Gleichzeitig vernahm man ein deutliches Krachen von dem Berge her.
Man fragte sich, ob da oben eine Feuersbrunst ausgebrochen wäre und was wohl eine solche verursacht haben könnte. Das Feuer vom Himmel konnte sie nicht entzündet haben, denn niemand hatte einen Blitz herniederzucken sehen. An Nahrung hätte es einem Feuer freilich nicht gefehlt. Die Alleghanykette ist, ebenso wie der Mount Cumberland und die Blauen Berge, auch hoch oben noch mit Wald bedeckt. Dort sprossen noch zahlreiche Bäume, Zypressen, Fächerpalmen und andere Bäume mit beständiger Belaubung.
»Der Ausbruch!… Der Ausbruch!«
So erschallte es von allen Seiten. Ein Ausbruch! Der Great-Eyry bildet also den Krater eines bis tief in die Eingeweide der Erde hinabreichenden Vulkans? Sollte dieser, nachdem er so viele Jahre, ja vielleicht Jahrhunderte geschlummert hatte, jetzt zu erneuter Tätigkeit erwachen?… Würde sich zu den Flammen noch ein Steinregen, ein Auswurf von glühenden Massen gesellen? Glitten wohl bald geschmolzene Lavamassen herunter, eine Lawine oder ein Feuerstrom, der auf seinem Wege alles verbrannte, der Flecken und Dörfer und Farmen, kurz, die ganze Gegend mit ihren Ebenen, Feldern und Waldungen bis hinaus nach Pleasant-Garden oder Morganton verwüstete?
Jetzt überstieg der Schrecken alle Grenzen… nichts konnte ihn mehr aufhalten. Wahnsinnig vor Entsetzen schleppten die Frauen ihre Kinder fort und stürmten auf den Wegen nach Osten hin, um so schnell wie möglich dem Schauplatze dieser tellurischen Störungen zu entfliehen. Die Männer wieder räumten ihre Häuser aus, packten zusammen, was ihnen am wertvollsten war und setzten die Haustiere in Freiheit, die – Pferde, Rinder und Schafe durcheinander – nach allen Seiten hin zerstoben. Welch schrecklichen Wirrwarr ergab dieser Hause von Menschen und Tieren in der dunkeln Nacht, als er sich dahinwälzte durch die vom Feuer des Vulkans bedrohten Wälder und längs sumpfiger Gewässer, die vielleicht bald austreten sollten. Ja vielleicht fehlte es den Fliehenden zuletzt selbst an Boden, denn würden sie auch noch Zeit finden, sich zu retten, wenn eine Lawine glühender Lava sich herunterwälzte, ihnen den Weg abschnitt und jede weitere Flucht unmöglich machte?
Einzelne der mehr begüterten Farmenbesitzer erwiesen sich jedoch überlegter und hatten sich der sinnlos erschreckten Menge, die sie nicht zurückhalten konnten, nicht angeschlossen.
Sie wagten sich vielmehr bis auf eine Meile nahe an die Bergkette heran und überzeugten sich dabei, daß die Flammen allmählich schwächer wurden und vielleicht gänzlich erlöschen würden. In der Tat schien die Gegend von keinem Ausbruche bedroht zu sein. Kein Stein war in die Luft geschleudert worden, kein Lavastrom schlängelte sich den Bergabhang hinunter und aus der Erde war kein Donnern und Krachen zu vernehmen. Kurz, es zeigten sich keinerlei seismische Störungen, die sonst zuweilen in kürzester Zeit ein ganzes Land durcheinanderwürfeln können.
Unzweifelhaft konnte man dagegen beobachten, daß sich das Feuer im Innern des Great-Eyry abschwächte. Die Rückstrahlung von den Wolken verblaßte allmählich, und das Land umher mußte in kurzer Zeit wieder in tiefer Finsternis liegen.
Die lärmende Menge der Geflohenen war inzwischen auf einer gegen jede Gefahr voraussichtlich geschützten Stelle zum Stillstand gekommen. Schließlich kehrten manche davon zurück, und noch vor dem ersten Tagesgrauen hatten diese sich wieder in verschiedene Dörfer und Einzelgehöfte hineingewagt.
Noch gegen vier Uhr färbten sich die Ränder des Great-Eyry schwach mit einem fahlen Scheine. Die Feuersbrunst erlosch, wahrscheinlich aus Mangel an weiterer Nahrung, und obwohl es noch immer unmöglich war, ihre Ursache zu erkennen, durfte man doch hoffen, daß sie nicht noch einmal aufflackern werde.
Jedenfalls ließ sich annehmen, daß der Great-Eyry nicht der Schauplatz vulkanischer Vorgänge gewesen war. Es schien also nicht so, als ob die Bewohner der Umgebung durch ihn von einem verderblichen Ausbruch oder einem Erdbeben bedroht wären.
Da vernahm man gegen fünf Uhr, als der Kamm des Gebirges noch in nächtliches Dunkel gehüllt war, über diesem ein seltsames Rauschen, eine Art regelmäßiges Keuchen, das von mächtigen Flügelschlägen begleitet war. Und wenn es schon Tag gewesen wäre, hätten die Insassen der Farmen und der Dörfer einen riesigen Raubvogel, ein Ungeheuer des Luftmeers, vorüberschweben sehen können, der, nachdem er sich über den Great-Eyry erhoben hatte, in der Richtung nach Osten verschwand.
Zweites Kapitel.
In Morganton
Am 26. April war ich von Washington abgefahren und traf am nächsten Tage in Raleigh, der Hauptstadt von Nordkarolina, ein.
Zwei Tage vorher hatte mich der Generaldirektor der Polizei nach seinem Amtszimmer rufen lassen. Mein Vorgesetzter erwartete mich da mit sichtlicher Ungeduld. Dann hatte ich mit ihm folgendes Gespräch, das die Veranlassung zu meiner Abreise wurde.
»John Strock, begann er, sind Sie noch immer der findige und eifrige Mann, der uns bisher Beweise von diesen Eigenschaften geliefert hat?
– Herr Ward, antwortete ich mit einer Verbeugung, es steht mir nicht zu, Ihnen zu versichern, daß ich von meiner Findigkeit, wie Sie sagen, nichts verloren habe, was aber meinen Eifer betrifft, darf ich wohl erklären, daß dieser noch ganz derselbe geblieben ist…
– Ja ja, ich glaube Ihnen, sagte Herr Ward, und ich richte an Sie auch nur noch die eingeschränktere Frage: Sind Sie noch immer der alte, der begierig ist, jedes Geheimnis zu enthüllen, wie ich Sie von früher her kenne?
– Noch immer, Herr Ward…
– Und dieser Forschungseifer hat keine Abschwächung erlitten dadurch, daß Sie ihn so häufig betätigt haben?
– Ich glaube, in keiner Weise.
– Nun denn, Strock, so hören Sie mich an!«
Der Polizeidirektor war jener Zeit fünfzig Jahre alt, im Besitz aller seiner geistigen Fähigkeiten und sehr gewandt in den wichtigen Aufgaben, die sein Amt ihm auferlegte. Wiederholt hatte er mich mit schwierigen Missionen betraut, die ich zur Zufriedenheit ausgeführt hatte, selbst mit solchen, die die Politik berührten, und ich hatte mich dabei immer seiner vollen Anerkennung zu erfreuen. Seit einigen Monaten war jetzt keine Gelegenheit gewesen, meine Dienste in Anspruch zu nehmen, und diese unfreiwillige Muße wurde mir schon recht lästig. Ich erwartete also mit einiger Ungeduld, was Herr Ward mir mit zuteilen haben würde, zweifelte aber nicht, daß es sich um eine ernsthafte Sache handelte, wenn er mich deswegen ins Feld schicken wollte.
Und da handelte es sich denn um eine Angelegenheit, die zur Zeit die öffentliche Aufmerksamkeit nicht allein in Nordkarolina und dessen Nachbarstaaten, sondern auch in ganz Amerika lebhaft beschäftigte.
»Es kann Ihnen nicht unbekannt geblieben sein, begann er, was sich in einem gewissen Gebiete der Appalachen in der Nähe des Fleckens Morganton zugetragen hat?

»Ich empfehle Ihnen, die größte Vorsicht zu bewahren.« (S. 20.)
– Natürlich nicht, Herr Direktor; und diese mindestens seltsamen Vorkommnisse sind meiner Ansicht nach gewiß geeignet, auch die Neugier anderer, als eines Menschen wie ich zu erregen.
– Daß sie seltsam, ja höchst merkwürdig sind, ist ja nicht zu bezweifeln. Es drängt sich dabei aber die Frage auf, ob die betreffenden, am Great-Eyry beobachteten Erscheinungen nicht eine Gefahr für die Bewohner jenes Landesteils in sich bergen, ob sie nicht darauf hindeuten, daß dort ein vulkanischer Ausbruch oder eine heftige Erderschütterung zu befürchten sei…
– Ja freilich, Herr Direktor…
– Es ist also von großem Interesse, zu erfahren, wie es dort steht. Sind wir auch ohnmächtig gegenüber einer gewaltsamen Störung in der Natur, so ist es doch geboten, die bedrohten Leute wenigstens vor der Gefahr, der sie entgegengehen, beizeiten zu warnen.
– Das ist entschieden die Pflicht der Behörden, Herr Ward, antwortete ich. Man wird zu erfahren suchen müssen, was eigentlich da oben vorgeht.
– Gewiß, Strock; mir scheint nur, das wird mit großen Schwierigkeiten verknüpft sein. In der dortigen Gegend behauptet man beständig, es sei unmöglich, die Felsmasse des Great-Eyry zu erklimmen und in dessen Inneres zu dringen.
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