Hat man das aber überhaupt schon ernstlich und unter Verhältnissen versucht, die ein Gelingen in Aussicht stellten? Das glaub’ ich nicht, und meiner Ansicht nach müßte ein wohldurchdachter Versuch doch von Erfolg sein.

– Unmöglich ist ja nichts, Herr Direktor, und hierbei handelt es sich am Ende um weiter nichts, als um die erforderlichen Kosten….

– Um einen ganz gerechtfertigten Aufwand, Strock, um Unkosten, die gar nicht in Betracht kommen können, wenn es gilt, eine ganze Bevölkerung zu beruhigen oder einem ihr drohenden Unheil vorzubeugen. Ist es denn übrigens so sicher, daß die Abhänge des Great-Eyry so unersteigbar wären, wie man vielfach behauptet? Wer kann z.B. wissen, ob auf oder in dem Berge nicht eine Verbrecherrotte einen Schlupfwinkel gefunden hat, dessen Zugänge ihr allein bekannt sind?

– Wie, Herr Ward, Sie hätten den Verdacht, daß Verbrecher…

– Es kann ja sein, daß ich mich täusche, Strock, und daß dort alles seine natürlichen Ursachen hat. Gerade hierüber wollen wir aber Klarheit haben, und das sobald wie möglich.

– Darf ich mir eine Frage erlauben, Herr Ward?

– Recht gern, Strock.

– Wenn man nun den Great-Eyry besichtigt und die Ursache jener Erscheinungen kennen gelernt hat, würden wir, wenn dort ein Krater vorhanden ist und etwa ein Ausbruch bevorsteht, imstande sein, das zu verhindern?

– Nein, Strock, natürlich nicht, doch die Bewohner jenes Gebietes würden davon benachrichtigt werden. In den Dörfern würden die Leute wissen, woran sie sind, und die Farmen blieben verschont, von einem Unglücke überrascht zu werden. Wer kann denn jetzt wissen, ob irgendein Vulkan in den Alleghanies Nordkarolina nicht ebenso zu verwüsten droht, wie Martinique durch das Feuer des Mont Pelée?… Die Leute dort müßten sich doch wenigstens in Sicherheit bringen können…

– Ich, Herr Ward, glaube noch immer, daß jenes Gebiet von keiner solchen Gefahr bedroht ist…

– Und ich wünsche es, Strock. Es ist ja übrigens unwahrscheinlich, daß es in diesem Teile der Blauen Berge einen feuerspeienden Berg gibt. Die Appalachenkette ist nirgends von vulkanischer Natur. Dennoch hat man, nach den uns zugegangenen Berichten, aus dem Great-Eyry Flammen auflodern sehen. Man hat geglaubt, Erderschütterungen, mindestens ein Erzittern des Bodens, bis in die Umgebung von Pleasant-Garden wahrzunehmen. Sind das nun Tatsachen oder bloße Einbildungen? Darüber müssen wir Gewißheit haben…

– Mit vollem Rechte, Herr Ward, und zwar ohne Aufschub.

– Wir haben auch beschlossen, Strock, eine Untersuchung jener Erscheinungen am Great-Eyry vornehmen zu lassen. Dazu muß sich jemand unverweilt nach dem Lande begeben, um dort alle Beobachtungen, die man gemacht hat, zu sammeln, der Betreffende muß die Bewohner der Dörfer und der Farmer ausfragen… Wir haben auch schon unsere Wahl getroffen, wem diese Aufgabe zufallen soll, und der Mann sind Sie, Strock…

– O, das freut mich herzlich, Herr Ward, rief ich; seien Sie überzeugt, daß ich nichts vernachlässigen werde, Ihnen Aufklärung zu verschaffen.

– Das weiß ich, Strock; mir schien es von Anfang ein Auftrag zu sein, der Ihnen genehm sein würde.

– Genehm, wie kein anderer, Herr Direktor!

– Sie werden da eine schöne Gelegenheit haben, sich an einer Aufgabe zu versuchen, die ja Ihrem Temperamente entschieden entspricht.

– Ganz sicher, Herr Ward.

– Übrigens werden Sie ganz unbeschränkt sein, nach eigenem Ermessen zu handeln. Macht es sich nötig, eine Besteigung mit Hilfskräften zu veranstalten, so haben Sie, was die Unkosten betrifft, völlig freie Hand.

– Ich werde mein Möglichstes tun, Herr Ward, darin können Sie auf mich bauen.

– Insbesondere, Strock, empfehle ich Ihnen, die größte Vorsicht zu bewahren, wenn Sie dort im Lande Erkundigungen einziehen. Die Leute sind begreiflicherweise noch in sehr erregtem Zustande. Von dem, was man Ihnen erzählt, werden Sie nicht alles für bare Münze ansehen dürfen; vor allem aber hüten Sie sich, eine neue Panik hervorzurufen.

– Das versteht sich.

– Ich werde Ihnen ein Schreiben an den Ortsvorstand von Morganton mitgeben, und dieser mag im Vereine mit Ihnen vorgehen. Doch noch einmal, Strock, handeln Sie klug und vorsichtig; ziehen Sie bei der Untersuchung der Angelegenheit auch nicht mehr Personen zu Hilfe, als unbedingt dazu nötig sind. Sie haben ja schon so manche Proben von Scharfsinn und Geschicklichkeit abgelegt: diesmal rechnen wir darauf, aber ganz besonders auf einen glücklichen Erfolg.

– Wenn mir ein solcher versagt bliebe, Herr Ward, kann es nur daran liegen, daß mir unüberwindliche Hindernisse entgegentreten. denn vielleicht ist es doch unmöglich, ins Innere des Great-Eyry einzudringen. und dann…

– Dann werden wir sehen, was sonst zu tun ist. Ich wiederhole Ihnen, daß wir Sie für den Mann halten, der nach Beruf und natürlicher Anlage für eine schwierige Aufgabe am geeignetsten erscheint, und hier bietet sich Ihnen eine herrliche Gelegenheit, Ihren Spürsinn zu befriedigen.«

Der Polizeidirektor hatte entschieden recht.

Ich fragte also nur noch:

»Wann soll ich aufbrechen?

– Schon morgen.

– Morgen werde ich Washington verlassen haben und übermorgen in Morganton sein.

– Und mich werden Sie durch Briefe oder Telegramme auf dem Laufenden erhalten.

– Das werd’ ich nicht unterlassen, Herr Direktor. Jetzt zum Abschiede sage ich Ihnen nochmals besten Dank dafür, mich mit der Untersuchung der den Great-Eyry betreffenden Frage betraut zu haben«

Wie hätte ich jetzt ahnen können, was mir in der nächsten Zukunft bevorstand?

Ich begab mich sofort nach Hause, traf die nötigsten Vorbereitungen zur Abreise, und früh am nächsten Morgen führte mich der Schnellzug nach der Hauptstadt von Nordkarolina.

Am Abend in Raleigh eingetroffen, übernachtete ich daselbst, und am folgenden Nachmittag brachte mich die Eisenbahn, die nach dem westlichen Teile des Staates führt, nach Morganton.

Morganton ist eigentlich nicht mehr als ein Marktflecken. Es liegt auf ebenem Boden von Jurakalk, der sehr reich an Steinkohle ist, weshalb hier auch ein recht lebhafter Grubenbetrieb stattfindet. Daneben hat die Gegend viele reiche Mineralquellen, ein Umstand, der ihr in der schönen Jahreszeit eine große Menge Kurgäste zuführt. Rings um Morganton wird eine ergiebige Landwirtschaft betrieben, und vorzüglich reichlich ist der Ertrag der Getreidefelder zwischen vielen, mit Schilf und Rohr bedeckten sumpfigen Tümpeln. Die Wälder enthalten zahlreiche immergrüne Bäume. Der Gegend fehlt nur das natürliche Gas, die unerschöpfliche Quelle für Kraft, Licht und Wärme, die in den meisten Tälern der Alleghanies so häufig angetroffen wird.

Infolge der Schätze und der Erzeugnisse des Erdbodens hat sich hierzulande eine ziemlich dichte Bevölkerung angesammelt. Dörfer und Einzelgehöfte erheben sich bis an den Fuß der Alleghanykette, hier in den Waldungen mehr oder weniger zusammengedrängt und dort wieder vereinsamt auf den ersten Ausläufern des Gebirgszuges. Man zählt in der nächsten Umgebung mehrere tausend Einwohner, die freilich sehr bedroht wären, wenn der Great-Eyry den Krater eines Vulkans bildete, wenn ein Ausbruch die Gegend mit Asche und Schlacken bedeckte, wenn sie von Lavaströmen erreicht oder von einem Erdbeben bis zur Schwelle von Pleasant-Garden und Morganton erschüttert würde.

Der Ortsvorsteher – Bürgermeister – von Morganton war ein großer, kräftiger, kühner und unternehmender Mann höchstens von vierzig Jahren, dessen Gesundheit allen Ärzten der beiden Amerikas ein Schnippchen schlug und der gleichmäßig der Kälte des Winters wie der Hitze des Sommers widerstand, die in Nordkarolina oft in den höchsten Graden vorkommen. Daneben ein eifriger Jäger, der nicht allein dem Haar-und Federwild nachstellte, das sich auf den nahen Ebenen der Appalachen umhertummelte, sondern der auch beherzt den Panthern und Bären zu Leibe ging, denen man nicht selten in den düstern Zypressenhainen und in den wilden Schluchten der Doppelkette der Alleghanies begegnet.

Elias Smith, ein reicher Landeigentümer, besaß mehrere Güter in der Umgebung von Morganton. Mehrere davon bewirtschaftete er in der Hauptsache persönlich oder besuchte wenigstens die darauf beschäftigten Leute sehr häufig.