
In meine Wohnung zurückgekehrt, zündete ich mir nach Einnahme des Frühstückes eine Pfeife an und nahm eine Zeitung zur Hand. Ich muß jedoch gestehen, daß mich die Politik sehr wenig interessierte, auch nicht die ewige Zänkerei zwischen Republikanern und Demokraten. Ich schlug deshalb sogleich die Spalte mit den vermischten Nachrichten auf.
Es wird niemand wundernehmen, daß ich hier zuerst nach einer Mitteilung aus Nordkarolina bezüglich der Angelegenheit des Great-Eyry sachte. Vielleicht fand sich hierunter eine von Morganton oder Pleasant-Garden eingesendete Nachricht. Herr Smith hatte mir übrigens ausdrücklich versprochen, mich auf dem Laufenden zu halten. Im Falle, daß aus dem Felsenhorst wieder Flammen emporloderten, sollte mir nach Verabredung sofort eine Depesche zugehen. Ich glaube ja gern, daß der Bürgermeister von Morganton, nicht weniger als ich, den Wunsche hegte, den Zutritt durch die Umwallung des Berggipfels zu erzwingen, und daß es ihn verlangte, unseren Versuch zu wiederholen, sobald sich dazu Gelegenheit böte. Seit meiner Abreise aus Nordkarolina war mir jedoch noch kein Telegramm zugegangen.
Aus der Zeitung erfuhr ich auch nichts Neues. Das Blatt glitt mir aus den Händen, ohne daß ich es bemerkte, und ich blieb in Nachdenken versunken sitzen.
Jetzt ging mir vor allem die Äußerung des Herrn Ward durch den Kopf, daß der Chauffeur des Automobils und der des Bootes möglicherweise ein und dieselbe Person wären. Sehr annehmbar erschien es ja auch, daß die beiden Fahrzeuge von derselben Hand konstruiert worden seien. Und zweifelsohne enthielten sie die gleiche Art Motor, der ihnen die ungeheure, alle bisher aufgestellten Rekorde übertreffende Geschwindigkeit verlieh, die die beiden Gefährte zu Lande und zu Wasser entwickelten.
»Also für beide derselbe Erfinder?« murmelte ich vor mich hin.
Diese Annahme verstieß jedenfalls nicht gegen die Wahrscheinlichkeit. Auch der Umstand, daß beide Maschinen nie gleichzeitig beobachtet worden waren, unterstützte diese Anschauung im Grunde noch weiter.
So sagte ich mir denn:
»Ja ja: erst das Geheimnis des Great-Eyry und darauf das der Bai von Boston! Wird es mir mit dem zweiten ebenso gehen, wie mit dem ersten?… Wird man das eine ebensowenig ergründen können, wie das andere?«
Ich muß hierzu noch bemerken, daß das neue Vorkommnis, schon in Anbetracht der öffentlichen Sicherheit, sehr weite Kreise tief erregte. Erfolgte ein Vulkanausbruch oder fand in den Blauen Bergen ein Erdbeben statt, so brachte das nur für die Bewohner des benachbarten Gebietes ernstlichere Gefahr, konnte dagegen auf irgendwelcher Landstraße der Vereinigten Staaten, auf irgendwelchen amerikanischen Gewässern dort der Kraftwagen, hier das Boot wieder erscheinen, so wäre damit die Gesamtheit der Bürger immer mit der schwersten Gefahr bedroht.
Wie durch einen Blitzschlag aus heiterem Himmel mußte jedermann fürchten, überrannt zu werden. Verließ ein Bürger sein Haus, so lief er auch Gefahr, von dem plötzlichen Auftauchen jenes Chauffeurs, dem niemand schnell genug ausweichen konnte, überrascht zu werden. Wage sich doch einer auf eine Straße in der Stadt oder auf dem Lande, über die jeden Augenblick Geschosse hinsausen können!… Das hoben auch Tausende von Tages-und Wochenblättern hervor, besonders die, die am eifrigsten gelesen wurden.
Es verwunderte mich auch gar nicht, daß solche Erörterungen den Leuten den Kopf erhitzten, vorzüglich solchen von dem Schlage meiner alten Dienerin, die steif und fest an allerlei übernatürliche Dinge glaubte.
Heute, als Grad – so heißt meine Haushälterin – nach dem Mittagsessen den Tisch abräumte und eine Flasche in der einen, Schüssel und Teller in der anderen Hand hielt, ging sie nicht gleich hinaus, sondern sah mir unverwandt ins Gesicht.
»Nun, Herr Strock, sagte sie, noch immer nichts Neues?
– Nicht das geringste, antwortete ich, wohl erratend, worauf ihre Frage zielte.
– Der Wagen hat sich noch nicht wieder sehen lassen?
– Nein, Grad.
– Das Schiff auch nicht?…
– Auch das Schiff nicht. Selbst die bestunterrichteten Tagesblätter wissen nichts davon.
– Aber auf dienstlichem Wege könnten Sie doch…
– Amtlich ist man ebenfalls ohne jede Nachricht.
– Dann, bitte, sagen Sie mir doch, Herr Strock, wozu die Polizei eigentlich nützt?
– Das ist eine Frage, die ich Gelegenheit genug hatte, mir selbst zu stellen.
– Und das ist ja recht beruhigend, mein Herr Strock! Da wird eines schönen Morgens der verwünschte Chauffeur ohne vorherige Anmeldung auftauchen und man wird ihn in Washington auf die Gefahr hin, die Passanten zu überfahren die Long-Street entlang sausen sehen…
– Oho, Grad, dann eröffnete sich die Aussicht, ihn abzufangen!
– Das wird nimmermehr gelingen, Herr…
– Warum denn nicht?
– Weil dieser Chauffeur der Teufel in eigener Person ist, und der läßt sich von keinem fangen.«
Natürlich, dachte ich, dem Teufel läßt sich ja vieles aufbürden, und ich glaube, der ist überhaupt nur erfunden morden, damit eine Menge guter Leute sich einbilden können, zu erklären, was unerklärlich ist. Er hat – nach deren Ansicht – die Flammen im Great-Eyry angezündet, er hat den Rekord der Geschwindigkeit auf der Wisconsiner Landstraße gebrochen, er segelt jetzt in den Gewässern von Connecticut und Massachusetts wie toll umher!
Doch Scherz bei Seite… sehen wir ab von einer Einmischung des bösen Geistes, die, das seh ich wohl ein, der Fassungskraft weniger kultivierter Gehirne entspricht.
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